Danksagung der Preisträgerin des Hanna-Jursch-Preises

Britta Konz

Ich fühle mich sehr geehrt durch die Verleihung des Hanna-Jursch-Preises. Herzlich danken möchte ich dafür zunächst der Jury, die Zeit und Mühe investiert hat, alle eingereichten Arbeiten zu studieren und zu begutachten. Es hat mich gefreut zu hören, dass das Votum der Jury einstimmig ausfiel.

Mein Dank gilt auch dem Referat für Chancengerechtigkeit  der EKD für die freundliche und professionelle geschäftsführende Betreuung des Hanna-Jursch-Preises, für die Organisation der Festveranstaltung sowie für die Betreuung der epd-Dokumentation. Ich danke auch der gastgebenden Friedrich-Schiller-Universität Jena, die die Festveranstaltung mit vorbereitet hat und ausführt.

Besonders danken möchte ich der Evangelischen Kirche in Deutschland, die diesen Preis zum dritten Mal gestiftet hat und damit theologische Frauenforschung fördert und anregt. Sie setzt ein Zeichen, dass feministische Theologie kein zu vernachlässigendes Randgebiet der Forschung, sondern integraler Bestandteil der Theologie insgesamt ist, diese bereichert und weiterführt. Sie setzt ein Zeichen, dass die Institutionalisierung feministisch-theologischer Forschung auch in Zeiten knapper Gelder und der Umstrukturierung der Hochschullandschaft  weiter gefordert und gefördert werden muss.

Die Auszeichnung meiner Arbeit durch die Evangelische Kirche in Deutschland verstehe ich auch als Hinweis auf die unverminderte Bedeutung des jüdisch-christlichen Dialoges. Die Auszeichnung durch die EKD  macht deutlich, dass die Wahrnehmung und Würdigung jüdisch-feministischer Theologie auch Aufgabe evangelischer Theologinnen und Theologen ist. Zudem hebt sie  hervor, dass vergleichende Studien notwendig und bereichernd sind, dass gerade hier Anhaltspunkte für die Erforschung der subjektiven Bedeutung von Religion und der individuellen Aneignung von Tradition durch Frauen gefunden werden können. Die Verleihung des Preises ist für mich zugleich ein Ausdruck dafür, dass es eine Stärkung des jüdisch-christlichen Dialogs bedeutet, wenn Jüdinnen und Juden in ihrem eigenständigen Profil gleichberechtigt wahrgenommen, wenn sie als AkteurInnen von Geschichte und Kultur gewürdigt werden.

In Auseinandersetzung mit der Geschichte bleibt es eine wichtige Aufgabe der Gegenwart, gegen Antisemitismus und kulturelle Vorbehalte anzugehen. Es bleibt eine Aufgabe, ein sensibles Gespür für das Dilemma von Frauen in religiösen Minderheiten zu entwickeln, die wie Bertha Pappenheim den Spagat leisten, für Frauenrechte zu kämpfen, dabei aber nicht den Männern ihrer Religionsgemeinschaft in den Rücken fallen wollen.

Hanna Jursch war die erste Frau in Deutschland, die sich im Fach evangelischer Theologie habilitierte. Indem mit einem nach ihr benannten Preis die Forschung über eine sogenannte „Laientheologin“ wie Bertha Pappenheim ausgezeichnet wird, werden auch die sogenannten „Vorreiterinnen“ feministischer Theologie gewürdigt. Es wird hervorgehoben, dass, auch bevor Frauen studieren und sich wissenschaftlich weiterqualifizieren konnten, Frauen Theologie trieben und damit ihre Religionsgemeinschaften prägten. Was wäre die Kirche heute ohne die Frauen, die sich  als sogenannte „Laiinnen“ für Kirche und Gemeinden engagierten und dies bis heute in großer Zahl tun?

Ich freue mich, dass mit dem Preis auch dem Lebenswerk Bertha Pappenheims eine angemessene Würdigung zukommt.

„Man soll nur die Bücher schreiben, an deren Nichtvorhandensein man leidet“. Dieser Satz von der russischen Dichterin und Schriftstellerin Marina Zwetajewa hat mein Forschen und Arbeiten an der Dissertation über Bertha Pappenheim begleitet.

Als ich anfing, mich mit der Geschichte der allgemeinen Frauenbewegung und der Geschichte der konfessionell-religiösen Frauenbewegung zu beschäftigen, empfand ich es als Mangel, dass in allgemeinen Darstellungen, wenn die konfessionell-religiöse Frauenbewegung überhaupt Beachtung fand, diese nur sehr randständig behandelt und meist pauschalisierend als konservativ klassifiziert wurde. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass es nicht die protestantische, die katholische und die jüdische Perspektive gab, sondern eine Vielzahl von Perspektiven und Auseinandersetzungen um religiöse Fragen innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Dies offenbart, wie vielfältig Religiosität sein kann, wie wenig es der Realität entspricht, Religionsgemeinschaften als monolithische Einheiten zu betrachten. Auch heute bedeutet Entkirchlichung und Säkularisierung nicht, dass Menschen keine religiösen Bedürfnisse mehr haben. Es lohnt sich, die jeweils individuelle Aneignung von Religion und Tradition in den Blick zu nehmen.

