Andacht beim Aufsichtsrat des Evangelischen Entwicklungsdienstes (eed)

Liebe Gemeinde, was bedeutet für Sie Heimat? Wo fühlen Sie sich beheimatet? Ist es die Straße, in der Sie groß geworden sind, das Elternhaus, das Ihnen in seiner Anmutung so vertraut ist? Ist es der Kirchturm, den sie immer als erstes gesehen haben, wenn sie auf dem Weg in Ihr Zuhause waren und der Ihnen Wegmarke und Heimatanzeiger gleichzeitig war? Fallen bei Ihnen Fremdheitserfahrungen ab, wenn Sie an diesem Ort die Menschen treffen, die Ihnen von Kindes Beinen an bekannt sind? Oder ist ihre Heimat dort, wo Sie jetzt leben, eben dort, wo sie eine neue Heimat gefunden haben und Zukunft selbst gestalten?

Heimat bekommt in der Welt und im Leben des globalen Miteinanders, des ständigen Unterwegsseins wieder eine neue Bedeutung. Der Begriff hat eine neue Qualität bekommen, er klingt weniger verstaubt als noch vor 20 Jahren. Auch der Beigeschmack des Kleinkarierten und Spießigen kommt ihm zusehends abhanden.

Heute wissen wir, dass die Geborgenheit eines Ortes uns Kraft geben kann, um für die Welt offen zu werden. Das Gefühl und die Idee von Heimat unterliegen auch im eigenen Leben Veränderungen. Was aber bleibt ist das Wissen, dass ich an einem Ort meine Wurzeln habe, an einem Ort mein Sein sich das erste Mal entfaltet hat.

Im Ersten Buch der Chronik steht geschrieben: Wir sind Fremdlinge und Gäste vor dir wie unsere Väter alle. Unser Leben auf Erden ist wie ein Schatten und bleibet nicht. (1.Chronik 29,15) und ergänzend dazu kann man im Hebräerbrief lesen: „Die solches sagen, geben zu erkennen, dass sie eine Heimat suchen. Nun aber strecken sie sich aus nach einer besseren Heimat, nämlich nach der himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht und lässt sich ihr Gott nennen; er hat ihnen ja eine Stadt bereitet.
(Hebräer 11,14.16). 


Liebe Gemeinde, „Nun aber strecken sie sich aus nach einer besseren Heimat, nämlich nach der himmlischen.“

Genauso wie wir wissen, wo unsere Heimat liegt, wissen wir auch, dass es immer wieder viele Gründe gibt, dass Menschen diese verlassen müssen – ob sie wollen oder nicht. Das ist nichts Neues. Auch Deutsche haben immer wieder ihre Heimat verlassen und sind um eines besseren Lebens willen in die Flucht, in die Ferne, in eine andere Welt gezogen. Als Evangelische Kirche bekommen wir dies noch heute immer wieder zu spüren, wenn darüber nachgedacht wird, ob wir eine Kirche in Weißrussland, in Aserbaidschan oder in Rumänien erhalten sollen. Erstaunt stellen wir dann fest: Gibt es da immer noch Deutsche? Oder die Jüngeren fragen: Wie sind die da überhaupt hingekommen? Und ebenso sind wir heute damit beschäftigt, Andachtsräume und Kirchen auf Mallorca oder in Antalya für diejenigen zu bauen, die erst vor wenigen Jahren Deutschland verlassen haben.

Gründe, die Heimat zu verlassen gab und gibt es noch heute. Vielfach schwingt in dem Wunsch nach einer neuen Heimat Verzweiflung mit, weil die eigene Lebenssituation bedrückend ist und man sich nur ein Leben an einem anderen Ort vorstellen kann. Diese Hoffnungen nach einem besseren Leben können sehr vielschichtig sein.

Menschen hoffen auf Arbeit, auf eine verlässliche Lebensperspektive für sich und ihre Familie. Sie hoffen: In der neuen, der besseren Heimat, gibt es keinen Hunger und keinen Durst, keine Verfolgung. Bei einigen Menschen ist genau das Gegenteil der Fall. Sie verdienen gutes Geld, können sich fast alle materiellen Güter auf der Erde leisten und dennoch hoffen auch sie. Sie hoffen täglich, dass der Druck im Job geringer wird. Sie brechen aus und verlassen ihre Heimat und steigen aus in ein anderes Land mit einem anderen Leben.

Andere Menschen sind verzweifelt, weil sie seit langem einen Partner oder eine Partnerin fürs Leben suchen oder gerade verloren haben. Sie hoffen darauf, dass es Ihnen wieder besser geht und sie nicht allein sein müssen.

Wieder andere sehnen sich danach, in Ruhe ihren Glauben bekennen und leben zu können. Sie wollen frei sein von den Zwängen, die eine religiöse Mehrheit ihnen aufzwängt und sie im Alltag unterdrückt.

Die hier beschriebenen Situationen von Menschen, die sich nach einer besseren Heimat sehnen, haben aber nur eine Dimension von Heimat im Blick. Das ist die Heimat hier auf dieser Welt. Allein diese Dimension von Heimat zu fühlen und zu denken greift zu kurz.

