Ökumene – vielseitig und international

Die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi, des Sohnes Gottes, von den Toten verbreitete sich schnell – zunächst im Mittelmeerraum, dann nach Asien und schließlich um den ganzen Erdball. In der 2000-jährigen Geschichte des Christentums gab es jedoch zwischen den Kirchen und Konfessionen zum Teil heftige Konflikte. Die Folge: Kirchenspaltungen und die Bildung neuer Konfessionen. Heute ist das Christentum mit zweieinhalb Milliarden Gläubigen die größte Weltreligion. Die Kirchen und Konfessionen lassen sich in fünf Hauptströmungen einteilen: der römisch-katholischen, der orthodoxen, der protestantischen, der pfingstlerischen und der anglikanischen Kirchen. 

Neben Spaltungen gab es immer das Bemühen um Einheit der Kirchen. Nach einigen Bemühungen schon im 19. Jahrhundert und der 1910 in Edinburgh stattfindenden Weltmissionskonferenz nahm die Ökumenische Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg erneut an Fahrt auf. Die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeiten während des Nationalsozialismus („Stuttgarter Schulderklärung“) führte zu einem neuen Nachdenken über die Rolle der Kirchen und ihrem Verhältnis zueinander.

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1948, gründeten 145 Kirchen verschiedener Konfessionen den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Mit seinen heute 352 Mitgliedskirchen aus aller Welt ist er inzwischen das zentrale Organ der ökumenischen Bewegung. Hauptanliegen dieses bis heute größten und einflussreichsten Zusammenschluss christlicher Kirchen sind die Einheit der Kirche, ihr gemeinsames Zeugnis für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Im ÖRK sind alle Konfessionsfamilien außer der römisch-katholischen Kirche; sie beteiligt sich aber an der Arbeit des ÖRK und ist Vollmitglied in vier gemeinsamen Kommissionen. 

Der ÖRK ist keine „Überkirche“, die in Glauben und Handeln der Mitgliedskirchen eingreifen kann und will. Auf dem gemeinsamen Weg seit 1948 entwickelte sich aber eine enge Zusammenarbeit, die Vertrauen und Verbindlichkeiten schuf. Davon zeugt unter anderem die bekenntnisartige Verfassung von 1961, der sich alle Mitgliedskirchen verpflichtet haben. Dort heißt es in der sog. Basisformel: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Wichtige Etappen in der Geschichte der kirchlichen Dachorganisation

1941: Bereits 1941 gibt es Planungen zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die jedoch durch den Zweiten Weltkrieg zunichte gemacht werden.

1945: Ein Stab mit 20 Mitgliedern wird in Genf eingerichtet. Vor allem Lutheraner aus den USA waren die treibende Kraft.

1948: In Amsterdam treffen sich vom 22. August bis 4. September Repräsentanten von 147 zumeist protestantischen Kirchen aus 44 Ländern. Zu den Gründungsmitgliedern des ÖRK gehört auch die neu gebildete Evangelische Kirche in Deutschland. Das Gründungstreffen steht unter dem Eindruck des Ost-West-Konfliktes nach dem Zweiten Weltkrieg. Die orthodoxen Kirchen des Ostblocks sind aus politischen Gründen nicht vertreten. Erster Generalsekretär des Kirchenbundes, dem die katholische Kirche nicht angehört, wird der Niederländer Willem A. Visser't Hooft (1900-1985).

1954: Vollversammlung in Evanston (US-Bundesstaat Illinois). Themen sind die Spannungen des Kalten Kriegs sowie die Konflikte zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung in den USA.

1961: Vollversammlung in Neu-Delhi (Indien). Das oberste Gremium des Weltkirchenrats kommt erstmals in einem Land der Dritten Welt zusammen. Gleichzeitig rückt der Nord-Süd-Konflikt immer mehr in den Vordergrund. Die orthodoxen Kirchen unter anderem aus Russland, Rumänien und Bulgarien treten dem ÖRK bei.

1968: Vollversammlung in Uppsala (Schweden). Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) wirkt sich auf die Ökumene positiv aus. Katholische Beobachter nehmen an der ÖRK-Vollversammlung teil. Eine Rolle spielt auch die Befreiungstheologie aus Lateinamerika, die in den kommenden Jahren die ökumenische Bewegung beeinflussen wird. Im selben Jahr startet der Weltkirchenrat sein Programm zur Bekämpfung des Rassismus.

1975: Vollversammlung in Nairobi (Kenia). Kirchen des Südens üben scharfe Kritik an den Industriestaaten, weil diese ihren Reichtum auf Kosten der armen Länder vergrößerten.

