Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 126

Oberrabbiner Sacks ruft auf zu „neuem europäischem Bund der Hoffnung"

Jörg Heeren

Der Dialog ist eine der Wurzeln der Eurofpäischen Kultur, doch der Dialog alleine reicht nicht aus, um die kulturellen Unterschiede zwischen Bürgern der Europäischen Union zu überbrücken. Das sagte Sir Jonathan Sacks, Oberrabbiner Großbritanniens und des Commonwealth, am 19. November 2008 in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Der Philosoph und Theologe sprach sich für engere soziale Bindungen zwischen den Ländern und Kulturen in Europa aus - einem „neuen Bund der Hoffnung". Konkrete politische Forderungen stellte Sacks nicht. Vielmehr war seine Rede ein Appell für eine neue geistige Haltung der Menschen in der EU.

In seiner Rede griff Sacks auf historische Hintergründe und Texte der Thora zurück, um sein Verständnis des Begriffs Dialog zu erläutern. Die Geschichte der europäischen Kultur habe vor 2000 Jahren mit einem Dialog begonnen, sagte der Rabbiner. Das alte Griechenland und das biblische Israel seien durch das Christentum zusammengeführt worden, dessen Religion aus Israel kam, dessen heilige Texte aber in Griechisch geschrieben waren. Später griffen, so Sacks, muslimische Denker wie Averroes im heute spanischen al-Andalus das philosophische Erbe von Platon und Aristoteles auf. Dieser islamische Dialog zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert inspirierte jüdische Denker und dieser jüdische Dialog wiederum inspirierte christliche Denker, darunter Thomas von Aquin. Darüber hinaus sei nach dem Holocaust ein Dialog die Basis dafür gewesen, dass Juden und Christen sich heute in gegenseitigem Respekt als Freunde begegnen.

Sacks ging auf die biblische Geschichte der Brüder Kain und Abel ein. Ihr Dialog sei gescheitert, sagte er und folgerte: „Wo Worte enden, beginnt die Gewalt." Das Konzept des Dialogs bezeuge, dass alle menschlichen Beziehungen durch Gemeinsamkeiten charakterisiert seien und zugleich durch Unterschiede, gleich, ob es um Beziehungen zwischen Individuen, Ländern, Kulturen und Überzeugungen ginge. Laut Sacks gibt es dazu keine Alternative. Denn: „Falls wir gänzlich unterschiedlich wären, könnten wir nicht kommunizieren, aber falls wir komplett gleich wären, hätten wir uns nichts zu sagen".

Sacks war einer der religiösen Würdenträger, die 2008 anlässlich des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs vor dem Parlament auftraten. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, hatte bei seiner Begrüßung den positiven Beitrag der Religionen für die europäische Gesellschaft gelobt. Dazu zähle die Entwicklung von ethischem Bewusstsein und von Werten. Im Januar hatte in dem Parlament bereits der Großmufti von Syrien, Sheikh Ahmad Badr Al-Din Hassoun, als Vertreter des Islam eine Rede gehalten. Als Vertreter des christlichen Glaubens trat im September Bartholomäus L, Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, vor die Abgeordneten. Der Dialog zwischen den Religionen und besonders dem Islam hatte sich im Europäischen Parlament als beherrschendes Thema des Europäischen Jahres herauskristallisiert.

Sacks forderte in seiner Rede, über den Dialog hinauszugehen. Auch zwischen Juden und Deutschen des 18. Jahrhunderts bis 1933 habe es einen Dialog gegeben, ebenso zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda, zwischen Kroaten, Serben und Muslimen in Bosnien und im Kosovo. „Der Dialog bringt uns zusammen, aber er kann uns nicht zusammenhalten, wenn andere Kräfte uns auseinander driften lassen", so Sacks.

Um die Spaltung von Gesellschaften zu heilen, seien Bünde als Übereinkünfte wichtig. Bünde spielten Sacks zufolge eine entscheidende Rolle in europäischer Geschichte und auch von Anfang an bis heute in der Geschichte der amerikanischen Kultur. Auch der designierte US-Präsident Barack Obama habe während seiner Reden „wohl an dieses Wort gedacht". Ein Bund war es auch, so der Rabbiner, der aus den zwölf verschiedenen Stämmen, von denen jeder auf seiner eigenen Identität beharrte, das biblische Israel formte.

Jetzt sei der Zeitpunkt für Europa gekommen, einen Bund für Respekt, Freiheit und Verantwortung zu schließen. „Jetzt, mitten in der Finanzkrise und der Rezession. Denn in schlechten Zeiten wird den Menschen bewusst, dass wir alle ein Schicksal teilen."

Die vollständige Rede des Oberrabbiners erhalten Sie als Word-Dokument unter folgender Adresse:
http://www.europarl.europa.eu/sce/data/cre/doc/S0003561.doc

Ausführlich äußert sich Sacks in seinem Buch, in dem er die Prinzipien einer Ethik globaler Gemeinschaft entwirft: Jonathan Sacks (2007):
Wie wir den Krieg der Kulturen noch vermeiden können. Gütersloher Verlagshaus, 288 Seiten, 19,95 Euro.



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