Die EU-Friedenspolitik – ein Wahlprüfstein im Jahr der Europawahl

16. März 2009, OKRin Katrin Hatzinger, Düsseldorf

Verabschiedung von Herrn Akademiedirektor Volker Hergenhan als Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche im Rheinland

Hauptvortrag

„Die EU-Friedenspolitik – ein Wahlprüfstein im Jahr der Europawahl“

OKRin Katrin Hatzinger


Sehr geehrter Herr Hergenhan, liebe Frau Hergenhan,
geehrte Frau Vize-Präses,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute im Rahmen Ihrer Verabschiedung, sehr geehrter Herr Hergenhan, als langjähriger Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für öffentliche Verantwortung der EKiR, sprechen zu dürfen. Die Einladung ist mir eine Ehre und Freude, ermöglicht sie mir doch das Wiedersehen mit vielen von Ihnen nach unserem Kennenlernen in Brüssel im letzten Herbst.

Ihre Bitte war, und danach richte ich mich gerne, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den Mittelpunkt meiner Rede zu stellen, natürlich auch, weil Sie sich, verehrter Herr Hergenhan, sehr um diese Thematik in der EKiR verdient gemacht haben. Weil dieses Thema jedoch nur einen Teil der Aufgaben des EKD-Büros Brüssel darstellt und weil im Titel des Vortrags bereits der Hinweis auf die diesjährigen Europawahlen anklingt, habe ich mir die Freiheit genommen, Ihnen darüber hinaus aktuelle Herausforderungen für die Kirchen in Europa darzustellen. Dabei werde ich mich an der Trias des konziliaren Prozesses orientieren:
Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Diese Trias ist von bleibender Gültigkeit, wenn es darum geht, die wichtigsten Themenfelder der Kirchen bei der Wahrnehmung ihres „Öffentlichkeitsauftrags“ zu beschreiben.
Frieden – das ist in unserem Kontext die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik; Gerechtigkeit – das ist das Europäische Sozialmodell, oder griffiger: das Soziale Europa; Bewahrung der Schöpfung – das ist schließlich die Umweltpolitik in einem sehr umfassenden Sinn.
Politik und Gesetzgebung werden heute nicht mehr allein national bestimmt, sondern mehr und mehr im Rahmen der Europäischen Union. Bis zu 70 % der deutschen Gesetze, in einigen Bereichen sogar so gut wie alle, fußen auf Vorgaben aus Brüssel. Seit 1990 unterhält der Bevollmächtigte des Rates der EKD deshalb in Brüssel eine Dienststelle, die über die aktuellen europäischen Entwicklungen informiert und – ganz ähnlich der Arbeit in Berlin – den politischen Meinungsbildungsprozess im Sinne der kirchlichen Anliegen beeinflusst. Wir sind zum einen die kirchendiplomatische Vertretung der EKD bei der EU, aber eben auch ein Sprachrohr derjenigen, die sich keine eigene Lobby leisten können: Flüchtlinge, Migranten, Sozial Schwache, Alte und Kranke. Die Kirche ist nicht von ihrer Verantwortung für die Welt zu trennen. Wir existieren nicht als Selbstzweck, sondern zur Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Unsere spezifische Aufgabe als EKD-Büro ist die Übersetzung der befreienden Botschaft vom menschenfreundlichen Gott in die Sprache des Rechts und der Politik.

Allerdings fehlen auf Brüsseler Ebene viele der Selbstverständlichkeiten, wie sie aus der Arbeit in der Bundeshauptstadt oder auf Länderebene geläufig sind. Bei Institutionen, die Menschen aus 27 Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedlichen religiösen und staatskirchenrechtlichen Strukturen beschäftigen, kann es diese Selbstverständlichkeiten nicht geben. Aber auch hier stellen wir fest, dass unsere fachlichen Beiträge zur Asyl- und Migrationspolitik, zu Bioethik und Sozialpolitik, zum interkulturellen Dialog und zur Europäischen Integration als Projekt des Friedens und der Menschenrechte uns durchaus Gehör verschaffen.

