Statement auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Textes „,Selig sind die Friedfertigen‘ – Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik“

Nikolaus Schneider

I. Mit ihrer Friedensethik engagiert sich die evangelische Kirche für eine nachhaltige Friedenspolitik

Der Ruf zum Frieden und der Einsatz für den Frieden gehören zum Kern des kirchlichen Auftrags. Friedensethische und friedenspolitische Stellungnahmen haben so auch in der EKD eine lange Tradition.

Während der Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung und die atomare Rüstung in den 1950er und in dem leidenschaftliche Streit um die "Nachrüstung" Ende der 1970er Jahre haben friedensethische Fragen unsere Kirche besonders stark bewegt und zu einer intensiven Reflexion christlicher Friedensethik geführt. Die Friedensdenkschrift des Jahres 2007 "Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen" hat diesen langen friedensethischen Reflexionsweg zu einem vorläufigen Abschluss gebracht.

Der Text, den die EKD heute vorstellt, basiert auf dieser Friedensdenkschrift. Er trägt den zugegebenermaßen etwas sperrigen - dafür aber inhaltsreichen - Titel: "Selig sind die Friedfertigen. Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik. Eine Stellungnahme der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD".

In diesem Text geht es uns nicht nur um eine kritische und konstruktive Reflexion des Afghanistan-Einsatzes, sondern darüber hinaus um eine friedensethische und friedenspolitische Aufgabenbeschreibung und Orientierung für die Zukunft.

Wir präsentieren unseren friedensethischen Text bewusst am Beginn des Jahres 2014: Vor 100 Jahren begann der 1. Weltkrieg, vor 75 Jahren der 2. Weltkrieg. Und unsere Welt ist seitdem nicht friedlicher geworden, wenn wir etwa an den Bürgerkrieg in Syrien denken oder an die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika. Wir sind davon überzeugt: Die friedensstiftende Kraft des Evangeliums von Jesus Christus wird auch heute für eine nachhaltige Friedenspolitik dringend gebraucht.

II. Friedensethische Stellungnahmen zu kriegerischen Konflikten der Gegenwart sind Teil der öffentlichen Verantwortung der Kirche für das politische Entscheiden und Handeln unserer Regierenden

Wir hören die Forderung, Deutschland müsse in den kriegerischen Konflikten der Gegenwart mehr internationale Verantwortung übernehmen. Dies meint häufig auch, dass Deutschland mehr militärische Verantwortung übernehmen soll. Grundsätzliche Weichenstellungen für ein internationales militärpolitisches Engagement Deutschlands stehen an. Friedensethische Stellungnahmen unserer Kirche wollen dazu Orientierungshilfen geben. Um Orientierungshilfen für zukünftige militärische Einsätze der Bundeswehr zu geben, äußern wir uns erst und gerade jetzt reflektierend zu dem Einsatz in Afghanistan - auch wenn der jetzt beendet wird.

Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan hat uns neu deutlich gemacht, welche gesellschaftlichen und menschlichen Folgelasten mit militärischen Einsätzen verbunden sind: Tod und Verwundung, traumatisierte Soldatinnen und Soldaten und langfristige Prozesse der Vernarbung in den Biographien der Einzelnen, der Familien und der Gemeinschaften. Wir brauchen Orientierung im Umgang mit diesen Folgen militärischer Einsätze.

Die Debatte um Ausrichtung und Bewaffnung der Bundeswehr wird seit einigen Monaten kontrovers geführt. So auch die Frage, ob die Bundeswehr mit bewaffneten "Drohnen" aus- und aufgerüstet werden solle. Jede Entscheidung über neue Waffensysteme ist auch eine politische Entscheidung über das Bild möglicher künftiger Konflikte und Kriege und über mögliche Einsatzszenarien. Wir brauchen Orientierung in der Frage, für welche Krisenherde und Einsatzbedingungen wir unsere Soldatinnen und Soldaten ausrüsten.

Die EKD versteht die heute vorgestellte friedensethische Stellungnahme der Kammer für Öffentliche Verantwortung auch als einen konkreten Beitrag zum Themenjahr "Reformation und Politik". Nur andeuten will ich jetzt, dass die Kammer für Öffentliche Verantwortung für dieses Themenjahr 2014 an einem neuen Grundsatztext zum politischen Auftrag der Kirche arbeitet.

III. Friedensethische Fragestellungen brauchen den Diskurs von verantwortungsbewussten Menschen aus verschiedenen Professionen und mit verschiedenen Blickwinkeln

Der Rat der EKD hatte die Kammer für Öffentliche Verantwortung im Jahr 2011 gebeten, eine friedensethische Orientierung zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr zu erarbeiten. Die Aufträge des Rates implizierten die Fragestellungen:

  • Was kann für das Leitbild des gerechten Friedens aus Afghanistan gelernt werden?
  • Welche politischen Lehren können im Jahr des Abzugs aus dem Afghanistan-Einsatz gezogen werden?

Gerade auch im Blick auf diese Fragestellungen möchte ich eine Eigenschaft der Kammern der EKD nennen: Sie sind nicht mit dem Ziel einer einheitlichen Sachauffassung besetzt. Vielmehr sollen sie als Beratungsgremien unterschiedliche und sogar kontroverse Standpunkte bzw. Perspektiven abbilden. So haben in der Kammer für Öffentliche Verantwortung Mitglieder, die sich der "Friedensbewegung" verbunden fühlen, gemeinsam mit dem früheren Oberbefehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr an dem friedensethischen Papier gearbeitet. Beteiligt waren Theologinnen und Juristen, Politiker und Journalistinnen. Ganz bewusst wurden die ethisch und rechtlich strittigen Fragen in einer so breit gefächerten Zusammensetzung der Kammer beraten.

Bei der Beratung des friedensethischen Textes wurden auch Themen angesprochen, die in der Friedensdenkschrift des Jahres 2007 so noch nicht im Blick waren. Ich nenne hier nur exemplarisch zwei Fragestellungen:

  • In welcher Beziehung stehen der US-amerikanische "War on Terror", also die "Operation Enduring Freedom" zu dem UN-mandatierten Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF?
  • Was bedeutet die weitreichende Nutzung der Drohnen-Technologie, auch im Zusammenhang der sog. COIN (Counterinsurgency)-Strategie?
  • Dem Rat der EKD war bewusst, dass er mit seinem Auftrag der Kammer für Öffentliche Verantwortung eine theologisch und politisch bedeutsame und höchst anspruchsvolle Aufgabe gestellt hat. Umso dankbarer sind wir für das Ergebnis der Kammerberatungen. Dieses Ergebnis, das möchte ich an dieser Stelle schon festhalten, nährt in uns den grundsätzlichen Zweifel, dass mit militärischer Gewalt der Weg zu einem "Gerechten Frieden" gebahnt werden kann.