Predigt im Gottesdienst zur Einführung von Dine Fecht-Stukenschmidt und Hans Ulrich Anke, Hannover (1. Mose 12, 1-4)
Dine Fecht-Stukenschmidt
Liebe Gemeinde,
vor einer Woche bin ich von meiner hannoverschen Landeskirche verabschiedet worden mit Versen aus dem 1. Buch Mose. Da heißt es:
„Und der Herr sprach zu Abram:
Geh hinaus aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen
und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.“
Da zog Abram aus, wie Gott zu ihm gesagt hatte.
So einfach ist das.
Abram macht sich auf den neuen unbekannten Weg, hinein in ein fremdes Land. Abraham scheint genau zu wissen, was zu tun ist. Weil Gott gerufen hat, folgt er dem Ruf; verlässt alles, was ihm lieb und teuer ist: die Heimat, seine Freunde, die meisten seiner Verwandten – nur Sara, seine Frau und Lot, sein Neffe, begleiten ihn.
Wie kann Abraham das? Dabei wissen doch die meisten Menschen aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist, Abschied zu nehmen und Altes, Bekanntes, Vertrautes zu verlassen. Nicht erst, wenn wir wie Abraham alles verlassen.
Selbst Kinder und Jugendliche machen schon diese Erfahrung: Wenn da eine wichtige Freundschaft kaputtgeht. Die beiden können nicht mehr zueinander finden. Es geht nicht mehr weiter.
Oder: bei uns Erwachsenen: Der Betrieb kann so nicht mehr weiter geführt werden. Die berufliche Laufbahn geht dem Ende entgegen.
Oder: es stirbt ein Mensch, der eng zu einem gehört hat. Er muss nun mehr und mehr losgelassen werden, das eigene Leben neu in die Hand genommen werden.
- Oder auch: Ich merke einfach: vieles in meinem Leben stimmt nicht, das ist nicht mehr mein Leben, ich muss raus aus alten Gewohnheiten und Verhaltensweisen, muss etwas Neues beginnen.
Alles Beispiele, die erzählen: gewollt oder ungewollt ist der jetzige Lebensabschnitt vorbei, der alte Weg geht zu Ende. Was nun?
Steckenbleiben, resignieren? Das Leben geht dann weiter ohne mich. Jeder kennt wohl solche innerlich stecken gebliebenen Menschen, kennt das wohl auch an sich selbst, sich mit aller Kraft an längst Vergangenes zu klammern, rückwärts zu leben, in Erinnerungen zu schwelgen. Stecken geblieben wie in einer Sackgasse.
Ganz anders ist diese Geschichte: "Und Gott sprach zu Abram: Geh hinaus aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus." Also: Das Alte einfach stehen und liegenlassen? Wie soll das gehen? Das macht doch Angst. Und das tut auch weh.
Und, ich möchte Abram fragen: Wie ging es dir damit, alles Vertraute hinter dir zu lassen? Die Menschen zu verlassen, mit denen du bisher auf dem Weg warst? Menschen, die dir ans Herz gewachsen waren?
Hattest du keinen Abschiedsschmerz? Ich weiß, wovon ich rede. Wenn ich euch da sitzen sehe, meine Leute aus dem Haus kirchlicher Dienste, da spüre ich wieder, wie sehr ich Euch vermisse.
Eure Verlässlichkeit, Eure Fürsorge,
Euren Widerspruchsgeist und Eure Loyalität,
Eure Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit und Eure Gelassenheit, Euren Mut und Eure Ausdauer in Konflikten, Eure Kreativität, Euren Humor, Eure Fröhlichkeit und eurer Lachen.
Ja, ich spüre ihn noch, den heftigen Abschiedsschmerz. Und Herrn Anke mag es ähnlich gehen.
Hinaus aus dem Vertrauten, aus dem Gewohnten, aus der Sicherheit, aus der Bequemlichkeit, aus der Geborgenheit, aus liebgewordenen Freundschaften, aus bewährten Meinungen und Vorstellungen. Hinaus aus der Vergangenheit - hinein in die Zukunft. Hinein in ein neues Land.
