Bibelarbeit bei DYNAMISSIO „Der missionarische Gemeindekongress 2017“

Heinrich Bedford-Strohm

Liebe Schwestern und Brüder,

„Evangelium, Gemeinde, Welt und Sendung“ – das sind die vier Themenblöcke, über die Sie hier auf dem Dynamissio Gemeindekongress gemeinsam nachdenken. Eine chronologisch stimmige Abfolge: am Anfang steht die persönliche Begegnung mit der frohen Botschaft Jesu Christi. Aus den Menschen, die sich vom Evangelium berühren lassen und Christen werden erwächst dann die Gemeinde. Diese ist aber nicht nur auf sich selbst bezogen, sondern in die Welt gesandt, um zum einen die frohe Botschaft in die Welt hinauszutragen, zum anderen aber auch um einfach für die Menschen in der Welt da zu sein.

Als Christen sind wir in der heutigen Zeit manchmal versucht beim zweiten Schwerpunkt dieser vier Themenblöcke stehen zu bleiben. Wenn wir das Evangelium für uns entdeckt haben und damit von Gottes Geist beschenkt worden sind und dieses dann im Austausch mit anderen in der Gemeinde leben und in Gottesdiensten feiern, dann ist die Versuchung groß, damit zufrieden zu sein. In einer Gesellschaft, in der Kirchenmitgliedschaft nicht mehr selbstverständlich ist, man sich vielmehr dafür manchmal rechtfertigen muss, dass man

Christ ist und einer Kirche angehört, ist es oft mühsam, sich mit der Welt zu beschäftigen. Also warum dieser Themenblock: „Welt“ und – ich ergänze im Hinblick auf den heutigen Nachmittag und die Entsendung –  auch noch den Begriff „Stadt“?

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil das, liebe Schwestern und Brüder, unser Auftrag ist: die Welt wahrzunehmen und in dieser Welt als Christinnen und Christen unseren Glauben leben  – in der Welt und für die Welt!

Das Bild vom Salz der Erde und vom Licht der Welt, das Jesus in der Bergpredigt gebraucht, ist für mich dabei besonders eindrücklich. Das Salz auf einem Haufen wirkt nicht. Das Licht unter einem Scheffel leuchtet nicht. Erst wenn das Salz dort eingesetzt wird, wo es gebraucht wird, erst wenn das Licht sich aus dem geschlossenen Gefäß herausstrahlen kann, dann kann es seiner Bestimmung nachgehen und wirken.

Was das für uns heute bedeutet, darüber möchte ich mit Ihnen zusammen nachdenken.

Grundlage für dieses Nachdenken soll ein Bibeltext aus dem zweiten Brief des Paulus an die Korinther im 5. Kapitel, Verse 17-21, sein:

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (2. Kor. 5, 17-21)

Liebe Schwestern und Brüder,
diese Worte des Paulus wirken wie aus einer anderen Welt. Der Apostel Paulus schreibt von Liebe, von Versöhnung, von der neuen Kreatur, von der Gerechtigkeit, die von nun an herrscht.

Wir sind erschrocken und verunsichert über viele Entwicklungen in der Welt. Über die Reden von Staatspräsidenten, die anderen Staaten und Politikern Nazi-Vorwürfe entgegenbringen und dadurch Irritationen und Befremden auslösen. Über pauschales Schwarz-Weiß-Denken und nationalistisch, egoistische Positionierungen, die mühsam erworbene Freiheiten in der Welt wieder einschränken. Überlegungen, Mauern zu errichten statt Brücken zu bauen – Maßnahmen, die Entfremdung und Zwietracht bewirken. Über Gewalt im Nahen Osten, über islamistischen Terror, der auch vor Europa und Deutschland keinen Halt macht. Ja, wir sehnen uns für diese Welt nach dem, was Paulus schreibt. Aber wir erleben es global oft ganz anders.

Doch wie gehen wir als Christen mit diesen Entwicklungen in der Welt um? Lassen wir uns von ihnen deprimieren oder haben wir etwas, das wir dem entgegensetzen können? Wollen wir uns auf unsere Insel der Erlösten zurückziehen, oder wollen wir in die Welt hinausgehen und Hass und Zwietracht widerstehen? Wollen wir Salz auf einem Haufen und Licht unter einem Scheffel sein, oder wollen wir unserem Auftrag gemäß in der Welt als Salz wirksam sein und als Licht leuchten?  Der heutige Bibeltext gibt eine Antwort auf diese Frage: Gott hat die Welt durch Jesus Christus versöhnt. Diese Geschichte Jesu ist eine einzige große Versöhnungsgeschichte.

