Glauben – mehr als das Gegenteil von Wissen

Sind Religion und Wissenschaft wirklich Gegensätze?

Kreuzform im Straßenpflaster

„Ich glaube“, sagt ein Vater, als er mit seinem kranken Sohn zu Jesus kommt. Dann fügt er an: „Hilf meinem Unglauben!“ Der Vater macht sich Sorgen. Bisher hat niemand dem Sohn helfen können. Er bittet Jesus, den Sohn zu heilen, „wenn du kannst“. Jesus hört die Skepsis und entgegnet ihm: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Das rührt eine Saite in dem Vater an. Er antwortet mit diesem Widerspruch in fünf Worten, der so menschlich ist, dass ihn wahrscheinlich viele nachvollziehen können.

Sorge, dass der Glaube ins Leere geht

Die Geschichte steht in der Bibel, im Markusevangelium, Kapitel 9. Wie oft möchten Menschen glauben, doch ihre Erfahrung hat sie skeptisch gemacht und nährt die Sorge, dass der Glaube ins Leere geht. Glaube kommt nicht allein – der Zweifel begleitet ihn. Trotzdem bewahrt dieser Vater seine Hoffnung. Die bleibt so stark, dass er mit seinem zaghaften Glauben zu Jesus geht.

Der Autor des Hebräerbriefs am Schluss der Bibel bietet eine Idealvorstellung an: „Der Glaube ist „eine gewisse Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Das will sagen: Wer dem Zweifel standhält und ein Quantum Hoffnung bewahrt, wer bereit ist, Gott Glauben zu schenken, kann mehr Erfahrungen mit ihm machen. Glaube wird damit eine Beziehung zu Gott. Das Vertrauen zu ihm kann wachsen, eshält Zweifel aus und unbeantwortete Fragen.

Mehr als das Gegenteil von Wissen

Glauben an Gott ist mehr als das Gegenteil von Wissen. Dieses Gegeneinander ist überholt. Es wurde in der Zeit des 19. Jahrhunderts stark, damals blühten die Naturwissenschaften auf. Der Forscher Charles Darwin bot Erklärungen an, wie das Leben auf der Erde in langen Zeiträumen durch Evolution entstand, eine stetige Weiterentwicklung. Das schien den Schöpfungsberichten in der Bibel zu widersprechen. Dort wird beschrieben, wie Gott die Erde in sieben Tagen erschafft, wie ein Künstler ein Kunstwerk. Manche meinten, so wie die Evolution der Lebewesen schreite auch die Entwicklung von der Religion zur Wissenschaft voran: Am Anfang stehe viel Glauben und wenig Wissen, aber dann werde das Wissen immer weiter wachsen und der Religion das Gebiet streitig machen.

Der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher hielt dagegen, die Frömmigkeit habe ihre eigene Sphäre, sie sei das „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“. Bevor wir Menschen etwas leisten, werden wir beschenkt mit Leben und mit Segen, sagt der Glaube. Inzwischen ist klarer geworden, dass die Bibel uns keine Naturkunde nahebringen will, sondern von Gott und seinem Handeln erzählt. Und viele Naturwissenschaftler sehen, dass ihre Forschungsergebnisse erst einmal für ihren eigenen Bereich gelten und nicht gleichzeitig für den Glauben.

„Glaube gibt einem Leben Form: Ich bin gewiss, das ich von Gott komme und zu Gott gehe.“

Michael Diener
Michael Diener Präses der Landeskirchlichen Gemeinschaften in der evangelischen Kirche und Mitglied im Rat der EKD

Wir Menschen sind abhängig, denn wir geben uns unser Leben und seinen Sinn nicht selbst. „Ich glaube, dass jedes Leben eine Form braucht, eine Ausrichtung“, sagt Michael Diener. „Glaube gibt einem Leben Form: Ich bin gewiss, das ich von Gott komme und zu Gott gehe, dass Gott mein Leben begleitet und hält.“ Michael Diener ist Pfarrer und der Präses der Landeskirchlichen Gemeinschaften in der evangelischen Kirche, und er gehört zum Rat der EKD.

„Gott spricht auch religiös unmusikalische Menschen an“

Finden alle Menschen einen Zugang zu Gott? Manche sagen von sich, sie seien „religiös unmusikalisch“, so, als ob man für Religion empfänglich sei oder auch nicht. Was den Glauben betrifft, ist Deutschland immer noch geteilt. In den alten Bundesländern gehören zwei Drittel der Menschen zu einer Kirche, in den neuen nur ein Drittel. „Ich sehe“, sagt Michael Diener, „dass manche Menschen einen schwierigen Anmarschweg zum Glauben haben. Aber letztlich ist Glaube ja eine Beziehung, kein Faktenwissen. Ich merke, dass Gott auch religiös unmusikalische Menschen anspricht – durch besondere Stationen in ihrem Leben, vielleicht Krankheit und Todeserfahrungen.“

Und wie findet man den Glauben? „Vieles kann helfen“, sagt Michael Diener, „Erziehung und Vorbilder zum Beispiel.“ Aber wir Menschen kommen nicht von uns aus zum Glauben, ist er überzeugt: „Der Glaube kommt auch zu uns. Gott sucht uns Menschen, er kommt auf uns zu, er schenkt uns Glauben. Daher gilt Beides: Wir können unseren Weg zum Glauben beeinflussen, aber wir können nicht über ihn verfügen.“

Der Heilige Geist lässt sich gerne helfen

Glauben kann man sich also nicht vornehmen. Dass man glauben kann, sagt die Bibel, bewirkt der Heilige Geist. Aber er lässt sich gerne helfen. Wer merkt, dass der Glaube für ihn wichtig wird, kann zum Beispiel einen Gottesdienst besuchen. Jeden Sonntag sprechen dort alle Teilnehmer gemeinsam das Glaubensbekenntnis, so wie es Christen seit Jahrhunderten und in vielen Teilen der Erde tun. Man kann sich einfach in diese Gemeinschaft hineinnehmen lassen. Oder in der Bibel lesen, denn sie ist das Buch des Glaubens an Gott. Viele Kirchengemeinden bieten Glaubensgrundkurse von wenigen Wochen an. Wer sich für den Glauben öffnet, bekommt mit ziemlicher Sicherheit eine Chance, dabei auf Gott zu stoßen, auf eine Hoffnung, die ein Leben umfängt, und auf Christen, deren Gemeinschaft einen trägt, gerade dann, wenn der eigene Glaube vom Zweifel angenagt wird.

wt