Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 126

Klimawandel - Klimaschutz: EU streitet über Kosten-Nutzen-Rechnungen in Zeiten finanzieller Krise

Patrick Roger Schnabel

Was kostet der Klimaschutz - was der Klimawandel?

Derzeit steht der Klimaschutz weit oben im Terminkalender der europäischen Institutionen: am 13. November 2008 hat die Europäische Kommission (KOM) ein Energiepaket (Versorgung, Solidarität und Effizienz) vorgelegt, am 1. Dezember haben sich Europäisches Parlament und Rat über CO2-Emissionen bei Kraftfahrzeugen geeinigt, vom 1.-12. Dezember tagt in Posen eine UN-Konferenz über das Post-Kyoto-Programm während gleichzeitig am 11./12. Dezember die Regierungschefs im Rat der EU über das Klima-Paket der KOM beraten wollen. Doch eine Vielzahl von Terminen garantiert keinen Fortschritt. Sind bei dem globalen Treffen in Posen komplizierte Verhandlungen vorprogrammiert, hätte man - in dieser Angelegenheit - von der EU mehr Geschlossenheit erwarten können; denn die bestand, im Prinzip, noch beim Europäischen Rat im März. Doch inzwischen hat die Krise der Finanzmärkte eine Frage scheinbar hoffähig gemacht: „Was darf der Klimaschutz kosten?"

Am lautesten wird sie von den Mitgliedstaaten gestellt, die aus verschiedenen Gründen besonders kohlenstofflastige Industrien haben: Polen mit seinen Kohlekraftwerken, die baltischen Staaten, die sich vertraglich verpflichtet haben, ihre alten Atommeiler abzustellen, aber auch Deutschland, das einen erheblichen Anteil an energieaufwendiger Schwerindustrie beherbergt. Die Forderungen reichen hier von mehr Solidarität unter den Mitgliesstaaten zu einer Verringerung der Klimaschutzziele als solchen. Dem hält die KOM entgegen, dass auch eine andere Frage wirtschaftlich relevant ist: „Was darf der Klimawandel kosten?"

Vergleicht man beide Fragestellungen sei das Klimapaket immer noch günstiger, so die Kommission. Außerdem sei ein Großteil der Kosten Investitionen, die sich mittel- bis langfristig nicht nur in barer Münze, sondern auch in Vorteilen im globalen Wettbewerb und einer erhöhten Energiesicherheit auszahlten. Bei ihren Berechnungen bezieht sich die KOM auf eigene Zahlen und auf den „Stern-Bericht", der der britischen Regierung als Grundlage für ihre Klimaschutzpolitik dient. Demnach würde ein ungebremster Klimawandel das globale Bruttosozialprodukt (gBSP) zwischen 5 und 20 % verringern, während Maßnahmen gegen Treibhausgasemissionen derzeit nur l % des gBSP ausmachten. Schnelles Handeln sei erforderlich, da diese mit jeder Verzögerung teurer würden, während ihr Effekt sich verringerte. Auch Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft würden 2013-2030 das jährliche Wachstum von voraussichtlich 2,8 % um maximal 0,19 % verringern. Dies könne aber durch mehr Energiesicherheit, reduzierte Gesundheitskosten, verhinderte Adaptionskosten und voraussichtlich durch neue „grüne" Arbeitsplätze kompensiert werden. Die EU-Kommission, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und andere kommen daher zu dem Schluss, dass das Ziel, die Erderwärmung auf 2°C zu begrenzen mit dem wirtschaftlichen Ziel eines nachhaltigen Wachstums vereinbar sei. Im Übrigen, so die KOM, hätten die EU-15 Staaten (die alte EU vor der Osterweiterung) ihr für 2012 angestrebtes Emissionsziel bereits 2010 erreicht und könnten es noch unterbieten. Schließlich seien die Emission 1990 bis 2006 jährlich um 2,7 % gesenkt worden, während die Wirtschaft in dem Zeitraum um 40 % gewachsen sei. Im Vergleich: In den USA ist die Wirtschaft in dem Zeitraum zwar um fast 60 % gewachsen, die Emissionen aber auch um 14,4 %.

Klimaschutz und Energiepolitik gehören zusammen

Da die KOM dabei ist, die Klimaschutzziele als Querschnittsaufgabe in vielen Politikfeldern zu verankern, ist es für die „Opposition" nicht leicht, ihre Kritik an einem einzelnen Rechtsakt festzumachen. So hat das Kollegium der Kommission auch ihr jüngstes Paket zur Energiepolitik unter zwei Prioritäten gestellt: Die Erreichung der 20-20-20-Ziele und die Minderung der Anfälligkeit Europas in der Versorgungssicherheit. Das ist geschickt: Die Unabhängigkeit gerade von Russland ist für die Mitgliedstaaten besonders wichtig, die sich am meisten gegen die Klimaziele wehren.

Die zwei Prioritäten werden vernetzt in fünf Bereichen umgesetzt: in dem Ausbau der Infrastruktur, einer besseren Nutzung vorhandener Eigenressourcen, mehr Solidarität (einschließlich europäischer Krisenreaktionsmechanismen) und einer raschen Verbesserung der Energieeffizienz. Erst nach diesen inner-europäischen Anstrengungen wird die Energieaußenpolitik genannt, zu der ein Ostseeverbundplan, ein Mittelmeer-Energie-Ring, ein Nord-Süd-Gas- und Stromverbund, ein Nordseeoffshorenetz, ein südlicher Gaskorridor und eine angemessene Flüssiggasversorgung in Europa gehören. Die Reihenfolge hat ihren Sinn: Die KOM sieht im Import-Überschuss von 54 % des europäischen Energiebedarfs einen hohen Unsicherheitsfaktor. Sicherere und kostengünstigere Alternativen sind daher nicht nur umweltpolitisch gefragt.

