Unser tägliches Brot gib uns heute

Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. Mai 2015

2.6 Die Governance-Krise

Einer der Hauptgründe für die Kontinuität des Hungers ist die geringe politische Aufmerksamkeit für Agrarpolitik und ländliche Entwicklung in vielen Ländern des Südens während der letzten Jahrzehnte. Diese wurde sicherlich durch die ausgesprochen niedrigen Agrarpreise motiviert, da sich Investitionen in die Landwirtschaft, vor allem in die Produktion von Nahrungsmitteln, ökonomisch kaum lohnten. Die Hauptverantwortung dafür liegt trotz der Bedeutung internationaler Signale und Trends nach wie vor in der nationalen Politik vieler Länder des Südens. Es fehlen vor allem öffentliche Investitionen in eine ausreichende Infrastruktur, in Marktzugang durch Straßen und Transportmöglichkeiten, in Agrarberatung, Lagerhaltung, Wetterinformationen, tierärztliche Versorgung, eine rechtliche Absicherung des Zugangs zu Land, besonders für von Frauen geführte Haushalten, Zugang zu Krediten etc. In vielen Ländern verderben aufgrund von infrastrukturellen Problemen 30 - 40 Prozent der Ernte auf den Feldern. Viele der Bauern in Ländern des Südens haben keinen sicheren Zugang zu Land und zu wenig ökonomische Möglichkeiten, in ihr Land zu investieren. Weil Geld für Investitionen in den Bodenerhalt oder in Düngemittel fehlen, werden die Böden nicht ausreichend gepflegt. Nicht einmal zehn afrikanische Länder nutzen 10 Prozent oder mehr ihrer Staatshaushalte, um die Agrarwirtschaft und ländliche Entwicklung zu fördern [54]. Dadurch fehlen Anreize und Unterstützung, um in die Landwirtschaft zu investieren. Auch mangelt es an Verdienstmöglichkeiten in der Weiterverarbeitung von Nahrungsmitteln. Selbst die steigenden Weltmarktpreise seit der Welternährungskrise haben bislang keine ausreichenden Produktionsanreize für Kleinbauernfamilien gegeben, da ihnen die Mittel, in eine erweiterte oder neue Produktion zu investieren, fehlen. Viele Familien in ländlichen Regionen erzielen kein ausreichendes Einkommen - sei es aus der Landwirtschaft als Bauern oder sei es als Landarbeiter -, um sich ausreichend zu ernähren.

Seit dem Welternährungsgipfel von 1996 hat die Anerkenntnis zugenommen, dass jeder Staat eine eigene menschenrechtliche Verantwortung dafür hat, sich um Personen zu kümmern, die akut oder chronisch hungern und kein ausreichendes Einkommen erzielen (vgl. Kap. 3.3). In der FAO wurden auf Empfehlung des Welternährungsgipfels von 2002 in den Jahren 2002 bis 2004 »Freiwillige Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung« erarbeitet, die aufzeigen, wie Staaten das Recht auf Nahrung umsetzen können. Die Leitlinien betonen die Verantwortung und die Möglichkeiten von Staaten, im Rahmen ihrer Agrar- und Wirtschaftspolitik Rahmenbedingungen zu schaffen, die es möglichst vielen Menschen erlauben, sich selbst zu ernähren.

2.6.1 Global Governance von Ernährungsfragen im 20. Jahrhundert

Seit 1945 versucht die Staatengemeinschaft durch gemeinsame Bemühungen und Koordinierung Impulse zu geben, um Ernährungssicherheit zu erreichen. In der ersten Phase globaler Governance-Politik ging es um den Aufbau funktionierender Institutionen und die Förderung der Produktivität der Landwirtschaft. Ernährungssicherheit wurde vor allem als globale oder nationale Rechnung (global or national food security) verstanden, in der die Nahrungsmittelproduktion mit der Zahl der Köpfe korreliert und berechnet wurde, inwieweit die Steigerung der globalen Produktion mit dem Wachstum der Weltbevölkerung Schritt hält.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Rom die Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization) gegründet [55], die seitdem sowohl die Informationsgewinnung und Analyse von Trends auf den Weltmärkten als auch der weltweiten Hungersituation [56] durchführt, also auch regelmäßige Zustandsberichte über die Situation in der Landwirtschaft, den Wäldern oder der Fischerei [57] vorlegt. Zweite Hauptaufgabe ist die Entwicklung neuer internationaler Normen, z. B. im Bereich von Lebensmittelstandards, bei der Inverkehrbringung von Pestiziden, für verantwortungsvolle Fischerei oder für die Umsetzung des Rechts auf Nahrung. Dritter Aufgabenbereich war und ist die Durchführung von eigenen Projekten in den Mitgliedsstaaten und deren Beratung im Bereich von Agrar-, Forst- und Fischereientwicklung.