Da zieht ein Mann umher und predigt. Und allein durch sein Wort und durch seine unglaubliche Ausstrahlung gewinnt er die Herzen der Menschen. Wo Menschen Hass und Feindschaft säen, predigt er Liebe. Wo Menschen über andere richten und sie verurteilen, wirbt er für Barmherzigkeit. Wo Menschen leichtfertig leben, kündigt er Rechenschaft an. Wo Menschen an ihrer Schuld zu ersticken drohen, spricht er von Vergebung. Wo Menschen die Welt untergehen sehen, strahlt er Hoffnung aus. Die Menschen spüren: der Geist, der in diesem Prediger wohnt und in ihm zum Ausdruck kommt, ist der Geist Gottes selbst.

Und er wird zur Gefahr für die politischen und religiösen Autoritäten. Sie stellen ihm nach. Und weil sie ihm mit Worten nicht gewachsen sind, greifen sie zur Gewalt. Jetzt hätte eigentlich das passieren müssen, was dann immer passiert. Beide Seiten sammeln ihre Regimenter. Es kommt zum gewaltsamen Aufstand. Oder wenn im Volk keine Einigkeit herrscht, zum Bürgerkrieg, mit verschiedenen Kriegsparteien und zahllosen Opfern. Es gibt in der Passionsgeschichte eine Passage, in der deutlich wird, dass diese Möglichkeit durchaus bestanden hätte. Dass Jesus seine Anhänger hätte mobilisieren und seine Verhaftung hätte verhindern können.

Jesus hält sich mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane auf, als bewaffnete Leute heranrücken, um ihn festzunehmen – „eine große Schar mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes“ – so heißt es im Matthäusevangelium. Sie nehmen ihn fest. Einer von denen, die bei Jesus waren, so wird dann weiter berichtet, „streckte die Hand aus und zog sein Schwert und schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab.“

Da hätte er beginnen können, der Aufstand. Da hätte Jesus das Signal geben können, um seine Jünger gegen die drohende Verhaftung und Hinrichtung zu mobilisieren. Aber Jesus sagt: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte?“ (Mt 26,51-53).

Jesus wählt nicht den Weg der Gewalt. Er wählt nicht den Weg des Aufstands, des Kampfes oder des Krieges. Sondern er wählt den Weg der Gewaltfreiheit. Und er nimmt die Menschen in seinem Umfeld in diese Haltung mit hinein.

Die, die Jesus besonders lieb sind, stehen unter dem Kreuz. Seine Mutter, ihre Schwester, seine Jüngerin Maria Magdalena und – wie Johannes schreibt – „der Jünger, den er lieb hatte“.

Die verschiedenen Evangelien berichten von einem Jesus, der leidet, der mit dem Tod ringt und der am Ende einen Schrei der Gottverlassenheit ausstößt. So wie Menschen heute leiden, so wie sie heute dem Tod ausgeliefert sind, so wie sie heute an Gott verzweifeln. Sie berichten von einem Folteropfer, das sich an die Seite all der Folteropfer der Geschichte, all der Opfer sinnloser Gewalt von heute, stellt.

Die Kritiker nehmen an dieser Vorstellung Anstoß, weil es dabei um Gewalt geht. Dass Gott seinen Sohn hat sterben lassen, um unsere Sünden zu vergeben, erscheint ihnen als Akt der Willkür, ja Brutalität. Und sie sehen diese Vorstellung als unvereinbar mit dem liebenden Gott, von dem die Bibel erzählt. Wenn Blut fließen muss, wenn jemand sterben muss, damit unsere Sünden vergeben werden, dann zeigt sich darin nicht ein Gott der Liebe, sondern ein Gott der Willkür und Gewalt. Sie wehren sich gegen die alte, in der Theologie so wirksam gewordene Satisfaktionslehre des mittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury, nach der Christus sterben musste, um durch seinen Tod den Zorn Gottes über die Sünde des Menschen zu stillen und ihm Genugtuung zu verschaffen. Das Christentum friedensfähig zu machen, so sagen diese Kritiker, erfordert eine Reinigung seiner Glaubensinhalte von gewalthaltigen und gewaltlegitimierenden Inhalten.