1983: Vollversammlung im Vancouver (Kanada). Die Abendmahlsgemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten scheint in greifbarer Nähe. Einer der Höhepunkte der Versammlung ist die Feier der Lima-Liturgie, ein Gottesdienst mit anglikanischen, katholischen, lutherischen und orthodoxen Elementen.

1988: Weltkirchenrat ruft die ökumenische Dekade „Solidarität der Kirchen mit den Frauen“ aus, um Frauenrechte und Gleichberechtigung weltweit zu fördern.

1990: Angestoßen durch die Vollversammlung von Vancouver findet in Seoul (Südkorea) die ökumenische Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung statt. Beteiligt sind alle Konfessionsfamilien, der Vatikan entsendet eine Beobachterdelegation.

1991: Vollversammlung in Canberra (Australien). Das Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen gewinnt im Weltkirchenrat an Bedeutung. Zugleich gibt es in der ökumenischen Bewegung kaum Fortschritte zu vermelden. Obwohl eine Reihe von wichtigen Texten die Gemeinsamkeiten der christlichen Traditionen betonen, wird in der Praxis die Grenze zwischen den Kirchen wieder deutlicher.

1993: Mit Theologieprofessor Konrad Raiser wird erstmals ein Deutscher zum Generalsekretär des Weltkirchenrates gewählt.

1998: Vollversammlung in Harare (Simbabwe). Sie wird überschattet von Spannungen zwischen orthodoxen und protestantischen Kirchen. Streitthemen sind Frauenordination und Homosexualität, bei denen schließlich Kompromisse gefunden werden und eine Spaltung des ÖRK vermieden wird.

2004: Mit dem aus Kenia stammenden Pfarrer Samuel Kobia rückt zum ersten Mal ein Afrikaner als Generalsekretär an die Spitze.

2006: Vollversammlung in Porto Alegre (Brasilien). Themen sind die negativen Folgen der Globalisierung und die Neuausrichtung der ökumenischen Bewegung.

2008: Der ÖRK feiert sein 60-jähriges Bestehen.

2009: Im Sommer löst der norwegische Lutheraner Olav Fykse Tveit den Kenianer Kobia im Amt des ÖRK-Generalsekretärs ab.

2010: Abschluss der Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001-2010).

2013: Vollversammlung in Busan (Südkorea) mit rund 3.000 Teilnehmern. Der Klimawandel bildete einen Tagungs-Schwerpunkt. Es wurde auch ein Zeichen für die Wiedervereinigung des politisch geteilten Landes gesetzt.

2022: Im Juni wählte der ÖRK-Zentralausschuss den südafrikanischen Theologen Jerry Pillay zum neuen Generalsekretär. Er wird Januar 2023 das Amt übernehmen. Solange leitet Ion Sauca von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche als geschäftsführender Generalsekretär den ÖRK.

2022: Vollversammlung in Karlsruhe (Deutschland). Zu dem Treffen in der badischen Metropole werden bis zu 4.500 Teilnehmer erwartet. Erneut soll der Klimawandel und seine Folgen einen Tagungs-Schwerpunkt bilden. Dazu kommen die Themen Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt und die Auseinandersetzung mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus.
 

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Der ÖRK, seine Mitgliedskirchen und Partnerorganisationen bilden ein umfassendes internationales Netzwerk, das sich neben den theologischen Aufgaben auf wesentliche Zukunftsfragen der Menschheit konzentriert. Ziel ist es, aufeinander zuzugehen und die Gemeinschaft zwischen den Konfessionen zu stärken. 

Der ÖRK hat in acht Regionen der Welt Regionale und Nationale Kirchenräte gegründet, die sich vor Ort um Ökumene bemühen. In Europa ist das z. B. die Konferenz Europäischer Kirchen mit 114 Mitgliedskirchen.

Das Miteinander verschiedener Kirchen, Gemeinden und Kulturen gestaltet sich nicht immer einfach. Es setzt Konflikt- und Dialogbereitschaft voraus und erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit anderen als den eigenen Standpunkten. Die Gemeinsamkeiten im Glauben sind größer als die Unterschiede: Diese Erkenntnis gibt in den Kontroversen Orientierung. 

Ökumene ist vielseitig und international. Sie spielt sich auf vielen Ebenen ab und birgt Konfliktpotential – nicht zuletzt auch, weil sich das Christentum kontinuierlich weiterentwickelt. Die wachsende Zahl evangelikaler, pfingstlerischer und charismatischer Bewegungen in Afrika und Asien prägt den ökumenischen Dialog der Gegenwart stark.

Trotz aller Konflikte ist das Miteinander außerordentlich bereichernd. Wer offen ist für die Vielfalt, erweitert seinen eigenen Horizont.