Vortrag „Europäische Migrations- und Asylpolitik: Eckpunkte, Entwicklungen, Perspektiven“ bei der Evang.-Luth. Kirche in Bayern

OKR'in Katrin Hatzinger, München

Sehr geehrter Herr Landesbischof,
sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank an Dieter Breit für die freundliche Einladung nach München und die Gelegenheit, heute zu Ihnen zu sprechen. Das Thema des heutigen Nachmittags ist sehr vielschichtig und komplex. Angesichts dessen gelingt es mir hoffentlich, Ihnen einen Überblick über die bestehende Rechtslage zu geben, ohne in zu viele technische Details abzugleiten und gleichzeitig Handlungsoptionen für die Kirchen aufzuzeigen.

Mit dem Vertrag von Amsterdam ist 1997 das Ziel formuliert worden, einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen und die Asyl- und Migrationspolitik von der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in die Gemeinschaftskompetenz zu überführen. Seit auf dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Tampere im Oktober 1999 ein verbindlicher Fahrplan ("Tampere-Programm") für die Entwicklung einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik beschlossen wurde, haben sich in Brüssel umfangreiche Gesetzgebungsaktivitäten entwickelt, die in den folgenden Fünf-Jahres-Programmen von Den Haag und Stockholm fortgesetzt worden sind. Bei kritischer Betrachtung dieser Programme zur Asyl- und Migrationspolitik der EU kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass im "Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts" das Schwergewicht auf den Aspekt der Sicherheit gelegt wird und Europa sich angesichts der vermeintlichen terroristischen Bedrohungen und der hohen Arbeitslosenzahlen in Zeiten der Krise weiter nach außen abschottet, anstatt Hilfesuchenden eine Perspektive zu eröffnen. Der Weg hin zu einer echten gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik gestaltet sich langwierig und schwierig, da durch national unterschiedliche historische Erfahrungen, Problemlagen und politische Strukturen der Mitgliedstaaten die Interessenslagen selten deckungsgleich sind. Eine Asyl- und Einwanderungspolitik im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht muss deshalb immer wieder angemahnt werden, auch und gerade durch die Kirchen.

Das EKD-Büro Brüssel arbeitet dazu seit Jahren gemeinsam mit anderen christlichen Organisationen wie Caritas Europa, der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME), der Kommission der Bischofskonferenzen (COMECE), dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS), den Quäkern und der Internationalen katholischen Kommission für Migration (ICMC) zusammen und kommentiert und analysiert die aktuelle Gesetzgebung in Stellungnahmen an die EU-Institutionen. Daneben ist die Gruppe auch Teil der "NGO platform on asylum and migration", einem Zusammenschluss, dem u.a. auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), Amnesty International, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und andere Menschenrechtsorganisationen angehören. Als Vertretung der EKD setzen wird uns vis-à-vis den Institutionen immer wieder für eine menschenwürdige Politik gegenüber Flüchtlingen und Migranten ein. Durch Berichte aus der Praxis, die Eingabe von Änderungsanträgen, Beratung der Kommissionsdienststellen oder Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung suchen wir den Kontakt mit den politisch Verantwortlichen und speisen kirchliche Positionen in den politischen Prozess ein.

  1. Europäische Migrationspolitik

    In einem ersten Teil meines Vortrags möchte ich zunächst auf die bestehenden Elemente einer europäischen Migrationspolitik eingehen:

    Der europäische Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten (Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsfreiheit) ermöglicht EU-Bürgern uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit, das heißt die freie Binnenmigration, um in einem anderen EU-Staat eine Beschäftigung aufzunehmen. Der Zugang für Drittstaatsangehörige zu den nationalen Arbeitsmärkten wird wiederum weitestgehend auf der nationalen Ebene geregelt. Seit dem Vertrag von Amsterdam (1997) existieren Bestrebungen, auch diesen Politikbereich unionsweit einheitlich zu regeln. Bisher sind diese jedoch weitestgehend erfolglos geblieben, obwohl es von der Europäischen Kommission immer wieder Vorstöße gegeben hat, auch die legale Zuwanderung und die Integration europäisch zu regeln. Die Ergebnisse sind aber bislang wenig überzeugend. 2009 ist die sog. "Blue-Card"-Richtlinie (2009/50/EG) verabschiedet worden. Ursprünglich als europäisches Pendant zur US-amerikanischen "Green Card" geplant, um hochqualifizierten Arbeitnehmern eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in der EU zu bieten, ist nach zähen Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten lediglich ein Kompromiss herausgekommen. Wenig überraschend, dass die "Blaue Karte" bislang noch nicht den erhofften Ansturm von Fachkräften nach Deutschland gebracht hat. Statt eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild gibt es ein zwar vereinfachtes, aber immer noch komplexes und bürokratisches Zugangssystem, das offenbar eher abschreckt als anzieht. Dazu kommt noch eine auch von Bundespräsident Gauck im Januar bei einem Besuch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg bemängelte fehlende Willkommenskultur für Zuwanderer in Deutschland. Die "Blaue Karte" können Hochschulabsolventen aus Staaten außerhalb Europas erhalten, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit einem Arbeitgeber in Deutschland mit einem Gehalt von mindestens 44.800 Euro im Jahr vorlegen. In Berufen, in denen bereits jetzt Fachkräftemangel herrscht, wie bei Ärzten oder Ingenieuren, liegt die Gehaltsschwelle niedriger, bei 35.000 Euro. Schließlich ist ein Aufenthalt von bis zu sechs Monaten zur Arbeitssuche möglich, wenn die Fachkräfte ihren Lebensunterhalt in dieser Zeit selbst tragen.

