Herausforderungen an unsere Verantwortung - Multimedia, Medien und Internet
Margot Käßmann
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
was hat eine Bischöfin bei einer Veranstaltung der Deutschen Telekom zu suchen? Weil diese Frage vielleicht einigen von Ihnen durch den Kopf geht, will ich drei Gründe nennen, warum ich diesen Vortrag gern angenommen habe, auch wenn ich viele andere Vortragsanfragen abschlägig bescheiden muss.
Zunächst ist es mir wichtig, Gelegenheiten wahrzunehmen, bei denen unsere Kirche in einen Dialog mit anderen Bereichen der Gesellschaft kommt. Das ist viel zu selten der Fall! Mir scheint es hoch problematisch, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche immer stärker voneinander abschotten und wir so nur schwer zu einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die so elementaren Zukunftsfragen kommen. Zum anderen interessiert mich das Thema Medienethik seit langem. Immer wieder gibt es Gelegenheiten, sich zu fragen, wie wir denn Kriterien und auch Maßstäbe finden für einen verantwortlichen Umgang mit den Medien. Und schließlich habe ich besonders gerne zugesagt, um sozusagen einmal ein Dankeschön zu formulieren. Die Deutsche Telekom trägt nämlich unser Netz der Telefonseelsorge. Die Telefonseelsorge war die allererste 0-800er Nummer, die überhaupt geschaltet wurde – heute gibt es über 80 000 solcher Nummern. Seit dem 1. Juli 1997 gibt es den Vertrag mit der Telefonseelsorge. 24 Stunden am Tag steht die Telefonseelsorge Menschen zum Gespräch zur Verfügung. Für viele sie einletzter Rettungsanker, die in Einsamkeit, Suizidneigung oder auch an den großen Lebensfragen verzweifeln. Fast 7000 Menschen in unserem Land sind ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge tätig, bis zu zwei Dutzend Mal im Jahr lassen sie sich einsetzen, rund um die Uhr. Wir könnten als Kirche die hohen Telefonkosten dieser wunderbaren Einrichtung bei rund 3,5 Millionen Anrufen jährlich nicht tragen und sind der T-Com außerordentlich dankbar, das ist ein großartiges soziales Engagement! Als eine Art Dankeschön nun also der Vortrag: 7 Punkte in 30 Minuten.
1. Im Kloster
Durch die Klugheit der Fürstin Elisabeth von Calenberg konnten im Gebiet unserer evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers hat 18 Klöster, davon 15 Frauenklöster bzw. Damenstifte erhalten werden. Sie werden von der Klosterkammer finanziell getragen, und wir versuchen kirchlicherseits, zu ihrem geistlichen Profil beizutragen.
Nach diesen Klöstern erleben wir in den letzten Jahren eine enorme Nachfrage. Menschen suchen die Stille. Sie wollen neu Stille einüben. Sie suchen einen Raum abseits der Hektik der Medienwelt des 21. Jahrhunderts. Wenn sie dann ins Kloster kommen zum Schweigen, merken sie, dass sie Stille nicht mehr gewöhnt sind. Es ist nicht einfach, sich in die Stille einzuüben, Stille muss ganz neu gelernt werden. Sich Versenken in den Anblick einer Ikone, das Einlassen auf einen Gebets- oder Bibelvers oder auch nur das Loslassen des Alltags, der Gedanken. Viele Menschen erkennen heute, dass aus solchen Erfahrungen ganz neu Kraft und Lebensmitte geschöpft werden können.
Am 6. Februar habe ich nach einem langen Arbeitstag etwas erschöpft noch Tagesthemen geschaut und mich danach noch ein paar Minuten durch die Programme gezappt – mein übliches Fernsehverhalten. Nichts hat mich wirklich gefesselt. Ein paar Minuten hängen geblieben bin ich aber beim Beitrag eines Deutschen Komikers, der in Japan versucht hat zu ermitteln, was Sinn, was Origami und Zen-Meditation sei. Sehr ernsthaft wurde er in beidem von einem alten Japaner und einer Japanerin unterwiesen. Aber er hat es immer wieder lächerlich machen müssen, konnte kaum 30 Sekunden Stille halten, um nicht schon wieder loszugackern. Ein solcher Mensch hätte es ungeheuer schwer, 5 Tage im Kloster zu schweigen. Und doch haben die Menschen offenbar eine große Sehnsucht nach eben dieser Erfahrung einer Tiefendimension des Lebens, das so entsetzlich oberflächlich geworden ist. Das Burnout-Syndrom bedeutet ja, dass das Leben kein Rhythmus mehr kennt zwischen Schaffen und Ruhen. Die ununterbrochene Betriebsamkeit ist ein Zeichen dafür.
