Märtyrer des 20. Jahrhunderts

Spurensuche, die zu 499 Biogrammen geführt hat

Im 20. Jahrhundert haben mehr Christen wegen ihres Glaubens, ihrer Zugehörigkeit zur Kirche oder wegen ihres Widerstands gegen Gewaltverbrechen der Diktaturen den Tod erlitten, als dies in den vorangegangenen Jahrhunderten der Fall war. Orthodoxe, katholische und protestantische Kirchen gedenken in ihren Kirchen ihren „Neomärtyrern“. In den evangelischen Gemeinden ist so die Erinnerung an die Geschwister Scholl, Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider lebendig. Die Zahl der deutschsprachigen evangelischen Märtyrer ist aber viel größer.

Auf Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte sich auf Spurensuche begeben, um auch bisher unveröffentlichte, nur in kleinem Kreis bekannte Martyriumsschicksale zu ermitteln. Einbezogen wurde die große Zahl deutschsprachiger evangelischer Christen im ehemaligen Herrschaftsbereich der Sowjetunion und aus anderen Ländern in Mittel- und Südosteuropa. In Zusammenarbeit mit Vertretern der Freikirchen und im Gespräch mit ökumenischen Partnern wurde ein Gedenkbuch erarbeitet, das unter dem Titel „Ihr Ende schaut an… Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ am 17. März zur Leipziger Buchmesse erscheinen wird. Mit 499 Biogrammen bietet es die umfassendste bisher verfügbare Dokumentation.

An Schicksale aus unterschiedlichen Konfliktsituationen werden in diesem Buch erinnert: Opfer der Konzentrationslager und Haftanstalten der NS-Zeit; Offiziere und Beamte aus der damaligen Reichsregierung, die sich dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen hatten und dann hingerichtet wurden; glaubensstarke Angehörige der „Reformadventisten“, die den Wehrdienst verweigerten; Lehrer, Küster und Kirchenälteste, die in der Sowjetunion getötet wurden, weil Stalin die Kirchen eigentlich überhaupt abschaffen wollte; etliche Frauen, die sich für bedrohte Menschen eingesetzt haben – und immer wieder Pfarrer, die auch angesichts von Todesgefahr bei ihrer Gemeinde bleiben wollten.

Vorab wird in ausführlichen Grundsatzbeiträgen in diesem Buch Rechenschaft gegeben über die historische und theologische Reflexion zu dem Begriff des Märtyrers und seines evangelischen Gebrauchs. Daraus ist ein Konsens entwickelt worden, der einen Impuls geben kann für die Erinnerungsarbeit in Gemeinden und für den ökumenischen Dialog. Evangelische Märtyrerinnen und Märtyrer werden nicht heilig gesprochen. Es bleibe aber eine selbstverständliche Pflicht, ihres Eintretens für die Wahrheit des Glaubens zu gedenken.


Hannover, 9. März 2006
Pressestelle der EKD
Christof Vetter