Als zweite in Rom angesiedelte Organisation wurde 1961 das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) geschaffen. Heute ist das WFP das zentrale Nothilfeprogramm der VN-Familie, das sowohl im Falle von Naturkatastrophen wie auch bei menschengemachten Kriegen und Bürgerkriegen aktiv wird. Mehr als 90 Millionen Menschen, oft Flüchtlinge in Lagern, werden regelmäßig mit Nahrungsmitteln versorgt [58].

Gravierende Hungerkrisen wie Ende der 1960er Jahre in Nigeria (Biafra), eine Reihe von sehr schlechten Ernten 1972 - 1974 und ein Anstieg der Zahl der Hungernden führte zur ersten Welternährungskonferenz 1974 in Rom, die mit dem berühmten Versprechen endete: »In zehn Jahren wird kein Mann, keine Frau und kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen.« Zunächst ruhte die Hoffnung auf neuen Hochertragssorten und anderen Technologien zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität. Als zweites Thema wurde eine bessere Koordinierung internationaler Aktivitäten als Bereich identifiziert, in dem es zu Verbesserungen kommen müsste, um besser auf Hunger und Unterernährung reagieren zu können. Auf der Konferenz wurden verschiedene neue Institutionen ins Leben gerufen, um angemessen auf die Welternährungskrise zu reagieren. 1974 entstand als Finanzierungsorganisation der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD). Er vergibt vor allem langfristige zinslose Kredite zur Förderung von ländlicher Entwicklung und von kleinbäuerlicher Landwirtschaft und landlosen Landarbeitern. Ebenfalls wurde der bei der FAO angesiedelte Ausschuss für Welternährungssicherheit (Committee on World Food Security, CFS) geschaffen), der seitdem im jährlichen Rhythmus Entwicklungstrends analysieren sollte. Seine Bedeutung als zentrales Austauschorgan für Ernährungssicherungsstrategien blieb allerdings über lange Jahre sehr begrenzt.

Angesichts der Herausforderung, die Erträge in der Landwirtschaft in vielen Ländern substanziell zu steigern, um eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, war 1971 zudem ein Verbund von Agrarforschungszentren entstanden, die Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (Consultative Group on International Agricultural Research, CGIAR) [59]. Das Gründungsziel der CGIAR war und ist »die Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit in den tropischen und subtropischen Ländern durch Forschung und Investitionen in neue, hochproduktive Pflanzensorten und verbesserte Nutztierhaltung«. Heute arbeiten über 8.000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Forschungszentren rund um die Welt, die maßgeblich zu enormen Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft in den 1970er und 1980er Jahren beigetragen haben. Hochertragssorten werden seit Beginn der 1970er Jahre vermehrt eingesetzt und haben die Ernteerträge erheblich gesteigert, zumindest in den Gunstgebieten Asiens, in denen gute Böden und eine ausreichende Bewässerung vorhanden waren. Eine Übertragung nach Afrika gelang bislang kaum, da dort sowohl die Bewässerungslandwirtschaft als auch insgesamt die landwirtschaftliche Infrastruktur zu schwach ist, um den ressourcenintensiveren Anbau von Hochertragssorten meistern zu können.

Kritiker dieser »Grünen Revolution« haben ihr unter anderem vorgeworfen, die Landkonzentration zu begünstigen, da nur wohlhabendere Produzenten sich die entsprechenden Vorleistungen und Inputs der Hochertragssorten leisten können und im Umfeld der begünstigten Farmen andere landwirtschaftliche Betriebe aufgeben mussten. Zweites Gegenargument war die fehlende Nachhaltigkeit der ressourcenintensiven Sorten, da das Saatgut nur dann hohe Erträge abwirft, wenn ausreichend gedüngt und bewässert wird. Dennoch haben die höheren Erträge, die mittels der neuen Sorten erzielt werden konnten, erheblich dazu beigetragen, die Nahrungsmittelversorgung (nicht nur) in vielen asiatischen Ländern zu verbessern. Über Jahre konnte die Produktivität der Landwirtschaft schneller wachsen als die Weltbevölkerung [60].