In der täglichen Arbeit findet zudem ein reger Austausch mit den anderen KirchenvertreterInnen vor Ort statt, um die Arbeit zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Gemeinsam ist die kirchliche Stimme in dem Konzert von mehr als 15.000 Lobbyisten in Brüssel deutlicher gegenüber den Institutionen zu artikulieren: Gemeinsamkeit gibt den Stellungnahmen zudem mehr Gewicht. Daneben ist es angesichts der Flut von Gesetzesinitiativen und politischen Vorhaben sinnvoll, sich untereinander auszutauschen. Auf der einen Seite arbeitet wir darum mit der Kommission für Kirche und Gesellschaft der Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) zusammen. Auf der anderen Seite gibt es eine enge Kooperation mit der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE). Schließlich ergeben sich darüber hinaus konfessionsübergreifende Bündnisse auch mit anderen kirchlichen Organisationen, je nachdem, welches Thema gerade behandelt werden soll. Im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationspolitik hat sich z.B. eine sehr produktive Zusammenarbeit mit verschiedenen christlichen Organisationen entwickelt, gerade arbeiten wir an einer Kommentierung des neuen Kommissionsvorschlags zur Revision der sog. Dublin II-VO, die festlegt, welcher Mitgliedstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags aus einem Drittstaat zuständig ist. Zuletzt hat meine Dienstelle gemeinsam mit dem katholischen Büro in Berlin, dem Diakonischen Werk und dem Deutschen Caritasverband eine Stellungnahme zu den Vorschlägen der Europäischen Kommmission zur Verlängerung des Mutterschutzes von 14 auf 18 Wochen erarbeitet, wobei alle Organisationen das Anliegen der Europäischen Kommission unterstützen, die Rechte von schwangeren Arbeitnehmerinnen und Selbständigen sowie Wöchnerinnen zu stärken.

2009 ist ein besonderes Jahr für Europa. Am 7. Juni werden in Deutschland die Europawahlen stattfinden, das Mandat der Europäischen Kommission neigt sich dem Ende entgegen, die Zukunft des Vertrages von Lissabon wird sich – aller Voraussicht nach – an einem zweiten Referendum der Iren entscheiden.

Durch die Beteiligung an den 7. Direktwahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni 2009 haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, die Europapolitik der kommenden fünf Jahre mitzugestalten. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wollen deshalb einen gemeinsamen Wahlaufruf veröffentlichen.

Demokratie lebt von Beteiligung. Lag die Wahlbeteiligung 1979 in Deutschland noch bei 65,7 %, so ist sie seitdem zu jeder Europawahl kontinuierlich zurückgegangen. 2004 lag sie gerade noch bei 43 %. Fast 60 % der Wahlberechtigten blieben ihr also fern. Dieser Trend stimmt bedenklich, insbesondere angesichts der bereits erwähnten Tatsache, dass die Mehrzahl der deutschen Gesetze auf Vorgaben aus Brüssel beruht und die europäische Gesetzgebung heute in fast alle Lebensbereiche ausstrahlt.

In vielen Politikbereichen wird die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments auch künftig für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in der Union bedeutsam sein. Darunter fallen insbesondere die Bereiche Klimaschutz und Energie; Entwicklungshilfe; Asyl- und Einwanderungspolitik; Gleichstellungspolitik, Armutsbekämpfung und bioethische Fragen im Kontext der Forschungspolitik. Zu seiner Rolle im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gleich mehr.

Die ESVP spielt in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zur Europawahl eine nicht unbedeutende Rolle, wobei auch ganz klar zu konstatieren ist, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise das dominierende Thema von Bundes- und Europawahl sein wird. Lassen Sie mich Ihnen einen kurzen Überblick über die Positionen der vier großen Parteien geben: Für die Unionsparteien ist die Antwort schnell gegeben. Ich weiß es nicht. Heute (16.3.) erst berät die CDU über ihr Wahlprogamm, die CSU sogar noch später. Bei den anderen gibt es einige Gemeinsamkeiten: Alle betonen den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen, alle wollen die GASP und ESVP ausbauen, alle wollen eine Harmonisierung der Streitkräfte, SPD und FDP sprechen sogar – langfristig – von dem Wunsch, nach europäischen Streitkräften. Auch Abrüstung und Nicht-Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gehört zum Standardprogramm. Die Liberalen wollen den EU-Verhaltungskodex für Rüstungsexporte verbindlich machen, die Grünen sogar ein transparentes Verifikationssystem für solche Exporte aufbauen. Beide Parteien, Liberale wie Grüne, wollen die NATO-Russland-Partnerschaft wieder beleben und in die transatlantische Partnerschaft einbinden. Auch in der Forderung nach einem gemeinsamen europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat sind sich die Parteien einig. Insgesamt sticht das Wahlprogramm der Grünen jedoch aufgrund seines verteidigungspolitischen Profils besonders hervor. Vieles, das uns als Kirchen bewegt, findet sich gerade in diesem Parteiprogramm wieder: Begonnen von einer Stärkung der Europäischen Dimension, die von einer Reduzierung der nationalen Streitkräfte begleitet werden soll, bis hin zur Unterstützung von NGOs in der Konfliktbearbeitung. Die Grünen – und das dürfte Sie interessieren – fordern auch eine Europäische Friedensagentur, die ein Ziviles Friedenskorps aufbauen soll. Ob man eine Agentur für die besten Lösung hält oder nicht – richtungsweisend ist eine Forderung allemal, die sich nicht mit Lippenbekenntnissen begnügt, sondern der europäischen Friedenspolitik Konkretion und Kontur geben möchte.