    Neben der "Blue Card" gibt es noch eine Reihe von Richtlinien, die den Aufenthalt von Studierenden (2004/114/EG) und Forschern (2005/71/EG) regeln, in den Verhandlungen sind weiterhin die Vorschläge zu Einreise und Aufenthalt von Saisonarbeitnehmern (KOM (2010) 378 endgültig) und zu konzerninternen Entsandten (KOM (2010) 379 endgültig). Schließlich regelt die sog. Richtlinie Daueraufenthalt (2003/109/EG), unter welchen Voraussetzungen Ausländer aus Drittstaaten einen Daueraufenthalt erwerben können und die Familienzusammenführungsrichtlinie (2003/86/EG) die Voraussetzungen für den Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen. Nach Aussage der Europäischen Kommission stellte in den vergangenen 20 Jahren die Familienzusammenführung einen der wichtigsten Gründe für die Einwanderung in die EU dar.

    Eine Studie des "Immigrant Council of Ireland" vom März 2013 untersucht, ob die in den letzten zehn Jahren seit Verabschiedung der Richtlinie eingeführten neuen Regelungen die Familienzusammenführung eher fördern oder eher behindern. Die vielen "kann-Bestimmungen" der Richtlinie eröffnen den Mitgliedstaaten hier einen großen Ermessensspielraum. Dabei wurde festgestellt, dass die Rechte für die Zusammenführung von Drittstaatsangehörigen mit ihren Familienmitgliedern in den untersuchten Staaten stark eingeschränkt worden sind. Neben den bisherigen bürokratischen und finanziellen Hürden, die die Einwanderer nehmen mussten, um ein Visum zu erhalten, sind jetzt neue Beschränkungen hinzugekommen, wie höhere Einkommensvoraussetzungen, Einbürgerungstests und gestiegene Sprachanforderungen und höhere Mindestalter für Nachziehende. Nach Umsetzung der Richtlinie in den untersuchten Mitgliedsstaaten (Deutschland, Österreich, Niederlande, Portugal, Irland und Vereinigtes Königreich) gingen die Bewerberzahlen für Familienzusammenführung signifikant zurück. Angesichts der Tatsache, dass die Richtlinie das Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) fördern und die Einheit der Familie schützen will, indem sie das Recht auf Familienzusammenführung anerkennt, wirft diese Staatenpraxis viele Fragen auf.

    Während es in Hinblick auf die legale Migration also weiterhin an einem umfassenden rechtebasierten Politikansatz hapert, ist in Sachen gemeinsamer Schutz der Außengrenzen, Bekämpfung der illegalen Einwanderung und gemeinsamer Abschiebungspolitik in den letzten Jahren viel erreicht worden. Die Grenzschutzagentur FRONTEX wächst weiter und wird mit immer neuen Befugnissen ausgestattet, erfreulicherweise gehört der Schutz der Menschenrechte zumindest laut revidiertem Verordnungstext mittlerweile auch dazu, eine Menschenrechtsbeauftragte wurde 2012 ernannt. Zudem wurde ein Beratungsgremium zu Menschenrechten ("Consultative Forum") etabliert.

    Mit der umstrittenen Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) hat man 2008 gemeinsame Normen und Verfahren für die Abschiebepolitik in der EU verabschiedet, dazu zählt immerhin auch ein effektives Abschiebe-Monitoring.

    Kurzes Zwischenfazit: Es fällt den Mitgliedstaaten also wesentlich leichter, sich über gemeinsame Abwehrmaßnahmen zu verständigen, als gemeinsame Aufnahme zu organisieren. Auch das ist leider ein Stück europäische Realität.

    Erlauben Sie mir am Ende meiner Ausführungen zur europäischen Einwanderungspolitik noch einige Anmerkungen zu der Freizügigkeit rumänischer und bulgarischer Arbeitnehmer, die ab 2014 vollumfänglich gelten soll, in Deutschland und anderen Ländern aber unter dem Stichwort "Armutszuwanderung" Ängste und Vorurteile schürt. Zum einen handelt sich auch bei Rumänen und Bulgaren zunächst um EU-Bürger, die kommen. Zum anderen hat die Erfahrung mit den Arbeitnehmern aus Polen gezeigt, dass wir keinen Massenansturm erlebt haben, als deren Freizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 in Deutschland galt. Ähnliches wird sich auch hier wiederholen, auch weil ein Großteil der Menschen bereits hier ist: Fachkräfte, Azubis, Akademiker. Insgesamt sind rumänische oder bulgarische Zuwanderer im Übrigen nicht häufiger arbeitslos als andere Osteuropäer. Auch bei vielen Sinti und Roma handelt es sich im Übrigen um EU-Bürger. Deshalb sind Differenzierungen in der Debatte angebracht. Aber der neueste Vorstoß zielt unmittelbar auf sie ab. Innenminister Friedrich fordert diese Woche gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Österreich, den Niederlanden und Großbritannien in einem Brief an die irische Ratspräsidentschaft, Ausweisungen und Wiedereinreiseverbote gegen EU-Bürger zu verhängen, die sich "betrügerischen Zugang zu den Sozialsystemen eines anderen Mitgliedstaates verschaffen". Friedrich fordert deshalb eine "gemeinsame Interpretation" der EU-Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG), um systematischem Missbrauch entgegenwirken zu können. Missbrauchstatbestände und mögliche Sanktionen sollten von der Kommission ausgearbeitet werden. Minister Friedrich und seine Mitstreiter sägen mit diesem Vorstoß in populistischer Art und Weise an einem Fundament der europäischen Einigung, der Arbeitnehmerfreizügigkeit - eine der Grundfreiheiten, die durchaus im Bewusstsein des sozialen Gefälles in der EU eingeführt worden ist. Die EU-Kommission stellte jüngst in Abrede, dass sich ein derartiger "Sozialleistungstourismus" in signifikantem Umfang belegen lasse und forderte Zahlen und Fakten, abgesehen davon, dass bereits heute entsprechende Regelungen bestehen, um Missbrauch vorzubeugen. Diese sollten zunächst voll ausgeschöpft werden.

