Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 126

Island erwägt EU-Beitritt zum Jahr 2011

Jörg Heeren

Die isländische Regierung hat ihren langjährigen Widerstand gegen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union aufgegeben. Der isländische Ministerpräsident Geir Haarde sagte am 6. Dezember 2008 laut Agenturmeldung, das Thema einer Mitgliedschaft könne vorangebracht werden, wenn es akzeptable Bedingungen gebe. Das nationale Interesse und nationale Ressourcen müssten „vollständig" anerkannt werden. Demnach dürfte das Land vor einem EU-Beitritt insbesondere auf Privilegien für die für Island wichtige Fischereiwirtschaft beharren.

Erst nachdem Islands Finanzbranche infolge der weltweiten Bankenkrise zusammengebrochen ist, zieht das Land eine Bewerbung um einen Beitritt zur EU in Betracht. Die isländische Krone besitzt nur noch drei Viertel ihres früheren Wertes. Die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft könnte die Währung stabilisieren.

Die Europäische Kommission reagiert zustimmend auf den Sinneswandel der Isländer. Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte, Island könne der EU „rasch" beitreten, falls es sich entscheiden sollte, sich um eine Mitgliedschaft zu bewerben. Allerdings sagte Rehn, er erwarte weiterhin, dass Kroatien das nächste neue EU-Mitglied werde. Die Beitrittsverhandlungen mit dem Balkanstaat laufen seit drei Jahren.

Einem ersten Entwurf des isländischen Außenministeriums zufolge könnte die Bewerbung um eine Mitgliedschaft in der EU bereits in den ersten Monaten des neuen Jahres erfolgen, mit dem Ziel, im Jahr 2011 beizutreten. Der isländische Ministerpräsident Geir Haarde kündigte die Bildung eines Ausschusses in seiner konservativen Unabhängigkeitspartei an, der sich mit einem möglichen Beitritt seines Landes befassen soll. Bei einem vorgezogenen Parteitag im Januar soll ebenfalls über die Frage beraten werden.

Haarde machte deutlich, dass sich sein Land immer vorbehalten habe, jederzeit frei darüber zu entscheiden, wie es mit der EU zusammenarbeite. Bereits 1992 trat der Inselstaat zusammen mit Norwegen dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bei und nimmt seitdem am europäischen Binnenmarkt teil. Schon jetzt hat das Land zahlreiche EU-Regelungen ins eigene Rechtssystem übernommen. Eine Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft kam bislang indes nicht aus Island. Auch wurden die Einwohner nicht aufgefordert, sich in einer Volksabstimmung zu der Frage zu äußern. Besonders die Fischereibranche wetterte gegen einen EU-Beitritt, weil sie darum fürchtete, die reichen Fischgründe rund um die Insel mit anderen EU-Staaten teilen zu müssen. Jetzt räumte Fischereiminister Reinar Gudfinnsson ein: „Ich war immer gegen eine EU-Mitgliedschaft, aber jetzt sollten wir auch diese Option prüfen".

Isländische Gegner des Beitritts argumentierten bislang, dass eine EU-Mitgliedschaft sehr kostspielig für das Land sei. Wirtschaftliche Vorteile, die Island schon jetzt durch die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum hat, könnten nach einem Beitritt durch Zahlungsverpflichtungen an die EU verloren gehen. Kritisiert wird weiterhin, dass das Votum Islands im Rat der Europäischen Union weniger stark gewichtet werden würde als das anderer Mitgliedsländer — wegen seiner im Vergleich zu anderen EU-Staaten kleinen Bevölkerung.

Trotz des Schlags, den die Finanzkrise dem Staat versetzte, ist Island mit seinen 320.000 Einwohnern ein gesundes und florierendes Land. Im Human Development Index der Vereinten Nationen, der unter anderem den Bildungsgrad und das Einkommen der Bevölkerung abbildet, liegt das Land auf dem ersten Platz. In den vergangenen Jahren wandelte sich Island zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft. Mehr als zwei Drittel der Einwohner sind in Dienstleistungsbranchen tätig.

Angesichts der Finanzkrise ist Island an einer EU-Mitgliedschaft in erster Linie wegen des Euro interessiert. Darüber hinaus gebe es die Möglichkeit einer „Dollarisation" oder die Anbindung der Krone an eine ausländische Währung, erklärte Ministerpräsident Haarde. Denkbar sei auch die einseitige Einführung des Euro. Letzteres dürfte seiner Meinung nach in der Europäischen Union sicher für Stirnrunzeln sorgen. Bislang hatte die Europäische Zentralbank (EZB) die Einführung des Euro in Ländern ausgeschlossen, die nicht EU-Mitglieder sind.

Die Stützung der Krone habe derzeit Vorrang, so Haarde. Laut dem Ministerpräsidenten könnte der Euro frühestens in fünf Jahren in Island eingeführt werden, zwei Jahre nach einem potenziellen Beitritt des Landes zur EU. „Diese Debatte ist sicher nicht die Antwort auf die aktuelle Krise", sagte Haarde.

Die Sozialdemokraten, der kleinere Koalitionspartner in der isländischen Regierung, haben sich bereits für einen EU-Beitritt ausgesprochen. Die isländische Fortschrittspartei plant, im Januar bei einer außerordentlichen Versammlung über das Thema abzustimmen.

Einer jüngeren Umfrage zufolge sind 60 Prozent der isländischen Bevölkerung für den Beitritt. Empört über das Krisenmanagement der Regierung forderten wiederholt mehrere tausend Demonstranten — unter ihnen zahlreiche Befürworter einer EU-Mitgliedschaft — den Rücktritt des Kabinetts. Sollten sich die Unabhängigkeitspartei und die oppositionelle Fortschrittspartei für den Beitritt entscheiden, ist die Partei Linke Allianz die einzige Fraktion im Parlament, die eine EU-Mitgliedschaft ablehnt.

Eine Übersicht zu den EU-Beziehungen mit Island ist im Internet einzusehen:
http://ec.europa.eu/external_relations/iceland/index_en.htm



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