Kock: "Die perfekte Gesundheit ist eine Illusion"
Dem Machbaren christliche Maßstäbe gegenüberstellen
In der weltweit geführten bioethischen Debatte sei die ethische Urteilsbildung die Aufgabe aller Christen, erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, in seinem Vortrag mit dem Titel "Was ist der Mensch? Vom Schutz des Lebens aus evangelischer Sicht." Hiermit eröffnete er am Mittwoch, den 2. Juli 2003, um 19 Uhr die Veranstaltungsreihe "Was ist der Mensch?" der Landeszentrale für Politische Bildung des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.
Bei den gegenwärtig diskutierten Fragen gehe es darum, "die Maßstäbe, auf die sich ethische Beurteilung stützt", im Blick zu behalten. Für Christen sei das Menschenbild in der Bibel der entscheidende Maßstab. "Von den Befürwortern bio- und gentechnischer Verfahren werden stets ethische Ziele geltend gemacht, die über den Lebensschutz hinausgehen", so Kock. Dabei sei das Ziel hochrangig, aber die Methode das ethische Problem. Menschliche Wesen dürften kein medizinischer Rohstoff sein. Kock warnte vor dem Trugschluss, man könne eine Welt ohne Leid oder eine behindertenfreie Gesellschaft schaffen: "Die perfekte Gesundheit ist eine Illusion."
Wo ein ethischer Konsens nicht zu erzielen sei, müsse die Rechtsordnung regulierend einwirken, so Kock mit Blick auf das Stammzellgesetz, das den Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbietet und nur ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen zulässt. Rechtliche Regelungen stünden in Deutschland noch aus für die Präimplantationsdiagnostik, für genetische Tests und möglicherweise auch für die Sterbehilfe.
Im Raum der Kirche und der evangelischen akademischen Theologie gebe es wichtige Übereinstimmungen bei der ethischen Bewertung vieler bioethischer Problemfelder. Die evangelische Freiheit und Verantwortung würde aber auch die Möglichkeit einschließen, dass in ethischen Fragen auf gemeinsamer Grundlage unterschiedliche Positionen vertreten werden könnten. Entscheidend dabei sei die "Grundfrage, wann das Leben eines Menschen beginnt und welcher moralische Status dem Embryo zuerkannt wird." Nach der einen Interpretation sei der Beginn menschlichen Lebens mit der befruchteten Eizelle gegeben - auch außerhalb des Mutterleibes sei das Embryo danach Träger von Grundrechten. Die andere Meinung differenziere zwischen dem Leben werdender Menschen und dem menschlichem Leben, dem die äußeren Voraussetzungen dafür fehlen, dass aus ihnen ein Mensch wird.
Bei der Einschätzung konkreter Probleme am Anfang und am Ende des menschlichen Lebens stellte Kock die Sicht des Rates der EKD im Einzelnen dar. So berge die pränatale Diagnostik neben positiven Früherkennungsmöglichkeiten auch die Gefahr, dass behinderte Kinder in der Gesellschaft unerwünscht würden. Die Präimplantationsdiagnostik sei "eine Zeugung auf Probe" und führe zur Selektion und zur Vernichtung von überzähligen Embryonen - der Rat der EKD lehne daher diese Methode ab. Ebenso lehne er die embryonale Stammzellforschung ab, denn bei der Forschung mit überzähligen Embryonen werde Leben als Mittel zum Zweck eingesetzt. "Deswegen kann es keine Abwägung zwischen dem Lebensschutz des Embryos einerseits und der Forschungsfreiheit andererseits geben, denn es handelt sich hier immer um Tötung in fremdem Interesse."
Beim therapeutischen Klonen würden Embryonen als medizinischer Rohstoff erzeugt und dann an ihrem Weiterwachsen gehindert; Eine Tötung menschlichen Lebens, die vom Rat der EKD abgelehnt werde. Der christlichen Ethik ebenfalls entgegen stehe auch das reproduktive Klonen von Menschen: "Das Klonen verstößt gegen das Recht auf Individualität und damit gegen die Menschenwürde. Das Klonen von Menschen ist Menschenzucht", so Kock.
Auf das Ende des menschlichen Lebens beziehe sich die Frage nach der Aktiven Sterbehilfe. Auch wenn sie auf ausdrücklichen Wunsch hin erfolge, sei sie eine ethisch nicht vertretbare, gezielte Tötung eines Menschen. "Aus Sicht der Kirchen beschwört eine Rechtsordnung, die aktive Sterbehilfe zulässt, die Gefahr herauf, dass der uneingeschränkte Schutz des Lebensrechts aller Menschen noch an weiteren Stellen gelockert wird", so Kock. Die Alternativen zur Tötung seien eine umfassende Sterbebegleitung sowie Leidensminderung durch Schmerztherapie und Palliativmedizin.
Hannover, 2. Juli 2003
Pressestelle der EKD
Anita Hartmann
Wortlaut des Vortrags