Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 126

EU-Kommission will mit neuer Richtlinie Zahl der Tierversuche verringern

Jörg Heeren

Die Europäische Kommission beabsichtigt, die Zahl der Tierversuche in den Mitgliedstaaten zu verringern, und wirbt für alternative Testmethoden, bei denen keine Tiere geschädigt werden. Dafür hat sie am 5. November 2008 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren vorgelegt. Außerdem hat die Kommission ein neues Internetportal eingerichtet, das alternative Testmethoden auflistet. Wie die Kommission berichtet, verwenden die Forscher in den 27 Mitgliedstaaten für Tests jedes Jahr rund zwölf Millionen Tiere.

Derzeit ist eine Richtlinie aus dem Jahr 1986 (86/609/EEC) Grundlage für den Umgang mit Labortieren in den Mitgliedstaaten der EU. Diese sei im Sinne eines internationalen Abkommens formuliert - der Stil einiger Bestimmungen der Richtlinie sei eher der einer politischen Forderung statt einer rechtlichen Vorgabe, stellt die Kommission in der Einleitung ihrer Neufassung fest. Auch lässt die bisherige Richtlinie Ethikgutachten zum Umgang mit Tieren außer acht.

Mehrere Bestimmungen der alten Richtlinie seien überholt. Der Novellierungsentwurf, dessen Erarbeitung rund fünf Jahre dauerte, berücksichtige hingegen moderne und tierschonendere Testverfahren. Verbessern soll das neue Regelwerk auch die Aufzuchtsbedingungen und die Pflege von Labortieren. Zudem sieht es ein artgerechtes Umfeld für Versuchstiere vor, etwa Käfige in angemessener Größe. Die Genehmigung von Tierversuchen soll strikter gehandhabt werden. Jedes EU-Mitgliedsland soll verpflichtet werden, ein eigenes Referenzlabor für die Entwicklung und Bewertung von Alternativmethoden einzurichten.

Tierversuche werden in der Medizin in der Entwicklung neuer Arzneimittel und Operationsverfahren sowie der Grundlagenforschung genutzt. In Experimenten werden beispielsweise Schafen neu entwickelte Herzklappen implantiert. Mäuse erhalten potenzielle Wirkstoffe gegen die Alzheimerkrankheit. Labortiere werden außerdem verwendet, um Umweltgefährdungen festzustellen oder die Unbedenklichkeit von Lebensmitteln und Chemikalien zu testen. Als unverzichtbar gelten Versuche mit Tieren, wenn es um die Erforschung von Genfunktionen geht: Die Bedeutung einzelner Gene kann nur am intakten, lebenden Organismus festgestellt werden.

Mehrere Mitgliedsstaaten haben im Laufe der Jahre Tierschutzgesetze eingeführt, die strenger sind als die zurzeit gültige Richtlinie und die dazugehörigen Ergänzungen verlangen. Das deutsche Tierschutzgesetz zählt zu den striktesten in der EU. So sind in Deutschland Tierversuche, die ausschließlich der Entwicklung von Kosmetika dienen, seit 1998 verboten. Laut EU-Recht sind sie zur Erprobung neuer Inhaltsstoffe noch bis 2009 zulässig.

Mit ihrem Richtlinienentwurf strebt die Europäische Kommission nun danach, bei Tierversuchen EU-weite Standards für Industrie und Wissenschaft zu schaffen, die Qualität der Forschung zu verbessern und die jüngsten Fortschritte im Tierschutz einzubeziehen. Die Kommission beabsichtigt dabei die vollständige Umsetzung der "3-R-Regel" (Reduce, Refine, Replace). Tierversuche sollen verringert, erträglicher gestaltet und ersetzt werden.

Gänzlich verbieten will die Kommission Experimente mit Menschenaffen wie Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Beim Ausbruch von für Menschen „lebensbedrohlichen oder schwächenden Krankheiten" sollen aber Ausnahmen zugelassen werden.

Bevor die von der Kommission geplante Richtlinie genehmigt werden kann, müssen sich das Europäische Parlament und der Ministerrat mit dem Papier befassen. Um schon vor einer Entscheidung Testverfahren, die ohne Labortiere auskommen, weiter voranzutreiben, hat die Kommission die Internetseite „TSAR" eingerichtet. Das „System zur Weiterverfolgung der Überarbeitung, Validierung und Genehmigung von alternativen Testmethoden" ging am 11. November 2008 an den Start, betreut wird es von der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC), einer Dienststelle der Europäischen Kommission. Ziel der Website ist es, erzielte Fortschritte bei der Entwicklung von alternativen Tests öffentlich transparent zu machen. Der Seite lässt sich entnehmen, ob eine bestimmte alternative Testmethode existiert — etwa für hautreizende Wirkung oder erbgutverändernde Effekte — und ob diese Methode bereits in EU-Recht übernommen wurde. Langfristig soll die Seite jeden einzelnen Schritt der Prüfung neuer alternativer Testverfahren dokumentieren: von der Einreichung einer neuen Methode bis zur endgültigen Übernahme in das EU-Recht. Sowohl Genehmigungen wie auch Ablehnungen von Methoden sollen auf TSAR verständlich begründet werden. Die erste Fassung der Website enthält allerdings eine Übersicht zu genehmigten Testmethoden für Chemikalien. Weitere Inhalte sollen folgen.

Der Verband „Humane Society International" lobte die Einführung von TSAR. Die Europäische Union sei weltweit führend in der Entwicklung und Prüfung von alternativen Testmethoden, sagte ein Sprecher der Nichtregierungsorganisation. Er bedauerte aber: „Nur ein Bruchteil der genehmigten Methoden wurde bisher von staatlichen Aufsichtsbehörden anerkannt und übernommen."

Den Novellierungsentwurf für die Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere liegt im Internet in englischer Fassung vor:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=SEC:2008:2410:FIN:EN:PDF

Das „System zur Weiterverfolgung der Überarbeitung, Validierung und Genehmigung von alternativen Testmethoden" — TSAR — finden Sie auf:
http://tsar.jrc.ec.europa.eu



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