Statement von Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Pressekonferenz zur Woche für das Leben in Düsseldorf

Die diesjährige Woche für das Leben steht in Anlehnung an ein Wort des Propheten Jesaja unter dem Motto "Gottes Erde - Zum Wohnen gemacht - Unsere Verantwortung für die Schöpfung."

Es geht um die Zukunft der Erde als Lebensraum des Menschen. Die beiden Kirchen wollen an die biblischen Grundlagen unserer Beziehung zu unserer Umwelt erinnern. Sie ist für uns der Teil der Schöpfung Gottes, auf den wir gestellt sind. Wir sind für unseren Wohnort mitverantwortlich, insbesondere da, wo unser Handeln die menschlichen Lebensbedingungen auf lange Sicht tiefgreifend verändert. Ich weiß, daß es nicht unproblematisch ist, angesichts der Unbehaustheit vieler Vertriebener und Flüchtlinge, und angesichts zahlloser Opfer von Kriegen und Katastrophen von der Wohnlichkeit der Erde zu sprechen.

Wenn wir die Erde als Wohnung für den Menschen bezeichnen, nehmen wir ein biblisches Bild auf und verschließen gerade nicht die Augen vor dem Leid der Menschen, die Opfer der Naturgewalten und menschlicher Gewalttaten geworden sind. Das Bild von der Wohnung trägt eine Verheißung in sich. Zugleich nimmt es uns als Bewohner in Anspruch, die für den Ort und das Zusammenleben auf ihm mitverantwortlich sind.

Die Schöpfung dürfen wir nicht wie ein Ding behandeln, denn wir sind ein lebendiger Teil von ihr. Wir sind, wie Albert Schweitzer das einmal gesagt hat: "Leben inmitten von Leben, das leben will". Auch die nichtbelebte Natur ist nicht einfach manipulierbare Masse, sondern sie ist als Schöpfung Gottes eine anvertraute Gabe. Rohstoffe sind von Gott geliehen und nicht einfach Beute der industriellen Interessen.

Als Geschöpfe stehen wir so in einer umfassenden Gemeinschaft mit allen Lebewesen, sind auf wechselseitige Weise mit ihnen verbunden. Wir sind in unserer Klimazone dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen, nehmen darin die reiche Vielfalt und die Schönheit unserer Umwelt als Gottes Schöpfung wahr.

Andererseits zeigen uns Überschwemmungen an der Oder, am Rhein und an der Mosel, die Lawinenkatastrophen des letzten Winters, die Entwicklung des Waldes und die Zunahme von allergischen Reaktionen des Organismus von Mensch und Tier, wie sehr wir auf das ökologische Gleichgewicht angewiesen sind.

Das Haus dieser Welt muß wohnlich bleiben für alle, denn alle sind unter ein und demselben Dach zuhause. Wenn ein Bewohner den anderen die Versorgung abschneidet oder die Entsorgung unmöglich macht, dann wird das über kurz oder lang auch seine eigene Lebensqualität verschlechtern. Die Bibel nennt dies eine Generationenschuld. Die Sünden der Eltern werden sich auf die Kinder und Kindeskinder auswirken. Gott liebt uns und diese Welt, aber wir sind vor ihm und gegenüber unseren Kindeskindern verantwortlich dafür, was wir aus dieser Welt machen. Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln?

Gerade die prophetische Kritik an menschlichem Fehlverhalten kennt schon die Forderung: Wir sollen alle Lebewesen als Mitgeschöpfe Gottes anerkennen, die ihre je eigene Wohnung im gemeinsamen Haus des Lebens haben.

Uns Menschen kommt dabei eine besondere Würde und besondere Freiheit zu. Uns wird gerade darum die Gesamtverantwortung für den Lebensraum anvertraut. Wir sollen ihn zu unserem Nutzen bebauen, und im Sinne des Schöpfers behüten und bewahren, also in pfleglicher Weise gestalten

Wir sollen mit der Erde nicht umgehen wie Ausbeuter und Räuber, sondern wie umsichtige Gärtner und Architekten. Das heißt:

Der Schutz der natürlichen Umwelt erschöpft sich für die Kirchen nicht in der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für den Menschen, sondern er umfaßt die Verantwortung für die gesamte Schöpfung. Auch die Mitgeschöpfe des Menschen haben einen Eigenwert, der höher steht als ihre kalkulierbare Verwertbarkeit.

