Der Heilige Geist als unabhängige Kraft

04. Juni 2003, Morgenandachten für den NDR

„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf...“ – so heißt es in Johann Sebastian Bachs pfingstlicher Mottete. Und wie tut er dies? Ich stelle mir vor, was wir als Antwort zu hören bekämen, wenn wir diese Frage in einer, wie es zu meiner Kinderzeit hieß, Volksschulklasse stellen würden. Da bekommt man ja mitunter völlig unfrisierte Antworten. Vielleicht hätte dann ein vorlauter Spunt gesagt: „Durch Geistliche!“

Der „Geistliche“! Zeitlebens habe ich mich immer wieder neu über dieses Wort verwundert – aber im Grunde auch über den Beruf. Gut, man kann auch „Pfarrer“ sagen, also vom Herrn, vom Leiter der Pfarrei reden. Oder man kann, schon schöner, vom „Pastoren“ sprechen – vom Hirten der Gemeinde. Aber : „der Geistliche“ – das ist schon eine ganz andere Dimension und Provokation. (Übrigens, und das nur nebenbei: In der Zeit unseres Gender-Bewusstseins und der inklusiven Sprache verliert das alte Wort an Kurswert: die Geistliche – das würde wohl kaum jemand sagen; gehört habe ich es jedenfalls noch nie.)

Das Merkwürdige an diesem Begriff, an dieser Berufsbezeichnung des Geistlichen ist dieses: Er teilt die Menschheit, zumindest die christliche Menschheit in zwei Klassen ein. Da stehen dann eben auf der einen Seite die Geistlichen, also die hauptberuflichen Theologen, die Kleriker (und Mönche) – und auf der anderen, ja: die Nicht- oder gar die Un-Geistlichen, also wir alle übrigen. Und so wird aus der lebendigen Beziehung zwischen Gott und den Menschen ein – wie wir Württemberger sagen: –  „Geschäft“, also ein Beruf, ein Hauptberuf. Die Religion wird gewissermaßen professionalisiert: Der eine kann es, der andere nicht. Und der, der es nicht kann – muss es sich vormachen (oder liefern) lassen.

Nun will ich ja gar nicht gegen eine ordentliche, ja sogar außerordentliche, gründliche theologische Ausbildung polemisieren – im Gegenteil. Bildung hat noch nie geschadet – und wahre Bildung kostet Zeit und Mühe. Auch ist wahre Frömmigkeit ist keine Lizenz zum Daherreden ohne nachzudenken. Also werden wir mit einer gewissen Professionalisierung der Theologie leben müssen – und zwar durchaus gerne, wenn aus dem Glaubenswissen nicht schwärmerische Oberflächlichkeit werden soll, die schon an der ersten Krise der Moderne (oder das Alltagslebens) platzt wie ein Ballon voller lauwarmer Luft. Schließlich suchen wir uns zum Beispiel in Rechtsstreitigkeiten auch lieber einen Anwalt, der von der Juristerei wirklich etwas versteht und sich folglich nicht nur auf sein Rechtsgefühl verlassen muss.

Aber der Heilige Geist, von dem wir an Pfingsten reden und singen – der durchkreuzt alle diese Standesschranken und Zunftregeln. Der hält sich auch nicht an Hierarchien, auch nicht an geistliche und kirchliche Hierarchien – ja manchmal geht er schnurstracks an ihnen vorbei, und lässt sie weiter plappern und klappern. Denn der Heilige Geist ist eine Kraft, die nicht etwa wir erzeugen und trainieren und mit Anstellungsberechtigung bescheinigen. Und damit sich niemand einbildet, er sei selber schon deshalb mindestens so geistlich wie jeder Geistliche, sei noch hinzugefügt: Der Heilige Geist ist nichts für unkritische Geister. Denn er weht, wo er will. Das heißt: Wo er es will. Bestellen lässt er sich nicht – allenfalls erbitten: Komm Heiliger Geist! Bitte!