Predigt im ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der Woche für das Leben 2003 in der Ordenskirche St Georg zu Bayreuth (Matthäus 11, 25-30)

03. Mai 2003

Predigttext Evangelium nach Matthäus Kap. 11, V 25-30

In jener Zeit sprach Jesus:
Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde,
weil du all das den Weisen und Klugen verborgen,
den Unmündigen aber offenbart hast.
Ja, Vater, so hat es dir gefallen.
Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden;
niemand kennt den Sohn, nur der Vater,
und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.
Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.
Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir;
denn ich bin gütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.
Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht..

Liebe Gemeinde!

I.

„Mittendrin leben“ - unter diesem Motto steht dieser Gottesdienst, mit dem wir die WOCHE FÜR DAS LEBEN 2003 eröffnen.

Die WOCHE FÜR DAS LEBEN
- ihr Grund ist Gottes Liebe zum Leben in all seinen Formen,
- ihr Ziel ist, Jesu Einladung weiterzugeben, die Einladung zum Leben, zur Ruhe, zum Trost, zur Erquickung.

„Kommt alle zu mir!“ lautet die Einladung an alle, die sich plagen und schwere Lasten zu tragen haben, an alle Mühseligen und Beladenen.

Sie alle sind eingeladen mit Ihrem Packen, den Sie zu schleppen haben. Wer unter uns sich abmüht mit Krankheit und Sorge, mit Angst und Verzweiflung, darf all das ablegen und zur Ruhe kommen.

Diese Einladung geht aber weit über diesen Kirchenraum hinaus. Es ist eine Einladung an alle Welt. Die Einladung gilt gerade angesichts des Lebens, das vom Tod gezeichnet ist.

Die Menschen, die man zu den Randgruppen zählt, sind eingeladen, ebenso wie wir alle.
Gemeinsam mit den Alten und Kranken, den Sterbenden leben wir die Zeit, die uns bemessen ist. Wir leiden an ihrer Begrenztheit und bisweilen auch daran, dass dunkle Phasen nicht enden wollen.

Viele von uns haben frohe Zeiten erlebt und erleben sie auch jetzt. Aber da gab und gibt es ja auch die schweren Stunden - wenn die Kräfte abnehmen, wenn das Gefühl des Versagens quält, wenn das Leiden am verpfuschten Leben überhand nimmt. Auch hinter den Fassaden des Frohsinns kann alles ganz anders aussehen.

Und je sensibler Menschen sind, desto dringender sind die Sorgen über die Nöte dieser Welt. Was müsste nicht alles geschehen. um die heilende Kraft Jesu Christi auszubreiten, und wie gering sind unsere Kräfte dabei!

Wir erleben große Fortschritte in der medizinischen Forschung - aber wir wissen auch, wie begrenzt das menschliche Wissen bleibt. Eben schien das gesamte genetische Programm des Menschen entschlüsselt. Und jetzt zeigt sich, dass alles doch viel komplizierter ist, als gedacht.

Kaum ist eine Krankheit zu bezwingen, tritt eine neue noch nicht zu bewältigende auf.

Wo Leiden gelindert wird, das scheint es sich nur zeitlich zu verschieben und tritt dann vielfach brutaler ins Leben.

Wo Medikamente eine schmerzfreie letzte Lebensphase ermöglichen, empfinden viele ihre Einsamkeit als neuen Schrecken, weil niemand mehr da ist, der Anteil nimmt.

Wenn uns all das durch den Kopf geht, dann wird uns klar, wer auch zu denen gehört, die Lasten zu tragen haben. Dann wird klar, wer beladen ist mit Mühsal - nämlich wir alle in der Verwirrung unserer Gedanken und in unserer Ohmacht.

“Kommt her zu mir!“ - diese Einladung Jesu gilt uns allen.

II.

Wer ist das, der uns mit allen Lasten zu sich einlädt? „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden“, sagt Jesus - ehe er die Einladung ausspricht. Vater und Sohn, Gott und Jesus in ihrer Einheit - das ist die Herkunft der Einladung. Die Unmündigen erkennen es, den Weisen und Klugen bleibt es verborgen.

