Abschlussgottesdienst beim Zukunftskongress der EKD in der Stadtkirche Wittenberg

Axel Noack

Gnade sei mit uns und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.

Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

die klugen Vorbereiterinnen und Vorbereiter dieser Abendandacht haben drei Bibeltexte ausgesucht und einen Psalm. Die schöne Geschichte, wie Mose auszieht aus Ägypten, die tröstliche Geschichte von der Sturmstillung und dann noch ein Bibelwort als Predigttext, das steht auch in ihrem Liedblatt, und ich lese die Verse aus dem 2. Korintherbrief, Kapitel 3:

„Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.“

Gott segne uns dieses Wort.

Bei so einem Predigtwort, „wo aber des Herrn Geist ist, da ist Freiheit“, müssten hier eigentlich Nachtigallen zu hören sein. Nachtigall, Nachtigall, warum haben sie dieses Wort wohl ausgesucht? Das scheint so zu unserem Zukunftskongress zu passen. Da ist dann also besondere Aufmerksamkeit gefordert, denn Gottes Wort will nicht nur zur Bestätigung unserer Ideen gelesen werden. Wir wollen uns also diesem Wort aussetzen und werden merken, damit ist ein Predigtwort ausgesucht, das uns am Sonnabendabend noch ganz schön beschämen kann.

Paulus fängt den Abschnitt über dieses Predigtwort an mit einer ganz provokanten Frage, bei der niemand auf die Idee käme, dass die zu einem Zukunftskongress der EKD passen könnte.

Paulus fragt: „Fangen wir denn abermals an, uns selbst zu empfehlen oder brauchen wir wie gewisse Leute Empfehlungsbriefe an euch oder von euch?“

Antwort: Nein, brauchen wir nicht!

Warum nicht? : Weil ihr, ihr Christen in Korinth, möglicherweise ihr Christen in der EKD, der Empfehlungsbrief Gottes an die Menschen seid. Ihr selbst seid der Empfehlungsbrief, andere braucht es nicht. Alle Menschen können ihn lesen und erkennen. Das wird dann ausführlich beschrieben:

„Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.

Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.

Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes….“

Ihr seid der Empfehlungsbrief in Sachen Gott. Was qualifiziert euch dazu?

Weil ihr euch habt tüchtig machen lassen von Gott, nicht von euch selbst, und
weil das nicht nur äußerlich ist, sondern „in eure Herzen“ geschrieben wurde und
weil die Leute euch erkennen und lesen können.

Also, erstes Fazit: begeisterte Christen, vom Geist begeisterte Christen, sind die allerbeste Empfehlung in Sachen Gottes.

Aber Paulus setzt noch einen drauf und erinnert an einen anderen, sehr alten Empfehlungsbrief Gottes – auf Stein gehauen, den hat Mose auf zwei Tafeln vom Berg geschleppt – die 10 Gebote. Und Paulus sagt, das war so eine tolle Sache mit diesen 10 Geboten. Der Mose war so angetan – als er den Berg herunter kam, glänzte sein Gesicht. Und das waren doch nur Buchstaben, die gewöhnlich töten, das war nur auf Stein geschrieben. Und: wie viel herrlicher ist der heutige Brief, der euch in die Herzen geschrieben ist!

Wie viel herrlicher als damals bei Mose, was schon so toll war, dass Mose geglänzt hat und sich verhüllen und eine Decke über sein Gesicht hängen musste, um nur niemanden zu blenden. (Nachzulesen im zweiten Mosebuch)

Bruder Paulus begeht da allerdings eine kleine Gemeinheit und sagt, der Mose habe die Decke auf seinem Gesicht gehabt, nicht nur weil er geglänzt hat, sondern weil er wusste, das Glänzen hört auch wieder  auf und dann sind die Leute enttäuscht, deswegen habe er sich eine Decke übergehängt. Denn dieses Glänzen ist ein endliches, vergängliches Glänzen. Das kennen wir auch: man kann ja sein Licht auch unter den Scheffel stellen, damit die Leute nicht merken, das es schon lange aus ist.