Wenn wir das glauben würden, was die Kritiker der Sühnopferlehre hier beschreiben, dann könnte man ihnen nur Recht geben. Aber ich kenne heute keinen ernstzunehmenden Vertreter der Theologie, der eine solche Lehre noch vertritt.

Die Kritik an der Sühnopferlehre übersieht nämlich einen schlechthin entscheidenden Punkt. Wir glauben an Gott als den dreieinen Gott. Wenn wir einen großen Teil unseres Kirchenjahres am Trinitatisfest, also dem Fest der Dreieinigkeit Gottes, ausrichten, dann bekräftigen wir, wie entscheidend diese Dreieinigkeit Gottes für unseren Glauben ist. Gott opfert hier im Kreuzestod Jesu nicht einen anderen, um seine Rachsucht zu befriedigen. Gott opfert sich selbst. Die Gewalt gegen Jesus geht nicht von Gott aus, sondern die Gewalt geht von Menschen aus. Nicht Gott foltert seinen Sohn, sondern Gott erleidet in seinem Sohn die Folter selbst. Gott ist „der gekreuzigte Gott“ – wie es der große evangelische Theologe Jürgen Moltmann in einem berühmten Buchtitel zugespitzt formuliert hat.

Im sogenannten „Philipper-Hymnus“ heißt es über Christus: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,6-8).

Wer ernst nimmt, dass Gott hier selbst Opfer der Gewalt wird, der versteht, dass es hier gerade nicht um eine göttliche Legitimierung von Gewalt geht, sondern genau um das Gegenteil: um ihre Überwindung. Der Tod ist nicht das Ziel, sondern die faktische Konsequenz der Hingabe Gottes aus Liebe. Denn Gott wählt in Christus nicht den Weg der Gegengewalt, sondern den Weg der Gewaltfreiheit. Jesus wehrt sich nicht gegen die Gewalt der Menschen. Er nimmt die Folgen der Sünde der Menschen und damit die Sünden selbst auf sich. Aus reiner Liebe.

Was dann kommt, ist in seiner Sprengkraft ungeheuerlich. Die Gewalt hat nicht das letzte Wort. Das Leben siegt. Christus wird auferweckt.  Die Auferweckung Jesu macht dem Tod ein Ende. Sie bedeutet das endgültige Ende aller Menschenopfer, sie ist der endgültige Abschied von der Rechtfertigung der Gewalt.

Gleichzeitig eröffnet die Vorstellung vom Sühnopfertod Jesu Christi eine ganz neue Perspektive auf ein Problem, das nicht nur in der Theologie, sondern auch im Glaubensleben der Menschen eigentlich unlösbar scheint. Wie kann Gott ein liebender und ein gerechter Gott zugleich sein? Es gibt so viel Unrecht in der Welt.  Menschen fügen anderen Menschen unermessliches Leid zu. Kann das ohne Konsequenzen bleiben? Werden die Opfer ein zweites Mal ignoriert, wenn das Unrecht der Täter einfach ungesühnt bleibt? Wenn Gott gerecht ist, muss er die Täter nicht bestrafen?!

Wir sprechen von dem liebenden Gott, der den Menschen ihre Sünden vergibt, der keinen Menschen aufgibt, der an seinen Geschöpfen festhält. Können wir an diesem liebenden Gott festhalten, wenn wir gleichzeitig den strafenden, den sühnenden Gott denken?

Es geht hier um die Spannung zwischen Liebe und Gerechtigkeit Gottes. Die Sühnopfervorstellung gibt eine Antwort auf die mit dieser Spannung verbundenen Fragen, wie ich sie nirgendwo anders finde. Es ist ein faszinierender Gedanke, den Paulus hier entwickelt: Gott lässt die Sünde der Menschen, all das Unrecht, das damit verbunden ist, nicht ungesühnt.  Aber er sagt: ich nehme die Strafe selbst auf mich. So mündet die Gerechtigkeit in unermessliche Liebe, die uns frei macht von Unrecht und Schuld.