Seit die EU ab Mitte der 1970er Jahre zu einer Überschussregion für viele Agrarprodukte wurde und sich im Absatz der nicht lagerbaren Überschüsse mit den USA einen regelrechten Wettkampf um Weltmarktanteile leistete, waren die Weltmarktpreise tendenziell unter Druck und spiegelten kaum die Anbaukosten der günstigsten Anbieter wider. Die Kosten der Agrarexportsubventionen der EU betrugen in manchen Jahren bis zu 20 Milliarden Euro. Für Produzenten aus Entwicklungsländern gab es bei den betroffenen Produkten kaum Anreize, selbst in die Landwirtschaft zu investieren. Scharf kritisiert wurde die Praxis der Exportsubventionen ab Mitte der 1980er Jahre von Nichtregierungsorganisationen und ebenso in den Welthandelsgesprächen der Uruguay-Runde, die 1994 zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO führten.

Die günstigen Agrarpreise hatten mit dazu beigetragen, dass viele Länder, die sich früher weitgehend oder umfassend selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnten, damit begannen, die ausgesprochen kostengünstigen Grundnahrungsmittel auf den Weltmärkten einzukaufen und stattdessen in der Produktion eher auf Agrarexport-Produkte (Kaffee, Kakao, Futtermittel oder Wintergemüse und andere Gartenbauprodukte wie Schnittblumen) zu setzen, für die sich höhere Preise erzielen ließen. Die Weltbank hatte eine solche auf Handel beruhende Ernährungssicherungsstrategie (»Trade based food security«) seit dem Weltentwicklungsbericht von 1986 empfohlen. Die Zahl der nettonahrungsmittelimportierenden Länder stieg in den folgenden Jahren von ca. 30 Ländern in den 1980er Jahren auf über 110 Länder während der Welternährungskrise von 2007/08 an [61].

Es ist diese Kombination aus Faktoren - marktöffnende und deregulierende Politikempfehlung der »global governance«-Institutionen (Weltbank, Welthandelsorganisation) - bei gleichzeitigem Desinteresse nationaler Regierungen, in die Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zu investieren, die mit dazu beigetragen hat, dass die Hälfte aller Hungernden weltweit landwirtschaftliche Produzentenfamilien sind, die kein ausreichendes Einkommen aus der Landwirtschaft gewinnen.

Entsprechend verletzlich waren diese Länder in der Welternährungskrise, als große Exportnationen den Export von Nahrungsmitteln einstellten, um zunächst die eigene Bevölkerung zu versorgen. Der plötzliche Preisanstieg 2007/08 löste einen Schock bei vielen dieser Länder aus. Einige können sich grundsätzlich aufgrund ihrer geografischen Gegebenheiten kaum ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen. Andere hatten sich wie beschrieben auf die günstigen Angebote des Weltmarkts in ihrer eigenen Agrarpolitik eingestellt. Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen und trafen vor allem arme Haushalte, denen das Einkommen fehlte, um mehr für Nahrungsmittel auszugeben. Innerhalb kürzester Zeit stieg die Zahl der Hungernden weltweit von ca. 850 Millionen auf über eine Milliarde Menschen an. Für diese Länder, zu denen viele afrikanische Länder gehören, wird deutlich, dass sie viel stärker als bisher landwirtschaftliche Familien und ländliche Entwicklung fördern müssen als bisher. Die Krise hat damit schlagartig die Bedeutung von »nationaler Ernährungssicherheit«, d. h. einer ausreichenden Nahrungsmittelproduktion für alle Menschen im eigenen Land, erhöht.

