Predigt im Festgottesdienst zum 150. Jubiläum der Deutschen Evangelischen Kirche in Manchester (Joh 16, 5-15 , 23-33)
Rolf Koppe
Liebe Gemeinde!
Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Menschen verstehen sich über ihre ethnischen und sprachlichen Grenzen hinweg. Und Jesus geht hin zu dem, der ihn gesandt hat. Der Geist der Wahrheit, der Tröster, vereint ihn mit dem Vater. "Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat", so beginnt unser Text über das Werk des Heiligen Geistes. Und Jesus fragt dann: "Und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?"
Diese Abschiedsrede wendet sich an die Jünger. Der Evangelist Johannes hat sie nach Ostern aufgeschrieben, als sich die Gemeinde schon gesammelt hatte, sie sich aber verlassen fühlte. Wo war Jesus denn hingegangen? Hatte er die Seinen nicht zurückgelassen? Hatte er sie nicht verlassen? Der Blick ist rückwärts gerichtet. Voller Trauer und Nostalgie. Waren das nicht die guten Tage, als sich das Volk drängte und Jesus sehen wollte, als der Zöllner Zacharias noch auf einen Baum klettern musste, um ihn zu sehen?
Und waren das nicht auch für das kirchliche Leben gute Tage, als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten, die Menschen im zerstörten und befreiten Deutschland zuerst die alten Kirchen wieder aufbauten wie die Michaeliskirche in Hildesheim, um nach dem physischen und geistigen Zusammenbruch neue Orientierung zu finden? Und wie war das hier in der Gemeinde in Manchester, als zu denen, die sich im Krieg nicht mehr trauen konnten deutsch zu reden und sich als Deutsche zu erkennen zu geben, einige aus Deutschland nach dem Krieg dazu kamen, die nicht mehr nach Hause zurück konnten oder wollten? Waren das kirchlich gute Tage? Und waren das christlich auch gute Tage? Ich hatte zuerst vor 40 Jahren Gelegenheit, einige Erfahrungen in England zu machen und habe in Erinnerung, dass es deutsche Frauen, die englische Soldaten geheiratet hatten und mit nach England gezogen waren, nicht leicht gemacht wurde, in der Familie und in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Später habe ich einige in deutschsprachigen Gemeinden wiedergetroffen.
Wir sollten uns aber hüten, die besseren Zeiten immer und in jedem Fall in der Vergangenheit zu suchen, also vor 60 Jahren oder gar vor 150 Jahren, als sich die Deutschen hier sammelten und eine Gemeinde gründeten. Trotzdem: die Erinnerung an das, was war, gehört von Anfang an zu unserem Glauben. Wir haben eine Geschichte und wir hoffen darauf, eine Geschichte zu haben.
Die Frage, wo gehst du hin?, ist rückwärts und vorwärts zugleich gerichtet. Jesus kündigt zu Lebzeiten die Ankunft des Trösters an, des Beistandes, der die Welt aufklärt über die Sünde und die Gerechtigkeit und das Gericht, nämlich über den Unglauben an Jesus, die Einheit Jesu mit Gott, seinem Vater, und schließlich den Sieg über den Fürsten dieser Welt.
Ja, dieses Bekenntnis legen wir Christen nach Ostern und nach Pfingsten ab: es hat sich entscheidendes verändert, es ist etwas passiert. Jesus ist auferstanden. Wir, die Christen, die Kirchen legen davon Zeugnis ab - voller Freude und Hoffnung.
Liebe festliche Gemeinde im Bereich Nordengland - in Manchester, Liverpool, Huddersfield, Leeds, Bradford und Sheffield - ich gratuliere zum 150jährigen Jubiläum im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber aus Berlin. Ich freue mich, Vertreter anderer Kirchen zu treffen, mit denen wir in der ökumenischen Bewegung in Europa und weltweit zusammenarbeiten. Es gibt ja nicht wenige in Deutschland, die die Meinung vertreten, dass eine eigenständige deutschsprachige Arbeit im Ausland überholt sei. Aber es gibt auch gute Gründe für die Beibehaltung der eigenen Tradition. Wir singen und beten in der Muttersprache und die Gemeinde steht in der Tradition der Reformation aus Deutschland. Ich finde es wichtig, dass es von Anfang an hieß: "eine protestantische Gemeinde" zu bilden.
Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den englischen Kirchen bedanken, die dem Leben und der Hinrichtung Dietrich Bonhoeffers durch das Naziregime vor 60 Jahren im KZ Flössenbürg gedacht haben und sein Andenken in Ehren halten - besonders auch durch die Aufnahme in die Reihe der Märtyrer in der Westminster Abbey in London. Und ich möchte voller Dankbarkeit die Versöhnungsarbeit nennen, die zwischen unseren Kirchen und Völkern geschehen ist. Am letzten Sonntag hat stellvertretend für viele Bischof Michael Bourke als Vorsitzender der Meißen Kommission von Seiten der Church of England am Gedenkgottesdienst in Berlin teilgenommen.
Es ist eine böse Geschichte, die Engländer und Deutsche im letzten Jahrhundert hat zu Feinden werden lassen. Vor 150 Jahren war das ganz anders. Im Zuge der damaligen Modernisierung zog Manchester deswegen so viele an, weil hier der wirtschaftliche Fortschritt am dynamischsten war und der freie Handel blühte. Bis heute - und gerade wieder - wird das Verhältnis von Kapital und Arbeit ethisch und politisch diskutiert. Als Christen und als Kirchen setzen wir uns für diejenigen ein, die zu schwach sind, um ihre Stimmen selbst zu erheben. Die soziale Frage hat sehr viel mit der Verantwortung aus Glauben zu tun.
Jesus ist zu den Menschen gegangen und er ist zu seinem Vater gegangen. In diese göttliche Bewegung möchte uns der Geist von Pfingsten mit hineinnehmen - voller Begeisterung für die Sache, die damit verbunden ist: die Rettung und Bewahrung aller, die an Jesus Christus glauben, und die Sammlung und Sendung seiner Kirche in dieser Welt.
Der Gemeinde Manchester und den anderen Gemeinden in Nordengland wünsche ich, dass sie den Blick zurück nach vorn richten - sich von Pfingsten begeistern lassen und Gottes Segen hinter sich und vor sich haben mögen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.