Predigt im Rundfunkgottesdienst am Pfingstmontag in der Kreuzkirche zu Bonn (Joh. 14, 23-27)
09. Juni 2003
Predigt im Rundfunkgottesdienst am Pfingstmontag, 9. Juni 2003 in der Kreuzkirche zu Bonn [mit der Kantate "Erschallet, ihr Lieder" von Johann Sebastian Bach, BWV 172]
Predigttext Joh. 14, 23-27
"Erschallet, ihr Lieder, /
erklinget, ihr Saiten!
O seligste Zeiten!
Gott will sich die Seelen
zu Tempeln bereiten!"
So festlich, mit dem Eingangschor der Pfingstkantate Johann Sebastian Bachs, begann unser Gottesdienst.
Liebe Gemeinde, hier in der Bonner Kreuzkirche,
liebe Hörerinnen und Hörer Zuhause!
So festlich kann es klingen, wenn der lebendige Glaube Menschen ans Singen bringt.
Zu allen Zeiten hat die christliche Gemeinde mit fröhlichen Stimmen und jubelnden Instrumenten ihrem Glauben Ausdruck gegeben, denn: "Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten" - so sang es der Chor.
Das klingt für heutiges Sprachempfinden etwas ungewohnt, jedenfalls nicht alltäglich. Es ist ein Sprachbild aus der Bibel. Wir haben das Evangelium eben gehört, und die Bachkantate wird den fröhlichen Text gleich aufnehmen: "Wer mich liebt", sagt Jesus, "der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14,23).
Gott will in uns gegenwärtig werden und mit seiner befreienden Nähe unser Leben verwandeln. Das ist das Versprechen Jesu für die Seinen: Gott ist in denen, die sein Wort halten.
Manchmal haben wir für unsere Kirche einen Traum. Die Gemeinschaft der Christen ist darin eine mitreißende Bewegung, die Menschen ergreift und sie zu den Quellen bringt: zu Wort und Sakrament. Solche Träume sind wichtig, denn der Alltag unserer Gemeinden ist oft mühsam, die Wirkung der Botschaft scheint so gering. Aber immer wieder gibt es auch ermutigende Aufbrüche.
Viele haben solche Erfahrungen gemacht beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin. Die Begeisterung war groß. Viele Bibelarbeiten und Gottesdienste waren überfüllt. Tausende Jugendliche haben begeistert mitgefeiert mit ihren Liedern und Rhythmen. Zum Schlussgottesdienst kamen mehr als 200.000 Menschen aus allen Teilen Deutschlands und aus vielen Ländern. Sie haben sich an ihre Taufe erinnert, den Augenblick ihres Lebens, als der Heilige Geist in ihnen Wohnung genommen hat, und sie haben sich gegenseitig ein Segenszeichen mit auf den Weg gegeben. Da sind viele gestärkt worden von der Gewissheit: Jesus ist keine vergangene Gestalt. Sein Geist wirkt heute unter uns.
"Wer mich liebt, der wird mein Wort halten", sagt Jesus. Sein Wort halten: Das ist nicht die Anerkennung eines Systems von Gesetzen und Paragraphen. Jesu Wort halten heißt: festhalten an ihm selbst.
Seit dem Ostermorgen wissen wir: Jesu Tod am Kreuz ist das Liebeswort Gottes. Gott schafft Leben durch dieses lebendige Wort. Mit Christus beginnt die Schöpfung neu zu werden. Die Macht des Todes ist gebrochen.
Gott will Wohnung in uns nehmen. Alle anderen Herren müssen weichen. Der Neid und der Hass, die Eitelkeit und die Überheblichkeit, die Gleichgültigkeit und die Resignation, alle diese Todesmächte, die das Zusammenleben zersetzen und Menschen zerstören, sie haben ihre Macht über uns verloren. Niemand anders soll uns mehr besitzen oder das Haus unseres Lebens besetzen.
Die Pfingsterzählung des Neuen Testaments berichtet es so: Die Jünger hat Gottes Geist wie ein Sturmwind ergriffen, hat sie aus den Verstecken ihrer Angst und Resignation herausgetrieben. Sie fanden eine neue Sprache und bekannten sich zum lebendigen Christus. Sie wurden frei für das Leben der neuen Anfänge, für das Leben des Vertrauens, der Hoffnung und der Liebe.
Dieses Pfingstwunder ereignet sich immer wieder bis heute. Wer Jesu Wort hält, wird es erleben - wer sich vertrauend festhält an dieser überwältigenden Zusage: "ER, Jesus ist das Leben“, der ist in Gottes Händen geborgen. Jesu Wort halten ist also gar nicht so sehr ein aktiver Vorgang. Es ist viel mehr ein Zulassen als ein Selbermachen: Lass es mit dir geschehen, nimm die Liebe an; dann wird sie in dir wirksam, wird dich verändern.
Natürlich gibt es auch dann noch Durststrecken:
-wenn einer in sich nichts mehr fühlt und sagt: "In mir ist alles tot", das kennen viele;
-oder wenn das Leben uns in seinen absurden Seiten bewusst wird: wie wir durch unsere verschwenderische Lebensweise unsere Welt zerstören, in der doch unsere Kinder und Enkel leben sollen.