    Hohe Integrationskosten für Roma-Familien (Zugang zu Gesundheitsleistungen, Wohnraum, Kleidung etc.), wie im Winter von dem Deutschen Städtetag beklagt, stellen sicherlich ein ernstzunehmendes Problem dar. Es arbeitet im Übrigen gerade eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe daran, Rumänien und Bulgarien bei der Aktivierung von Mitteln des Europäischen Sozialfonds zu helfen, um Integration vor Ort zu befördern. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass die EU die Situation der Sinti und Roma schon länger in den Blick genommen und die Notwendigkeit zu handeln erkannt hat. Die 2011 verabschiedete Roma-Strategie (EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020) zeigt gangbare Wege auf, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu wehren und Integration vor Ort zu stärken mit Hilfe der Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, doch es mangelt am Umsetzungswillen der Mitgliedsstaaten. Interessant ist auch, dass Deutschland bis zum letzten Winter zum Thema Sinti und Roma auf europäischer Ebene nicht sonderlich aktiv war. Das hat sich seit dem Anstieg der Asylgesuche aus Serbien und Mazedonien im letzten Winter geändert. Doch Dramatisierungen, Verschärfungen oder gar die Aushebelung des Freizügigkeitsgrundsatzes können nicht die richtigen Antworten auf die neuen Herausforderungen sein. Die Rhetorik von der massenhaften Armutseinwanderung in Sozialsysteme und von "Sozialschmarotzern" spielt im schlimmsten Fall sogar Extremisten in die Hände. Der Wintererlass des Landes Schleswig-Holstein, Roma-Familien bis März 2013 nicht zurückzuschieben, hat sich jedenfalls nicht als Pull-Faktor erwiesen. Es ist deshalb an uns Kirchenvertretern, für eine differenzierte und sachliche Debatte einzutreten und gegen ein solches politisches Brandstifterwesen dezidiert Einspruch zu erheben. Europa ist aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise in schwieriges Fahrwasser geraten, die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist gerade in diesen Zeiten eine große Errungenschaft der europäischen Einigung, die aktuell vielen jungen Spaniern, Griechen und Spaniern eine berufliche Perspektive im europäischen Ausland ermöglicht und dem Fachkräftemangel entgegenwirkt. Wir sollten uns deswegen dagegen verwehren, diesen Grundsatz leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
     
    2. Europäische Asylpolitik

    Gestatten Sie mir nun einige Ausführungen zum Sachstand der europäischen Asylpolitik: 2005 war die erste Phase der Harmonisierung des europäischen Asylrechts abgeschlossen. Ihr Ziel bestand darin, auf Grundlage gemeinsamer Mindeststandards die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Flüchtlingsschutz in den Mitgliedstaaten anzugleichen. Dazu wurden vier Rechtsinstrumente geschaffen und zwar die Richtlinie Aufnahmebedingungen (2003/9/EG), die Richtlinie zum Asylverfahren (2005/85/EG), die Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG) und die Dublin-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Allerdings sind diese Mindeststandards bis zum heutigen Tag immer noch nicht in allen EU-Staaten umgesetzt. Das führt dazu, dass meine Chancen als irakischer Flüchtling in Deutschland anerkannt zu werden wesentlich höher sind als z.B. in Griechenland.

    Trotz dieses Mankos verständigten sich die Mitgliedstaaten im Stockholmer Programm darauf, eine zweite Phase der Harmonisierung einzuleiten und bis Ende 2012 ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem zu schaffen, das Zugang zu einem effektiven Asylverfahren bietet und auf Solidarität und Verantwortung beruhen sollte. Die Hoffnungen auf einen grundlegenden Abbau von Schutzlücken war anfangs sehr groß, kann doch das Europäische Parlament seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Ende 2009 im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik gleichberechtigt mitentscheiden. Leider blieb der große Wurf aber aus.

    Mit Sorge beobachten wir, dass die Asyldebatte immer stärker unter Sicherheitsaspekten geführt wird und Schutzsuchende kriminalisiert werden. Zudem werden in Zeiten wirtschaftlicher Not Flüchtlinge und Migranten in erschreckendem Ausmaß Zielscheibe von rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffen.