Gerade im Wahljahr müssen wir als Kirche dazu beitragen, das Wissen um die politische Bedeutung des Europäischen Parlaments in Deutschland zu vertiefen, damit die Politik des „schwarzen Peters“ gegenüber Brüssel endlich ein Ende hat. Schließlich verantwortet die Bundesregierung über die Fachministerien sämtliche Gesetzgebungsakte der EU mit. Hier sind jedoch nicht nur der Rat der EKD und die DBK gefragt, sondern auch die Gliedkirchen. Auch hier gilt es das Wissen um die Rolle des Europäischen Parlaments zu vertiefen. Der Spruch: Hast Du einen Opa, dann schick´ ihn nach Europa“ trifft schon heute nicht mehr auf die Zusammensetzung und das Format der Europaabgeordneten zu.

Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Forderung nach mehr Interesse an Europa in der Ev. Kirche im Rheinland offene Türen einrenne und will an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für die engagierte Beschäftigung der EKiR mit europapolitischen Themen, sei es auf Akademietagungen oder auf der Synode, aussprechen. Selbstverständlich gilt heute Ihnen, lieber Herr Hergenhan, ein besonderer Dank für Ihre Verdienste um die Europakompetenz Ihrer Landeskirche, gerade in Sachen Europäische Friedenspolitik. Sie haben hier unschätzbare Arbeit geleistet.

Für mein Büro in Brüssel bedeutet die Europawahl, bei der rund 40% der deutschen Abgeordneten neu in das Parlament gewählt werden, die Chance, mit den Neuankömmlingen gemeinsame Anliegen zu identifizieren, die Zusammenarbeit anzubieten und ihnen gerade in der Anfangsphase durch ein Stück evangelischer Heimat Orientierung im neuen Amt und in der neuen Umgebung zu bieten. Dazu soll auch eine verstärktes geistliches Angebot beitragen. Gleichzeitig wollen wir die gute Zusammenarbeit mit den wiedergewählten Parlamentariern ausbauen und durch gemeinsame Veranstaltungen und die Begleitung von Gesetzesinitiativen intensivieren. Dabei sind wir für Denkanstöße, kritische Anfragen und Hinweise z.B. aus der EKiR sehr dankbar.

À propos Denkanstöße, die fundierte und intensive Beschäftigung der EKiR mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist sicherlich ein solcher notwendiger Impuls. Hier ist insbesondere das Papier des Ständigen Ausschusses für Öffentliche Verantwortung zur Europäischen Sicherheitsstrategie und zur ESVP im Rahmen des Verfassungsvertrages ausdrücklich zu erwähnen, das unter Ihrer Federführung entstanden ist.

Im Folgenden möchte ich einige grundsätzliche Ausführungen zu dieser Thematik machen:

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – meist kurz ESVP genannt – ist Teil der so genannten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Es handelt sich um Politikfelder der sogenannten Zweiten Säule der EU, also jener Bereiche, die sich am besten als „intergouvernemental“ beschreiben lassen. Sie sind also nicht ver-gemeinschaftet und in die Kompetenz der EU überführt, sondern werden von den Mitgliedstaaten als solchen multilateral abgestimmt. Deshalb gibt es hier auch ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und der verschiedenen Beteiligungsgrade. Daraus ergibt sich eine komplexe europäische Sicherheitsarchitektur.
Allerdings befinden wir uns gerade politisch in einer Art Zwischenzeit: beschreibe ich Ihnen also den Status quo, die EU des Vertrages von Nizza, oder die EU des Reformvertrages, des Vertrages von Lissabon?

