Grußwort zur Präsentation der Elisabeth-Sonder-Briefmarke in Marburg

Christoph Kähler

Ich stelle mir vor, sie käme hier herein. Wer? Elisabeth natürlich!

Sie käme wohl nicht in ihrem Gewand aus Damaszener Seide, das man zur Zeit auf der Wartburg bewundern kann. Nein, sie käme vermutlich in dem anderen – auch ausgestellten Gewand, dem praktischen braunen aus gewöhnlichem, sehr groben Leinen.

Und sie würde uns mustern – mit offenen Augen prüfend ansehen: Sie, sehr geehrter Herr Staatssekretär Diller, uns beide, lieber Bruder Algermissen, Herrn Vizepräsidenten Dr. Knöppel.... und die ganze hochansehnliche Festversammlung. Sie würde keine Scheu haben, uns zu fragen, was wir denn eigentlich hier treiben. Sie ganz bestimmt nicht. Von einer Briefmarke hätte sie wohl noch nichts gehört. Aber eine Silbermünze wäre ihr wohl bekannt, vor allem ihr menschlicher, hilfreicher Gebrauch.

Ich stelle mir vor, dass sie uns nicht gerade aus der Kirche vertreiben würde. Das denn doch wohl nicht. Aber sie würde mit der ihr eigenen natürlichen Autorität deutliche Fragen stellen – auf eine Weise, der nicht zu antworten, niemandem in den Sinn käme. Sie würde uns fragen, was wir mit den Münzen denn machten, und die, die sie erwürben. Schätze zu horten (und sei es in einer Münzsammlung) käme ihr vermutlich nicht besonders christlich vor. Eher schon die Unterstützung für diakonische und caritative Projekte, die wir ihr ziemlich genau schildern müssten. Darin wäre sie ganz Herrscherin, gewohnt, dass man ihr gehorcht und dass man ihr auf Verlangen Bericht erstattet. Auch die Erinnerung an ihre Hilfeleistungen auf der Münze und der Briefmarke, als Ansporn für andere, also auch für uns heute, wäre ihr vermutlich nicht unlieb. Denn sie verstand es, andere anzustecken – und sie wollte sie anstecken – mit ihrer tiefsten Freude und mit ihrem unbedingten Glaubensgehorsam.

Diese junge Frau würde uns so radikale Fragen stellen, wie wir sie sonst nur von manchen jungen Studenten hören, die sich noch etwas wagen und noch nicht ganz karriereförmig denken, also taktisch schweigen. Sie jedenfalls würde uns nach denen fragen, die nicht nur kein Geld haben, sondern schlimmer: tief in Schulden stecken. Unsere Schuldnerberatung würden wir ihr erklären müssen. Aber dass man Leben rettet, wenn man Schulden erlässt – auch und gerade, indem man dazu Geld in die Hand nimmt – das kannte sie, das würde sie von uns fordern.

Wie heißt es in den ersten Überlieferungen? „Sie beherbergte einen mittellosen Kranken, dem der Gedanke an eine Geldsumme, die er schuldig geblieben war, Gewissensqualen bereitete. Da beglich die selige Frau seine Schulden und erlöste ihn von der seelischen Not.“ So notierte es Dietrich von Apolda. Aber sie hat nicht nur verschwenderisch geholfen. Derselbe Zeuge berichtet nämlich: „Nachdem sie eine große Zahl bedürftiger und kranker Menschen bis zur Erntezeit beköstigt hatte, kaufte sie für alle, die zu arbeiten imstande waren, Hemden, Schuhe und Sicheln, damit sie sich von ihrer Arbeit ernährten.“

Hilfe zur Selbsthilfe nennen wir das heute und müssen es immer wieder neu buchstabieren. Was mag konkret dazu helfen?

Ich wünsche der Marke und der Münze Betrachter, die sehr dicht herangehen und sich genau vor Augen führen. Ich danke allen, die dieses möglich gemacht also positiv entschieden haben, allen voran den Verantwortlichen im Bundesministerium der Finanzen. Und ich wünsche uns allen die bleibende Verunsicherung durch die radikalen Fragen, die Elisabeth stellt – bis heute.