Und so ähnlich interpretiert Paulus den Mose. Und er sagt nun:

„Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll großer Zuversicht und tun nicht wie Mose, der eine Decke vor sein Angesicht hängte, damit die Israeliten nicht sehen konnten das Ende der Herrlichkeit, die aufhört.“

Denn die Herrlichkeit, in eure Herzen geschrieben, hört überhaupt nicht auf. Ihr seid jetzt frei von der Decke:

„Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.“

Liebe Schwestern und Brüder, jetzt müssten hier alle strahlen. Ich habe mir schon vorgestellt, medienwirksam wäre es, wenn jetzt alle mit einer Decke über dem Gesicht hier sitzen würden. Das würde gut rüber kommen. Aber die ist weg getan. Ihr sollt jetzt leuchten. Und zwar in einer beständigen Helligkeit, die sogar immer noch zunimmt - von Herrlichkeit zu Herrlichkeit. Sie merken, liebe Brüder und Schwestern, ein bisschen beschämt der Paulus uns. Denn das ist ja das, was wir sofort und immer wieder merken: so dolle leuchten wir nicht. Und unsere Prognosen leuchten auch nicht so dolle. Unser Zukunftskongress – sicherlich da war was Leuchtendes! Aber ich - und Sie sicher auch - erleben so viele Sitzungen, da ist nichts Leuchtendes. Und das kennen Sie alle genug. Und man fragt sich, was hat denn der Paulus da gemeint. Warum glänzt es denn bei uns so wenig? Und man fragt sich natürlich, woran liegt das? Und man fragt sich sehr zu Recht, liebe Schwestern und Brüder, war das denn früher anders. Haben die so dolle geglänzt? In der Geschichte unserer Kirche könnten wir auch eine Geschichte der Sorgen um diese Kirche schreiben und der Kümmernisse und der Kläglichkeit.

Da tritt dann die Geschichte von der Sturmstillung auf den Plan, weil nämlich da ganz deutlich wird – und das tröstet doch – selbst die Jünger Jesu haben so dolle nicht geglänzt, damals im Boot. Diese Geschichte kann nun wirklich eine Trostgeschichte sein für alle, die nur mäßig glänzen: Martin Luther hat hier in dieser Kirche darüber gepredigt und sagt:

„Diese Geschichte sollen wir gut merken, auf dass wir wissen, wie es sich anlässt, wenn die Lehre vom Glauben auf den Plan kommt. Und wir sollen gleich ein Sprichwort draus machen und sagen: So geht’s, kommt Christus in das Schiff, so wird’s nicht lange still bleiben, es wird ein Wetter und Ungestüm kommen, die Sonne scheint nicht mehr, und das Meer wütet und tobt.“

Ja, so geht’s! Und wir hatten gedacht, wir könnten so in aller Ruhe, kulturvoll über den See fahren. Und wenn schon wir nicht glänzen, vielleicht dann das Wasser und das Mondlicht. Ein bisschen irischer Segen dazu. Und dann kommt es aber ganz anders! So geht’s! Wenn Christus in das Boot tritt, wird es unruhig. Und, liebe Schwestern und Brüder, das Gute daran ist und das Verwunderliche, das Luther in seiner Predigt besonders herausgestellt hat: Jesus tadelt die Jünger, dass sie einen kleinen Glauben haben oder fragt in der Lukas-Variante, wo ist euer Glauben?

Jesus nennt sie kleingläubig und hilft ihnen trotzdem. Er hätte ja auch sagen können, das habt ihr nun davon – euer kleiner Glaube rettet euch nicht. Nein, er hilft den Kleingläubigen und sagt, so legt Luther aus:

„Der Herr nennt sie kleingläubig. Er bekennt damit, dass sie einen Glauben haben, aber es sei ein kleiner, schwacher Glaube. Denn wo sie gar keinen Glauben gehabt hätten, würden sie Christus in der Not nicht aufgeweckt haben. Dass sie ihn aber aufwecken, das ist ein Stück des Glaubens. Denn niemand kann Gott anrufen, besonders in der Not, er habe denn den Glauben. … Darum ist’s eine große Gnade Gottes, wenn wir auch einen schwachen Glauben haben, dass wir nicht unter dem Haufen derer sind, die an Gottes Hilfe verzweifeln.“