Es ist Gott, der das Leben in allen seinen Schatten dun Freuden liebt; er ist Gott für die Menschen, der „Immanuel“, wie es die Heilige Schrift an etlichen Stellen bezeugt. Er ist der „Ich bin, der für euch da ist.“ So hat Gott dem Mose einst seinen Namen offenbart.

Wir werden von Jesus eingeladen in dieses besondere Verhältnis mit Gott, dem Vater. Gott an unserer Seite.

Natürlich ist das nicht der „Gott mit uns“, wie es einst auf den Koppelschlössern der Militäruniformen geschrieben stand: natürlich nicht „Gott mit den stärkeren Bataillonen“, sondern eben der Gott, der sich der Schwachen erbarmt, der die Belasteten in seine Nähe holt.

Jeder Mensch ist von Gott angenommen, jeder Mensch hat ein unverlierbare Würde, ist kostbar in Gottes Augen und müsste es darum auch in den Augen der anderen Menschen sein.

Das Motto der WOCHE FÜR DAS LEBEN: „Um Gottes Willen für den Menschen“ ist deshalb eine klare Richtungsangabe für unser menschliches Handeln. Gottes Einladung wird durch Menschen weitergegeben auf verschiedene Weise:

Die Einladung wird wörtlich weitergegeben - in der Verkündigung des Wortes Gottes, das tröstet und bewegt.

Die Einladung wird weitergegeben durch den tätigen Dienst. Wer in der Familie, in der Nachbarschaft Kranke pflegt. Wer beruflich oder ehrenamtlich mit Kranken und Sterbenden, mit Behinderten und Belasteten arbeitet, verrichtet den einladenden Dienst, den Jesus uns aufgetragen hat.

Es gehören auch die dazu, die sich politisch für die Stärkung der Kultur der Barmherzigkeit einsetzen; die helfen, dass Leben gegen Bedrohung zu schützen und zu besserer Entfaltung zu bringen.

Auch die Forschung in Medizin, Psychologie und Pädagogik dient der Lebensfreundlichkeit Gottes, wenn die Suche nach besseren Lebenschancen im Mittelpunkt steht.

Freilich - hier kann sich der Eifer für die Heilung des Menschen auch in sein Gegenteil verkehren. Denn in dem Masse, wie die Lebensmöglichkeiten verbessert werden, kann der Irrtum wachsen, Gesundheit und Glück seien herstellbare Güter.

Die Vorstellung, alle Lasten z.B. die der Krankheit, könne man technisch in den Griff bekommen, ist eine gefährliche Illusion, wenn auf der einen Seite ein Machbarkeitswahn entfaltet wird, geraten auf der anderen Seite die nicht zu heilenden Menschen immer mehr ins Abseits. Wo Therapiechancen auf Null gesunken sind, ist ein Kranker leicht abgeschrieben.

Aber bei Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Auch wer nicht heilbar ist, bleibt von Gott geliebt. Darum sind die unbekannten Heiligen unserer Zeit gerade die, welche Liebe und Zuwendung schenken, wo medizinisch nichts mehr zu machen ist. So etwas gelingt in Familien etwa in der Begleitung Demenzkranker, in der Schwerstbehindertenarbeit und in der Hospizbewegung.

Pflegerischer und seelsorgerlicher Dienst sind um ganzheitliche Zuwendung zu Menschen bemüht. Den ganzen Menschen zu sehen - das bewahrt davor, seine Pflege auf die Aspekte „satt und sauber“ zu reduzieren.

Wir sollen beim Bedenken des Gotteswortes von Gottes großzügiger Einladung dafür danken, dass sich immer wieder Menschen finden, die in diesem Sinne die Einladung Gottes weitergeben. Und wir sollen uns vornehmen, für die entsprechende Anerkennung derer einzutreten, die die Aufgaben der Pflege und Betreuung beruflich ausüben. Sie gewährleisten ja nicht nur den sozialen Standard unserer Gesellschaft, sie stehen ein für die von Gott geschenkte Menschlichkeit.