Das Kloster ist ein Ort, der ganz dem Blick auf die eigene Seele und auf Gott gewidmet ist. Mitten in unserer lauten Welt brauchen wir solche Oasen der Ruhe, die uns daran erinnern, dass das Leben einen Sinn hat, einen Anfang, ein Ende, dass unsere Lebenszeit auf der Erde begrenzt ist und wir uns fragen müssen, wie wir sie verantwortlich leben.
2. In der Medienwelt
In der Medienwelt ist für solche Gedanken wenig Zeit. Während Menschen früher handschriftlich mit Füller ein Brief geschrieben haben, ihn zugeklebt und zum Briefkasten gebracht und andere ihn empfangen, gelesen und auch beantwortet haben, in einem Prozess, der manchmal Wochen dauern konnte, ja über Kontinente hinweg sogar Monate, erscheint heute auf meinem Bildschirm eine E-Mail aus Durban und die Erwartung ist da, dass ich binnen Sekunden antworte. Wer länger als 24 Stunden braucht um eine Mail zu beantworten ist irgendwie ein Depp. Dadurch erhöht sich natürlich der Druck, zu entscheiden, schnell zu reagieren, nicht allzu tiefsinnig nachzudenken und nicht lange zu überlegen, was die Konsequenzen der Antwort sein könnten. Tempo erzeugt Druck.
Ich persönlich habe einmal einen kleinen Eklat erzeugt, als ich abends nach Hause kam und eine E-Mail vorfand, bei der ich gefragt wurde, ob ich mich völlig der Propaganda hingegeben hätte, weil in einem Artikel der Emder Zeitung berichtet worden war, ich hätte mich beeindruckt gezeigt vom dortigen Windkraftpark. Etwas ironisch habe ich zurück – schnell und spontan, wie es sich gehört - geschrieben, ich sei propagandaresistent, soweit ich wüsste, aber sehe die Zukunft auch nicht in vielen kleinen Atomkraftwerken. Das hat mir über Tage nahezu ein Lahmlegen meines Computers beschert, weil sämtliche Windkraftgegner ihre Empörung auf meinen PC schoben, da der Empfänger meiner Mail meine Ironie missverstanden hatte und daraufhin im Internet erklärt hatte, ich sei eine Verführte der Windkraftindustrie. Wehe dem, der zu schnell auf E-Mails antwortet!
Nach einer FORSA-Umfrage haben im Jahr 2003 53,4 % der Deutschen über 14 Jahren das Internet genutzt. 59,8 % der Internetnutzer sind Männer, 40,2 % Frauen. Auffällig dabei ist, dass bei den Internetnutzern unter 29 Jahren mittlerweile die Frauen mit 51,2 % dominieren. Der Anteil von 40,2 % insgesamt liegt deutlich am geringen Frauenanteil der über 40-jährigen Internetnutzern. Wir können also sagen, unser Land ist in nur wenigen Jahren online gegangen. 37,3 % der Internetnutzer erklären, die könnten keinesfalls im täglichen Leben auf das Internet verzichten, für 16,7% spielt es ein wichtige Rolle, nur 0,2 % weisen ihm eine unbedeutende Rolle zu. Was für eine rasante Entwicklung! Kaum vorstellbar, dass in nur 20 Jahren eine derartige technologische Revolution im wahrsten Sinne des Wortes stattgefunden hat. Wenn wir hinzu rechnen, dass auch das Handy ja erst wenige Jahre alt ist und inzwischen Flächenweit verbreitet und auch das Privatfernsehen erst vor kurzem seinen 20. Geburtstag gefeiert hat, wird deutlich, wie ungeheuer schnell zwischen 1984 und 2004 sich unser Leben durch die Medien verändert hat.