Vor allem wohlhabendere Länder, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind wie die Golfstaaten oder auch China, sind seit der Krise besorgt, dass die Versorgung über den Weltmarkt zukünftig möglicherweise nicht mehr verlässlich sein wird. Deshalb haben einige von ihnen begonnen, großflächige Agrarinvestitionen im Ausland zu tätigen (»Land-grabbing«), um eine langfristige Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Dies trifft vor allem auf Länder mit begrenztem Anbaupotenzial in Trockenzonen zu. Gleichzeitig steigt weltweit das Interesse privater Investoren an der Landwirtschaft derzeit stark an, da höhere Preise diese Investitionen nach vielen Jahren wieder attraktiver werden lassen. Die zentralen Governance-Probleme verändern sich dadurch, dass auch neue Akteure in ländliche Regionen drängen und dort investieren wollen. Neben internationalen Investoren haben auch nationale Eliten begonnen, in größerem Ausmaß wieder in Land zu investieren. Wie viele dieser Investitionen zu tatsächlichen produktiven Agrarinvestitionen führen oder nur aus Gründen einer sicheren Kapitalanlage getätigt werden, ist derzeit noch offen.

2.6.2 Neue Akteure

Seit der Welternährungskrise kommt auf internationaler Ebene eine Reihe von neuen Akteuren hinzu, die einen wachsenden Einfluss auf internationale Debatten und Entscheidungen zur Ernährungssicherung haben. Im Wesentlichen sind hier sechs Gruppen zu nennen:

  • Dachverbände von Bauern: Verschiedene Bauernorganisationen haben als Leitmotiv den Begriff der Ernährungssouveränität (»Food Sovereignty«) formuliert, der von sehr vielen NRO inzwischen mitgetragen wird [62]. Sie verlangen, dass sie als große Gruppe von mehreren hundert Millionen Familien, die ein gutes Drittel der Weltbevölkerung darstellen, eine neue Agrarpolitik für ländliche Regionen und für bäuerliche Strukturen mit gestalten können. Sie fordern eine an bäuerlichen Interessen orientierte nationale Agrarpolitik, die vorrangig von lokalen und nationalen Rahmenbedingungen ausgeht und nationale Produzenten vor möglicherweise übermächtigen externen Einflüssen der Agrarweltmärkte, der Saatgutmärkte, der Nahrungsmittelindustrie sowie beim Zugang zu Land schützt. Sie plädieren für eine bäuerlich basierte nachhaltige Landwirtschaftspolitik. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen arbeitet an einer »VN-Erklärung zum Schutz von Rechten von Bauern«.
  • Die Agrarindustrie: Sie ist seit der Welternährungskrise auf jedem Gipfel und jeder internationalen Versammlung aktiv, um darauf hinzuweisen, dass sie die Kenntnis und das Kapital hat, ausreichende Investitionen vorzunehmen.
  • Private Stiftungen, hier besonders die Bill und Melinda Gates Foundation (BMGF): Die Bill und Melinda Gates Foundation, die mit zahlreichen Akteuren der Privatwirtschaft wie z. B. mit dem Agrarmulti Monsanto eng zusammenarbeitet, möchte den afrikanischen Saatgutmarkt neu organisieren und verbessern. Das Herzstück ihres Engagements gegen den Hunger ist die zusammen mit der Rockefeller Foundation gegründete AGRA-Initiative (Alliance for the Green Revolution in Africa), deren Vorsitz Kofi Annan übernommen hat. Darüber hinaus ist die BMGF auch noch durch ihren African Enterprise Challenge Fund und die Coalition for African Rice Development im Agrarbereich tätig. Der Finanzierung von AGRA und anderen Initiativen der BMGF haben sich viele andere Geber - Regierungen und internationale Organisationen - durch Kooperationsabkommen angeschlossen, so auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

AGRA konzentriert sich deutlich auf Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. Es wird ausdrücklich anerkannt, dass die Gentechnik nicht die Lösung der Ernährungsprobleme Afrikas verkörpert. Aber organische Düngung, biologischer Pflanzenschutz und traditionelle Sorten seien langfristig nicht ausreichend für die Optimierung; sie könnten zwar noch punktuell verbessert werden, aber mineralische Düngung, chemischer Pflanzenschutz und verbesserte Hochertragssorten seien unumgänglich.