Ein neues Land. Wie ist dieses neue Land? Woran sich orientieren, woran sich festhalten, auf dem noch fremden Weg in die unbekannte Zukunft?
Abram hat Halt, hat Orientierung, erzählt die Bibel. Denn er hat ein Versprechen. Abram ist nicht alleine auf seinem Weg ins neue Land. "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein", sagt Gott zu ihm. Abram weiß nicht, was kommen wird. Gottes Segen ist alles, was er sicher hat auf seinem Weg.
Aber - den hat er sicher, Gottes Segen.
Das klingt nach einer realen Chance auf ein behütetes und harmonisches Leben. Irrtum! Ich habe die Abramgeschichte zu Ende gelesen und kann das jedem empfehlen, der Lust hat an Sex- und Crime-Geschichten. Kurz nachdem Abram mit seinen Leuten losgezogen war, wurden sie zu – wir würden heute sagen zu „Wirtschaftsflüchtlingen“. Eine Hungersnot trieb sie nach Ägypten. Und dort, es ist nicht zu fassen, gibt Abram seine schöne Frau Sara als seine Schwester aus, stellt sie dem Pharao als Frau zur Verfügung und lässt sich dafür üppig bezahlen. Und das alles unter dem Segen Gottes! Der Segen Gottes schützt offensichtlich nicht davor, die eigene Ehefrau zu verraten und zu verkaufen.
Und später dann, auf dem Rückweg von Ägypten, geraten Abram und Lot und ihre Hirten immer wieder in Streit. Also: der Segen Gottes schützt auch nicht vor Konflikten!
Vielleicht stritten sie sich über die selber Themen wie wir bei der EKD-Reform? Also darüber, wie groß am besten eine Herde sein soll, lieber klein, damit der Hirte alle seine Schafe persönlich kennt? Oder lieber große Herden oder gut koordinierte Zusammenschlüsse, damit die Ressourcen effektiver nutzbar sind?
Oder stritten sie über Grundlinien der Schafzucht- und Vermehrung, über Qualität und Quoten? Oder darüber, wer was zu bestimmen hat, wer wann zu beteiligen ist, wie man trotzdem schnell zu Entscheidungen kommt und diese auch zügig umsetzt?
Interessant ist jedenfalls die Konfliktlösungsstrategie. Zuerst einmal wird der Konflikt, wird die Interessenkollision nicht unter den Teppich gekehrt, sondern der Streit wird klar benannt.
Dann wird nicht gesagt: wir sind doch eine Familie und müssen deshalb auf jeden Fall zusammen bleiben. Nein, im Gegenteil: Abram sagt: Wir sind doch Brüder, Lot, wir sollten den Konflikt nicht eskalieren lassen. Also: Trenne dich doch von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.
Und er überlässt seinem Neffen Lot das fruchtbare Jordanland. Ein erfolgreiches Modell der Gewaltprävention: dem Konfliktgegner eine gute Lebenschance ermöglichen und – bei Kirchens eher unüblich: die Trennung, sich aus dem Wege gehen, damit beide unabhängig voneinander ihren unterschiedlichen Grundlinien entsprechend eine Zukunftschance haben. Leben und leben lassen.
Ja, das ist auch eine Möglichkeit von Brüderlichkeit, von Geschwisterlichkeit: in Frieden auseinander zu gehen. Man muss sich dabei ja nicht aus den Augen verlieren.
Als Lot später - schon das nächste Kapitel erzählt davon - von fremden Königen in Sodom überwältigt wurde, da war Abram alsbald zur Stelle, um ihm zu helfen. Ich denke, diese Hilfe ist eine späte Frucht der vorher vollzogenen friedlichen Trennung.
"Wir sind doch Brüder" und Schwestern, sage ich natürlich. Wir sind doch Brüder und Schwestern - dieser unsentimentale Appell an die menschliche Vernunft könnte auch heute im Großen und im Kleinen Wunder wirken. Er bedeutet Verzicht auf Gewalttat, auf physische und geistliche (jawohl: auch geistliche) Gewalttat.