    Deutschland hat die Debatten bedauerlicherweise von Anfang an nicht sehr konstruktiv begleitet und sah durch die Vorschläge der EU-Kommission die "Errungenschaften" des nationalen Asylsystems in Frage gestellt. Die Fronten zwischen der EU-Kommission und Deutschland (Innenministerium) sind zudem verhärtet. Fakt ist, dass die EU-Kommission in der Vergangenheit ihre Rolle als Hüterin der Verträge nur unzureichend wahrgenommen hat und die fehlende oder zumindest mangelhafte Umsetzung des Asylacquis in Ländern wie Italien, Malta, Ungarn und v.a. Griechenland zu lange ignoriert hat. Das politische Klima der Verhandlungen litt zudem unter der einbrechenden Finanz- und Wirtschaftskrise, die das Schüren von Angst vor Asylsuchenden und deren Diffamierung als "asylum shopper" wieder salonfähig machte. Jede avisierte Stärkung der Rechte Schutzsuchender wurde gleich als Einladung an Schlepper und Menschenhändler fehl interpretiert, Wirtschaftsmigranten mit unrealistischen Versprechungen in die EU zu locken. Dabei ändert sich für das deutsche Asylsystem durch die Überarbeitung der bestehenden Asylrechtsinstrumente im Ergebnis recht wenig.

    Am 27. März diesen Jahres ist nun im sog. Trilogverfahren zwischen den Institutionen einen Einigung über das Asylpaket erreicht worden. Das Europäische Parlament, die Europäischen Kommission und die jeweilige Ratspräsidentschaft verhandeln dabei weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dieses Verfahren ist nicht nur aus demokratischer Sicht höchst problematisch, sondern erschwert auch die Begleitung des Gesetzgebungsverfahrens durch Kirchen und Zivilgesellschaft.

    Die Europäische Kommission legte ab 2008 eine Reihe von Vorschlägen vor, um die Asylstandards in der EU zu erhöhen, Gesetzeslücken zu schließen und die Rechtsprechung von Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte umzusetzen. Auf diese Vorschläge und darauf, was aus ihnen geworden ist, möchte ich im Folgenden schlaglichtartig eingehen:

    Einer dieser Vorschläge betraf die sog. Dublin-II-Verordnung. Grundgedanke dieser Verordnung ist, dass jeder Asylsuchende nur einen Asylantrag innerhalb der Europäischen Union stellen können soll. Grundsätzlich ist der Mitgliedstat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, der die Einreise veranlasst bzw. nicht verhindert hat. Stellt der Asylsuchende dennoch in einem anderen Mitgliedstaat seinen Asylantrag, wird kein Asylverfahren durchgeführt und der Asylsuchende ohne substantiierte Prüfung seines Antrags in den zuständigen Staat rücküberstellt.

    Das Funktionieren der Verordnung setzt also voraus, dass die Asylgesetze und -praktiken der teilnehmenden Staaten nicht nur auf gemeinsamen Standards beruhen, sondern auch tatsächlich das gleiche Schutzniveau erreicht haben. Die Harmonisierung der Asylpolitik in der EU ist jedoch nur in Ansätzen realisiert. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Praxis unterscheiden sich immer noch sehr stark von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat; Asylsuchende werden also in Europa trotz entsprechender Mindeststandards sehr unterschiedlich behandelt.

    Bei der Anwendung der Dublin-Verordnung hat insbesondere das Kriterium des illegalen Grenzübertritts zu einem ernsthaften Ungleichgewicht in der Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedstaaten geführt. Dieses Ungleichgewicht bedeutet nicht nur eine unfaire Verantwortungsteilung innerhalb der Europäischen Union, sondern hat auch negative Auswirkungen auf den Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Angesichts der ungleichen Belastung der Mitgliedstaaten bei der Aufnahme von Schutzsuchenden und der teilweise katastrophalen Unterbringung von Asylsuchenden in einzelnen Mitgliedstaaten (oder dem fehlenden Zugang zum Asylverfahren, wie z.B. in Griechenland) hatte die EU-Kommission bereits 2008 einen Mechanismus vorgeschlagen, mit dessen Hilfe sie die Überstellung von Asylsuchenden aus anderen Mitgliedstaaten in einen Mitgliedstaat aussetzen kann, wenn dieser besonderem Druck ausgesetzt ist oder das Schutzniveau unzureichend ist. Die EKD und ihre Gliedkirchen ebenso wie die Diakonie haben sich verschiedentlich für einen fairen Verteilungsmechanismus in der EU eingesetzt und darauf hingewiesen, dass das System ohne vergleichbar hohe Asylstandards und eine kohärente Entscheidungspraxis nicht funktionieren kann.

    Zudem hat die Dublin-Verordnung dazu beigetragen, dass die Fälle von Kirchenasyl in Deutschland zugenommen haben, es handelt sich hier nach Zahlen der BAG Asyl in der Kirche vermehrt um Dublin-Fälle.1

    Die Bundesregierung und viele andere Mitgliedstaaten sahen jedoch durch die Vorschläge der Kommission die gesamte Asylzuständigkeitsordnung in Frage gestellt und blockierten deshalb die Verbesserungsvorschläge, obwohl Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR- MSS vs. Belgium vom 21.1. 2011) und des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.11.2011) die Mängel des Dublin-Verfahrens klar benannt haben. Die Mitgliedstaaten wollten am bisherigen System festhalten und haben sich letztlich weitestgehend durchgesetzt.

