"Ethik im Sport" - Vortrag in Wangen i.A. beim Württembergischen Fußballverband

Volker Steinbrecher

Ich möchte im Folgenden in exemplarischer Auswahl einige Sport-ethische Themenfelder betrachten und sie dann hinsichtlich Ihrer speziellen Bedeutung für den Fußballsport  befragen.

Die Begriffspaare sind dem Lexikon der Ethik im Sport (Hrsg) Ommo Gruppe und Dietmar Mieth entnommen.

Fairness / Fair play / Frieden

Gemeinschaft / Geselligkeit

Gesundheit / Fitness / Körperliche Leistungsfähigkeit

Zu A: Fairness / Fair play / Frieden

Natürlich müssen wir in diesen Tagen des Krieges am Golf über Frieden reden, denn von der Unabwendbarkeit des Krieges ist ja schon so viel geredet worden, scheinbar ohne Alternative. Ich denke, es gibt wohl immer eine Alternative zum Krieg.

Wer von Ihnen unter dieser Fragestellung einmal die Texte der sog. Bergpredigt Jesu im Matthäusevangelium liest, wird vielfache Ideen und praktische Vorschläge und Alternativen zu kriegerischen Auseinandersetzungen entdecken, so dass der Journalist und Buchautor Franz Alt schon in den 80er Jahren mit seinem Buch : „Frieden ist möglich!“ auf diese Kernaussage Jesuanischer Botschaft hinzuweisen versucht hatte. Frieden ist möglich!

Auch wäre zu fragen, inwieweit die Logik stimmt, dass durch kriegerische Auseinandersetzungen überhaupt Frieden ermöglicht werden kann.

Beide großen Kirchen in Deutschland bestreiten dies und haben sich mit einer Stimme gegen jede kriegerische Auseinandersetzung im Irak ausgesprochen.

Wenn wir über Frieden im Sport reden, dann verstehen wir dies im Gegensatz zu dem eben Gesagten nicht sofort als Gegenbegriff zu dem Wort Krieg, sondern, als „Zustand größerer Gruppen von Menschen (bes. von Nationen) innerhalb eines Systems. D.h. dass man bei der Definition von Frieden, neben der negativen Abgrenzung zum Krieg, eine positive Ausdeutung stellt, die Frieden als Integration miteinander im Konflikt liegender Parteien in einem übergeordnetem System deutet.

Als ein Kriterium eines solchen Friedens ist sicherlich das Kriterium der Gewaltfreiheit zu nennen. Das Problem der Gewalt stellt sich dabei in doppelter Form für den Sport dar. Erstens in der im Wettkampf selbst ausgeübten Gewalt und zweitens in der durch den Sport bei seinen Fans ausgelösten Gewalt. Dadurch ergibt sich m.E. eine doppelte Verantwortung des Sports. Zum einen hat jede, auch die schärfste sportliche Konkurrenz an den Geboten der Fairness und damit an dem Respekt vor der körperlichen wie moralischen Integrität des Gegners seine eindeutige Grenze. Zum anderen darf die Mobilisierung von Unterstützung im sportlichen Wettkampf bei den Fans beispielweise, nicht in die Mobilisierung aggressiver Gewalt umschlagen.

Versuchen wir das eben Gesagte von der theoretischen Ebene auf die Praktische herunterbrechen, stellt sich die Frage:

Was bedeutet  eigentlich: Fairness / Fair play?

Im Fußball grätscht Spieler A im Strafraum im Kampf um den Ball. Spieler B fällt, obwohl er nicht gefoult wurde. Der Schiedsrichter entscheidet auf Strafstoß. Spieler B geht zum Schiedsrichter und sagt ihm, dass es kein Foul war. So, oder ähnlich sind unsere Idealbilder vom fairen Umgang im Sport. Doch der aufmerksame Zuschauer kann leider allzu oft das Gegenteil beobachten: Fouls werden vorgetäuscht , um einen Elfmeter zu bekommen, oder sie werden hinter dem Rücken des Schiedsrichters begangen, Tore im Fußball werden regelwidrig mit der Hand erzielt und damit entschuldigt, dass es nicht die eigene Hand, sondern die Hand Gottes war, die dies vollbracht hat, wie Diego Maradonna einst argumentierte. Fragt man Aktive und Journalisten im Anschluss eines Spieles mit nicht allzu vielen und schweren Fouls, wie sie das Spiel beurteilen, kommt häufig die Antwort: Das Spiel war hart, aber fair.