Als EKD hoffen und setzen wir auf das Inkrafttreten des Reformvertrages, der aus dem gescheiterten Verfassungsvertrag hervorgegangen ist. Deshalb will ich mich im Folgenden eher auf dessen Bestimmungen konzentrieren. Die Verträge, das so genannte Primärrecht der EU, sind dabei die alleinige Grundlage allen „Brüsseler“ Handelns. Jede konkrete Maßnahme muss auf dieser Grundlage stehen.

Ich betone das, weil sich der Reformvertrag gelegentlich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er bewirke eine Militarisierung Europas. Das erscheint mir als zu weitgehend. Richtig ist, dass er einen Rechtsrahmen für eine Europäisierung des Militärs liefert. Mit Blick auf die Integration der Mitgliedstaaten in eine immer engere politische Union ist das nur folgerichtig. Es ist auch nichts Neues, sondern Teil des Erbes des Europäischen Einigungswerkes. Die Europäischen Gemeinschaften sind als das weltgrößte Friedensprojekt begonnen worden. Der Gedanke ihrer Gründerväter war so einfach, wie erfolgreich. Die wirtschaftliche Vernetzung Europas – und insbesondere der Kernländer Deutschland und Frankreich – sollte soweit vorangetrieben werden, dass ein Krieg ökonomisch unmöglich würde. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei die kriegsrelevante Industrie – daher die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Hinzu kommen sollte von Anfang an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, doch Frankreich ratifizierte diese Verträge nicht. Stattdessen kam es zur Westeuropäischen Union, einer verschlankten Variante, die erst mit dem Vertrag von Maastricht 1992 – bis auf gewisse grundständige Funktionen – in die ESVP integriert wurde.

Die ESVP steht damit auch institutionell in der Tradition dieser Europäisierung der Verteidigungsaufgaben. Die Vorzeichen, unter denen ihre Entwicklung heute voranschreitet, haben sich freilich geändert. Wenn in den 50er Jahren die Ausgangsmaxime war, dass die Nationalstaaten nicht allein ihre Militärpolitik gestalten sollen, lautet sie heute eher, dass sie sie nicht mehr allein gestalten können. Für die innereuropäische Friedensaufgabe macht das freilich keinen Unterschied. Je stärker die nationalen Streitkräfte in europäische Strukturen eingebunden werden,– angefangen bei der Beschaffung von Rüstungsgütern –, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit bewaffneter innereuropäischer Auseinandersetzungen. Dass uns dieses Szenario heute absurd erscheint, ist eben auch eine Leistung der europäischen Integration.

Dazu haben freilich nicht allein die Europäischen Gemeinschaften beigetragen, sondern eine Vielzahl von Organisationen im Feld der internationalen Sicherheit. Ich nenne neben der EU die Westeuropäische Union, der ja noch Kernaufgaben verblieben sind, die NATO, die OSZE, und nicht zuletzt die Vereinten Nationen. Auch sie gehören zum komplexen Geflecht der europäischen Sicherheitsarchitektur, in dem die EU nur ein Baustein ist und – auch bei voranschreitender Integration – auf absehbare Zeit bleiben wird.

Wer diese Sicherheitsarchitektur verstehen will, darf aber nicht nur die Organisationen betrachten, sondern muss zunächst von ihren Mitgliedern ausgehen. Denn die europäischen Staaten bilden in diesem Bereich einen Flickenteppich sehr unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlicher Geschichte und unterschiedlichen Anliegen. Das „Nein“ der Iren hing auch mit ihrem Selbstverständnis als „neutraler“ Staat zusammen. Für Frankreich oder Großbritannien war die Militärpolitik immer Bestandteil der Außenpolitik, während insbesondere die skandinavischen Staaten den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf humanitäre Einsätze legen.