Das müssen wir uns erst einmal ganz klar bewusst machen: Es ist eine Generation mit diesen Medien herangewachsen, die völlig andere Informationserfahrungen als ihre Eltern macht. Bei uns zu Hause wurde der erste Fernseher gekauft 1969 zur Mondlandung. Die ganze Familie, Bekannte kamen zusammen um dieses Ereignis virtuell, aber doch miteinander zu erleben. Fernsehen war eine kollektive Erfahrung. Wenn Fuchsberger in einem Krimi die Bösen jagte, fegte das ganze Straßenzüge leer. Heute können wir uns morgens kaum etwas erzählen, weil so viele auf Sendung sind, dass wir kaum den Überblick behalten. Höchstens Thomas Gottschalk oder die vermeintliche Suche einer Nation nach ihrem Superstar können kurzfristig noch gemeinsame Erfahrungen per Fernsehen herstellen. Und auch zum Telefonieren setzt sich kein Mensch mehr gemütlich in ein Sessel mit einem Glas Wein, sondern telefoniert wird immer und überall. Da können Menschen auf dem Fußgängerweg an ihnen vorbei gehen und sie fragen sich, mit wem die reden, bis sie das kleine Mikrofon und den Köpfhörer registrieren. Es klingelt und bimmelt an allen Ecken und Enden und Biologen erklären uns, dass inzwischen die Singvögel Handytöne imitieren. Wir sind angekommen in einer schnellen, vielfältigen, unübersichtlichen und uns ständig berieselnden Medienwelt, dem krassen Gegensatz zum Kloster sozusagen.
3. Chancen
Wie bewerten wir nun diese rasante Entwicklung? Ich denke, wir dürfen uns nicht nur auf die negativen Folgen fixieren, sondern sollten durchaus die Chancen sehen. Zuallererst: Information wird wahrhaftig demokratisiert. Da geht es nicht mehr um die Familie, die die richtigen Bücher im Schrank hat, sondern alle können die wichtigen Informationen über das Internet abrufen. Der Optimismus, dass nun auch die Technik der Freiheit Demokratie nach China bringe, ist zwar durch Sperren mit Softwareprogrammen wie „Wangluo Shentang“ etwas gebremst worden, zumal es seit vier Jahren in China sogar eine „Spezialpolizei zur Sicherheitskontrolle des Internet“ gibt. Doch selbst dort zeigt sich tatsächlich, dass das Internet demokratisieren kann. Berühmt ist derzeit in China der sogenannte wie „BMW-Fall“. Das Bauernehepaar Dai beschmutzte aus Versehen beim Vorbeifahren mit dem Traktor den linken Außenspiegel eines BMW. Es gab keinen Schaden, aber die beiden Fahrerinnen des BMW töteten aus Zorn die Frau des Bauers mit ihrem Auto, fuhren dann aber davon. Bei der Gerichtsverhandlung zwei Monte später gab es eine milde Strafe und man hoffte, der Fall werde bald vergessen sein. Dann aber kam das Internet. Es enthüllte den Fall, zeigte durch Zeugenaufkommen, dass die Fahrerin massiv gedroht und dann die Bäuerin mit Absicht überfahren habe. Es folgten Internetproteste im ganzen Land und Chinas beliebteste Website „sina.com“ brachte tausende Eintragungen, die forderten, den Fall noch einmal aufzurollen. Ich kann den ganzen Fall nicht schildern, den sie ausführlich in der FAZ vom 30.01.2004 nachlesen können. Er zeigt aber grundsätzlich, dass das Internet schneller ist als die Reaktion der kommunistischen Partei. Eine kleine Volksrevolution, die dem Bürokratismus Chinas Widerstand leistet.