Um den grenzüberschreitenden Transfer von Technologien in Afrika zu erleichtern, engagiert AGRA sich auch in der Politik. Speziell bei den gesetzlichen und politischen Grundlagen zur Regulierung der Zulassung neuer Technologien und bei dem Schutz geistigen Eigentums von Saatgut und anderen Technologien ist AGRA um eine staatliche Regulierung und deren Harmonisierung im größeren regionalen Verbund bemüht.

In der Zivilgesellschaft gibt es ein gewisses Unbehagen am Engagement von AGRA und der Bill und Melinda Gates Foundation, das sich besonders an dem enormen politischen Einfluss einer privaten Stiftung festmacht, die mit hohen Finanzmitteln Entwicklungen mit beeinflussen kann und die eine große Nähe zu den multinationalen Firmen des Agrobusiness hat. Der Ansatz von AGRA ist die Kommerzialisierung der afrikanischen Landwirtschaft, vor allem auf der Technikseite, und deren Einbezug in globale Kreisläufe der Wirtschaft. Dadurch werden die Türen für zukünftige große Geschäfte der Düngemittelindustrie, der chemischen Pflanzenschutzindustrie und des Saatgutsektors geöffnet. Es wird befürchtet, dass sich die afrikanische Landwirtschaft dadurch immer stärker in die Abhängigkeit von Monopolisten wie Monsanto u. a. m. begibt. Die Fokussierung auf den Einsatz von gentechnisch verändertem Hochleistungssaatgut, das jedes Jahr neu zugekauft werden muss, kann in die Schuldenfalle führen und ist keine nachhaltige Strategie zur gezielten Förderung von ressourcenarmen Kleinbauernfamilien.

Regionale Organisationen: Neben den internationalen spielen aber auch regionale Organisationen in manchen Regionen eine zunehmend wichtige Rolle.

  • CAADP: Die New Partnership for Africa's Development (NEPAD) wurde 2001 von der Afrikanischen Union als panafrikanisches Entwicklungsprogramm gestartet. Teil von NEPAD ist auch das Agrarförderprogramm CAADP (Comprehensive Africa Agriculture Development Programme). 26 afrikanische Regierungen haben sich durch einen »CAADP-Compact« verpflichtet, ihre Agrarpolitik an dem Konzept von CAADP auszurichten. Die Global Donor Platform, G8- und G20-Programme, EU-Entwicklungshilfe und BMZ setzen auf CAADP. Ziel von CAADP ist es, bis 2015 das MDG 1, Hunger und Armut zu halbieren, zu erreichen, sowie ein jährliches landwirtschaftliches Wachstum von 6 Prozent zu erzielen und auf dem Land Entwicklung in Gang zu setzen [63]. Das soll u. a. durch die Selbstverpflichtung der afrikanischen Staaten geschehen, mindestens 10 Prozent der staatlichen Entwicklungsausgaben in den Agrarsektor zu investieren. Ein strategischer Rahmen für den Landwirtschaftssektor - unterteilt in die vier Säulen: nachhaltige Landnutzung, ländliche Infrastrukturentwicklung, Produktionserhöhung und Forschung - soll die Agrarpolitiken harmonisieren und dynamisieren. Trotz der Selbstverpflichtung liegen die tatsächlichen Ausgaben bei den meisten CAADP-Ländern weit unter der Schwelle von 10 Prozent, teilweise sogar unter 5 Prozent. Nur einige wenige Staaten haben die 10-Prozent-Vorgabe eingehalten. Das 6-prozentige Produktionswachstum ist tatsächlich von einer Reihe von Staaten erreicht worden. Doch bleibt es fraglich, inwieweit der gemeinsame Rahmen die Agrarpolitiken der Länder reformiert hat.

    Eine starke Vorgabe macht CAADP bei der Agrarforschung und bei den Vermittlungsmethoden (Agrarberatung) und nimmt damit einen großen Einfluss auf die Ausrichtung der Art des landwirtschaftlichen technischen Fortschritts. Eine gemeinsame Studie der Protestantischen Entwicklungswerke in Europa unter dem Dach von APRODEV (Association of World Council of Churches related Development Organizations in Europe, Dachverband der protestantischen Entwicklungsorganisationen) kommt zu dem Schluss: »CAADP vertritt ein Agrarmodell, das sich stark an der Grünen Revolution ausrichtet. Es baut auf dem massiven Einsatz von externen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln auf, wie mineralische Düngemittel, chemische Pflanzenschutzmittel und Hochertragssorten. Das bedeutet eine hohe Abhängigkeit von ausländischen Firmen der Agrarwirtschaft. Vernachlässigt werden hingegen Ansätze der agro-ökologischen Intensivierung, die für Kleinbauern sehr viel besser geeignet wären.« [64] Der Rahmen ist bislang nicht an der Umsetzung des Rechts auf Nahrung orientiert, was wünschenswert wäre.

