Statement anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des Ökumenischen Berichts zur Religionsfreiheit von Christen weltweit
Dr. Theodor Rathgeber, Deutsche Bischofskonferenz
Ergebnisse
Seit 2007 lässt sich ein eindeutiger Trend nachweisen, wonach Verletzungen des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit beständig zugenommen haben. Solche Verletzungen und Bedrohungen des Freiheitsrechts sind entweder Ergebnis staatlichen Handelns oder sozialer Anfeindungen, die von staatlichen Organen nicht unterbunden oder gar befördert worden sind. Dies betrifft Angehörige aller Religionen, darunter Sikhs, Juden, Hindus, Animisten, Angehörige traditioneller afrikanischer oder chinesischer Religionen oder indigener Völker sowie Minderheiten wie die Ahmadiyya oder die Zeugen Jehovas. Gleichwohl sind Christen und Muslime nicht zuletzt aufgrund ihrer Gesamtzahl am häufigsten betroffen. Christen (32 Prozent) und Muslime (23,4 Prozent) umfassen zusammen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.
Christen wurden im Zeitraum seit 2007 in 111 Ländern bedrängt und verfolgt. Sie werden vor allem dann an der Ausübung ihrer Religion gehindert, wenn sie Angehörige von Minderheiten und nicht traditionell ansässig sind, als „fremd“ gelten und im Rufe stehen, einflussreiche Kontakte zum Ausland zu pflegen – und so vermeintlich in die Lage kommen, das bisherige Macht- und Beziehungsmuster in der Gemeinde, dem Bezirk oder der Nation zu verändern. Unter solchen Bedingungen leben etwa 10 bis 13 Prozent der christlichen Glaubensgemeinschaften. Davon wiederum konzentrieren sich 80 Prozent auf wenige Länder, wie etwa China, Indien, Indonesien, Südkorea, Elfenbeinküste, Vietnam, Tschad, Ägypten oder Kasachstan.
Am stärksten von Einschränkungen der Religionsfreiheit betroffen sind der Mittlere Osten und Nordafrika. Ein hohes Maß an Einschränkungen wird ebenfalls für die Region Asien-Pazifik gemessen; bedingt u. a. durch autoritär regierte Länder wie China und Myanmar. In der Region Subsahara wird eine allgemeine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen gemessen, die dann auch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit beeinträchtigt. Die kritische Lage der Religions- und Glaubensfreiheit in einigen Ländern Osteuropas bedingt, dass die Region Europa nur einen Platz im Mittelfeld einnimmt. Auch restriktive Maßnahmen westeuropäischer Länder gegen Gruppen, die als gefährlich oder sektiererisch gelten, haben die Bewertung negativ beeinflusst. Die Gesamtregion Amerika schneidet am besten ab. Insgesamt ist der Schluss zulässig, dass schwere, systematische und massive Beeinträchtigungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vor allem in solchen Regionen und Ländersituationen auftreten, in denen autoritäre Systeme insgesamt dissidente Minderheiten daran hindern, für sich selbst und ihre Angelegenheit einzutreten. Davon ist eine zahlenmäßige Minderheit unter Christen betroffen.
Es ist legitim und wichtig, über die Bedrängung und Verfolgung von Christen zu berichten und die Schwere verletzter Rechte zu dokumentieren. Ob es eine generelle, typische Verfolgungssituation für Christen gibt, die sich fundamental von derjenigen gegenüber anderen Religionen unterscheidet, lässt sich weder mit einem eindeutigen Ja noch Nein beantworten. Die Verfolgung und Bedrängung von Christen ist auf jeden Fall dort in hohem Maße gegeben, wo auch die Freiheit anderer Religionen und insgesamt Freiheitsrechte missachtet werden. Nicht jeder Konflikt, in dem Christen zu Schaden kommen, wurzelt andererseits im Glaubensbekenntnis, auch wenn religiöse Motive im Vordergrund des Konflikts stehen. Die Länderbeispiele lassen erkennen, dass die Konkurrenz um Ressourcen, Vergünstigungen oder um einen gesellschaftlichen Status mittels Konflikten um die Religionsfreiheit ausgeführt werden.
Zur Methodologie
Die vorliegende Studie erfasst die Lage verfolgter und bedrängter Christen auf der Grundlage menschenrechtlicher Kriterien. Hier liegt ein normatives Instrumentarium vor, das aufgrund seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit Anspruch auf universelle Gültigkeit stellt, das eine international anerkannte Terminologie und eine unabhängige Kontrolle zum Inhalt hat. Dieser Anspruch besagt, dass der öffentliche, gesellschaftliche Raum durch staatliches Handeln so gestaltet werden muss, dass ein Höchstmaß an freier, individueller Entscheidung über eine (oder auch keine) Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung ermöglicht wird. Zentral sind im Rahmen der vorliegenden Studie dabei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über die zivilen und politischen Rechte sowie die Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung.