    Immerhin kann sich nach der Überarbeitung der Dublin-Verordnung kein Mitgliedstaat mehr darauf berufen, er habe von den menschenunwürdigen Bedingungen und den Mängeln des Asylsystems in einem anderen Mitgliedstaat keine Kenntnis gehabt. Es soll nämlich künftig ein Mechanismus zur Frühwarnung, Vorsorge und Krisenbewältigung eingeführt werden, welcher die Aufnahmesituation von Flüchtlingen fortlaufend beobachtet, um darauf reagierend schrittweise Maßnahmen durchzuführen, die stark belastete Mitgliedsstaaten entlasten. Das Frühwarnsystem sieht ein Monitoring nationaler Asylsysteme mit Hilfe des Europäischen Asylunterstützungsbüros (EASO) vor.

    EASO wurde 2011 auf Malta eröffnet, um die praktische Zusammenarbeit zwischen den Staaten in der Asylpolitik zu stärken. Das Konzept soll dazu beitragen, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Asylpolitik zu schaffen. Dabei sind sie angehalten, im Rahmen eines Asyl-Management-Berichtswesens vierteljährlich an EASO und die Kommission über die Entwicklungen vor Ort zu berichten und Statistiken, z.B. über die Zahl der Asylsuchenden, Anerkennungsraten etc. zur Verfügung zu stellen. Im Fall von Unstimmigkeiten oder eines erhöhten Drucks auf die Asylsysteme sollen die Kommission und EASO möglichst nach einem Besuch vor Ort einen präventiven Aktionsplan erarbeiten, um den Mängeln im Asylsystem abzuhelfen. Gleichzeitig sollen die Mitgliedstaaten über alle Aktivitäten informiert werden und auf freiwilliger Basis Unterstützung leisten können.

    Der neue Mechanismus wirkt nicht nur sehr aufwendig und bürokratisch, aus flüchtlingspolitischer Sicht ist er auch unzureichend. Deshalb hat ein Bündnis aus pro asyl, Diakonie Deutschland, Paritätischem Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Deutschem Anwaltsverein und Neuer Richtervereinigung am 8. März 2013 in einem Memorandum eine grundlegende Neuausrichtung der Verantwortungsteilung für Flüchtlinge in der EU gefordert.

    Die Herausgeber des Memorandums empfehlen das Prinzip der freien Wahl des Mitgliedsstaates in Kombination mit einem finanziellen Ausgleich, der durch den für den Zeitraum 2014-2020 eingerichteten Asyl- und Migrationsfonds abgedeckt werden sollte. Das heute maßgebliche Kriterium für die Asylzuständigkeit, der "illegale Grenzübertritt", solle aufgebeben werden. Die weiteren Vorzüge dieses Systems wären die Unterstützung des Grundsatzes der Solidarität unter den Mitgliedsstaaten der EU und die leichtere Integration der Asylsuchenden aufgrund schon bestehender familiärer und kultureller Netzwerke.

    Weniger problematisch war die Einigung über die Überarbeitung der Qualifikationsrichtlinie. Die ursprüngliche Richtlinie von 2004 beinhaltet eine Reihe von Kriterien, die für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes ausschlaggebend sind, und legt die jeweils damit verbundenen Rechte fest. Eigentliches Ziel der Reform war die Angleichung der Rechte von Flüchtlingen und sog. subsidiär Geschützten hin zu einem einheitlichen Status. Dieses Ziel ist zwar nicht umfassend, aber doch in wichtigen Punkten erreicht worden. So wird mit der Richtlinie der Grundsatz anerkannt, dass hinsichtlich des Inhalts des internationalen Schutzes Flüchtlinge und subsidiär Geschützte gleichgestellt sind, so etwa beim Zugang zu Beschäftigung und Bildungsangeboten. Neu sind auch die Regelungen, wonach die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann und Familienangehörige von Flüchtlingen oder subsidiär Geschützten auch Anspruch auf bestimmte Leistungen haben.

    Außerdem ist zu erwähnen, dass Zugang zu Integrationsmaßnahmen zu gewähren ist und dabei die besonderen Bedürfnisse von Flüchtlingen und subsidiär Geschützten angemessen zu achten sind. Deutschland ist einer der wenigen Mitgliedstaaten, der beiden Gruppen noch unterschiedliche Rechte zubilligt.

    Über die Neufassung der Richtlinie über Aufnahmebedingungen wurde im Sommer 2012 eine politische Einigung erzielt - aus flüchtlingspolitischer Sicht ist das Ergebnis nicht wirklich überzeugend.