  • G8 Allianz für Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung (New Alliance): 2012 wurde in New York bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Gründung dieser Initiative vorgestellt. Mit der besonderen Unterstützung der US-amerikanischen Regierung und der anderen G8-Länder - insbesondere Deutschland - wurden (zunächst) mit sechs afrikanischen Schwerpunktländern »LänderKooperationsrahmen« abgeschlossen. In den folgenden zehn Jahren sollen mit dieser Initiative 50 Millionen Menschen südlich der Sahara aus der Armut befreit werden. 45 Firmen des privaten Sektors wollen die Initiative mit Investitionen von insgesamt 3 Milliarden US-Dollar in den Ernährungssektor der afrikanischen Länder unterstützen. Das Programm umfasst drei Hauptkomponenten. Es will a) den Fluss von Privatkapital in die afrikanische Landwirtschaft beschleunigen, b) neue Technologien und andere Innovationen zur Ertragssteigerung befördern und c) die Risiken der verwundbaren Ökonomien und Gemeinschaften reduzieren. Grundlage ist die Schaffung von Anreizen für private Direktinvestitionen. Die afrikanischen Länder versprechen den G8 und beteiligten Firmen ein investitionsfreundliches Klima für inländische und ausländische Firmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, den Firmen Zugang zu Land zu verschaffen. Nichtregierungsorganisationen, darunter auch Brot für die Welt, beklagen, dass die New Alliance damit die Interessen der Agrarindustrie in den Mittelpunkt stellt. Es zeichne sich ab, dass die Initiative nicht der Stärkung der Kleinbauern dient, sondern in erster Linie der Öffnung der afrikanischen Märkte, dem Ankauf von Rohstoffen, dem Zugang zu Land und der Vermarktung von Pestiziden, Düngemitteln und Saatgut [65]. Die New Alliance wurde inzwischen (2014) von den G7/G8 auf zehn Länder erweitert. Sie sieht sich mittlerweile von Seiten der Zivilgesellschaft in den G7/ G8-Ländern und in den afrikanischen Kooperationsländern heftiger Kritik ausgesetzt. Dabei stehen die Land- und die Saatgutfrage im Zentrum der Kritik [66].
  • Nichtstaatliche Organisationen (NRO): Sie fordern, die jahrzehntelange Vernachlässigung ländlicher Regionen zu beenden. Die meisten Kleinbauernbetriebe, gerade auch die von Frauen geführten, wurden noch nie gefördert. Sie leiden oft unter unsicheren Pachtverhältnissen und haben keinen Zugang zu Krediten, Agrarberatung oder Märkten. Die wenigen staatlichen Institutionen, die es im ländlichen Raum früher gab - etwa Vermarktungsbehörden, die die Ernte bei den Bauern abholten, oder tierärztliche Dienste -, wurden in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme eingestellt oder privatisiert. Eine privatwirtschaftliche Verbreitung von patentiertem Saatgut kann - so die Befürchtung vieler NRO - zusätzliche Abhängigkeiten schaffen und die Produktionskosten langfristig steigen lassen. Viele NRO fordern deshalb, benachteiligte Produzenten gezielt staatlich zu unterstützen - etwa mit Subventionen und einer entsprechenden handelspolitischen Absicherung.

2.6.3 Konfliktlinien in der internationalen Governance

Was muss langfristig geschehen, um Ernährungssicherheit und das Recht auf Nahrung angesichts der Herausforderungen weltweit steigender Nachfrage und begrenzter Ressourcen zu verwirklichen? Drei Konfliktlinien prägen derzeit die Debatte. Sie sollen hier kurz skizziert werden.