Mit Hilfe des menschenrechtlichen Instrumentariums lassen sich Verletzungen und Gefährdungen des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit kontextgerecht und differenziert nach Schwere, Umfang, Trends und Dynamik darstellen. Ebenso wird der Frage nachgegangen, inwieweit Einschränkungen des Freiheitsrechts gegebenenfalls zulässig sind.
Restriktionen und Konflikte
Der vorliegende Bericht wendet den Begriff der Einschränkung in zweifacher Weise an: Einschränkungen (Restriktionen, Verbote) als Ergebnis gesetzgeberischer Tätigkeit und von Regierungshandeln oder als Ergebnis nichtstaatlicher Einwirkung auf Gläubige oder eine Glaubensgemeinschaft. In 64 Ländern, d. h. in rund einem Drittel aller Staaten sind erhebliche Einschränkungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit nachweisbar. Darunter befinden sich Länder mit hoher Bevölkerungszahl; China, Indien, Pakistan, Indonesien oder die Russische Föderation. D. h. rund 70 Prozent der Weltbevölkerung unterliegen einem hohen oder sehr hohen Maß an Restriktionen.
Lediglich vier Prozent der Staaten beschränken die Religionsfreiheit per Verfassung. Hingegen bedroht ‚normales‘ Regierungshandeln die Religionsfreiheit in vielerlei Form: gesetzgeberische Maßnahmen, politische Programme, Verwaltungshandeln (z. B. Schulcurricula), Bevorzugungen, Subventionen und Privilegien bestimmter Religions-gemeinschaften, Vorschriften zur Registrierung und amtlichen Bestätigung.
Nicht-staatliche Akteure feinden andere Religionsgemeinschaften an, be- oder verhindern die Ausübung des Glaubens, das Abhalten von Gottesdiensten, Prozessionen oder das Werben für den eigenen Glauben. Solche Aktionen (z. B. in Indien, Indonesien oder Nigeria) sind in der Regel nur möglich, wenn staatliche Sicherheitskräfte nicht vor Ort sind, bei Übergriffen auffällig zu spät kommen oder tatenlos zuschauen. Rivalitäten zwischen Religions-gemeinschaften beeinträchtigen ebenfalls die freie Ausübung der Religion. So macht sich die russisch-orthodoxe Kirche dafür stark, die Zulassung neuer Religionsgemeinschaften zu limitieren.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass mit einem (sehr) hohen Maß an Restriktionen durch Regierungshandeln in der Regel ein (sehr) hohes Maß an Einschränkungen durch soziale Anfeindungen einhergeht. Soweit eine Regierung eine Religion favorisiert, einen Religionswechsel verbietet oder faktisch verhindert, mit Gewalt gegen Glaubens-gemeinschaften vorgeht oder erkennbar untätig bleibt, ermuntert dies in hohem Maße feindliche Aktionen nicht-staatlicher Gruppierungen.
Lösungsorientierungen
Die vorliegende Studie bettet die Bedrängung und Verfolgung von Christen in den politischen, sozialen und juristischen Kontext, in die Auseinandersetzungen um Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte ein. Dies soll dazu beitragen, Stereotypen und Vereinfachungen zu vermeiden sowie den Blick auf potentielle Verbündete zu richten, um perspektivisch die Gefährdungslagen überwinden und Abhilfe schaffen zu können. In aller Regel gelten Restriktionen nicht spezifisch für Christen, sondern zeigen ein gesellschaftliches Milieu an, in dem andere, als dissident empfundene, religiöse Gemeinschaften wie auch religionsungebundene Vereinigungen in vergleichbarer Weise betroffen sind.
So haben sich Initiativen und Bündnisse gebildet, um über konfessionelle und religiöse Grenzen hinweg Bedrohungen und Verfolgungen nicht nur bei evangelischen, protestantischen und katholischen Christen abzuwehren sondern auch bei tibetischen Buddhisten, Bahai’s aus dem Iran, Uighuren aus dem Westen Chinas oder gemäßigten Muslimen in vielen Ländern der Welt, die eine Radikalisierung und fundamentalistische Auslegung ihrer Religion fürchten.
Die Studie will dazu beitragen, das sich christliche Glaubensschwestern und -brüder religionsübergreifend für rechtsstaatliche Verhältnisse und umfassend für alle Menschenrechte einsetzen sowie an einem friedlichen Miteinander der Religionen bauen.