    Noch 2009 stellte die Kommission fest: "Angesichts der weit verbreiteten Anwendung von Gewahrsamsmaßnahmen im Asylbereich durch die Mitgliedstaaten und der sich festigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erachtet es die Kommission für notwendig, diese Frage in der vorliegenden Richtlinie ganzheitlich anzugehen, um sicherzustellen, dass Ingewahrsamsmaßnahmen nicht willkürlich erfolgen und in allen Fällen die Grundrechte beachtet werden." Im internationalen Flüchtlingsrecht gilt nämlich der Grundsatz, dass allein die Stellung eines Asylantrags keinen Haftgrund begründet. Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention legt fest, dass Asylsuchende wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalt grundsätzlich nicht zu bestrafen sind. Haftgründe sollten entsprechend eng gefasst und genau umrissen sein. Auf Druck der Mitgliedstaaten sah sich die Kommission jedoch veranlasst, ihren ersten Entwurf zurückzuziehen und präsentierte 2011 eine neue Version der Aufnahmebedingungsrichtlinie, die u.a. die Reihe der Haftgründe ausgeweitet hat. Diese Ausweitung wurde nun von den Verhandlungsparteien angenommen.

    Angesichts der umfassenden Haftgründe (u.a. Identitätsfeststellung, Beweissicherung) der neuen Aufnahmebedingungsrichtlinie sowie der Möglichkeit, auch Minderjährige in bestimmten Fällen zu inhaftieren, ist nun zu befürchten, dass die derzeitige ausufernde Inhaftierungspraxis einzelner Mitgliedstaaten wie etwa Griechenland und Ungarn eine Legitimierung erfährt.
    Eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo besteht darin, dass die Asylsuchenden nun nach neun Monaten Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt erhalten sollen. In Deutschland ist Asylsuchenden und Flüchtlingen bislang aufgrund der sog. Vorrangregelung der Zugang zum Arbeitsmarkt praktisch verwehrt, da sie nach einer Wartefrist von einem Jahr nur dann eine Arbeitserlaubnis erhalten, wenn nachgewiesen werden kann, dass kein Deutscher bzw. "bevorrechtigter" Ausländer für die Stelle qualifiziert ist.

    Bis zuletzt waren die Verhandlungen um die Asylverfahrensrichtlinie strittig, bevor man sich im März 2013 letztlich doch einigen konnte. Angestrebt wird künftig, dass ein Asylverfahren nach einem Jahr abgeschlossen ist anstatt bislang in durchschnittlich zwei bis drei Jahren. Durch eine Reihe von Veränderungen soll es außerdem gerechter und qualitativ hochwertiger werden, so werden die Verfahrensrechte der Antragssteller verschiedentlich gestärkt. Aus flüchtlingsrechtlicher Sicht unakzeptabel bleibt das Konzept des sicheren Dritt- bzw. Herkunftsstaates.
     
    Wie der Schutz von unbegleiteten Minderjährigen und Folteropfern zu regeln sei, war bis zuletzt umstritten. Die Kommission hatte vorgeschlagen, bei der Anwendung von beschleunigten Verfahren und Verfahren an den Grenzen für diese Gruppen Ausnahmen vorzusehen. Im Europäischen Parlament gab es hingegen keine einheitliche Haltung zur Position der Kommission. Gleiches galt für die Mitgliedstaaten, die den Vorschlägen sehr kritisch gegenüberstanden und Ausnahmen ablehnten, um Missbrauch keinen Vorschub zu leisten. Auch Deutschland zählte zu diesen Mitgliedstaaten. Es gehe schließlich um das Prinzip.

    Aus kirchlicher Sicht wäre eine Ausnahmeregelung menschenrechtlich geboten. Die beiden großen Kirchen haben sich in politischen Gesprächen und im März 2013 in einem Doppelkopfbrief gegenüber dem Bundesinnenminister für eine Ausnahmeregelung für unbegleitete Minderjährige und Folteropfer in der Asylverfahrensrichtlinie ausgesprochen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund, dass die Auswirkungen derartiger Ausnahmeregeln auf die Rechtslage in Deutschland minimal wären, da laut Statistik des Bundesinnenministeriums (BMI) in den vergangenen Jahren nur in einem Bruchteil der Fälle die Entscheidung im Rahmen des beschleunigten Flughafenverfahrens gefällt wurde. In der ersten Hälfte des Jahres 2012 betraf dies bei 343 Antragstellern z.B. nur 29 Personen. In der deutschen Praxis wird nach Angaben des BMI schon heute bei besonders schutzbedürftigen Personen von einer Ablehnung wegen der offensichtlichen Unbegründetheit abgesehen und ihnen, selbst bei einer ablehnenden Entscheidung, die Einreise gestattet. Dementsprechend würde eine Ausnahmeregelung für diesen Personenkreis in Deutschland keine großen Veränderungen nach sich ziehen, in anderen EU-Mitgliedstaaten aber den erforderlichen Schutz von schutzbedürftigen Gruppen sicherstellen. Zudem würde der Empfehlung des Ausschusses gegen Folter der Vereinten Nationen vom 25. November 2011 an die Bundesregierung entsprochen werden, der geraten hatte, unbegleitete Minderjährige vom Flughafenverfahren auszunehmen (Empfehlung 27a).

    Am 27. März 2013 hat man sich in dieser Frage verständigt. Der genaue Wortlaut der Einigung liegt noch nicht vor, allerdings wurde deutlich, dass man sich zwar nicht auf eine generelle Ausnahme, aber auf eine Einzelfallregelung geeinigt hat.