Solche Durststrecken sind darum oft so quälend, weil wir als Einzelne von der Ohnmacht ergriffen werden. "So ist diese Welt nun mal", sagen wir, "wir können nichts machen." Kein Wunder, dass angesichts solcher Resignation viele heute in eine Spaßgesellschaft flüchten und sich an dem freuen, was sie an Geld zusammenhäufen.
"Mein Wort halten", sagt Jesus. "Das hilft, Durststrecken zu durchstehen". Dieses Wort will in uns wohnen.
Wir hören diese Botschaft der Heiligen Schrift jetzt im Rezitativ, das der Bass singt. Und die folgende Arie antwortet auf diese Botschaft mit der Bitte, der Dreieinige Gott möge bei uns einkehren: " ... komm und ziehe bei uns ein."
II.
"Der Beistand, der Tröster, den mein Vater senden wird, der wird euch lehren und erinnern an alles, was ich gesagt habe." (Joh 14, 26)
Das ist Jesu Versprechen beim Abschied von den Menschen, die ihn liebten und ihm gefolgt waren.
Gott sendet den Tröster, seinen Geist.
Wir brauchen diese tröstende Gotteskraft. Die großen Irritationen überfallen uns immer wieder, gerade weil die Geschichte des Jesus uns in eine Wirklichkeit stellen will, der wir am liebsten entkommen möchten. Er wendet sich den Kranken und Sterbenden zu und ist ihnen nahe bis zum Ende, wir aber laufen der Propaganda vom endgültigen Ende der Krankheit durch medizinische Forschung nach und verdrängen den Tod.
Jesus schützt die Frau, deren Lebensdurst sie in die Schuld hineingetrieben hat, vor den Steinen der Selbstgerechten;
er reicht der Ausländerin das Wasser des Lebens;
er sitzt mit dem betrügerischen Zöllner zu Tisch;
er heilt die Aussätzigen ...
Alles Verhaltensweisen, die wir bewundern.
Aber, wenn wir ehrlich mit uns sind: Wir haben selber so große Mühe, Fremde zu integrieren, wir haben so wenig Kraft, mit den Fehlern anderer umzugehen.
Wir alle leben von Vorstellungen und mit Erfahrungen, die uns schon in frühester Kindheit geprägt haben. Wir haben zumeist unbewusst gelernt, wer uns passt, wer uns stört, wen wir mögen und wen nicht.
Darin sind wir oft wie „festgenagelt“ und können aus eigener Kraft uns nicht ändern. Gottes Geist, der Tröster – löst diese Fixierungen. Er lockert, er räumt auf in unseren Seelen und lässt erkennen, wie herrlich es ist, wenn wir frei werden von den Fesseln unserer Vorurteile.
Diese Kraft Gottes wirkt nicht nur in unserem Innern. Der Tröster lehrt und erinnert unsere Kirche, die Menschen in ihr. Er will auch befreien von den Vorurteilen, die zur Spaltung der Kirche führen. Er will unsere Gesellschaft aus den kollektiven Vorurteilen befreien, etwa solche, die zu dem schrecklichen Antisemitismus führten, oder auch zu einem stupiden Antiamerikanismus. Der Geist Gottes will uns aus all den Erscheinungen des Massenwahns frei machen, die soviel Leid über die Menschheit gebracht haben und immer noch bringen.
Wir brauchen in unserer Kirche Formen des Lebens, die dem Geist Raum geben, Spiritualität nennt man das heute. Damit wird das "Leben aus der Kraft des Geistes" bezeichnet.
Unsere technisch-wissenschaftliche Wahrnehmung zergliedert die Welt in ihre Teile, lässt aber die einzelnen Teile ohne Beziehung zueinander. Wir brauchen eine Spiritualität, die das Ganze der Wirklichkeit wieder einbezieht. Wir brauchen Erlebnisse für Kopf und Herz, Leib und Seele, wir brauchen Frömmigkeit, die sich ausdrückt mit Beten und Fasten, mit Singen und Tanzen.
Der Heilige Geist, der Tröster, braucht solche Formen, weil er lehren und erinnern will. Er will uns mit den Geschichten, die die Heilige Schrift erzählt, trösten und mit Gott verbinden.
Das klingt etwas widersprüchlich. Denn es heißt ja: Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.
Der Heilige Geist mindert nicht die Liebe zum Wortlaut der Heiligen Schrift, er vertieft sie vielmehr. Die Geschichten der Bibel, die Gleichnisse und Legenden treffen uns Menschen mitten im Leben, möchten unsere Lebenserfahrungen aufschließen und deuten von Gott her und auf Gott hin. Dadurch erinnert und lehrt uns der lebendige Tröster. Wir lernen zu staunen
- über Gott und seine Gegenwart in der geschaffenen Welt
- über Jesus Christus und das Leben in Freiheit
- über den Heiligen Geist, der uns auch in schweren Zeiten tragen und halten will.
