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Die augenblickliche Finanz- und Staatsschuldenkrise hat gravierende Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Europa und weltweit. Gerade die sozial Schwächsten trifft die Krise besonders hart, viele fürchten um ihre Existenzgrundlage. Jungen Menschen in ganz Europa kann keine Hoffnung auf eine berufliche Perspektive geboten werden, ältere Menschen müssen in den Krisenstaaten schwere, soziale Einschnitte, wie beispielsweise Rentenkürzungen oder Kürzungen bei der Sozialhilfe, hinnehmen.*
*Wie auch der Ratsvorsitzende Präses Dr. Schneider in seinem Ratsbericht vor der EKD-Synode in Magdeburg herausstellte, sind von den Auswirkungen der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise die Armen am Stärksten betroffen ("Ein Haus aus lebendigen Steinen", Ratsbericht: Nikolaus Schneider vor der 11. EKD-Synode in Magdeburg, 6. November 2011).
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Die von den Krisenstaaten ergriffenen Reformen sind sozial unausgeglichen. Ein höherer Beitrag der Besserverdienenden, des Privatsektors und der privaten Vermögen ist auch vor dem Hintergrund der Erhaltung des sozialen Friedens und des sozialen Zusammenhalts innerhalb der EU dringend geboten. Im Europäischen Kontext liegt die Gefahr vor allem in dem Umstand, dass größere Mitgliedstaaten für die Reformen und deren Zwangscharakter verantwortlich gemacht werden. Darüber hinaus werden sich die extremen Kürzungen beispielsweise in Bildung und Forschung langfristig negativ auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirken. Auf diesen zentralen Aspekt hat die Synode der EKD in ihrem Beschluss zur sozialen Dimension der europäischen Schuldenkrise vom 9. November 2011 hingewiesen.
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Nach europäischer Wertevorstellung sind Demokratie und Rechtstaatlichkeit keine formalen Prinzipien, sondern Grundpfeiler einer friedlichen und freiheitlichen Gesellschaftordnung. Sie sind von fundamentaler Bedeutung für eine nachhaltige Bewahrung des europäischen Projekts der Völkerverständigung. Die Souveränität nationalen Parlamente als Vertreter der Bevölkerung muss respektiert werden, insbesondere um Akzeptanz für die harten Sparmaßnahmen in den Krisenstaaten zu gerieren. Auf europäischer Ebene sollte angedacht werden, wie das Europäische Parlament in eine koordinierte Europäische Wirtschaft- und Währungspolitik einbezogen werden kann. Die potentiell negativen Folgen der Krise für den Zusammenhalt der Völker in Europa und die demokratische Kultur Europas lassen sich besonders an dem Erstarken europafeindliche, fremdenfeindliche und nationalistischer Parteien erkennen. Die Kirchen können hier besonderer in ihrer Rolle als integrative, übernationale Kraft einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Einheit in Vielfalt leisten und zur Versachlichung der Debatte beitragen.
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Der isolierte Blick der augenblicklichen Debatte auf die Staatsverschuldung verdrängt den zweiten wesentlichen Problemkreis, die private Finanzindustrie. Der Umstand, dass harte Einschnitte für die Bevölkerungen möglich, eine Steuer von 0,01 Prozent auf Finanztransaktionen aber in Europa nicht konsensfähig ist, sollte Anlass zu tiefer Reflektion geben. Diesbezüglich sei insbesondere auf die Äußerungen des Ratsvorsitzenden der EKD Präses Dr. Nikolaus Schneider zur gegenwärtigen Finanz- und Schuldenkrise unter dem Titel "Was nicht im Dienst steht, steht im Raub" verwiesen. Der Ratsvorsitzende hebt darin deutlich hervor, dass es dem "…Prinzip der Gerechtigkeit widerspreche, wenn die Gewinne Akteuren an den Finanzmärkten zugutekommen, die Risiken aber von der Gesellschaft insgesamt und in der Gesellschaft auch von den Schwächsten getragen werden müssen." Eine Rückbesinnung auf die dienende Funktion der Wirtschaft generell muss als zentrale Orientierung für den Weg aus der Krise fruchtbar gemacht werden.*
*Präses Dr. Schneider in der oben zitierten Äußerung "Was nicht im Dienst steht, steht im Raub": "Wie die Realwirtschaft hat auch die Finanzwirtschaft für die Gesellschaften eine dienende Funktion: Ihre Kernaufgabe ist es, den Geldverkehr für den Austausch von Gütern wahrzunehmen, Rücklagenbildungen zu organisieren und Geldmittel für Investitionen bereitzustellen. Die staatlichen Ordnungen haben die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen, die Risiken den Verantwortlichen zuzuordnen und geordnete Finanzmärkte zu ermöglichen."
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Die isolierte Argumentation mit der Alternativlosigkeit der ergriffenen Maßnahmen verengt die Diskussion um mögliche Lösungsansätze. Begannen die Rettungsmaßnahmen mit bilateralen Krediten an Griechenland in Höhe von 100 Millionen, stehen inzwischen Kombinationsmodelle des ESM, EFSF sowie IWF im Raum, die das Rettungsvolumen auf 1,5 Billionen erhöhen sollen. Die von der EZB den Märkten zur Verfügung gestellten Milliarden noch nicht eingerechnet. Angesichts des Umstandes, dass sich die Situation seit über zwei Jahren nicht beruhigt, sondern noch verschlechtert hat, sollte ernsthaft über Alternativen nachgedacht werden. Die betroffenen Mitgliedstaaten müssen eine entschiedene Haushaltskonsolidierung betreiben, die jeden Teil der Gesellschaft je nach Leistungsfähigkeit belastet und sich an dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit messen lässt (Synode der EKD, Beschluss zur sozialen Dimension der europäischen Schuldenkrise, 9. November 2011). Ein harter Stabilitätspakt, der die nationale Souveränität respektiert, sollte effektiv umgesetzt werden. Der Finanzsektor muss nachhaltig reguliert werden, um Schwankungen, die ganze Länder in gravierende Krisen stürzen, entgegenzuwirken. Besonders die heutige internationale Verquickung und damit verbunden Ansteckungsgefahr machen Finanzkrisen deutlich gefährlicher, so dass auch die Kontrollmechanismus entsprechend effektiver auszugestalten sind. Mittel dafür wären beispielsweise die von den Kirchen seit Langem geforderte Finanztransaktionsteuer, härtere Eigenkapitalvorschriften für Banken sowie effektivere Kontrollorgane für Finanzprodukte und den Finanzsektor generell.