Rede beim Jahreskongress des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, Berlin
Marlehn Thieme
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Damen und Herren aus den Ländern unseres BRICS+G-Dialogs!
Im Namen des Nachhaltigkeitsrates begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserer Jahreskonferenz. Ihr zahlreiches Erscheinen zeigt, dass Nachhaltigkeitspolitik über den Moment hinaus von Bedeutung ist.
Gerade in Wahlkampfzeiten dominiert die aktuelle Schlagzeile und der kurzfristige Effekt. „Dicke Bretter“ sind weniger gefragt. Langfristige Strategien für Umwelt und soziale und wirtschaftliche Entwicklung geraten ans Ende der Prioritätenliste. Da gehören sie aber nicht hin.
Manche meinen, die ökologische Frage sei nach vier Jahrzehnten vom großen Menschheitsproblem zu einem Spezialthema von Fachleuten geschrumpft. Natürlich, unsere Luft und unsere Flüsse sind in Deutschland sauberer geworden. Und das ist gut so. Aber einer Lebensweise, die auch für 8 Milliarden Menschen auf unserem Planeten tragbar ist und die die Bewahrung der Schöpfung insgesamt ermöglicht, sind wir nicht näher gekommen.
Im Gegenteil, gerade macht sich ein Drittel der Menschheit in den Schwellenländern auf, den Ressourcenverbrauch drastisch zu steigern. Aber die UN Millenniumsziele zu Gesundheit, Bildung und wirtschaftlicher Entwicklung sind für viele Menschen auf unserer Erde in weiter Entfernung.
Wir dürfen davor unsere Augen nicht verschließen und müssen uns fragen, ob unser Tun überhaupt geeignet ist, und dann auch, ob es ausreicht, die Millenniums - Entwicklungsziele zu erreichen.
Die Parteien haben in ihren Wahlprogrammen vor allem sozial- und arbeits-marktpolitische Reformen zu einem wichtigen Anliegen gemacht. Aber die Tragweite der Nachhaltigkeitspolitik für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist noch immer zu wenig erkannt. Bei der Nachhaltigkeit geht es um Ökonomie, Soziales und die Ökologie. Wir möchten die Politik auffordern, die Herausforderungen, die in diesem Dreiklang liegen, zu einer umfassenden Agenda zu machen. Dazu gehört auch, die Entscheidungen zu einer stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik auch in einen öffentlich wirksamen Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu stellen. Nur so werden sie verstanden und akzeptiert. Nur so wird Nachhaltigkeit als politische Vision Realität.
Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung vieles auf den Weg gebracht. Der Nachhaltigkeitsrat hat dafür seit 2001 eine Reihe von Empfehlungen abgegeben.
Wir setzen uns zum Beispiel dafür ein, die saubere Kohlenutzung als „made in Germany“ voran zu bringen und mit den erneuerbaren Energien einen entscheidenden Beitrag zur Klimapolitik zu leisten.
Wir sind für einen Neuanfang und eine Stärkung der Energieforschung.
Wir glauben, dass man die Ressourceneffizienz vorantreiben muss.
Und wir sind der Meinung, dass die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Infrastruktur und die Lebensbedingungen der Menschen unser Gemeinwesen irreparabel beschädigen, aber wir sind auch der Ansicht, sie können neuen Raum für Nachhaltigkeit schaffen.
Seit gut 1 ½ Jahren bin ich als Vertreterin der Evangelischen Kirche in Deutschland Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung.
Ich erlebe das, was rund um die Nachhaltigkeitsstrategie geschieht, als durchaus engagiert, aber ich erlebe es oft auch als defensiv und administrativ.
Am liebsten redet man über Einzelmaßnahmen und vermeidet das Wort „Nachhaltigkeit“. Es klingt noch immer sperrig, als wäre es peinlich, sich zu diesem wichtigen Ziel politischen Handelns zu bekennen.
Dabei ist die Idee der Nachhaltigkeit bei den Menschen, bei Unternehmen, Stiftungen und auch den Kirchen viel weiter verankert als oft geglaubt wird!
Meine Damen und Herren,
wir arbeiten im Nachhaltigkeitsrat mit Engagement und aus Überzeugung, wir ringen um gemeinsame Positionen und sehen, dass gerade diese Arbeit dringend nötig ist. Wir wissen, wir müssen ein dickes Brett bohren und das auch an der richtigen Stelle!
Unser heutiges Motto: „Nachhaltigkeit - die Wachstumsformel vom Mehr zum Besseren“ ist dafür ein Beispiel. Deutschland braucht Wirtschaftswachstum – keine Frage. Aber wir müssen über Wachstum viel mehr nachdenken. Denn es geht um sinnvolles Wachstum. Wir brauchen innovatives Wachstum. Wir müssen nach der Qualität fragen. Es geht nicht einfach nur um Mehr, sondern es geht um das Wohin und Womit dieser Gesellschaft, um Qualität im Miteinander der Menschen und Generationen, um Umweltqualität und natürlich um die Frage, welche Qualität muss eine wettbewerbsfähige Industrie haben. Wenn „Mehr“ nur Quantität um seiner selbst willen ist, wenn es zu Umweltzerstörung und sozialer Ausgrenzung führt, ist es unsinnig. Es muss uns vor allem um das „Besser“ gehen. Eine intakte Umwelt ist eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum – so wie der soziale Ausgleich zwischen den Menschen und Generationen.
Das gilt nicht zuletzt auch hinsichtlich unserer globalen Verantwortung.
Unser Dialog mit Experten aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, den BRICS, ermutigt uns und zeigt, dass wir mit unserer Idee von Nachhaltigkeit nicht alleine sind. Wir sind Teil eines großen Trends. Es heißt aber auch, dass unsere Antworten nur dann gut sind, wenn sie am anderen Ende der „Einen Welt“ auch Anerkennung finden. Auch das ist eine Frage des „Besser“.
Es gibt doch zu denken, dass China und andere Staaten nach Konzepten zur Internalisierung ökologischer Kosten, zur Kreislaufwirtschaft und zur Beschleunigung der Einführung von nachhaltigen Produktionsmustern suchen und schon im wirtschaftlichen Aufbruch schauen sie besonders auf das deutsche Beispiel. Aber in Deutschland schätzen wir den erreichten Stand als gering ein und tun das Erreichte leichtfertig als Wachstumsbremse ab. Das halte ich für falsch.
Deutschlands Wachstumsbremse liegt dort, wo das Zusammengehen von Innovation und Zukunftsfähigkeit blockiert wird.
Diese Bremse lösen wir nur, wenn Nachhaltigkeit als Wachstumsformel für die Zukunft erkennbar wird.
Lassen Sie uns diesen Kongress nutzen, um konkrete Handlungsfelder nationaler und internationaler Nachhaltigkeitspolitik für die Zukunft zu diskutieren.
Sehr geehrter Herr Töpfer, ich freue mich auf Ihre Rede.