Das Verständnis des Fairnessbegriffs geht also in seiner Beurteilung weit auseinander, wie wir sehen können.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Fairness-Gedanke im engeren Sinne nicht aus dem Sport selbst kommt, sondern vor dem Hintergrund eines englischen Gentleman Kodex importiert wurde, der vor allem auf den ästhetischen Gesichtspunkt von Sport abzielt und weniger auf den Wettkampf an sich.

Was können wir deshalb hilfreich für uns zum Begriff Fairness festhalten?

Vielleicht Folgendes: Fairness bedeutet:

1. Konsequentes und bewusstes Einhalten der Regeln unter erschwerten Bedingungen.

Regeln bestimmen den Rahmen des sportlichen Wettkampfs. Sie legen z.B. im Fußball fest, mit welchen Körperteilen der Ball gespielt werden darf, wann der Ball im Aus ist, u.v.m.

Die Seltenheit des Übertretens dieser Regeln ist deshalb an sich bereits ein Merkmal fairen Spiels, denn die Regeleinhaltung ist auch abhängig vom Anreiz gegenläufiger Tendenzen, Je höher nämlich der Leistungsanreiz, je bedeutsamer ein Erfolg ist, je höher der äußere Druck ist, desto schwieriger ist auch der Versuchung zu widerstehen, im Interesse eines irgendwie formulierten übergeordneten Leistungsziels ein Foul zu begehen. Dies betrifft natürlich nicht allein die Spieler, sondern auch die Trainer, die leider oft genug der Notwendigkeit eines sog. taktischen Fouls das Wort reden und es im eben genannten Sinne legitimieren, ja sogar hierbei Druck auf ihre Spieler ausüben.

2. Die Spielregeln sind i.d.R. so formuliert und aufgestellt, dass der sportlichen Idee der Chancengleichheit zur Realisierung verholfen werden soll, d.h. dass beide Spielpartner während des Spiels, die gleichen Chancen haben sollen. Fairness bedeutet in diesem Zusammenhang, dass keine Vorteile entgegengenommen oder Nachteile des Gegners ausgenutzt werden. Trotz klarer Spielregeln gibt es nämlich für die einzelnen Spieler auch Spielräume, in denen sie den Geist der Regeln interpretieren müssen und danach handeln. Z.B. wenn ein Fußballspieler sieht, dass der Schiedsrichter einen verletzten Gegenspieler nicht bemerkt und es deshalb zu keiner Spielunterbrechung kommt, um den verletzten Spieler zu versorgen. Wenn dieser dann den Spielball ins Aus spielt, dann nützt er einen nicht gerechtfertigten Nachteil des Gegners nicht aus.

Fairness ist deshalb eine Grundhaltung, die mehr, als das Einhalten der Regeln ist (Richard von Weizsäcker) oder anders: Fairness ist der gute, d.h. durch und durch angemessene Geist des Sports.

3. Und drittens bedeutet Fairness, dass der Gegner nicht als Feind, sondern als Person und (Spiel)-Partner zu achten ist. Der Ratsvorsitzende der EKA, Bischof Dr. Wolfgang Huber hat im Rahmen seines Referates während des Neujahrsempfangs 2001 des damaligen Nationalen Olympischen Komitees in Berlin gerade diesen Gedanken hervorgehoben und biblisch-theologisch begründet, mit dem Hinweis auf das ureigenste Anliegen Jesu Christi, nämlich die mitfühlende tätige Barmherzigkeit. Wo der Sport und die Sportler dies nicht aus den Augen verlieren und neben der Stärke ebenso die Schwachheit als eigenständigen Wert menschlichen Lebens akzeptieren (Kompassion), da könne der Sport selbst zu einem „ Vehikel christlicher Werte“ werden und seinen Beitrag für ein friedliches Miteinander der Menschen leisten.

Mein Fazit: Fairness und Fair play sind existentielle Bestandteile eines modernen Sports, der in diesem Sinne ausgeübt, sogar friedenserzieherische Funktion haben kann.