Also selbst der kleine Glaube ist eine Gnadengabe Gottes. Und das ist schon ganz gut – jedenfalls hilft sie zur Rettung. Sie lässt uns den kennen, den wir anrufen müssen. Wir schreien da nicht, „Hilfe wir versinken“, sondern wir schreien, „Herr hilf, wir versinken“, „dass wir nicht unter dem Haufen derer sind, die an Gottes Hilfe verzweifeln.“

Es ist gut, das zu wissen und die Adresse zu kennen, an die wir uns wenden in der Not. Dieses Wissen beschreibt Paulus, wenn er berichtet, dass er die Korinther durch seinen „Dienst zubereitet“, also unterrichtet und eingewiesen, hat. Er hat geholfen, die Christen in Korinth vorzubereiten, damit der Heilige Geist in ihr Herz schreiben kann, damit sie leuchten. Genau diese Aufgabe ist auch uns geblieben bis zum heutigen Tag. Und genau dazu, wie diese Aufgabe anzugehen ist, kann man hier in Wittenberg genug erfahren. Hier wurde ja immer versucht, dazu zu helfen, dass die Menschen zubereitet werden, dass sie im Glauben - jedenfalls ein bisschen - wachsen sollen, damit der Heilige Geist in die Herzen schriebe.

Martin Luther ist da ein gutes Beispiel: Als er von seinem Kurfürsten losgeschickt wurde hier in dieser Gegend – Torgau, Delitzsch, Eilenburg – da sollte er mal nachschauen, wie es bei den Christen glänzt. Und er kam und sah: es hat überhaupt nicht geglänzt. Er schreibt:

„Hilf, lieber Gott, welchen Jammer habe ich gesehen, dass die einfachen Leute doch so gar nichts wissen von der christlichen Lehre, besonders auf den Dörfern. Und leider sind viele Pfarrherrn sehr ungeschickt und untüchtig zu lehren; doch sollen sie alle Christen heißen, getauft sein und sollen die heiligen Sakramente genießen, können aber weder Vaterunser noch das Glaubensbekenntnis oder die Zehn Gebote, leben dahin wie das liebe Vieh und wie unvernünftige Säue, und wo (nun) das Evangelium gekommen ist, haben sie dennoch fein gelernt, alle christliche Freiheit meisterlich zu missbrauchen.“

Sie haben vor allem gelernt, alle christliche Freiheit meisterlich zu missbrauchen.

Das lernen sie ganz schnell, bis auf den heutigen Tag.

Eigentlich ist Luthers Analyse katastrophal. Heute ist das besser – das müssen wir auch mal sagen. Aber immerhin – es ist eine katastrophale Analyse! Aber Luther hat sich eben nicht damit abgefunden und angefangen zu jammern sondern klar gesehen: Jetzt muss etwas getan werden. Er hat sich hingesetzt und den kleinen Katechismus geschrieben. Der Text, den ich gelesen habe, ist das Vorwort vom Katechismus – leider ist er im Gesangbuch nicht mit abgedruckt.


Eine solche Aufgabe bleibt unserer Kirche bis heute. Menschen zuzubereiten, dass der Heilige Geist in ihre Herzen schreiben kann. Das werden wir hoffentlich auch in Zukunft immer wieder tun, denn – wir erinnern uns - begeisterte Christen, sind die allerbeste Empfehlung in Sachen Gottes.

Aus alledem leite ich vier Folgerungen für uns ab:

Wenn man das hört mit dem Heiligen Geist und dem Glänzen und dem Decke-über-den-Kopf-Ziehen, dann muss man ganz bescheiden werden – auch als Kirche. Dann muss man sagen, mit unserem Leuchten ist es nicht weit her, da muss man sagen, wenn wir ein bisschen glänzen, kommt das nicht von uns. Dann muss man vielleicht sogar noch weiter sagen, auch in dieser Welt sagen, wir als Kirche, wir haben die Verheißung aber sind nicht die Erfüllung. Wir als Kirche sind trotz aller öffentlichen und politischen Wertschätzung, die wir in der Gesellschaft genießen mögen, nicht die Einlösung der Zusagen Gottes an sein Volk. Die Kirche hat nicht die Wahrheit, die Kirche versucht, der Wahrheit zu vertrauen. Und was wir als Kirche den Menschen in unserem Lande zu ihrem Trost, ihrer Besserung und zu ihrer Orientierung sagen können, das weist immer über uns hinaus – auch über uns als Kirche. Das ist auch nicht wahr und gut sondern das muss dadurch wahr und gut werden, dass Gott sich möglichst dahinter stellt. Und das ist das, was unsere Kirche ausmacht. Bescheidenheit ist da ganz nötig und die brauchen wir auch gerade jetzt, wenn wir so ganz groß über Zukunft reden.