III.

„Kommt alle zu mir!“, die großzügige Einladung Jesu im Namen der Menschenfreundlichkeit Gottes hören wir in diesem Gottesdienst. Wir müssen darauf achten, wozu da eingeladen wird:

„Ich will euch Ruhe verschaffen“ sagt die Einheitsübersetzung. „Ich will euch erquicken“ übersetzt Martin Luther diesen Satz.

Wir erkennen diesen großen Schatz, wenn wir noch weiter lesen:

Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;
denn ich bin gütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.

Ich weiß - die innere Sehnsucht der Menschen möchte starke Schultern zum Sich-Anlehnen, einen starken Jesus, starke Seelsorger, kraftvolle Pflegerinnen, großartige Ärzte ... Jesus aber sagt: Ich bin gütig und demütig - das ist nicht der Gegensatz dessen, was wir ersehnen, es ist vielmehr eine andere Ebene, die er uns eröffnet.

Ein Empfindlicher, ein Empfindsamer, ein Empfänglicher ist dieser Einladende. Er lädt ein in ein anderes Lebensklima als das, in dem die Starken überleben und die Leistungsfähigen Erfolge feiern, in dem aber die Schwachen und Kranken verdrängt werden. Empfindsam und empfänglich für Schmerzen und Schwachheit, für Abschied und Sterben, empfindsam für Trauer und Verzweifeln und auch für Schuld und die Qualen des Gewissens.

Lernen wir von ihm, der ans Kreuz ging und lebt! Für alle Lebenszusammenhänge, mit denen wir uns in dieser WOCHE FÜR DAS LEBEN befassen, gilt es, von ihm zu lernen.
Jesus wirbt um einen Gott, der uns Menschen braucht, darum sollen wir sein Joch auf uns nehmen und von ihm lernen.

Gott braucht Menschen - junge und alte, er braucht unsere Gebete und unsere Hoffnung. Er braucht unseren Mut und unsere Fürsorge, auch unsere Besorgtheit und sogar unsere Angst, die ja auch ein Warnsignal ist und damit ein Schutz vor allzu leichtfertigem Sturz in die Gefahr.

Gott braucht uns. Darum wird deutlich, dass wir Grund haben, die Einladung Jesu anzunehmen. Unsere Lasten sind bei ihm aufgehoben und wir sind frei, um die Lasten anderer mitzutragen.

„Meine Last ist leicht“, sagt Jesus am Schluss. Da ist keine Verharmlosung und keine falsche Versprechung. Natürlich bekommt, wer anderen die Tränen abwischt, nasse Hände, natürlich kann die Begleitung von Kranken eine Last sein, natürlich kann die Annahme behinderten menschlichen Lebens auch Mühsal bereiten. Aber im Klima der Einladung Jesu werden wir Menschen vor dem Schlimmsten bewahrt, vor dem Wahn nämlich, sein zu wollen wie Gott, indem wir die Schöpfung in die eigene Hand nehmen.

Was so klingt wie eine Last, ein Joch ist im Kern der Respekt vor dem Leben als einem Geschenk aus Gottes Hand.

„Und mittendrin leben“ - mittendrin in den sich verschärfenden wirtschaftlichen Bedingungen, mittendrin in den Umbrüchen unserer sozialen Sicherungssysteme, mittendrin in der rasant fortschreitenden Forschung und den wachsenden Unsicherheiten einer ethischen Orientierung, mittendrin in einer Gesellschaft, die in ihrer Sehnsucht nach Gesundheit und Fitness das Behinderte ausgrenzt - mittendrin hören wir Gottes JA zum Leben und gewinnen Mut und Fantasie zum Leben in einer heilenden Gemeinschaft - über die Grenzen der Konfessionen hinaus.

Der Friede Jesu Christi sei mit Euch.

Amen.