Wir dürfen aus der Freiheit eines Christenmenschen leben. Wenn ich mir klarmachen will, was da passiert, denke ich immer an eine Erfahrung aus meiner Zeit als Religionslehrer in der Hauptschule. Ein Schüler hatte den Unterricht wiederholt gestört. Das nächste Mal war ein Verweis fällig. Als ich erneut eine von ihm aus geschleuderte Papierkugel durch die Luft fliegen sah, war es so weit. Da meldete sich ein anderer und sagte: ich war‘s. Die Fakten lagen klar auf dem Tisch. Wer der Schuldige war, war unübersehbar. Aber ein anderer übernahm die Konsequenzen seiner Schuld stellvertretend. Wenn wir uns vorstellen, wie sich der eigentliche Täter gefühlt haben mag, wie erleichtert und befreit er gewesen sein muss und vielleicht auch ein wenig beschämt, dann bekommen wir eine Ahnung davon, wie befreiend es ist, dass wir unser ganzes Leben in dieser Perspektive sehen dürfen – so einfach und schlicht dieses Beispiel aus dem Unterricht auch sein mag. Ein anderer steht für uns ein und gewährt uns die Gnade, aus der allein wir leben dürfen. Allein durch die Schrift wissen wir davon. Und allein durch den Glauben eröffnet sich uns diese neue Welt.

Dieses Wissen, dass Jesus Christus für uns einsteht, hilft auch mit einer Frage umzugehen, die uns als Christenmenschen immer wieder gestellt wird, und die auch für viele von uns dringlich ist:

Die Frage: wo ist Gott angesichts von so viel Gewalt auf dieser Welt? – diese Frage ist durch Jesu Tod am Kreuz und seine darin zum Ausdruck gebrachte bedingungslose Liebe zu den Menschen beantwortet. Er ist mitten unter den Opfern der Gewalt. Er ist mitten unter denen, die angesichts des Todes ihrer Liebsten verzweifelt sind. Er ist mitten unter denen, die Angst haben, was als nächstes kommt. Er ist mitten unter denen, die sich jetzt vor der Ausbreitung von Hass und Menschenfeindlichkeit fürchten.

Er ist mitten unter uns.

Niemand unterschätze die Kraft, die davon ausgeht, dass der leidende, der gepeinigte, der gekreuzigten Christus jetzt mitten unter uns ist. Niemand unterschätze, was es heißt, dass derjenige jetzt mitten unter uns ist, der die Gewalt überwunden hat. Niemand unterschätze die Macht der Liebe, die unsere Herzen erreicht, wenn der jetzt unter uns ist, der diese Liebe mit seiner ganzen Person ausgestrahlt hat.

Weil Christus unter uns ist, reagieren wir nicht mit Hass auf Gewalt. Und wir überlassen nicht der Angst das Feld. Wir sollen Botschafter der Versöhnung sein für diese Welt. Nichts weniger als das schärft uns Paulus ein.

„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“

Was heißt das für uns heute?

Botschafter der Versöhnung sein, heißt, dass in allem, was an Maßnahmen notwendig ist, die Logik der Gewalt nicht Macht über unsere Herzen gewinnt. Botschafter der Versöhnung sein, heißt, die Angst zu überwinden und mit Kraft, Liebe und Besonnenheit zu reagieren. Botschafter der Versöhnung sein, heißt, vom Sieg des Lebens zu wissen und deswegen innere Freiheit zu gewinnen und aus der Zuversicht zu leben.

Der Blick ändert sich, wenn wir auf die Welt mit den Augen der Versöhnung schauen. Wir können sie nicht mehr in gut und böse einteilen. Wir können nicht mehr von der Welt sprechen, ohne von Schuld, Reue, Buße und Vergebung zu sprechen – nicht nur bei den anderen, sondern auch bei uns selbst. Wahre Versöhnung lässt diese Aspekte nicht aus. Denn wahre Versöhnung spricht das Trennende und die Verletzungen aus. So dass ein Neuanfang möglich ist. Dann erleben wir Versöhnung als etwas ganz Wunderbares.

