Geistliches Wort zur Übergabe der Vasa Sacra in Jauer (Jawor)

Martin Schindehütte

Liebe Schwestern und Brüder aus Polen und aus Deutschland, liebe Gemeinde!

Der Abendmahlskelch wird uns heute zu einem Symbol, zu einem Zeichen. Diese beiden Kelche und die übrigen liturgischen Gefäße, die nun nach 50 Jahren zurückkehren in diese Kirche, haben eine große symbolische Kraft. Darum freuen wir sehr darüber, dass wir heute diesen gemeinsamen Gottesdienst feiern. Denn diese Kelche und liturgischen Gefäße verbinden uns in unserer Geschichte und unserem Glauben miteinander.

Was mag die Stifter einmal bewogen haben, der evangelischen Gemeinde der Friedenskirche einen Abendmahlskelch zu schenken? Was mögen die Motive des Gottlob Friedrich Freiherr von Richthofen im Jahr 1743 gewesen sein, dass er beim Goldschmied von Schweidnitz diesen Kelch in Auftrag gab? Und was bewog rund 100 Jahre später Christenmenschen aus Jauer, Ihrer Gemeinde jenen zweiten Kelch zu stiften? Wir wissen das nicht genau. Aber wir können doch begründete Vermutungen darüber anstellen.

Wenn ein Spender in dieser Weise seiner Gemeinde etwas zugute kommen lässt, dann drückt er damit gewiss und zuerst Dankbarkeit aus. Der gestiftete Kelch wird zu einem Zeichen des Dankes: In dieser Kirche und in dieser Evangelischen Gemeinde hat die Familie von Richthofen sicherlich über Generationen Halt gefunden, Trost und Ermutigung. Der Gottesdienst und die Feier des Abendmahls hatte offenkundig für diese Familie eine große Bedeutung. Und diese Erfahrung soll sichtbar und festgehalten werden. Auch die folgenden Generationen sollen das wissen. Darum soll ein Abendmahlskelch, dieses kostbare Zeichen, den nächsten Generationen davon erzählen In solchem Dank an eine Kirche und eine Gemeinde, das spüren wir, ist der Dank an Gott selbst inbegriffen: „Nun lasst uns Gott, dem Herren, Dank sagen und ihn ehren für alle seine Gaben, die wir empfangen haben.“ singen wir im Dankchoral.

Neben solchem Dank bekundet die Stiftung eines Abendmahlskelchs auch eine große Hoffnung. Es ist die Hoffnung, dass an diesem Ort Menschen in Frieden leben, und dass in dieser Kirche Menschen in Frieden ihren Glauben leben können. Jedes Abendmahl ist ja in der geglaubten Gemeinschaft mit Gott und der sichtbaren Gemeinschaft derer, die Brot und Wein teilen, ein Zeichen des Friedens, ein Friedensmahl. Eben solche Hoffnung hat ja auch im Bau der ursprünglich drei schlesischen Friedenskirchen in Glogau, Schweidnitz und Jauer nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges einen überwältigenden Ausdruck gefunden. Und die Geschichte dieser Kirchen zeigt dann ja auch durch die Jahrhunderte hindurch in eindrucksvoller, aber auch in bedrängender und schmerzvoller Weise: Es ist alles andere als selbstverständlich, dass eine Gemeinde in solchem Frieden leben kann. Wenn der Gemeinde Jesu Christi solcher Frieden gewährt ist oder wieder geschenkt wird, ist das allemal Grund zu großem Dank.

Dankbarkeit und Hoffnung begleiten nun auch die Übergabe dieser beiden Kelche und der anderen Altargeräte: Wir sind dankbar dafür, dass in dieser Kirche und an diesem Ort weiterhin eine evangelische Gemeinde ihren Gottesdienst feiern kann. Ja, es stimmt: Die Friedenskirche zu Jauer ist eine weltweit geachtete Sehenswürdigkeit, ein kulturhistorischen Schmuckstück. Aber sie ist kein Museum. Diese Kirche ist und bleibt ein Raum, in dem das Evangelium gepredigt wird, in dem Menschen getauft werden und eine Gemeinde zum Abendmahl zusammenkommt. In all dem wird hier in der Friedenskirche Gottes befreiende und heilsame Gegenwart erfahrbar: für die Menschen aus dieser Gemeinde, aber auch für die Gäste aus Deutschland und aus der ganzen Welt.