Die Medienrevolution bietet also Chancen im Informationszugang, Demokratisierungschancen, sicher auch Bildungschancen und nicht zuletzt Beteiligungschancen. Zudem entdecken alte Menschen das Internet als Möglichkeit der Geselligkeit. Meine Mutter wird in diesem Jahr 82 und hat tatsächlich noch gelernt E-Mails zu benutzen. So kann sie mit allen ihren 10 Enkelkindern, die in der ganzen Welt verstreut sind, in Kontakt stehen. Dass bei ihr das Abholen und Eintippen und Abschicken langsam geht, das fällt ja in diesem Fall weniger auf als ihre Schwerhörigkeit beim Telefonieren. Inzwischen gibt es auch Chatrooms, in denen sich ältere Menschen treffen und austauschen. Und so manche, die eben nicht mehr ins Kino gehen können, können sich Kinohighlights per DVD nach Hause holen.
Und schließlich: manches Tradierte setzt sich auch gegen alle Prognosen oder meinetwegen auch den Trend durch. Als die ersten Videos auf den Markt kamen, wurde prognostiziert, dass das Kino am Ende sei. Und siehe da, es hat sich gezeigt, dass das gemeinsame Hingehen, die Popkornfete im großen Kinosaal doch ihr eigenes Recht durchsetzen: Etwas zusammen erleben, das hat seinen Wert behalten.
Nicht zuletzt will ich sagen, dass natürlich auch unsere Kirche das Internet nutzt. Wir stellen bundesweit die Weihnachtsgottesdienste zusammen, damit Menschen, die etwas kirchenferner sind, wissen, wo sie hingehen können. Im Internet gibt es inzwischen Homepages von Kirchengemeinden, Landeskirchen, sie können beispielsweise meine Predigt vom letzten Sonntag nachlesen oder auch wissen, dass ich heute hier ein Vortrag halte. Ein großartiger Erfolg war jüngst auch der Lutherfilm: Mehr als 3 Mill. Menschen haben ihn inzwischen gesehen und wir konnten wahrscheinlich in kürzester Zeit mehr über Luther vermitteln, als über Bücher, Unterrichtseinheiten oder Vorträge.
4. Problemkonstellationen
Die Problemkonstellationen des Internets muss ich Ihnen nicht in Detail ausführen. Zuallererst ist da natürlich das Thema Menschenwürde. Was an Pornografie im Netz zu sehen ist, finde ich weiterhin schockierend. Wer sich bzw. wen für was anbietet bis hin zum so genannten Kannibalismusfall, das ist manches Mal menschenverachtend. Abgesehen vom Internet landet unter den Mails auf meinem PC inzwischen zwei Drittel Spam. Es ist nicht nur nervtötend, wenn beim Anschalten des PC morgens 78 neue Meldungen erscheinen und weit mehr als die Hälfte davon für den Papierkorb sind. Es ist auch ein Indiz für entwürdigende Sexualitätsvorstellungen –da müssen Sie nur einmal eine dieser Angebote der „heißesten Girls des Internet“ anklicken, die angeblich nur auf SIE warten, um zu sehen, dass Beziehungen oder Zärtlichkeit keine Rolle spielen, sondern die Mädchen wie die Sexualität insgesamt zur reinen Ware werden. Dass derartig viele SPAMS sich mit Penisverlängerung befassen, deutet dabei auf einen zusätzlichen Problembereich in Sachen Potenz und Selbstbewusstsein.
Da geradezu in Korrespondenz hierzu in einer Fernsehsendung wie Schulmädchen-Report Sexualität als rein materieller Konsum und nicht als Erfahrung von Gemeinsamkeit und Intimität gezeigt wird, wird deutlich, wie sehr die Menschenwürde in der Tat in der neuen Medienwelt gefährdet ist. Dabei geht es mir nicht um Sexualfeindlichkeit, das wäre ein zu billiges Kirchenklischee. Wenn ein Mädchen in jener Sendung aber erklärt, ein Junge sei so hässlich, dass sie ihm eine Plastiktüte über den Kopf ziehen müsste, wenn sie mit ihm Sex hätte, dann wird Sexualität entpersonalisiert, dann hat sie nichts mehr mit Zärtlichkeit und Beziehung zu tun oder gar mit Liebe, sondern der Mensch wird zur Ware. Das ist für eine Gesellschaft gefährlich, in deren Verfassung steht, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Sendungen wie die Stars, die im Dschungel mit Kakerlaken konfrontiert sind, halte ich im Verhältnis dazu eher für eine blödsinnige Dummheit, die die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht auch noch mit Aufmerksamkeit belohnen sollten.