Wichtig ist für mich der zweite Teil des Satzes: Die Menschen, die in der Bibel beschrieben werden, strecken sich nicht nach irgendeiner Heimat aus. Die Menschen strecken sich nach der himmlischen Heimat aus. Sie richten ihre Hoffnung nicht nur auf das Hier und Jetzt, sondern sie wissen darum, dass es eine andere Wirklichkeit von Heimat gibt, dass es einen anderen Ursprungsort ihres Seins gibt, der sie bei sich selbst ankommen lässt. Wie sagt Augustin: „Meine Seele ist solange unruhig, Herr, bis sie ruht in dir.“

Die Bewegung, mit der der Apostel den Menschen beschreibt, der das Himmlische sucht, ist das Ausstrecken. Das heißt, dass der Körper unter Aufbietung der Streckung aller Extremitäten in die längste mögliche Dehnung gebracht wird. Und weil der Himmel nun einmal oben ist, sieht man den Menschen quasi vor Augen, wie er versucht am Himmel zu kratzen.

Wir alle kennen solche Situationen. Nicht vielleicht so, dass wir gleich persönlich am Himmel kratzen wollen, dafür bauen wir dann doch lieber große Häuser. Doch wenn wir etwas in unserem Leben wirklich wollen, dann stellen wir uns auf die Zehenspitzen und strecken uns nach dem aus, was unser Begehr ist, sei es im Beruflichen oder im Privaten. Meist suchen wir nach Erfolgen, nach Anerkennung und nach Reputation.

Aber strecken wir uns eigentlich noch nach dem Himmel aus? Wissen wir noch, dass es eine gute geistliche Übung ist, Kontakt zur himmlischen Heimat herstellen zu wollen? Oder sind wir inzwischen viel zu satt und beschränken unsere Ausstreckversuche allein auf weltliche Güter und das weltliche Glück? Das wäre nicht nur schade, sondern auch dumm, denn die Welt braucht uns als Himmelsstürmer und skyscraper. Denn wer könnte sonst dafür sorgen, dass diese Welt gerechter und friedlicher würde als diejenigen, die darum wissen, was die himmlische Heimat bedeutet?

Als Christen wissen wir doch und glauben daran, dass Gott uns durch Jesus Christus ein Vorgeschmack auf das Himmelreich hat zuteilwerden lassen. Durch ihn können wir eine bessere Heimat sehen, nach der wir uns ausstrecken. Jesus predigt nicht nur Nächstenliebe, sondern er lebt sie auch. Jesus belässt es nicht bei frommen Worten, sondern er hilft den Menschen in ihrer Not. Jesus heilt Kranke, er speist die Armen, ist barmherzig und gnädig. Jesus zeigt uns die bessere Heimat.

Jesus lebt Nächstenliebe, aber er fordert sie auch von seinen Mitmenschen ein. Das ist mehr als der normale Zeitgeistjargon, der suggeriert: „Du bist ok, ich bin ok.“ Die handelnde Liebe zu unseren Mitmenschen, die Jesus fordert, ist nicht nur für Christen gedacht, sondern auch, oder gerade besonders für diejenigen, die das Reich Gottes noch nicht kennen.

Jesus möchte mit seiner Aufforderung bewirken, dass wir erkennen, dass die himmlische Heimat konkret hier auf Erden sichtbar werden kann - tagtäglich. Die biblischen Geschichten beschreiben keinen Gott, der vor 2000 Jahren in die Welt kam und uns nun alleine lässt. Jesus möchte, dass alle Menschen den Geschmack vom Reich Gottes in den Mund bekommen und danach fragen, wohin sie sich ausstrecken müssen, um mehr davon zu bekommen. Wir sind eben in einer anderen Situation als damals Tantalus. Jesus zieht die Früchte der Hoffnung und des Lebens nicht in dem Moment zurück, in dem wir meinen, sie fast erreicht zu haben. Er quält uns nicht mit Unerreichbarem. Im Gegenteil. Er reicht uns die Früchte dar und überlässt sie uns.

Durch unseren Glauben haben wir Anteil am Himmelreich. Durch den Glauben können wir die himmlische Heimat sehen und sie sichtbar werden lassen. Nicht die allgemeine Meinung oder ein generell geltendes Prinzip, sondern Jesus Christus allein ist der Grund unseres christlichen Handelns in und an dieser Welt.

Durch die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Evangelischen Entwicklungsdienstes geschieht genau das: Menschen können Anteil haben am Reich Gottes. Ihnen wird damit Hoffnung geschenkt. Dies geschieht auf vielfache Weise.
Die Menschen, die die Arbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes kennen, merken ganz konkret, dass Christenmenschen sich auf dieser Welt einsetzen für die Schwachen, die Armen, für die, die sich nach einer neuen und besseren Heimat ausstrecken.

Als Christenmenschen können wir uns jeden Tag als Botschafter der besseren Heimat verstehen. Und das auf verschiedene Art und Weise. Jede und jeder von uns ist täglich neu gefordert, die Liebe Gottes in dieser Welt aufleuchten zu lassen.

Ich hoffe, dass weiterhin viele Menschen durch die Arbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes erleben, dass die bessere Heimat nicht weit weg ist von der eigenen Haustür. Wir sorgen mit unserer Arbeit dafür, dass die Menschen vor Ort, in ihren Dörfern und Städten eine bessere Heimat bekommen, ja die angestammte behalten. Das wir dies auch weiterhin tun, das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Amen