Er könnte möglicherweise auch in der christlichen Ökumene mehr bewirken als ein zu enges Zusammenrücken. Möglicherweise dient es dem ökumenischen Frieden, wenn die einen sich mehr nach links und die anderen sich mehr nach rechts orientieren. Wenn sie sich nur nicht aus den Augen verlieren, sondern im entscheidenden Augenblick gemeinsam zur Stelle sind.
Gesegnet auf dem Weg in das neue Land.
Auch unsere evangelische Kirche befindet sich auf dem Weg, ist mitten in einem großen Veränderungsprozess. Da sind die sinkenden Mitgliedszahlen, die damit zusammenhängenden finanziellen Herausforderungen. Der demografische Wandel wird uns schwer treffen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Was soll aus den Kirchengebäuden werden? Was aus den Gemeinden, die kleiner werden, aber einen eigenen Pastor, (einen eigenen Hirten) behalten wollen? Wie können wir den Glauben weitergeben an die nachwachsende Generation, die von Bibel, Gesangbuch und Kirche oft keinerlei Wissen mehr hat. Und erst die gesellschaftlichen Probleme!
Ja, die Herausforderungen sind enorm. Wir sind in Bewegung, ob wir wollen oder nicht. Es verändert sich etwas. Viele und einschneidende Veränderungen sind bereits notwendig geworden und werden zukünftig erforderlich sein, um die kirchlichen Verhältnisse den sich wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen.
Und wir dürfen es nicht verschweigen: viele dieser Veränderungen sind schmerzhaft und mit Verunsicherungen und Ängsten verbunden.
Die Geschichte Abrams ist da ganz realistisch: vor der Ankunft im neuen Land steht das Verlassen des bisher Vertrauten. Und Krisen – das erleben wir auch in den Debatten über die Zukunft der Kirche – Krisen fördern nicht automatisch den weiten Blick und die Lust am Aufbruch. Sie können genauso die Angst und das Festhaltens-wollen am Bestehenden verstärken.
Doch die Geschichte Abrahams ermutigt dazu, auch in unserer Kirche den Aufbruch neu zu wagen. Aufstehen, aus dem Vaterland weggehen, keine feste Stätte haben, Auszug – das sind Grundworte des Glaubens.
Biblische Geschichten sind fast immer Veränderungsgeschichten. Menschen werden dazu verlockt und gebracht, Heimat zu verlassen, innerlich oder auch äußerlich, Lebensweisen zu verändern, Gewohnheiten zu durchbrechen.
Dabei ist Aufbruch auch in der Bibel kein Selbstzweck. Abram soll ein neues Land gewinnen, das Volk Israel soll aus der Sklaverei in ein Land ohne Knechtschaft gelangen. Die Verheißung der besseren Heimat macht den Menschen Beine. Jeder Aufbruch beginnt im Kopf oder besser: im Herzen. Es ist deshalb auch für die anstehenden Aufbrüche in unserer Kirche und ihren Gemeinden entscheidend, welchen Bilder von einer zukünftigen Kirche, welchen Visionen wir folgen.
Eines der Bilder, der Leitbilder, das im EKD-Reformprozess gemalt wurde, gefällt mir besonders gut – übrigens nicht nur für die Gemeinden hier in Deutschland, sondern auch für unsere deutschen Gemeinden im Ausland. Dieses Leitbild heißt:
„Im Jahre 2030 ist die evangelische Kirche nahe bei den Menschen. Sie bietet Heimat und Identität an für die Glaubenden und ist ein zuverlässiger Lebensbegleiter für alle, die dies wünschen.“
Dieses Bild will verlocken, Schritte in eine bestimmte Richtung zu tun. Es will Lust machen, vor Ort miteinander durchzubuchstabieren, was es für die jeweilige Kirchengemeinde und Region heißen könnte, dieses Bild mit Leben zu erfüllen. Es will über die Gemeindegrenze hinaus miteinander auf einen Weg bringen. Das ist der Wunsch und die Absicht: Räume zu öffnen, Zielorientierung zu geben und zur Suche nach neuen, eigenen Wegen zu ermutigen.
