Der Tod als "Lebensreifeprüfung"

Vizepräsident Hermann Barth eröffnet Ausstellung

Auf entschiedenen Widerspruch trafen beim Vizepräsidenten des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hermann Barth, sowohl die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung als auch der Versuch, die Tötung auf Verlangen legitimieren zu wollen. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Noch mal leben. Eine Fotoausstellung über das Sterben“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin am Mittwoch, 26. Oktober, erklärte der Theologe Hermann Barth, der Mitglied des Nationalen Ethikrats ist: „Sterbehilfe und Sterbebegleitung sind daran zu messen, was sie dazu beitragen, dass Menschen nicht durch die Hand eines anderen oder die eigene Hand, sondern an der Hand eines anderen sterben können.“ Die beeindruckenden Bilder des Fotografen Walter Schels und die Texte der Journalistin Beate Lakotta seien eine wichtige Hilfe, sich auf den Tod als "Lebensreifeprüfung" vorzubereiten und dem Ziel näher zukommen, dass Menschen Zugang zu einer wirksamen Schmerzbehandlung haben und eine ganzheitliche Pflege erhalten.

Der Fotograf und die Journalistin haben 24 Menschen zumeist in Hospizen auf ihrem Sterbeweg begleitet. Die Bilder und einzelne Textabschnitte wurden vom Deutschen Hygiene-Museum (Dresden) zu einer beeindruckenden Ausstellung zusammengestellt, die nun im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen ist. Außerdem sind die Bilder mit umfangreicheren Texten in der Deutschen Verlagsanstalt als Bildband erschienen.

Die Ausstellung führe ins Nachdenken, erklärte Hermann Barth zur Eröffnung. Sie rufe Fragen wach, aber dränge keine Antworten auf. Die Fotos von Walter Schels, der unter anderem 2003 einen bundesweiten Fotowettbewerb der Synode der EKD gewonnen hat, zeigten, dass das Leben fast unmerklich ins Sterben übergehe. Nebeneinander ausgestellt werden Bilder, die wenige Wochen vor dem Tod aufgenommen wurden, und Bilder, die nach dem Tod gemacht wurden.

Der Text von Beate Lakotta beschreibe und registriere auch Selbsttötungsgedanken und den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe, kommentiere sie aber nicht, stellt der Vizepräsident des Kirchenamtes fest. Er müsse allerdings die derzeit geführte öffentliche Diskussion über Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen kommentieren. Auch wenn keinem Menschen ein Urteil von außen darüber zustehe, welche Gründe zu einer Selbsttötung führen, und auch wenn er dem, der sich selbst tötet, den Respekt nicht versage, könne er Selbsttötung „nicht billigen und gutheißen“, so Hermann Barth. Wer begriffen habe, dass ein Mensch nicht für sich selbst lebe, könne in der Selbsttötung immer nur „einen Unfall und einen Hilfeschrei“ sehen. Damit widerspricht Hermann Barth der von dem Generalsekretär der Sterbehilfe-Organisation „Diginitas“, Ludwig Minelli, in verschiedenen Interviews geäußerten Ansicht, Suizid sei „eine großartige Möglichkeit, die es dem Menschen ermöglicht, sich einer ausweglosen Situation zu entziehen.“

Hermann Barth setzt sich auch mit dem Hamburger Justizsenator Roger Kusch auseinander, der eine Debatte über Tötung auf Verlangen ausgelöst hat. Auf dessen Feststellung, dass in den Reaktionen auf seine Äußerungen nichts Überzeugendes, sondern „nur das Vorhersehbare“ zu hören gewesen sei, antwortet der Leiter der Hauptabteilung „Theologie“ im Kirchenamt der EKD: „Besser etwas Vorhersehbares als etwas Unausgegorenes.“ Barth bezeichnet es als Skandal, dass Kusch den Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nicht verstehe oder nicht verstehen wolle. Hamburgs CDU müsse sich allmählich ernsthafte Gedanken darüber machen, ob Roger Kusch im Justizressort an der richtigen Stelle sei.

Auch die beste Schmerztherapie und Hospizpflege könnten nicht alles Leid lindern, doch in einer Gesellschaft, „in der die Vorstellungen vom guten Ende so individuell sind wie die Lebensentwürfe, geben Hospizbewegung und Palliativmedizin die derzeit beste verfügbare Antwort auf die Leiden Schwerstkranker und Sterbender“, zitiert Barth aus dem letzten Kapitel des Buches.

Hannover / Berlin, 26. Oktober 2005

Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Hinweise:

Die Ansprache zur Ausstellungseröffnung im Wortlaut

Die Ausstellung „Noch mal leben. Eine Fotoausstellung über das Sterben“ von Walter Schels und Beate Lakotta wird am Mittwoch, 26. Oktober um 19.30 Uhr im Willy-Brandt-Haus, Berlin, Stresemannstraße 28 eröffnet. Sie ist während der Eröffnung und ab Freitag, 28. Oktober, öffentlich zugänglich.

Das Buch:
Beate Lakotta, Walter Schels, NOCH MAL LEBEN VOR DEM TOD, ist in der Deutschen Verlagsanstalt München erschienen.

Vizepräsident Hermann Barth wird knapp eine Woche später, am Dienstag, 1. November an der Talkshow „Tacheles“ in der Marktkirche Hannover über das Thema „Patientenverfügung“ mit diskutieren. Die Talkshow wird ausgestrahlt bei Phoenix, dem Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, am Mittwoch, 2. November, 17.00 Uhr, sowie am Samstag, 5. November, 22.15 Uhr, und am  Sonntag, 6. November, 17.00 Uhr.

Die Talkshow Tacheles mit weiteren Informationen im Internet