Diesen „Flickenteppich“ muss man sich immer wieder vor Augen führen – denn auch unter Lissabon wird die Verteidigungspolitik ja in nationaler Kompetenz verbleiben. Es wird mehr Koordination geben, mehr gemeinsame Entscheidungsprozesse und auch gemeinsame Entscheidungen – aber es werden – zumindest auf absehbare Zeit - keine genuin europäischen Entscheidungen sein. Deshalb wird auch die parlamentarische Kontrolle durch das EU-Parlament in diesem Bereich vorerst gering bleiben. Das ist auf der einen Seite ein großes Manko. Auf der anderen Seite fällt es den Mitgliedstaaten sichtlich schwer, einen derart sensiblen Bereich zu vergemeinschaften. Das gilt im übrigen auch gerade für Deutschland: Nirgendwo in Europa ist die parlamentarische Kontrolle militärischer Einsätze so strikt wie bei uns. Das bleibt auch in der gestärkten ESVP nach dem Modell des Reformvertrages erhalten. Auch die deutschen Parlamentarier würden diese Aufgabe wohl nur ungern nach Brüssel und Straßburg delegieren. Es wird in der Praxis schon schwierig genug – etwa bei den innerhalb von fünf Tagen einsatzfähigen EU-Battle-Groups – den internen Meinungsbildungsprozess fundiert durchzuführen. Es ist daher eine unumgängliche Forderung nicht an Brüssel, sondern an Berlin, den Deutschen Bundestag regelmäßig und ausführlich über die sicherheitspolitischen Entwicklungen zu informieren, so dass es hier zu keinen bösen Überraschungen kommen kann. Die Zustimmung zu einem Militäreinsatz muss mehr bleiben als ein Formalakt – die Diskussion ist und bleibt unumgänglich, wenn wir die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht faktisch doch in die Hand der Exekutive legen wollen. Auf die Mängel die hier – national – immer noch bestehen, haben gerade erst die Grünen wieder hingewiesen.

Ich habe Ihnen kurz die Ausgangsbasis der ESVP in nationalem Vorbehalt und dem weiteren Geflecht der Sicherheitsarchitektur aus Militärbündnissen und Internationalen Organisationen dargestellt. Jedes dieser Themen wäre abendfüllend. Hier können sie nur dazu dienen, den Rahmen zu beschreiben, in dem die EU ihre Sicherheitspolitik aufbaut. Es ist, soviel ist wohl deutlich geworden, ein spannungsvoller Rahmen. War zur Zeit der Blockbildung die Sicherheitsarchitektur stabil, ist momentan viel in Bewegung und alles wirkt unfertig, ungelöst, oft unbefriedigend. Die Akteure reiben sich noch aneinander – denn ganz spannungsfrei sind die Beziehungen zwischen EU und NATO ja auch nicht immer gewesen, auch wenn 21 der 27 EU-Mitgliedstsaaten NATO-Mitglieder sind. Und die Rolle, die die UN spielen sollten und tatsächlich spielen, brauche ich in diesem Zusammenhang gar nicht zu erwähnen. Auf dem Papier ist viel geregelt, aber Papier ist geduldig. In der Praxis spielen ganz andere Machtbalancefragen eine Rolle – und eine neue, in sich stabile Weltordnung steht noch aus. Eine berechtigte Frage ist, ob es in dieser Situation noch einer neuen europäischen Ordnung bedarf, oder ob nicht die UN als übergreifende und die NATO und andere regionale Sicherheitsbündnisse als untergeordnete Kräfte ausreichend wären.

In den letzten Jahren gab es keine zielführenden internationalen Verhandlungen, die eine stabilere Sicherheitsarchitektur angestrebt haben. Einer der Gründe lag sicherlich darin, dass es zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten deutliche Meinungsverschiedenheiten gab, Beispiel: Irakkrieg. Unter keiner amerikanischen Administration waren die Beziehungen zu den eigenen Bündnispartnern so belastet wie unter G.W. Bush. Doch die Zeiten haben sich – Obama sei Dank! – geändert. Die Welt und damit auch Europa setzen nun gerade im Bereich von Sicherheit und Verteidigung große Hoffnungen auf den neuen US-Präsidenten. Der wiederum verspricht „a new era of American leadership“. Im außenpolitischen Bereich steht dafür der Obama-Biden-Plan.

