Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 126

Tschechen sehen Wirtschaft, Energie und Außenpolitik als dringendste Themen

Jörg Heeren/Praktikant

Obwohl die tschechische Ratspräsidentschaft erst am 1. Januar 2009 beginnt, beherrschen innenpolitische Querelen um die Ratifizierung des EU-Reformvertrags schon seit Wochen die Schlagzeilen. Dabei gerieten in der Öffentlichkeit die Pläne, die das Land während des halben Jahres seines EU-Vorsitzes verfolgen will, in den Hintergrund. Ein wesentliches Thema der Präsidentschaft ist die Suche nach einem Weg aus der Finanzkrise.

Das Motto der EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens lautet „Europa ohne Grenzen". Während das Land bis Juni den Vorsitz des EU-Rates übernimmt, will es u.a. die Erweiterung der EU vorantreiben und dabei besonders die Staaten des westlichen Balkans unterstützen. „Wir denken, dass die Stabilität in der Region klar mit der Perspektive eines EU-Beitritts dieser Länder verknüpft ist", sagte Michaela Jelinkovä vom Regierungsbüro für Europäische Angelegenheiten in Prag. Tschechien strebt einen raschen Beitritt von Kroatien an. „Wenn wir die Region stabilisieren wollen, dann durch die EU-Erweiterung - das ist unsere Absicht während der tschechischen Ratspräsidentschaft."

Anders als zuvor geplant, stehe die EU-Erweiterung allerdings nicht mehr im Mittelpunkt der tschechischen Präsidentschaft, sagte Alexandr Vondra. Der Fokus liege auf der Bewältigung der anhaltenden Finanzkrise. Vondra ist stellvertretender Premierminister für Europäische Angelegenheiten der Republik Tschechien. Seit 2007 bereitete er die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes vor. Die Übernahme des Vorsitzes sei ein weiterer Meilenstein des Wandels, den sein Land nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erlebt habe, so Vondra. Ein Thema, das zur Diskussion steht, ist laut Vondra die Regulierung von Banken und anderer Finanzinstitutionen. Anders als Frankreich, das bis Ende 2008 die Ratspräsidentschaft innehat, blickt Tschechien zutiefst skeptisch auf staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. So klagte Ministerpräsident Topolänek, staatliche Unterstützungen für Banken, die vor dem Aus stehen, würden die EU-Prinzipien des freien Marktes unterlaufen.

Die freiheitliche Orientierung Tschechiens schließt auch mit ein, bürokratische Barrieren für die Arbeitnehmerfreizügigkeit aufzuheben, die noch zwischen neuen und einigen alten EU-Mitgliedstaaten bestehen, sowie den Handel mit Staaten außerhalb der Union zu vereinfachen. Unter der Ratspräsidentschaft soll die EU-Ost-Partnerschaft unter anderem mit Weißrussland, Georgien und Armenien forciert werden, etwa durch erleichterte Visa-Bestimmungen. Im Gegensatz zur Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten will Tschechien der Ukraine eine mittelfristige Beitrittsperspektive eröffnen. Westwärts ist eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen vorgesehen. Ein Gipfeltreffen der EU und der USA soll noch im Frühjahr 2009 in Prag abgehalten werden. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada soll ausgeweitet werden — das Land ist an einem baldigen Freihandelsabkommen mit der EU interessiert.

Als dritte Priorität neben Außenbeziehungen und Wirtschaft steht Energie auf der Agenda der tschechischen Ratspräsidentschaft. Die Diskussion über einen Energiemix bei der Versorgung und neue Energie-Netzwerke sei zentral für sein Land, so Ministerpräsident Topolänek. „Wir glauben, dass es für die Zukunft und Sicherheit der Europäischen Union entscheidend ist, eine gemeinsame Energiepolitik zu haben und bei Verhandlungen über Energielieferungen mit einer Stimme zu sprechen." Bereits in dem gemeinsamen Programm, das Frankreich, Tschechien und Schweden Mitte 2008 für ihre drei aufeinanderfolgenden Ratspräsidentschaften veröffentlichten, rangierte Energiesicherheit an oberster Stelle. Im Bereich Asyl und Migration verfolgen die Tschechen keine ambitionierten Pläne.

Ein beherrschendes Thema während der tschechischen Ratspräsidentschaft dürften schließlich die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 sein. Im November 2009 endet zudem die Amtszeit der derzeitigen Europäischen Kommission. Weitreichende politische Entscheidungen werden voraussichtlich auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Die tschechische Ratspräsidentschaft werde es schwer haben, ihre eigenen Fußstapfen zu hinterlassen, räumt Europaminister Vondra ein. „Wir müssen unsere Ambitionen mäßigen, neue Initiativen voranzutreiben."

Offen bleibt die Frage, wie die Tschechische Republik während ihres Ratsvorsitzes mit der Aufgabe umgeht, den EU-Reformvertrag zu retten. Das Land gilt als europaskeptisch. Den EU-Reformvertrag hat Tschechien bislang — ebenso wie Irland — nicht ratifiziert. Ministerpräsident Mirek Topolänek von der konservativen Demokratische Bürgerpartei (ODS) gilt als Pro-Europäer und geriet mit Staatspräsident Vaclav Klaus aneinander. Klaus ist eigener Aussage nach ein „EU-Dissident" und will ein Inkrafttreten des Vertrags mit allen ihm zustehenden Befugnissen verhindern. Im Oktober verlor die regierende Bürgerpartei ihre alleinige Mehrheit im Oberhaus des Parlaments und überstand nur knapp ein Misstrauensvotum. Die Befürchtung kam auf, die tschechische EU-Präsidentschaft könnte nach einem erneuten Misstrauensvotum plötzlich führungslos dastehen.

Die Europäische Kommission lässt sich von den innenpolitischen Spannungen nicht beirren. Sie teilte mit, sie habe „Zuversicht in die Entschlossenheit der Tschechischen Republik, eine erfolgreiche EU-Präsidentschaft zu versehen."

Ursprünglich wollte das Land das Dokument rechtzeitig vor Antritt der Ratspräsidentschaft ratifizieren, um so Druck auf Irland ausüben, den Vertrag ebenfalls anzunehmen. Inzwischen heißt es, es sei in den ersten Wochen des Jahres 2009 damit zu rechnen, dass das tschechische Parlament dem Vertrag zustimmt. Damit die Ratifizierung rechtskräftig wird, ist die Unterschrift von Staatspräsident Vaclav Klaus nötig - doch der hat angekündigt, er werde den Lissabon-Vertrag nicht unterschreiben, bevor dieser nicht auch in Irland ratifiziert worden sei.

Die offizielle Internetseite der tschechischen Ratspräsidentschaft finden Sie unter der Adresse: http://www.eu2009.cz/en

Das gemeinsame Programm zu den Ratspräsidentschaften von Frankreich, der Tschechischen Republik und Schweden finden Sie zum Herunterladen im Internet:
http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/08/stlO/stl0684.en08.pdf



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