B) Gemeinschaft / Geselligkeit

Im Verein ist Sport am schönsten! Wer erinnert sich nicht an die vom DSB betitelte Werbe-Kampagne der Neunziger Jahre mit dem Ziel, neue Mitglieder zu werben und gegenüber der zunehmenden Vereinzelung vieler Menschen durch sich verändernde Wohn- und Arbeitsverhältnisse den Verein als einen Ort hervorzuheben, an dem menschliches Miteinander gepflegt, ja überhaupt ermöglicht wird. ( Übrigens auch eine Kampagne gegen den Trend zunehmender sportlicher Freizeitgestaltung außerhalb von Vereinsstrukturen)

Eine Kampagne, die die Bedürfnisse der Menschen nach Identifikation, Heimat, u.v.m aufgreift. So legen bis in die heutige Zeit Studien über die Motivation zur Vereinszugehörigkeit dar, dass Gemeinschaft und Geselligkeit ein Hauptmotiv für aktiv und passiv Sporttreibende ist. Der Verein wird allgemein als das ideale Feld angesehen, in dem das Bedürfnis nach Geselligkeit in spezifischer Weise verwirklicht werden kann, wie die Veltins-Studie (Sportstudie 2001) deutlich macht.

Unter diesen Vorzeichen liegt eine positive Deutung von Gemeinschaft und Geselligkeit auf der Hand und ich vermute, dass unter Ihnen, werte Damen und Herren, eben diese positive Deutung ebenso vorherrschend ist – verbinden wir doch mit dem Stichwort Gemeinschaft/Geselligkeit eben jene soziale Funktion von Vereinen, die der Sport immer gerne selbst erhebt (s. Kampagne), wenn z.B. von der Notwendigkeit von Integration in unserer Gesellschaft die Rede ist.

Es gibt allerdings - auch das sei deutlich gesagt - Geselligkeitsformen in Vereinen, die das Gegenteil bewirken, nicht integrierend, sondern ausgrenzend wirken, z.B. wenn sie dazu tendiert gewohnheitsmäßige oder generationelle oder geschlechts- und auch schichtspezifische Geselligkeitsmuster herausbilden und dadurch den Zugang potentieller Vereinsmitglieder eher behindern, als fördern – will sagen: Es kommt auf die Art und Weise der Geselligkeit und Gemeinschaft an.

Tatsache ist, dass sich Trainer und Übungsleiter und sonstige Vereinsfunktionäre ihrer Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche bewusst sein sollten. Dazu gehört das ganze Verhalten während und nach dem Spiel, dazu gehört die Zigarette die geraucht oder eben nicht geraucht wird und auch das Bier oder das Viertele Wein. Auch der Sprachgebrauch gehört übrigens dazu – Jugendliche wissen sehr wohl zwischen einem Kraftausdruck und einem Schimpfwort zu unterscheidenden.

Mein Fazit: Soll Geselligkeit als integrativer Mechanismus im Sport , speziell im Vereinssport wirksam werden, benötigt sie neben strukturellen Voraussetzungen auch die persönliche Kompetenz der Beteiligten. Taktgefühl und entsprechende Umgangsformen müssen entwickelt werden, damit gesellige Situationen nicht zur Schaubühne für Konsum und Selbstpräsentation herabsinkt.

C. Gesundheit / Fitness / Körperliche Leistungsfähigkeit

Unter Gesundheit verstehen wir üblicherweise unser biologisches Wohlbefinden, unsere Beweglichkeit und die Funktionalität unserer Organe und Extremitäten – also das Gegenteil von Krankheit. „Wer gesund ist, braucht keinen Arzt“, wird auch Jesus sinngemäß zitiert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich mit ihrer Definition von Gesundheit nach dem zweiten Weltkrieg international durchgesetzt, danach werden in ihrer Definition von Gesundheit nicht nur die physischen, sondern auch die psychischen und sozialen Faktoren in den Blick genommen. Die damit verbundene spannende Frage für mich lautet: Was bedeutet diese Definition eigentlich für den Sport?