  • Die erste Konfliktlinie thematisiert die Frage, welche Art der Landwirtschaft langfristig am besten geeignet ist, Ernährungssicherheit zu garantieren. Welche Art von Investitionen in die Landwirtschaft sollten deshalb besonders gefördert werden? Private Investitionen werden insgesamt eine wichtige Rolle spielen, um das derzeitige Investitionsdefizit in ländlichen Regionen zu überwinden. Eine neue Studie des wissenschaftlichen Begleitgremiums des Ausschusses für Welternährungssicherung (Committee on World Food Security, CFS) [67] hat gerade darauf hingewiesen, dass auch die Investitionen von Kleinbauern zu den privaten Investitionen zählen. Allein deren Beiträge machen fast zwei Drittel des Gesamtvolumens in ländlichen Regionen aus [68]. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, aber besonders auch die NRO, betonen gleichzeitig die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen in ländliche Entwicklung als besondere Vorbedingung, damit mehrere hundert Millionen Familien von Kleinbauern von dem neuen Interesse an ländlicher Entwicklung profitieren können. Öffentliche Investitionen dienen beispielsweise Landkatasterämtern, der Lagerhaltung, der Agrarberatung etc. Der CFS berät, welche Arten von Investitionen gefördert werden sollen. Es sollte ein gemeinsames Interesse sein, sicherzustellen, dass ärmere Familien in ländlichen Regionen von den neuen Möglichkeiten profitieren und nicht an den Rand gedrängt werden.
  • Die zweite Konfliktlinie entsteht entlang der Frage, wie nachhaltig die zukünftige Landwirtschaft ausgestaltet und wie mit gefährdeten Ressourcen (Böden, Wasser, Artenvielfalt) umgegangen werden soll. Der Weltagrarrat kam zu der warnenden Erkenntnis: »Business as usual is not an option.« [69] Die Autoren verwiesen auf die ausgesprochen hohen ökologischen Folgekosten der derzeitigen Intensivlandwirtschaft, auf Bodenverluste durch Erosion und Bodenübernutzungen, Versalzungen, Verlust an Artenvielfalt, den Klimawandel etc. In ihren Schlussfolgerungen empfehlen sie, eine Landwirtschaft zu fördern, die in ökologische Kreisläufe eingebettet ist, weniger Ressourcen zerstörend, sondern erhaltend ist, eine multifunktionale Erschließung ländlicher Räume fördert, d. h. lokale Weiterverarbeitung von Agrarrohstoffen, und vor allem auf den Millionen Bauernfamilien in den ländlichen Räumen aufbaut. Demgegenüber steht ein eher agrarindustrielles Modell landwirtschaftlicher Investitionen, die mit neuester Technik in der Lage sind, eine zweite Grüne Revolution voranzutreiben und die Ernteerträge zu steigern. Der Streit um Modelle wird derzeit intensiv geführt. Grundkonsens muss sein, dass mehr Investitionen in ländliche Entwicklung nötig sind, diese nachhaltig sind und es auf eine gute Mischung der verschiedenen Akteure bei den Investitionen ankommt.
  • Die dritte Konfliktlinie wird bestimmt von der Frage der Nutzung von Gentechnik in der Landwirtschaft und von geistigen Eigentumsrechten an Saatgut und Lebewesen. Viele Unternehmen der Agrarwirtschaft nutzen derzeit das Welternährungsargument und verweisen darauf, dass nach FAO-Schätzungen die Erträge bis 2050 um 70 Prozent steigen müssen. Sie argumentieren, dass langfristig höhere Erträge nur erzielt werden können, wenn das Potenzial moderner Züchtungen - auch von gentechnisch veränderten Organismen - genutzt wird [70]. Die Kritiker verweisen auf die immer noch nicht abschließend bewerteten Risiken der Gentechnik, die schnelle Resistenzbildung von Schädlingen bei gentechnisch veränderten Pflanzen, und warnen davor, dass über den Patentschutz wenige Konzerne die Kontrolle über weite Bereiche der Nahrungsmittelwirtschaft für sich sichern. Sie betonen vielmehr die Bedeutung der Offenheit von internationaler Agrarforschung, der Möglichkeit traditioneller Forschung und der Nutzung des Wissens von Millionen von Kleinbauern und -bäuerinnen, die oft ihre Standorte genau kennen, um ihre Landwirtschaft an die neuen Gegebenheiten im Klimawandel entsprechend anzupassen [71].
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