    Abschließend kann also immer noch nicht von einer vollumfänglichen Harmonisierung der europäischen Asylpolitik gesprochen werden, doch eine weitere gesetzgeberische Angleichung ist nach der Mühsal dieser Verhandlungsrunden und aufgrund des politischen Klimas vorerst nicht zu erwarten.

    Wichtig auch für die weitere kirchliche Arbeit wird nun die Umsetzung des Asylpaktes in nationales Recht sein. Der Kommission ist an einer kohärenten Anwendung der Asylregeln in der EU gelegen. Allerdings hat sie es in der Vergangenheit auch aufgrund fehlender Kapazitäten oft versäumt, Verstöße gegen EU-Recht deutlich und konsequent zu ahnden. Da abzusehen ist, dass sich die Mitgliedsstaaten nach den Erfahrungen mit dem Asylpaket nicht auf weitere gesetzliche Initiativen einlassen werden, kommt es nun besonders auf die Praxis vor Ort an. Hier müssen auch die Kirchen, ob auf Landes-, Bundes- oder Europaebene, im Gespräch mit den politisch Verantwortlichen bleiben, um rechtliche und praktische Probleme zu benennen und darauf hinzuwirken, dass Missständen abgeholfen wird. Hierzu zählt sicher auch, sich weiterhin gegen das Festhalten der Bundesregierung an dem Flughafenverfahren auszusprechen, das aufgrund der Schnelligkeit wesentliche Verfahrensrechte der Antragssteller aushebelt und deren Unterbringung im Transitbereich des Flughafens vorsieht, oder das gerichtlich attestierte Versagen des Dublin-Systems anzuprangern und für Alternativen zu werben.

    Positiv zu vermelden ist, dass die EU am 29. März 2012 ein gemeinsames Resettlement-Programm beschlossen und damit auch einer Forderung der EKD-Synode (Synodenbeschluss vom 9. November 2011) und zahlreicher Landessynoden nachgekommen ist. Unter Resettlement versteht man die dauerhafte Ansiedlung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen in aufnahmebereiten Drittstaaten. Dabei kommt Resettlement als dritte sog. dauerhafte Lösung zum Flüchtlingsschutz erst dann in Betracht, wenn weder die Integration im Erstzufluchtsstaat noch die Rückkehr in das Herkunftsland möglich sind.

    Die Teilnahme an dem nun geltenden europäischen Neuansiedlungsprogramm ist freiwillig. Durch eine optimierte Koordination und finanzielle Anreize sollen möglichst viele EU-Staaten dazu ermutigt werden, ihren Anteil an Resettlement-Plätzen auszubauen: Vor allem die EU-Staaten, die sich erstmalig an der Neuansiedlung beteiligen, sollen von der Förderung profitieren. Vorgeschlagen sind 6.000€ je angesiedelte Person im ersten Jahr, 5.000€ im zweiten Jahr und 4.000€ ab dem dritten Jahr. Das Geld stammt aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds. Momentan liegt die finanzielle Unterstützung für eine Neuansiedlung bei 4.000€ pro Person. Zudem gewährt das Programm den Aufnahmestaaten die Möglichkeit, bestimmte Bevölkerungsgruppen für die Neuansiedlung innerhalb der festgelegten Kriterien des Resettlement-Programms auszuwählen. Jährlich werden Regionen, aus denen Flüchtlinge aufgenommen werden sollen, von höherer Priorität festgelegt. Für 2013 sind dies: irakische Flüchtlinge in der Türkei, Syrien, Libanon und Jordanien, afghanische Flüchtlinge in der Türkei, Pakistan und im Iran, kongolesische Flüchtlinge in Burundi, Malawi, Ruanda und Sambia sowie somalische Flüchtlinge in Äthiopien. Syrische Flüchtlinge sind nicht darunter.

    Aufgrund seiner Unverbindlichkeit kommt dem europäischen Programm eher eine symbolische Bedeutung zu, allerdings darf auch seine strategische Wirkung, Mitgliedstaaten aufgrund des finanziellen Anreizes für Resettlement zu interessieren, nicht unterschätzt werden. Bislang gibt es unter den europäischen Staaten, die Neuansiedlungen durchführen, keine einheitliche Strategie. Eine engere Zusammenarbeit und Koordination auf EU-Ebene auf Basis einheitlich formulierter Resettlement-Kriterien könnte die Effektivität des Verfahrens verstärken und die Kosten für jedes einzelne Verfahren senken. Gleichzeitig könnten dann Erfahrungen weitergegeben werden, sodass auch die Länder, die neu zum Resettlement-Programm hinzustoßen, zielgerichteter mit der Aufnahme beginnen können.

    Angesichts der dramatischen Lage in Syrien erlauben Sie mir zu diesem Thema noch einen kleinen Einschub. Auch dank des Engagements hier in Bayern sollen in diesem Jahr 5000 syrische Flüchtlinge zusätzlich in Deutschland Aufnahme finden, 3000 sollen bis Juni aufgenommen werden, 2000 dann im Herbst. Das Ministerium plant wohl eine vorübergehende Aufnahme (kein Resettlement) zur Entlastung der Nachbarstaaten auf der Grundlage von § 23 II i.V.m. § 23 III i.V.m. § 24 Aufenthaltsgesetz in europäischer Abstimmung. Man wolle die Modalitäten der Aufnahme den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. Von EU-Innenkommissarin Malmström erwarte man neben finanzieller Unterstützung die Einberufung einer Konferenz, auf der die anderen Mitgliedstaaten um Unterstützung für die Aufnahme gebeten werden sollen. Bislang halten diese sich aber äußerst bedeckt. Eine deutsche Fact-Finding-Mission hat sich Anfang letzter Woche auf den Weg in die Region gemacht.

