Bundesverfassungsgericht billigt Finanzhilfen für Eurostaaten

(Christopher Hörster)

Am 7. September 2011 hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die von Deutschland übernommenen Garantien zur finanziellen Unterstützung anderer Eurostaaten im Ergebnis gebilligt, dabei aber eine stärkere Einbeziehung des Bundestages bei den einzelnen Entscheidungen über solche Garantien verlangt.

 

Hintergrund der Klage war, dass der deutsche Bundestag durch zwei Gesetzte den Bundesministerfinanzminister ermächtigt hatte, finanzielle Garantien in Höhe von insgesamt 170 Milliarden Euro für die Rettung von Eurostaaten zu übernehmen. Die Zustimmung des Bundestages vor Übernahme der einzelnen Garantien war darin nicht vorgesehen.

 

Die Kläger, eine Gruppe Wirtschaftwissenschaftler sowie der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, rügten im Kern zwei Rechtsverstöße:

Erstens verstoße eine so weitgehende Ermächtigung des Finanzministers gegen das Prinzip der Haushaltshoheit des Parlaments (Art. 110 und 115 des Grundgesetzes). Der Deutsche Bundestag könne, so die Kläger, seiner Verantwortung für den Bundeshaushalt nicht mehr nachkommen, da die Übernahme von Garantien im Einzelfall völlig seinem Einfluss entzogen sei. Sollte der Garantiefall eintreten, die Bundesrepublik also mit 170 Milliarden Euro belastet werden, sei das Parlament de facto seinem haushaltspolitischen Gestaltungsspielraum beraubt.       

Zweitens stellten die Hilfen eine Verletzung des Unionsrechts da, welches in Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich festlege, dass weder die Union selber noch die Mitgliedstaaten untereinander für Verbindlichkeiten einzelner Eurostaaten haften dürften (sogenannte „No-bailout-Klausel“).

 

Die Rüge der Kläger, die Hilfen verstießen gegen die No-bailout-Klausel des AEUV, lehnte das Gericht in wenigen Sätzen als unzulässiges Vorbringen ab. Bezüglich der gerügten Verletzung des Prinzips der Haushaltshoheit des Bundestages stellten die Richter hingegen heraus, dass das Budgetrecht eines der zentralen Verfassungsrechte des Parlamentes darstelle. Daraus folge, dass der Bundestag grundsätzlich bei jeder einzelnen Hilfsmaßnahme neu seine Zustimmung erteilen müsse, was aber durch verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes erreicht werden könne. Generell sei eine pauschale Ermächtigung des Finanzministers  ohne weitere Mitwirkung des Bundestages mit der Haushaltshoheit des Bundestages nicht vereinbar. Das Verfassungsgericht ließ allerdings die Möglichkeit der Bundesregierung, im Fall des Vorliegens zwingender Gründe alleine zu entscheiden, unberührt. Eine Übernahme von Garantien in Höhe von 170 Milliarden Euro zugunsten anderer Staaten sei auch zulässig, da die Verluste im Notfall noch voll refinanzierbar seinen.

 

Hervorzuheben ist, dass das Gericht dem Bundestag ausdrücklich untersagte, einem Bürgschaftsautomatismus zuzustimmen, der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle entzogen und dessen Auswirkungen daher nicht mehr vom Bundestag kontrollierbar seien. Dies wird überwiegend als Verbot sogenannter „Eurobonds“ interpretiert, die in den meisten ihrer Variationen einen solchen Bürgschaftsautomatismus vorsehen. 

 

An dem Urteil überrascht insbesondere, dass auf die von den Parteien in ihren Vorträgen ausführlich diskutierte Verletzung der No-bailout-Klausel inhaltlich nicht eingegangen wird, obwohl der gerügte Verstoß unter Rechtswissenschaftlern im Grunde unbestritten ist. Die Bundesbank hatte in dem Verfahren noch ausführlich den Zweck der Klausel erläutert und in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit einer geordneten Staateninsolvenz verwiesen. Auch private Gläubiger würden so an der Lösung des Staatsschuldenproblems beteiligt und somit darüber hinaus angehalten, schon im Vorfeld risikoadäquate Zinsen auf Staatsanleihen zu verlangen. Dies wirke wiederrum einer überbordenden Staatsverschuldung schon bei der Kreditaufnahme entgegen. Die politischen Regularien gegen eine überzogene Staatsverschuldung hätten sich in der Vergangenheit hingegen zu oft als untauglich erwiesen, so die Bundesbank.

 

Die fehlende Behandlung dieses zentralen Problemkreises illustriert, genau wie die extreme Kürze des Urteils, eindrücklich die das gesamte Urteil durchziehende Zurückhaltung. Einerseits erscheint der Wunsch der Richter, eine hochpolitische Entscheidung mit potentiell krisenhaften Auswirkungen den politischen Kräften zu überlassen, nachvollziehbar. Andererseits überrascht diese Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts, wenn man die durchaus stichhaltigen Argumente der Kläger sowie die über die Grenzen Europas reichende Reputation des Gerichts bedenkt. 

 

Das Urteil im Wortlaut finden Sie unter:

http://www.bundesverfassungsgericht.de



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