Ein zweites Problem das ich hier auch noch beispielhaft nennen will, ist die Zweiklassengesellschaft. Da sind diejenigen, die online sind und diejenigen, die nicht online sind. Es entsteht eine digital erzeugte Zweiklassengesellschaft. Innerhalb der Industrienationen geht es um diejenigen, die sich das Internet leisten können und es auch bedienen können gegenüber denjenigen, die hierzu nicht in der Lage sind. Gerade kinderreiche Familien zählen zu den Armen in unserem Land, mehr als eine Millionen Kinder sind von der Sozialhilfe abhängig. Wenn sie dann als Schulaufgabe im Internet eine Recherche veranstalten sollen, geraten sie in eine für sie sehr unangenehme Situation. Ich bin dankbar, dass sich etwa die Stiftung „Digitale Chancen“ bei uns diesem Problem widmet und Projekte unterstützt, um die Verbreitung des Internets besonders bei sozial Schwachen oder auch bei Behinderten zu fördern. Was macht bspw. ein Arbeitsloser, wenn er dem Hinweis im Fernsehen auf www.arbeitsamt.de nicht nachkommen kann? Wichtig ist dabei auch die sogenannte „Barrierefreiheit“, die das Internet „lesbar“ macht, bspw. für Blinde. Wir sind als Landeskirche übrigens gerade dabei, unsere Webseiten in dieser Hinsicht barrierefrei zu gestalten.
Die andere Zweiklassengesellschaft betrifft natürlich die Länder des Südens. Ich war vergangenes Jahr bei unserer Partnerkirche in Äthiopien. In einem Dorf dort mussten wir zwei Tage auf die Vermittlung eines Telefongesprächs warten und das ganze Dorf stand zusammen bis es endlich klingelte. Hier trennen uns natürlich Welten. Gleichzeitig ist deutlich, dass tausende von IT-Arbeitsplätzen bspw. in Indien gegründet wurden. Dass es dabei auch zu komischen Situationen kommt, wenn einen Frau in Singapur einen Flug für Swissair buchen soll und Schweizer-Englisch und Singapur-Englisch aufeinander prallen, ist mir auch bewusst. Die neuen Medien bieten da eine Chance, sind aber zur Zeit noch äußerst ungerecht verteilt.
Als drittes Beispiel für die Problemkonstellationen will ich neben Menschenwürde und Zwei-Klassen-Gesellschaft die Machtfrage im Internet nennen. Eine Umfrage in den USA hat jüngst festgestellt, dass sich dort immer mehr junge Leute auf Comedy-Shows und das Internet verlassen, wenn sie sich über Politik informieren wollen. Traditionelle Informationsquellen wie Abendnachrichten im Fernsehen oder Zeitungsberichte, haben offensichtlich für die jungen Amerikanerinnen und Amerikaner an Bedeutung verloren. Die New York Times registriert derzeit eine Verschiebung der Kommunikation im amerikanischen Wahlkampf. Hat in den letzten Jahren vor allen Dingen das Visuelle die Menschen geprägt, ist heute der politische Akzent auf das Virtuelle gelegt. Die Fernsehberichterstattung über den Wahlkampf hat deutliche Einbußen zu verzeichnen. Während beim letzten Wahlkampf immerhin noch knapp 40 % der Altergruppe von 18 bis 25 die Abendnachrichten einschalteten, um zu wissen, wie es im Wahlkampf bestellt ist, sind es zur Zeit weniger als 25 %. Etwa jeder 5 Amerikaner unter 30 allerdings informiert sich inzwischen regelmäßig im Internet über den Wahlkampf. Und eben so hoch ist der Anteil der Jungen, die ihre Informationen aus Comedy-Shows beziehen. Das ist ein Indiz für die Macht des Internet und den Einfluss der so genannten Spaßgesellschaft.