In dem Lied „Wie ein Fest nach langer Trauer“, das viele von Ihnen sicher gut kennen, wird sehr eindrücklich beschrieben, wie Versöhnung empfunden wird. Einen kleinen Ausschnitt aus dem Lied möchte ich beispielhaft zitieren:

Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land.
Heimatklänge für vermisste,
alte Feinde Hand in Hand.
Wie ein Schlüssel im Gefängnis,
wie in Seenot - Land in Sicht.
Wie ein Weg aus der Bedrängnis
wie ein strahlendes Gesicht.

Wie ein Wort von toten Lippen,
wie ein Blick der Hoffung weckt.
Wie ein Licht auf steilen Klippen,
wie ein Erdteil neu entdeckt.
Wie der Frühling, wie der der Morgen,
Wie ein Lied wie ein Gedicht.
Wie das Leben, wie die Liebe,
Wie Gott selbst das wahre Licht

So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung, so ist vergeben und verzeih'n.

Ja, in diesen Versen wird ganz eindrücklich beschrieben, wie heilsam diese Versöhnung ist. Eine Versöhnung, die Gott durch Christus bewirkt.

Wir werden die Hoffnung nie aufgeben, dass durch die Kraft der Menschwerdung Gottes, durch die Versöhnungskraft Jesu Christi, selbst Unmenschen zu Menschen werden können.

Manchmal ist es gut, wenn man den griechischen Urtext neutestamentlicher Texte genau anschaut, um sie zu verstehen. „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber...“ – sagt Paulus. Da steht nicht: versöhnte die Frommen, da steht nicht: versöhnte die Christen, da steht nicht: versöhnte die Menschen guten Willens. Nein! Da steht: Gott versöhnte die Welt mit sich selber. Auf Griechisch: „ton kosmon“ – den ganzen Kosmos!! Dieser Satz – anders kann ich ihn nicht lesen – ist eine große Liebeserklärung an die Welt. Dieser Satz von der Versöhnung der Welt ist ein Aufruf, ganz in der Welt zu leben, die Welt mit neuen Augen zu sehen, sich für die Welt zu engagieren, sich dafür einzusetzen, dass die Botschaft von der Versöhnung sich ausbreitet zwischen Menschen, zwischen Völkern oder zwischen sozialen Klassen.

Von dieser Versöhnung zu erzählen ist unser Auftrag, liebe Schwestern und Brüder! Dies weiterzugeben ist wie eine neue Art von Erweckungsbewegung -  eine geistliche Bewegung, die die radikale Liebe zu Christus mit einer radikalen Liebe zur Welt verbindet. An der Liebe zur Welt und an der liebenden Zugewandtheit zu konkreten Menschen unabhängig von ihren religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen entscheidet es sich: Geht es wirklich um radikale Christusliebe oder geht es nur um Bekenntnisformeln, denen es an Authentizität fehlt?

Für die Frage, ob es uns als Christen, ob es der Kirche gelingt, neue Ausstrahlungskraft zu entwickeln, ist es von entscheidender Bedeutung, ob sie wirklich aus den Quellen lebt, auf denen ihre Identität gründet. „Sola Scriptura“ – allein aus der Schrift – hat Martin Luther die Identitätsgrundlagen der Kirche begründet. Die Authentizität der Kirche – so sagen wir aus evangelischer Überzeugung - lebt aus der biblischen Tradition.

Wir Christen nennen uns nach einem, der als Gewaltopfer gestorben ist. Wir Christen sind an die Seite derer gestellt, die heute Gewalt erleiden. Und wir Christen leben von der Versöhnungsbotschaft. Wir hören sie manchmal selbst nicht. Aber wir lassen uns immer wieder von neuem von ihr rufen.

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Diese Welt ist nicht verloren. Sie wartet darauf, dass die neue Kreatur sichtbar wird.

Das, liebe Schwestern und Brüder soll in diesen Zeiten für uns leitend sein. Wir dürfen darauf vertrauen, dass diese Welt nicht verloren ist, sondern dass Gott sie in Christus mit sich versöhnt hat. Dass es eine Zukunft für diese Welt gibt. Und das ist auch der Grund, warum wir uns nicht zurückziehen, sondern uns in die Welt begeben. Dass wir die radikale Liebe Jesu Christi leben und der Stadt und der Welt bestes suchen. Dafür schenke uns Gott seinen Segen!