Das "Jahr der Bibel 2003" hat in vielen Gemeinden, auch in fast allen großen Zeitungen, im Funk und Fernsehen ein neues Interesse erkennen lassen.
Gebe der Geist Gottes, dass die Bibel wieder mehr in Gebrauch kommt, damit 'Lehren', 'Erinnern' noch wirksamer stattfindet.
Die Arie, die der Tenor in der Bachkantate singt, entfaltet die Aufforderung:
" ... der Geist, der nie vergehet;
auf, auf, bereite dich,
der Tröster nahet sich".
III.
"Den Frieden lasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht". (Joh 14, 27)
In seinen Frieden ruft Jesus. Wer Jesu Frieden empfängt, braucht sich nicht mehr verwirren und in Furcht jagen zu lassen. Zwar gehen tausend konkrete Ängste um in unserer Welt und ergreifen unsere Herzen.
Aber: Die Pfingstbotschaft der festlichen Bachkantate trifft ins Herz und damit mitten ins Zentrum unserer Angst. Jesu tröstendes Wort: „Euer Herz erschrecke nicht“ will uns nicht auffordern, die Angst zu verdrängen. Dazu hat die Angst ja eine viel zu wichtige Lebensfunktion. Sie hat die Aufgabe vor Leichtsinn und Waghalsigkeit zu schützen. Es ist geradezu ein Ausdruck einer seelischen Störung, wenn ein Mensch vor nichts Angst hat.
Jesus will uns vor dem starren Erschrecken bewahren und vor einer Furcht, die uns stumm macht in den Wirrnissen unseres persönlichen Lebens und im Chaos der Geschichte.
Seinen Frieden verspricht uns Jesus.
Frieden ist die große Sehnsucht der Menschheit, ist das Thema von Konferenzen, die oft keine greifbaren Ergebnisse haben; Der Friede ist auch das Thema von kirchlichen Tagungen, wo man sich streitet über die Wege aus der Gewalt. Dies aber ist klar: Die Bosheit ist eine fürchterliche Realität in der Welt, seit Kain seinen Bruder Abel erschlug. Frieden, den die Welt bietet, soll mit Macht errungen oder gesichert werden.
Das ist oft genug die äußerste verbleibende Möglichkeit, um das Morden zu stoppen. Wo alle Ordnung zusammen gebrochen ist, wo schon Kindersoldaten zu wahllosem Morden angestachelt werden - wie gerade im Kongo - scheint eine solche Lage eingetreten zu sein, in der zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe ein gewaltsames Einschreiten notwendig ist. Im Blick auf den Irak war jedoch eine so akute Extremsituation nicht gegeben. Bei aller Genugtuung darüber, dass dem Diktator Saddam Hussein die Macht genommen wurde, bleiben am Ende zwei nüchterne Erkenntnisse:
- Die Rotte der Diktatoren auf dieser Welt ist immer noch sehr groß, und ihre Beseitigung ist allenfalls Abfallprodukt einer militärischen Machtentfaltung. Manche sind gar Bündnispartner der Großmacht, solange sie ihr nützlich sind.
- Die andere Erkenntnis: Der Erfolg des Krieges heiligt die Mittel nicht. Eine Bedrohung für andere Staaten ging von Saddam Hussein längst nicht mehr aus. Die USA haben den Krieg gewonnen - den Frieden jedoch nicht.
Solche Notmaßnahmen, wie sie die Welt ergreift, um Unrecht zu begrenzen und willkürliches Morden zu verhindern, führen aber nicht zu dem Frieden, den Jesus gibt. Jesu Friede ist der Machtbereich, in dem die Angst ihre lähmende Wirkung verliert.
Menschen wie Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King haben in ihrem leidenschaftlichen Kampf für Gerechtigkeit eine große Gelassenheit ausgestrahlt. Sie wussten, wie bedroht ihr Leben war, aber sie haben gelebt in der Kraft, dass Angst und Tod nicht das letzte Wort behalten werden.
Jesu Frieden schafft Raum und Kraft für die Arbeit an uns selbst und mit anderen, um die Wurzeln der Friedlosigkeit zu überwinden.
Sein Friede schenkt Kraft, die eigenen Vorurteile, die Spuren der Eifersucht in uns, die Machtgier in uns zu erkennen und an ihrer Überwindung zu arbeiten.
Dabei entdecken wir, dass der Sieg über Hass und Gewalt aus einem gestärkten Selbstwertgefühl erwächst. Gottes Friedensgeschenk an uns lautet: Du bist in meinen Augen liebenswürdig und darum hast Du einen einzigartigen, unverlierbaren Wert; du brauchst dich nicht von anderen abzugrenzen durch Unterdrückung oder Angst.
Ein Pfingstfest - mit dieser wunderschönen Kantate festlich begangen - das ist Feier der Kraft Gottes, aus der wir leben. Diese Kraft wird auch die Gemeinschaft der Kirchen erneuern. Über die Grenze der Konfessionen hinweg können wir gemeinsam bezeugen, dass Gott diese Welt liebt.
"Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!"
Amen.
Hannover, 9. Juni 2003
Pressestelle der EKD