5. Verantwortung
Für den Protestantismus ist von je her Verantwortung von zentraler Bedeutung. Der Einzelne darf sich nicht auf Vorgaben von oben verlassen, einfach schlucken, was vorgegeben ist, sondern muss persönlich Verantwortung vor Gott und dem Menschen übernehmen. „Kritik und Gestaltung“ wurden deshalb von dem Theologen Paul Tillich zum protestantischem Prinzip erklärt. Das bedeutet, einerseits kritisch begleiten, d. h. mit der Fähigkeit des griechischen kritein unterscheiden, auch entscheiden. Dies ist denke ich mit Blick auf die neuen Medienwelt eine entscheidende Grundeinstellung.
Zum anderen geht es darum, mit zu gestalten. Auch hierzu kann ich nur ein Beispiel geben und will dies am Beispiel des Themas Kommunikation tun. Hauptmerkmal der Kommunikation heute ist, dass sie in hohen Maße anonymisiert ist und auch distanzlos wird. Einerseits verraten die Kommunizierenden in E-Mails oder auch beim Chatten oft wesentlich mehr über sich als beim Face-to-Face-Gespräch. Wer den Hollywood-Film „E-Mail für Dich“ gesehen hat, konnte das auf amüsante Weise nachvollziehen. Diese Kommunikation bietet durchaus Chancen. Ein Seelsorger bspw. erzählte mir, dass er bei einer Freizeit eine SMS von einem Jungen aus dem Nebenzimmer bekam. Für ihn war es so leichter, sein Kummer dem Pastor mitzuteilen. Dieser Vorgang war langfristig der Auslöser für www.kummernetz.de. Wir haben inzwischen auch eine Chatseelsorge eingerichtet unter www.chatseelsorge.de, in der anonym, aber mit Blick auf die Seelsorgerinnen und Seelsorger doch persönlich bekannt, Menschen Ihre Sorgen und Fragen benennen können. Für viele ist dies eine Möglichkeit, sich zunächst einmal anonym über Krankheiten, Behinderungen, Mobbing, Angst auszutauschen.
Die Gefahr der Anonymität besteht allerdings darin, dass Identitäten verschleiert werden oder absichtlich gefälscht sind. Auch gibt es Foren, die zum Suizid ermutigen oder beispielsweise mit Blick auf Satanismus o.ä., Wege nahe legen, die wir als Gesellschaft insgesamt nicht befürworten dürfen, weil sie eben jene Würde des Menschen mit Füßen treten. Vielleicht muss auch über Grenzen der Freiheit angesichts der Kriterien von Menschenwürde und Sozialverträglichkeit nachgedacht werden.
Ich denke, dass unsere Kirchen eine Verantwortung tragen, diese Kommunikationsformen als Angebot zu nutzen, aber dann vor allem auch persönlichen Kontakt ermöglichen müssen. Viele werden im virtuellen Raum sehr allein gelassen. Und der virtuelle Raum birgt auch im wahrsten Sinne des Wortes Versuchungen. Da denke ich an die Quälereien des Hildesheimer Jugendlichen, die im Internet veröffentlicht wurden. Niemand, der die Seite anklickte, nahm offensichtlich daran Anstoß. Das zeigt sich darin die Gefahr der Anonymisierung. Kommunikation muss immer wieder auf ein personales Geschehen zurückgeführt werden.
Als weiteres Beispiel will hierfür will ich das Thema Tod nennen. Jeden Tag können Menschen Tote oder Sterbende in den Medien sehen. Es gibt hier kaum noch moralische Grenzen. Gunter von Hagens ist hier nur ein Beispiel für die ethische Grenzüberschreitung, ein extremes allerdings, das Tote gnadenlos vermarktet. Für mich ist das ehrlich gesagt ein Kennzeichen für kulturelle Ignoranz. Hochkulturen habe immer eine Würde der Toten gekannt. Wenn aber etwas über das Attentat auf die Moskauer U-Bahn vorvergangene Woche berichtet wird, so ist es anscheinend kaum möglich, ohne blutdurchtränkte Kleidungstücke, zerfetzte Gliedmaßen oder die Bilder von blutverschmierten Zeugen des Geschehens möglich. Der Tod ist in der Mediengesellschaft auf dem Schirm allgegenwärtig. In der Realität aber sind Menschen überhaupt nicht mehr gewöhnt, mit dem Tod umzugehen.