Im deutschen Sprachgebrauch sind die Bezeichnungen „fit“ und „Fitness“ inzwischen längst eingebürgert. Fitness bedeutet lediglich die Tauglichkeit für etwas – erst je nach Aufgabenstellung können Spezifizierungen formuliert werden, so ist die körperliche Fitness für Kraftleistungen beispielsweise eine andere, als die für Ausdauerleistungen. Fitness braucht nicht einmal die Tauglichkeit für eine aktive Leistung auszudrücken, sondern kann sich auch auf passive Vorgänge beziehen. So kann man Fit - sein für das Ertragen von Hitze oder Kälte. Auf jeden Fall aber gehört zum Fit - sein auch Leistungsbereitschaft. Dies ist übrigens neben dem Geselligkeits- und Spaßfaktor, einer der Hauptmotivationen für Kinder und Jugendliche einem Verein beizutreten – und damit sind wir bei dem Thema...

Leistung:

Aus anthropologischer und ethischer Sicht gehört es zu den unveräußerlichen Möglichkeiten des Menschen, etwas leisten zu wollen und dabei Inhalt, Maß und Ziel seiner Leistungen selbst festzulegen. Dabei hat der Sport die hervorragende Möglichkeit vor allem Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass Leistung sich lohnt und zum Erfolg führen kann – und – das ist mir in der heutigen Zeit fast noch wichtiger - dass Leistung Spaß machen kann, ein gutes Lebensgefühl vermitteln kann und zur Stärkung des Selbstbewusstseins beitragen kann.

Pierre de Coubertin, der Übersetzer der antiken olympischen Idee für die Neuzeit hat vor einem Jahrhundert in diesem Sinne gesagt, dass es im olympischen Sport neben der Entwicklung des Leibes ebenso um die moralische Vervollkommnung ginge – eben um Leib und Geist des Menschen.

Wir kennen die Gefährdungen dieses hohen Ideals Coubertins heute ganz genau, wenn es um Leistung im Sport geht – Wenn Menschen versuchen, alles aus sich und anderen heraus zu holen und dazu noch ein bisschen mehr:

Natürlich gehört Doping zu diesen Gefährdungen – da dies aber kein wirkliches Thema des Fußballs ist, würde ich gerne ein anderes Thema exemplarisch aufgreifen wollen, nämlich die (für mich) oft erschreckenden unmoralischen Motivations- und Trainingsmethoden.

Dabei möchte ich ein Beispiel aus dem Pferdesport zuerst nennen: Damit Springpferde motiviert werden, ihre Beine ganz nah beim Sprung an den Körper zu ziehen, benutzen einige Trainer die Technik des Barrens, d.h. manuell wird den Tieren beim Sprung ein harter Gegenstand gegen Vorder- oder Hinterläufe gehalten. Diese Wirkung ist vergleichbar, wie wenn Ihnen beim Fahrrad fahren, jemand plötzlich einen Gegenstand zwischen die Speichen schiebt. Sie haben keine Chance. Der körperliche Schmerz soll Motivationsmittel zur Leistungssteigerung sein. Fußballtrainer nutzen ähnliche und andere Druckmittel. Manfred Schwabl, z.B. beschrieb bei einer Fußballtagung („König Fußball“; April 2001 Akademie Tutzing)  seine Trainingserfahrungen unter Werner Lorant bei 1860 München mit Bildern aus dem Kasernenalltag. Von Christoph Daum wissen wir, dass er bisweilen Geldscheine zur Motivation an die Spinte seiner Schützlinge heften ließ – Welches sind die Druckmittel der Trainer im Breitensportbereich? Ausschluss aus der Mannschaft? Ersatzbank?

Kommen alle Spieler zum Einsatz, oder nur die Besten?

Aber ich will nicht allein die im Sport  Verantwortlichen in den Blick nehmen. Was durch Zuschauer (vielleicht besonders durch Väter)  im Kinder und (Jugend)Fußball von der Seitenlinie an Druck aufs Spielfeld übertragen wird, ist ebenso gravierend.

Und manch ein Vater nach dem Spiel, der seinen Jungen für die von ihm gemachten Fehler abstraft.

Mein Fazit: Kinder und Jugendliche wollen in der Regel gerne Leistung erbringen, brauchen dabei aber den Schutz der Erwachsenen, damit ihnen der lustvolle Zugang dazu nicht verloren geht. Leistung ist aber ein durchaus positives Parameter des Sports, wenn es dazu anreizt, die eigenen Grenzen auszuloten – und so leistet der Sport einen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge, zu mehr Fitness und Lebensspannkraft.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!