Eines lässt sich bereits jetzt absehen: die amerikanische Außenpolitik wird kooperativer werden – nach innen und nach außen. Der Präsident will alle an einen Tisch holen, die Republikaner daheim und alle Staaten – ob Freund oder Feind. Diplomatie ohne Vorbedingungen heißt das, aber nichts desto weniger eine harte Diplomatie, die nicht Kommunikation um der Kommunikation willen sein wird, sondern die eine klare Zielorientierung hat. Es wird einen vorsichtigen Rückzug der USA geben, nicht aus ihrer internationalen Führungsrolle an sich, aber von einem unilateralen Führungsstil. Verantwortung vor Ort stärken lautet dabei die Devise. Ein Beispiel ist Pakistan: Die zivilen Hilfen für das Land sollen erhöht werden, dafür wird es stärker in die Verantwortung für die Sicherung der Grenze zu Afghanistan genommen. In Afghanistan sollen mehr US-Truppen zum Einsatz kommen, aber auch der Druck auf die NATO-Partner und auf die afghanische Regierung soll erhöht werden, ihr Engagement auszuweiten. Auch der Truppenrückzug aus dem Irak wird unter Obama nur stattfinden, wenn der Irak zu einer relativ stabilen Zone wird. Welche Unterstützung er dabei von NATO und EU erwartet, ist noch offen. Möglich ist, dass von den EU-Staaten nicht unbedingt mehr Einsatz im Irak verlangt wird, aber dafür die Befriedung der Gesamtregion Naher Osten stärker in die Hände der EU gelegt wird, die dort bisher ohne eine abgestimmte geschlossene Linie agiert. Die Zeit wird uns mehr Antworten geben. Erwähnen möchte ich jedoch in diesem Zusammenhang, die Kampagne „For a nuclear weapons free world“, die sich direkt auf die Antrittsrede von Präsident Obama bezieht, in der er sich für die weltweite Abrüstung von Atomwaffen ausgesprochen und dies auch nach Amtsantritt wieder betont hat. Ich bin der Ansicht, dass diese Initiative von Seiten der deutschen Kirchen, aber auch der Bundesregierung, Unterstützung verdient hat. Hier besteht die Chance, für ein internationales ökumenisches Engagement für die Abrüstung von Atomwaffen. Die Kirchen in den Niederlanden haben sich des Themas bereits angenommen.

Die Erwartungen an die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nehmen also eher zu. In ihrem jetzigen Zustand ist sie diesen Anforderungen allerdings kaum gewachsen. Wie genau sich vor diesem Hintergrund die ESVP entwickeln wird, kann ich Ihnen heute Nachmittag nicht abschließend präsentieren, das bedarf sicherlich noch einer vertieften Debatte, auch von kirchlicher Seite. Lassen Sie mich lediglich versuchen, ein paar unfertige Gedanken dazu in den Raum zu werfen und mögliche Handlungsfelder für weiteres kirchliches Engagement aufzuzeigen.

Für den Ausbau der ESVP lassen sich durchaus Gründe anführen: Die Nationalstaaten sollten und können nicht mehr als Einzelspieler auf diesem Feld agieren. Jeder Schritt, der von unilateralen Entscheidungen zu mehr Gemeinsamkeit führt, ist zu begrüßen. Es bedarf einer internationalen Sicherheitsarchitektur, die gleichzeitig global und regional denkt. Die Europäer geraten immer mehr unter – berechtigten – Erklärungsdruck, warum das transatlantische Bündnis eingreifen soll, wenn es nicht um einen Bündnisfall geht, sondern um den Umgang mit Konflikten im unmittelbaren geographischen Umfeld der EU. Dazu kommt, dass die EU aufgrund ihrer eigenen Entstehungsgeschichte wie keine andere Organisation von Staaten dazu in der Lage ist, auf dem internationalen Parkett entschieden für den Vorrang ziviler Lösungen einzutreten. Die EU darf nicht nur Vorbild sein, sie muss aktiv helfen, das Zusammenwachsen anderer Regionen zu befördern. Der Aufbau von Zivilgesellschaften, die Aussöhnung ehemals verfeindeter Völker, die Schulung im politischen Kompromiss sind ihre eigentlichen „Exportschlager“. Die EU hat damit ein Instrumentarium an der Hand, das, wenn es wirklich Nachahmung findet, Konflikte verhindern kann. Die EU ist aber auch diejenige Kraft, die dafür einstehen kann, dass eine militärische Komponente niemals die Problemlösung ist, sondern die zivile Konfliktbearbeitung mit quasi-polizeilichen Mitteln unterstützt werden muss. Der Vorrang des Zivilen muss das Proprium europäischer Außen- und Sicherheitspolitik bleiben.