    Noch unklar ist, aus welchem der Nachbarländer Flüchtlinge aufgenommen werden sollen; eine Aufnahme aus Syrien ist nicht geplant. Ziel ist es, die Nachbarstaaten zu entlasten und damit das bisherige Engagement vor Ort fortzuführen bzw. zu ergänzen. Insofern entspricht das nun geplante Kontingent den kirchlichen Forderungen.

    Als Hauptkriterium für die Aufnahme hat das Bundesinnenministerium die besondere Schutzbedürftigkeit benannt. Darunter fallen nach der Meldung des Ministeriums:
    - Unbegleitete Minderjährige
    - Familien mit kleinen Kindern
    - Auch Angehörige von religiösen Minderheiten, insbesondere Christen

    Anknüpfungspunkt sollen auch verwandtschaftliche Verbindungen zu in Deutschland lebenden Syrern sein.

Abschließend noch einige Worte zu den Finanzen: Die Zukunft des europäischen Resettlement-Programms hängt aber derzeit wie so Vieles an der Einigung über den Mehrjährigen Finanzrahmen (2014-2020). Aktuell finden die Verhandlungen zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament statt, noch unklar ist, ob die neue Förderperiode tatsächlich wie geplant am 1.1.2014 starten kann. Im Vergleich zum Status Quo wird sich jedenfalls folgendes ändern:

Europäischer Integrationsfonds (EIF), Europäischer Flüchtlingsfonds (EFF) und der Rückkehrfonds (RF) - werden künftig in einem Fonds "Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds" (AMIF) zusammengelegt.

Damit verbunden sind Änderungen in der Umsetzung des Fonds. Anstelle von einzelnen Jahresprogrammen stellt jeder EU-Mitgliedsstaat ein nationales Programm für den AMIF unter Beachtung der europäischen Verordnungen auf. Die Ziele, die die Mitgliedsstaaten mit dem neuen Fonds verfolgen wollen, sowie die entsprechende Strategie zur Erreichung dieser Ziele werden gegenwärtig mit der EU-Kommission in einem sog. "Programm-Dialog" erläutert und finden schließlich in einem nationalen Programm ihren Niederschlag. Der "Programm-Dialog" soll voraussichtlich bis Ende 2013 abgeschlossen sein. Am 11. April wurde hierzu ein erstes Treffen der Kommission mit Vertretern der Bundesrepublik durchgeführt. Offizielle Informationen sind hierbei nicht publik gemacht worden, jedoch wurde von einer Finanzierung von 2,7 Milliarden Euro für den neuen Asyl- und Migrationsfonds berichtet.

Die Kommission stellt den AMIF in keinen neuen thematischen Kontext, jedoch werden inhaltliche Akzente gesetzt. So soll der AMIF einen Beitrag zu der "Vollendung eines stärker schützenden und wirksameren gemeinsamen europäischen Asylsystems" leisten. Ebenso geht die Kommission explizit auf die Notwendigkeit einer "vorausschauenden legalen Einwanderungs- und Integrationspolitik" ein, um angesichts des demographischen Wandels den strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt begegnen zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass Sie nach dieser Tour d'horizon ein wenig klarer durch die Verästelungen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik blicken können. Unsere Verantwortung als Kirchenvertreter ist angesichts der zunehmenden Abschottung der EU und Kriminalisierung von Schutzsuchenden stärker denn je, sozialanwaltschaftlich zu handeln und denen eine Stimme zu geben, die sonst keine Lobby haben. Gleichzeitig sollten wir durch sachliche und differenzierte Stellungnahmen weiter für die Rechte der Betroffenen und den Erhalt europäischer Errungenschaften, wie Freizügigkeit und Solidarität, eintreten.

Immer wichtiger zur Erreichung höhere Schutzstandards wird die Rechtsprechung aus Straßburg und zunehmend - aufgrund des Inkrafttretens der Grundrechtecharte Ende 2009 - Luxemburg. Daneben spielen Praxisberichte eine wichtige Rolle, um Missständen und Fehlentwicklungen vorzubeugen bzw. abzuhelfen. Schließlich ist die Bereitschaft der Kirchen und ihrer Verbände gefragt, wenn es darum geht, den staatlichen Einrichtungen bei der Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden zur Seite zu stehen.

Im Hinblick auf die Bekämpfung der Armut vor Ort kommt insbesondere der europäischen Projektarbeit von Kirche und Diakonie in Südosteuropa ein hoher Stellenwert zu.

Es bleibt also viel zu tun, die Rahmenbedingungen werden nicht einfacher. Aber der Einsatz lohnt sich.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

1Zurzeit gibt es in Deutschland 31 Kirchenasyle mit mindestens 74 Personen, davon etwa 34 Kinder. 13 der Kirchenasyle sind sog. Dublin-II-Fälle (Stand 24. Januar 2013), Homepage BAG Asyl in der Kirche.