Bei einem Treffen mit unseren Vikarinnen und Vikaren nach ihren ersten Erlebnissen in der Gemeinde, wurde mir klar, dass ihr größter Realitätsschock die Begegnung mit Toten war. Einem Sterbenden die Hand halten, einen Toten aussegnen, am offenen Sarg ein Vaterunser sprechen – das ist für viele eine Erfahrung, die sie überhaupt nicht mehr machen. Der Tod wird, wie Birgit Richard sagt, „desozialisiert“. Er wird zwar ins Öffentliche gezerrt, aber aus der Erfahrung gedrängt. Er ist in den Medien präsent, aber im privaten nicht mehr erträglich. Als Kirche sehe ich eine Verantwortung dieses Thema wieder adäquat zu besprechen als persönliche Erfahrung und nicht virtuelles Geschehen sichtbar zu machen. Wie heißt es im Psalmwort: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.
6. Nethics
Ich halte es für eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, Ethik und Pädagogik mit Blick auf die Mediengesellschaft zu entfalten. Vor allem anderen müssen wir Jugendliche dazu erziehen, Medienkompetenz zu entwickeln. Das fängt dabei an, dass sie lernen müssen, den Fernseher anzuschalten und auch wieder abzuschalten. Hierbei sind natürlich Erwachsene als Vorbilder von entscheidender Bedeutung! Wenn in Familien der Flimmerkasten ganztags läuft, kann von Kindern kein Urteilsvermögen erwartet werden. Es geht um eine gemeinsame Anstrengung von Elternhaus, Schule, Konfirmandenunterricht und Gesellschaft insgesamt, an der sich auch die Medienanbieter beteiligen müssen.
Gleichzeitig gilt es, ethische Standards zu entwickeln. Unter www.nethics.net werden hierzu interessante Anregungen gegeben. Es geht um Ethik unter den Bedingungen des Kommunikationszeitalters, vor allen Dingen aber um ein Beitrag dazu, dass in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür entsteht, dass die Ausgestaltung der Informations- und Kommunikationsgesellschaften nicht nur ein technisches oder ökonomisches Problem ist, sondern der politischen Steuerung und der informationsethischen Fundierung bedarf. Dabei handelt es sich nicht um eine Verbotsethik, sondern den Versuch, eine positive Informationsethik zu entwickeln. Gerade der Diskurs wird dabei als zentrales Instrument gesehen. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sollen in diesem Diskurs versuchen, unterschiedliche Interessen darzustellen, Widersprüche und Konflikte aufzugreifen und normative Verhaltenskodizes zu entwickeln. Themengebiete sind dabei die genannten: Chancengleichheit, Menschenwürde, digitale Spaltung, Zugangsgerechtigkeit, kulturelle Vielfalt u. a. m. Hier gilt es meines Erachtens anzusetzen, um Beantwortung im Medienzeitalter zu übernehmen. Wir müssen uns grenzübergreifend über gemeinsame ethische Standards verständigen. Wie heißt es bei nethics: „Die Informations- und Kommunikationsgesellschaft ohne ethischen Konsens ist wie ein Haus ohne Fundament. Ethik ohne Politik,/Recht und Ökonomie ist allerdings auch nicht mehr als ein Fundament ohne Haus. Darin alleine kann man nicht leben.“
7. Das Kloster und die Medienwelt – Herausforderungen gemeinsam annehmen
Eines ist offensichtlich: die sogenannte Informationsgesellschaft garantiert noch lange keine Bildung. Christoph Türcke schreibt: „Eine ‚Wissensgesellschaft’ besteht nicht etwas aus lauter ‚Wissenden’, sondern vornehmlich aus Leuten, die nicht wissen, wie sie das Wissen, das sich in Techniken und Geräten, Archiven und Bibliotheken angesammelt hat, noch zu durchschaubaren oder wenigstens überschaubaren Einheiten zusammenfasse sollen.“ Menschen sind heute oft überfordert mit der Kommunikation und auch Selektion von Kommunikation. Deshalb ist es wichtig, Kommunikation von Mensch zu Mensch immer wieder neu zu lernen und zu lehren und auch Bildung in einem umfassenden Sinn zu verstehen, der das Begreifen und Verarbeiten der vielen Informationen aber auch emotionale und soziale Kompetenz einschließt. Hierzu können Kloster wie Medienwelt mit ihren je eigenen Zugängen beitragen.