Ob diese Rechnungen alle Kritiker beschwichtigen, ist noch offen. Eine in dieser Frage zerstrittene EU wird allerdings Schwierigkeiten haben, jetzt in Posen und im nächsten Herbst in Kopenhagen ambitionierte globale Klimaschutzziele zu vertreten. Das weiß auch die KOM. Deshalb gibt es dort Überlegungen, die Polen dazu zu bewegen, im Sommer — wenn die neue US-Administration handlungsfähig ist — eine Zwischenkonferenz einzuberufen. Schwierige Themen könnten bis dahin vertagt werden. Dies könnte in das für Posen in Aussicht genommene „klare" Arbeitsprogramm 2009 aufgenommen werden. Auch der Kyoto-Anpassungsfonds für Entwicklungsländer soll auf jeden Fall einsatzfähig gemacht werden, um Widerstände von dieser Seite zu verringern.

Am Ende steht der Kompromiss? — Möglichkeiten, das Klimapaket zu retten

Insgesamt wird wohl das Klimapaket den Rat der EU nur dann unbeschadet überstehen, wenn es gelingt, hart in den Zielen und flexibel in der Umsetzung zu sein. Gefragt ist also wieder einmal der für die EU charakteristische Kompromiss. Wie der in Sachen Klimaschutz aussehen könnte, lässt sich vielleicht anhand von zwei Beispielen erahnen:

Das erste Beispiel: Bei der Kraftfahrzeug-Emissions-Richtlinie sind Rat und Parlament einen — noch nicht verabschiedeten — Handel eingegangen. Am Gesamtziel, den CO2-Ausstoß bei PKW von derzeit 160 auf 120 gr/km zu verringern, wird festgehalten. Es wird ergänzt durch das langfristige Ziel, die Emissionen bis 2020 auf 95 gr/ km zu reduzieren. Dafür werden Zwischenziele vereinbart, nach denen bis 2012 nur 65 % der Flotte das Ziel erreicht haben müssen - diese Quote wird dann von Jahr zu Jahr angehoben. Auch die Strafgebühr wird langsam eingeführt und erreicht erst 2019 die volle Quote von 95 €/gr.

Das zweite Beispiel: Bei der Bio-Kraftstoff-Richtlinie fordert das EP sofort 45 % Treibhausgas-Ersparnis und 60 % bis 2015. Nach den bisherigen Zahlen der KOM hätten die meisten europäischen Produkte dieses Ziel nicht erreicht. Nachdem sie zusammen mit der Auto- und Ölindustrie neue Berechnungen zu Grunde gelegt hat, haben sich die Ergebnisse stark zugunsten europäischer Bio-Sprit-Grundstoffe verändert.

Auch ein Kompromiss — und einer mit geringen Abstrichen am Ziel — wurde beim 20 % Ziel für erneuerbare Energien erzielt: Investoren erhalten Sicherheit, weil Italien von seiner Forderung abwich, das Ziel 2014 komplett auf den Prüf stand zu stellen. Nun wird nur ein Bericht vorgelegt werden müssen. Natürlich enthalten Kompromisse auch Rückschläge. Während in Sachen Biosprit Umweltorganisationen die neuen Zahlen zwar für möglich halten, kritisieren sie zu Recht die Umstände: Einerseits missachte die Kommission lange vorliegende Zahlen über die Emissionen indirekter Landnutzungsänderung, andererseits stelle sie ihre komplette Berechnung auf Zuruf von heute auf morgen um. Dennoch zeigt die Flexibilität in den Beispielen, dass manchmal marginale Verschiebungen im zeitlichen oder örtlichen Nahbereich viel an Kritik verstummen lassen. Das verschafft Zeit: Wenn dann die prognostizierten Vorteile einer Umstellung der Energiewirtschaft eintreten, greift die Wettbewerbsdynamik dem Umweltschutz hoffentlich bald unter die Arme. Was bleibt, ist das bittere Geschmäckle, dass die Zukunft der Schöpfung auch nur ein Gegenstand politischen Kuhhandels ist.

Deshalb haben die geistlichen Vertreter dreier grosser europäischer Kirchen — der EKD-Ratsvorsitzende, der Erzbischof von Canterbury und der Erzbischof von Schweden — erneut an die politischen Führer der EU geschrieben und gemahnt, auch angesichts der Finanzkrise nicht in den Bemühungen zum Klimaschutz nachzulassen. Sie knüpfen damit an ihr Schreiben an, das sie im Vorfeld der Klimakonferenz von Bau versandt hatten.

Zur Energiestrategie der EU geht es hier:
http://ec.europa.eu/energy/strategies/2008/2008_ll_ser2_en.htm

Das Klima-Schutz-Komitee des EP finden Sie hier:
http://www.europarl.europa.eu/activities/committees/homeCom.do?body=CLIM&language=EN

Und hier die EU-Studie zu Auswirkungen und Kosten des Klimawandels:
http://ec.europa.eu/environment/climat/pdf/final_report2.pdf

Und hier, was die EU zu Posen sagt:
http://ec.europa.eu/environment/climat/poznan_08.htm

Schliesslich über den Appell der Bischöfe:
http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2008_12_09_l_kirchenappell_klimawandel.html



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