Mit den Gründern und Erbauern dieser Kirche und mit den Stiftern dieser Abendmahlsgefäße hoffen wir darauf, dass auch in Zukunft hier in Jauer eine Evangelische Gemeinde ihren Glauben in Frieden leben kann. Diese Gemeinde ist ja selber ein Zeichen der Hoffnung: Als Kirche einer konfessionellen Minderheit steht sie in der polnischen Gesellschaft für den Grundsatz der Toleranz. Als polnische Gemeinde in einer ehemals schlesisch-deutschen Kirche steht sie für gelebte Versöhnung zwischen Deutschland und Polen. Und als Mitglied der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa tritt sie dafür ein, auf europäischer Ebene kirchliche Gemeinsamkeit im Zeugnis und im Dienst an den Menschen zu suchen. Diese ökumenische Ausrichtung verbindet uns über nationale Grenzen hinweg.

Der Kelch des Abendmahls wird uns auch in anderer Weise zu einem Zeichen, liebe Gemeinde. Der „Kelch des Segens“, wie ihn die ersten Christen nannten, verbindet uns als Christen nicht nur untereinander. Er erinnert uns auch in besonderer Weise an unsere Verbundenheit mit dem jüdischen Volk, dessen bleibender Erwählung wir auch als Christen gewiss sind. Denn im Zeichen des Kelchs ist unser Abendmahl verbunden mit dem jüdischen Passamahl. Über dem Becher mit Wein spricht der jüdische Hausvater den Lobpreis Gottes: Er erinnert an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und dankt für die Befreiung, die dem Volk Israel in jedem Passamahl verheißen ist und gewährt wird. Er dankt für die Frucht des Weinstocks und für die Früchte des Feldes, die genossen werden können in dem Land, das Gott seinem Volk als Ort und Hort des Lebens schenkt. Und er bittet für sein Land und sein Volk um ein Leben im Schalom, in jenem umfassenden gerechten und gesegneten Frieden Gottes.

„Der Kelch des Segens, über dem wir den Lobpreis sprechen, ist er nicht Teilhabe am Blut Christi?“  so fragt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief. Damit verknüpft er unser christliches Abendmahl sehr bewusst mit der Tradition des jüdischen Passa, in jener Tradition, in der er als Jude selbst aufgewachsen und geprägt ist. In der Nachfolge Jesu Christi dankt auch die christliche Gemeinde beim Abendmahl für Brot und Wein, für alle guten Gaben. Und wie die Juden beim Passa, so hält auch die christliche Gemeinde beim Abendmahl Fürbitte. Sie bittet nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Gemeinden in der Nachbarschaft, ja sie hält Fürbitte für das ganze Land und für die Menschen, die darin leben. Schließlich weitet ökumenische Verbundenheit beim Abendmahl noch unseren Blick hinaus über die Grenzen des eigenen Landes zu den Nachbarländern, ja über den ganzen Erdkreis.