Zudem denke ich, unsere Gesellschaft muss sich entscheiden, in selektiven Bereichen zusammen zu arbeiten, um gemeinsam zumindest exemplarisch den Herausforderungen der Kommunikationsgesellschaft kreativ zu begegnen. Deshalb möchte ich für eine Zusammenarbeit zwischen Kloster und Medienwelt zum Schluss ein Thema aufgreifen, nämlich den Jugendschutz. Wie können wir Kinder und Jugendliche vor pornografischen, rassistischen, gewalttätigen Inhalten schützen? Zwar wurden immer wieder Programme entwickelt, die eine Filterfunktion haben sollten, um solche Inhalte auszusperren. Keines dieser Programme aber ist wirklich zuverlässig. „Seit 1995 werden entsprechende Schutzprogramme entwickelt. Wie neuere Untersuchungen zeigen, bieten sie aber keine adäquaten Schutz, sind leicht zu umgehen und taugen aktuell nur als flankierende Maßnahme. Eine pädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen bei ihren Streifzügen im Internet ist unabdingbar.“, das erklärt www.jugendschutz.de. Im Erfurter Netcode (www.erfurter-netcode.de) wird versucht, einen Kodex zu entwickeln, der Qualitätskriterien formuliert. All diese Versuch sind ehrenwert. Allerdings ist deutlich, dass eine Internetzensur unsinnig ist.
Was wir brauchen, ist eine Koalition vertrauenswürdiger Größen, die ein Spezialgebiet-Internet-Zugang für Kinder und Jugendlich anbietet, der das Surfen auf problematische Seiten ausschließt. Dies ist ein Beispiel, in dem wir zusammenarbeiten könnten. Es geht mir nicht um ein Zusatzprogramm, sondern darum, dass schon der Zugang ins Internet Kriterien darstellt. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass Kinder und Jugendliche je nach Elternhaus diesen Zugang umgehen könnten. Die technischen Voraussetzungen ließen sich wohl relativ leicht schaffen. Die große Frage wird allerdings sein, finden wir eine Art Redaktion, die eine inhaltliche Bewertung ermöglicht? Könnten wir in Zusammenarbeit etwa von Telekom und Kirchen die Chance ergreifen, eine solche Zugangsregelung zuschaffen und eine Redaktion aufzubauen? Die Aktion „Schulen ans Netz“ (http://www.schulen-ans-netz.de) hat ja in Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Deutschen Telekom AG vergleichsweise kreatives geleistet.
Lassen sie mich schließen: Das Medienzeitalter bietet Chancen, es bietet Probleme. Als Evangelische würde ich sagen: Das sind Herausforderungen, die wir annehmen müssen! Nun wurde in den letzten Jahren viel in Technik und in Leistung investiert, Quantität wurde in erheblichem Maße geschaffen. Die Herausforderung jetzt besteht darin, Qualität zu schaffen. Daher scheint es mir notwendig, Redaktionen für das Internet aufzubauen, wie es sie für Rundfunk, Fernsehen und Trendmedien gibt. Es geht um zuverlässige Portale, von denen aus die Internetwelt erschlossen werden kann. http://www.deutschland.de/ ist ja ein Versuch in diese Richtung. Ich bin dafür, die Herausforderung intensiv aufzugreifen und freue mich deshalb über diese Gelegenheit zum Gespräch zwischen Kloster und Medienwelt. Wie heißt es in der Bibel: „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.“( 1. Timotheus 5,21)
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
(Vortrag bei der Deutschen Telekom - Wirtschaftsraum-Visionen für Niedersachsen)