Ich empfand es als Mangel, dass die Forscherinnen meist ihr eigenes, säkulares Religionsverständnis auf die Frauenbewegung um 1900 übertrugen und Religion und Religiosität der Frauenrechtlerinnen als ein zu vernachlässigendes Phänomen betrachteten. Dabei stößt man an allen Orten und in allen Richtungen der damaligen Frauenbewegung auf die Verwendung religiöser Metaphern und Symbole.

Ich wollte mehr darüber erfahren, welche Bedeutung Religion und Religiosität für die Frauen hatte - wie gingen sie damit um, dass die ungerechte Geschlechterordnung mit Bibelstellen legitimiert wurde?

Lassen sich neue Perspektiven auf die Geschichte der Frauenbewegung und für die theologische Forschung gewinnen, wenn die religiöse Motivation für das Handeln und die individuelle Aushandlung von Theologie und Frömmigkeit durch Frauen in den Blick genommen wird?

In der feministisch-theologischen Forschung fand ich Arbeiten über katholische und evangelische Frauenrechtlerinnen, in denen die eigenständigen theologischen Ansätze von Frauen aufgezeigt wurden. Hier fehlte mir jedoch die gleichberechtigte Erwähnung und Erforschung jüdisch-feministischer Ansätze.

Bei den Arbeiten, die sich mit Bertha Pappenheim und der jüdischen Frauenbewegung befassen, vermisste ich die Erforschung ihrer religiösen Grundlagen und theologischen Ansätze. Hier wurde zwar ihre soziale Arbeit gewürdigt oder ihr Leben psychologisch gedeutet, nicht aber nach einem ihrer sozialen Arbeit zugrunde liegenden Konzept gefragt. Ich vermisste eine Untersuchung, die nachvollziehen ließ, wie Bertha Pappenheim ihre emanzipatorischen Forderungen mit orthodoxem Judentum verband.

„Man kann nicht alle Bücher schreiben, an deren Nichtvorhandensein man leidet.“ Leider. Ich hätte noch viele Wünsche offen. So hoffe ich, dass meiner Arbeit noch viele weitere Untersuchungen über jüdische und christliche Frauen und besonders vergleichende interdisziplinäre Studien folgen werden, dass wir in einigen Jahren ein buntes, vielfältiges und lebhaftes Bild der theologischen Positionen von Frauenrechtlerinnen haben.

Den letzten Gedanken meiner Danksagung möchte ich einem aktuellen Aspekt von Bertha Pappenheims Wirken widmen. Heute steht der Wohlfahrtsstaat, den die „Pionierinnen der sozialen Arbeit“ wie Bertha Pappenheim prägten und mitgestalteten, zunehmend zur Disposition. In den öffentlichen Debatten habe ich oft den Eindruck, dass sich die so genannten „gesellschaftlichen Eliten“ von einer persönlichen sozialen Verantwortung weitgehend verabschieden. Gerade hier habe ich die Beschäftigung mit den Lebenswerken von Frauenrechtlerinnen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als Bereicherung erlebt. Hier kann Bertha Pappenheim ein Vorbild sein, sich mit kreativen Ideen in den Diskurs einzubringen, Mitmenschlichkeit und Solidarität anzumahnen und Projekte anzugehen und weiterzutreiben, auch wenn man das Gefühl hat, dass dies eine „Sisyphus-Arbeit“ ist. „Sisyphus-Arbeit“ ist der Titel einer Studie Bertha Pappenheims über den Kampf gegen den Mädchenhandel. Auch dieser Aspekt ihres Wirkens ist nach wie vor erschreckend aktuell und bedarf der Unterstützung und Mitarbeit. Ich denke z.B. an den Kampf gegen die Ausbeutung von Frauen aus Osteuropa und Thailand.

Bertha Pappenheim appellierte immer wieder an das Gemeinschaftsgefühl aller, soziale Verantwortung nicht allein an Fachkräfte zu delegieren, sondern als Persönlichkeitsbereicherung und gemeinschaftsfördernden Impuls zu leben. Ihr Gebetsvers „Du heiligst mich mit Deinem Du sollst“ war Ausdruck dessen, dass sie Ethik als ein Geben, aber auch als ein Berührt- und Bereichertwerden begriff, als Kraft, die von Gott kommt und die genutzt werden sollte.

Die konfessionell-religiöse Frauenbewegung hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Mensch und seine irdischen Bedürfnisse ins Zentrum von Religion und Kirche rückten. Gerade dies empfand ich auch immer als eine Stärke feministischer Theologie, dass sie angebunden bleibt an die konkrete Lebenswirklichkeit von Menschen.

Die Beschäftigung mit Frauen wie Bertha Pappenheim zeigt, wie wichtig es ist, ehrenamtliches Engagement zu stärken und als Kirchen in der gesellschaftlichen Debatte Mitmenschlichkeit und persönliches Engagement einzufordern. Sie zeigt aber auch, wohinter wir nicht mehr zurück dürfen: Es bedarf eines professionellen, vernetzten Hilfehandelns und geschulten Personals. Mich hat es ermutigt zu sehen, gegen welche widrigen Umstände es Bertha Pappenheim damals gelang, eine beispielhafte, professionelle und weit vernetzte soziale Hilfstätigkeit zu etablieren.

In diesem Sinn möchte ich mit einem der letzten Sätze Bertha Pappenheims schließen, ihrem Auftrag an die nachfolgenden Generationen: „Ich habe immer das Gute gewollt und habe mich bemüht, in jeder Minute meine Schuldigkeit zu tun. Machts weiter anständig“.