So sind also Dank und Fürbitte beim Abendmahl geprägt durch jüdische Tradition und ohne sie nicht hinreichend zu verstehen. Das haben unsere Kirchen in den letzten Jahrzehnten neu entdeckt. Wir durften und mussten das neu lernen im Schatten des unermesslichen Leids, das Christen und insbesondere wir Deutschen den Menschen jüdischer Herkunft unter uns zugefügt haben. Dass wir nach dieser Geschichte voller Gewalt, Leid und Schuld wieder neu anfangen durften im Verhältnis zwischen Juden und Christen, das ist für uns allerdings ein Anlass, Gott den Herrn im Zeichen des Kelchs zu loben und zu preisen. Und das gilt nun auch im Verhältnis zwischen Polen und Deutschen: Nach allem, was Menschen hier in Polen erleiden mussten: diejenigen, die 1939 zu den ersten Opfern des Zweiten Weltkriegs gehörten, und diejenigen, die nach 1945 seine letzten Opfer waren, ist es doch ein großes Geschenk, dass wir heute als Polen und als Deutsche miteinander das Abendmahl feiern dürfen. Solche Eucharistie, solche dankbare Feier des Abendmahls verdrängt ja nicht, was in der Vergangenheit geschah. Ganz im Gegenteil: Zur Eucharistie gehört immer auch die Erinnerung an das Leiden und Sterben und die Auferweckung Jesu. Und darin und zugleich ist alles Leid eingeschlossen und gegenwärtig, das Menschen einander zufügten. Und alle Schuld, die wir Menschen auf uns laden, kann benannt und bekannt werden. Wie in der Auferweckung Gottes Versöhnung mit uns Menschen Wirklichkeit wird, so wird auch die Kraft zur Versöhnung wirksam.

In der jüngeren Geschichte zwischen Polen und Deutschland war es in sehr konkreter Weise das Eingeständnis von Schuld und die gegenseitige Gewährung von Vergebung, welche die Schritte zu Versöhnung und Frieden erst möglich machten. Es ist bei uns unvergessen, dass es prophetische Worte aus den Kirchen waren, und zwar aus der evangelischen und aus der katholischen Kirche, die vor gut 40 Jahren die Tür öffneten, den Weg der Versöhnung zwischen Polen und Deutschland zu beschreiten. Und voll Dankbarkeit und Respekt nehmen wir wahr, dass es gerade auch Menschen waren, die nach 1939 zu den Opfern der deutschen Aggression gehörten, und Menschen, die nach 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden, die auf beiden Seiten Zeichen der Versöhnung gesetzt haben.

Hier hat sich auf politischer Ebene bewahrheitet, was zu den Erfahrungen der Gemeinde beim Abendmahl gehört: Es gibt keinen Weg zum Frieden und zur Versöhnung, ohne das Eingeständnis konkreter eigener Schuld. Am Tisch Jesu Christi werden wir aus dem Teufelskreis gegenseitiger Anschuldigung und Aufrechnung befreit. Denn wir fangen bei uns selber an. So haben wir auch den heutigen Abendmahlsgottesdienst mit einem Beichtgebet begonnen.

„Der Kelch des Segens, über dem wir den Lobpreis sprechen, ist er nicht Teilhabe am Blut Christi?“ Liebe Gemeinde, zu einem ganz bestimmten Zeichen werden uns diese Kelche und die anderen liturgischen Gegenstände, die wir heute der evangelischen Kirchengemeinde von Jawor zum gottesdienstlichen Gebrauch übergeben. Denn der Kelch ist das Zeichen der großen Entlastung und Befreiung, die Gott uns in der Hingabe Jesu Christi geschenkt hat. So wie die Stifter der Vasa Sacra ihre Namen und eine Jahreszahl in das liturgische Gerät eingravieren ließen und der Gemeinde zum Gebrauch stifteten, so werden unsere Namen und die Jahre unseres Lebens hineingenommen in die Geschichte jener großen Befreiung, an der Gott uns Menschen teilhaben lässt. Die Übergabe dieser Kelche soll auch ein Zeichen dieser gemeinsamen Hoffnung auf Versöhnung und Frieden sein. Der Kelch aber, der uns beim Abendmahl gereicht wird und aus dem wir miteinander trinken, der wird für uns zum Wahr-Zeichen: So wahr ich aus diesem Kelch trinke, so wahr sind mir die Vergebung und die Befreiung zu einem neuen Leben zugeeignet. Das Mahl des Herrn und was wir dazu brauchen – sie sind ein Zeichen, ein Zeichen des Friedens.

Amen.