Wir dürfen wirklich nicht nachlassen, um den Heiligen Geist zu bitten. Das ist die Aufgabe der Kirche von ihrem Anbeginn bis Ende und also auch weit in unsere Zukunft. Denn dieser Heilige Geist ist es, der in die Herzen schreibt. Und der uns dann möglicherweise ein bisschen glänzen lässt. Und der kleinen Glauben bestätigt, stärkt und aufrichtet. Also: Wir können gar nicht aufhören, um den Heiligen Geist zu bitten.

Das Dritte ist: Wir dürfen auch nicht aufhören in der „Zubereitung“ der Menschen, nämlich helfen, den Grund zu bereiten, das der Heilige Geist in die Herzen schreiben kann, also christlichen Glauben und christliche Lehre weitervermitteln, so wie es Luther uns vorgemacht hat.

Das Vierte, das ist mir besonders wichtig: Ich glaube, dass es dazu gehört, dass wir unsere Situation, auch die Situation in der wir jetzt leben, mit ganz großer Dankbarkeit ansehen.

Das ist doch auch Gnade Gottes, dass wir hier zu einem Zukunftskongress zusammenkommen können, in gelöster Atmosphäre und bei gutem Essen. Das ist doch Ausdruck dafür, dass wir von Gott geseligt und geehrt worden sind: Noch können wir sein Wort hören, noch können wir planen und gestalten.

Vielleicht fällt uns Christen im Osten das heute an wenig leichter als vielen anderen. Denn wenn wir jetzt 25 oder 30 Jahre zurückdenken, an die Prognosen, die wir uns damals für das Jahr 2000 gestellt haben, für das Einundzwanzigste Jahrhundert kann man doch aus heutiger Sicht nur sagen:

a) Vertraut nicht allzu sehr auf eure Prognosen.

b) Wir sind beschämt worden von der Güte Gottes.

Denn unsere Prognosen sahen viel fürchterlicher aus, als wir es jetzt erleben dürfen. Und das muss doch deutlich bleiben, dass wir an jedem Tag, den wir haben, immer wieder sagen: Gnädiger und unverdienter Weise dürfen wir Gottes Wort noch weitersagen. Gnädiger und erstaunlicher Weise gibt es immer noch Kirche.

Und das ist Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Das ist doch auch ganz schön und es glänzt sogar ein Bisschen, nicht zu dolle aber doch hin und wieder.

Lassen sie mich noch zum Schluss den kleinen Brief zu Ende lesen, den der Ratsvorsitzende hier am Donnerstagabend vorzulesen begonnen hat. Sie wissen, der Brief Luthers an den sehr ängstlichen und um die Sache des Evangeliums so besorgten Philipp Melanchthon in Augsburg im Juni 1530. Luther langt da sehr kräftig zu und schreibt Melanchthon ins Stammbuch:

„Das die elenden Sorgen dein Herz so beherrschen, liegt nicht an der Größe der Not, sondern an der Größe unseres Unglaubens.“

Er macht Melanchthon Vorwürfe, dass dieser seine, nämlich Luthers, Gebete kontakariere:

„Ich bete gewisslich für dich mit allem Fleiß, aber das ist mein Kummer, dass du dir mit deinen Sorgen hartnäckig das Blut aussaugen lässt und meine Gebete so zuschanden machst.“

Dieser Brief endet mit den Sätzen:

„Gott, der da mächtig ist, die Toten zu erwecken, ist auch mächtig seine wankende Sache zu retten, die Gefallenen wieder aufzurichten, die Bestehende zu fördern. Wenn wir nicht würdig sind, geschehe es durch andere! Denn wenn wir durch Jesus Verheißungen nicht aufgerichtet werden, ich beschwöre dich, wo in aller Welt sind denn andere, denen sie gelten? Aber noch mehr sagen, hieße Wasser ins Meer tragen.“

Amen!

Und der Friede Gottes, der unser Begreifen weit übersteigt, erfülle unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.