Drei Folgerungen ziehe ich:

  • Erstens wir können staunen über die Vielfalt der Geschöpfe Gottes. Können staunen über die Lebenskräfte der Schöpfung, über die Regenerationsfähigkeit von Luft, Wasser und Boden, und uns freuen an der Vielfalt und Buntheit, über die Kreativität der Natur. Mit Staunen meine ich keine flüchtigen, romantischen Gefühle. Es fließt vielmehr aus unserer Grundeinstellung dem Leben gegenüber, die das Gotteslob bestimmen und unsere Handlungen leiten.

  • Zweitens: Wir sehen unseren konkreten Anteil an der Gefährdung des Lebens. Globale Zusammenhänge stehen immer auch mit lokalen Handlungsmöglichkeiten in Beziehung. Wir können mehr tun, als wir meinen. Unser Wissen ist gefragt. Wir können uns kompetenten Rat einholen, wo unsere Möglichkeiten an eine Grenze stoßen.

  • Drittens: Wir fragen nach den Praxisorten im Alltag, wo wir verantwortlich handelnd einzugreifen haben. Beispielsweise: Wie können wir unser altes Gemeindehaus so restaurieren, daß der Energiebedarf gesenkt wird? Welche Verkehrsmittel benutzen wir privat und auch für unsere dienstlichen Belange?

Man nennt solche Beispiele als Ausdruck einer "Kultur der Aufmerksamkeit" und "Nachhaltigkeit". Die sind für unseren Umgang mit der Natur maßgebend.

Es gilt Ökonomie und Ökologie zusammenzuhalten.

Die beiden Kirchen haben sich seit Mitte der 80er Jahre verstärkt dieser Thematik gestellt. Beispielhaft genannt seien nur die gemeinsamen Texte:

  • "Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung" von 1985,

  • "Gott ist ein Freund des Lebens" von 1989 und

  • "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit - Das Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" von 1997.

Im gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialwort heißt es: "Die christliche Soziallehre muß künftig mehr als bisher das Bewußtsein von der Vernetzung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Problematik wecken. Sie muß den Gedanken der Bewahrung der Schöpfung mit dem einer Weltgestaltung verbinden, welche der Einbindung aller gesellschaftlichen Prozesse in das - allem menschlichen Tun vorgegebene - umgreifende Netzwerk der Natur Rechnung trägt. Nur so können die Menschen ihrer Verantwortung für die nachfolgenden Generationen gerecht werden. Eben dies will der Leitbegriff einer nachhaltigen, d.h. dauerhaft umweltgerechten Entwicklung zum Ausdruck bringen" (Art. 125).

Die bisherige Diskussion in den Kirchen aufnehmend, wendet sich die Woche für das Leben an die Verantwortlichen in den Gemeinden, kirchlichen Einrichtungen und an die Verantwortlichen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Sie lädt sie ein, an ihrem je konkreten Ort nach schöpfungsgemäßer Haushalterschaft zu fragen und entsprechend zu handeln. Entscheidend wird dabei sein, daß es gelingt, geistliche Impulse, sachliche Informationen und praktische Initiativen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das Handeln für die Zukunft der Schöpfung soll integraler Bestandteil des Gemeindelebens werden.

In der Arbeitshilfe für die diesjährige Woche für das Leben werden zu den vielfältigen Einzelthemen wie Verkehr, Klima, Tierschutz u.v.a.m. Hinweise und Anregungen gegeben. Fast die gesamte Auflage (60.000 Exemplare) ist versandt worden. Das rege Interesse in den Gemeinden zeigt, wie fest inzwischen diese Thematik verankert ist.

Ich freue mich, daß wir auf der Eröffnungsveranstaltung der Woche für das Leben am 2. Mai 1999 in Düsseldorf mit Fachleuten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ins Gespräch kommen. Die Gäste aus Matagalpa in Nicaragua, ihr Erzählen vom Leben nach den verheerenden Verwüstungen durch den Hurrikan Mitch im vergangenen Jahr, ihre Klage und ihre Hoffnung, gebündelt im "Schöpfungskreuz", daß sie mitbringen werden, zeigt uns die gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung. Was ihnen widerfahren ist, ist nicht von unserem Handeln zu trennen. Unsere Solidarität mit der gefährdeten Natur und den betroffenen Menschen ist jetzt gefordert.