Und, wie gut, diese neuen Wege muss niemand alleine suchen und gehen. Wir Christinnen und Christen suchen und gehen sie als Gemeinschaft.
In einer Gemeinschaft unterwegs zu sein, ich weiß, das ist nicht immer konfliktfrei.
Doch ich persönlich kann sagen: ich arbeite nun seit drei Monaten im Kirchenamt, in unserer Abteilung, mit anderen Abteilungen, im Kollegium, und ich mache die Erfahrung: ich arbeite in einer Gemeinschaft, die mich stärkt und beflügelt. Die mir Mut macht, meinen neuen Weg zu finden und miteinander neue Wege zu suchen und zu gehen. Ich habe soviel herzliche Aufnahme und Unterstützung erfahren. Ich weiß, das ist nicht selbstverständlich. Darüber bin ich sehr froh und dankbar. Also: Danke in Richtung Kirchenamt!
Miteinander sind wir als Gesegnete auf dem Weg.
Mit Gottes Segen auf dem Weg ins unbekannte Land, das heißt: Gott sagt: "Du brauchst keine Angst zu haben auf deinem Weg ins neue Land, du bist nicht allein. Du hast Weggefährten an deiner Seite, Und vor allem: Ich, dein Gott, will mit dir gehen. Ich werde bei dir sein. Ich werde da sein, und du kannst mit mir rechnen. Sicher nicht so, dass du genaue Anweisungen bekommst; obwohl, wenn du dich an mich hältst, da gibt es Hilfe und Hinweise, wie du leben kannst.
Aber, sagt Gott, ob dein Weg mehr links oder mehr rechts der bessere ist, das musst du als mündiger Mensch selber herausfinden, am besten zusammen mit den anderen Menschen, die mit dir gehen. Und, sagt Gott, es wird auch nicht so sein, dass du immer das Richtige tust, wenn du dich an mich hältst. Es geht auch nicht immer alles gut. All das garantiere ich nicht. Aber, sagt Gott, ich segne dich. Ich will dich segnen. Ich halte meine Hand über dir und unter dich. Das ist wie ein Netz. Ich ziehe ein Netz unter dir.
Das soll dir helfen, dass du weniger Angst hast auf deinem Weg.
Denn - wenn einer zu große Angst hat, dann kann er nicht klar sehen; sein Blick wird ungenau, geht am liebsten wieder nach hinten. Wenn einer zu große Angst hat, dann zittern ihm die Hände; wie will er da ruhig handeln? Wenn einer sich zu sehr fürchtet, wird seine Stimme hart, seine Gefühle werden eng und sein Handeln ungerecht.
Wenn du aber damit rechnest, dass ich, dein Gott, bei dir bin, sagt Gott, dass ich mein Netz unter dir gespannt habe, dann kann deine Angst vor dem Ungewissen kleiner werden. Dann kann in dir eine Gelassenheit wachsen, die dir Kraft und Mut gibt, deinen Weg ins neue Land zu gehen.
Abram hat dem Versprechen Gottes geglaubt, hat Gottes Segen vertraut. Ist hinein gegangen in die ungewisse Zukunft. Sicher zuerst mit kleinen, vorsichtigen Schritten, aber nicht mehr so ängstlich, nicht mehr bestimmt von der Angst, verloren zu gehen, nicht mehr so ängstlich ums eigene Wohl und um die eigene Sicherheit bedacht, sondern offen und frei für andere, für andere ein Segen.
Für alle unsere Aufbrüche und Neuanfänge, seien sie privat oder beruflich, für den einzelnen oder für unsere Kirche wünsche ich uns die Gelassenheit von Abram auf seinem Weg ins neue Land. Fröhlich, heiter, getragen, aufgefangen; und neugierig, was wohl kommt. Gespannt, was da auf uns wartet; wartet an Aufgaben, an neuen Möglichkeiten; Neuentdeckungen an uns selbst, an noch unbekannten Menschen. Sicher, es wird auch Probleme geben und Konflikte, und sicher auch Grenzen und Enttäuschungen.
Aber wir können getrost hineingehen in das unbekannte, in das neue Land; gesegnet von Gott, für andere ein Segen.
Amen