Das EKD-Büro Brüssel arbeitet derzeit – soweit unsere Möglichkeiten das erlauben – an einer Recherche über das Verhältnis von zivilen und militärischen Instrumenten in der EU.
Die Ergebnisse sollen, spätestens zur nächsten Zusammenkunft der Friedenskonferenz im Raum der EKD, auch den kirchlichen Friedensbeauftragten zugänglich gemacht werden.
Schon jetzt zeichnet sich ein Ergebnis ab, das erfreulich ist: Die zivilen Maßnahmen überwiegen die militärischen deutlich, jedenfalls im Bereich der EU selbst, in der ersten und der zweiten Säule:
 Von 22 Missionen der ESVP waren 16 zivil.
 das Finanzbudget für die zivilen überwog dabei das für die von allen Mitgliedstaaten (außer DK) über den Athena-Schlüssel finanzierten Ausgaben für EU-Militärmissionen auf das Jahr umgerechnet um mehr als das Doppelte,
 hinzu kommen noch die Ausgaben für humanitäre Hilfe der GD Echo, den Europäischen Entwicklungsfond, verschiedene Instrumente wie das Stabilitätsinstrument, das Instrument für Entwicklungszusammenarbeit, das Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte, die Europäische Nachbarschaftspolitik, die Finanzielle Unterstützung Palästinas, des Friedensprozesses und des UNRWA, die Hilfen für Beitrittskandidaten und andere.

Auf der rein mitgliedstaatlichen Ebene steht dem freilich das Ungleichgewicht von 200 Mrd. Rüstungsausgaben gegen 46 Mrd. Entwicklungshilfeausgaben gegenüber (EU Mittel sind auf beiden Seiten einberechnet). Bedenklich sind auch Entwicklungen im Zusammenhang mit den Bestrebungen der EU mehr Kohärenz im Bereich der Entwicklungs- Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erreichen. Hier kommt es darauf an, dass die EU und ihre MS ihre Bemühungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in einer glaubwürdigen, transparenten und kohärenten Weise an die europäischen und nationalen Friedens- und Sicherheitspolitiken anbinden, um zu verhindern, dass Entwicklungszusammenarbeit rein utilitaristisch in den Dienst geopolitischer Interessen gestellt wird. So auch die Forderung von APRODEV, dem ökumenischen Netzwerk kirchlicher Entwicklungshilfeorganisationen.

Wir beobachten, das will ich auch nicht verhehlen, eine wachsende Selbstverständlichkeit, mit der Politiker die vermeintlich schnelle militärische Lösung erwägen – oft genug gegen den Widerstand der Generalstäbe, die ihre eigenen Grenzen meist recht genau einzuschätzen wissen. Man kann das als Argument für oder gegen den Ausbau der ESVP nehmen, je nachdem, wie man die Europäisierung der Verteidigung insgesamt bewertet. Insofern muss es gerade im Sinne derer sein, die die ESVP im Kern als Friedensinstrument betrachten, dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Wenn wir dieser Tage lesen, dass in den vergangenen zwei Monaten in Afghanistan mehr Zivilisten durch westliche Militäreinsätze als durch Attentate der Taliban ihr Leben verloren haben, dann ist das noch einmal ein Warnsignal, das nicht überhört werden darf.

Es ist eine Aufgabe gerade der Kirchen, dieses Signal zu verstärken und die Diskussion über die Alternativen anzustoßen – nicht nur abstrakt, sondern gespeist aus der Expertise, die sie in diesem Bereich erworben haben.

Dabei haben wir gute Argumente – nicht nur sachlicher Art, sondern auch rechtlicher Natur.
Einleitend habe ich betont, dass nur das Primärrecht, also die Verträge, die Grundlage des Unionshandelns bestimmt. Das gilt für die erste wie für die zweite Säule. Deshalb lohnt es sich, die wesentlichen Zielbestimmungen der GASP und ESVP anzuschauen, bevor man sich mit den Details der Umsetzung beschäftigt. Sie kennen die wesentliche Sätze aus dem Vertrag von Lissabon , wie z.B. Artikel 3 I über die Ziele der Union:

„Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“

oder Art. 3 V:

„Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, gobaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.“

Das klingt zwar noch recht „präambelartig“, gehört aber schon zum eigentlichen Vertragstext. In Art. 21 – in den allgemeinen Bestimmungen zum Auswärtigen Handeln – wird das dann noch einmal im gleichen Duktus entfaltet. Sie werden bemerkt haben, dass „Frieden“ immer das erstgenannte Ziel ist. In Art. 42, der die Grundsätze der ESVP festlegt, heißt es:

„Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen.“

An all diesen grundlegenden Stellen wird der Friede als Politikziel hervorgehoben – und, was fast noch wichtiger ist – werden zur Erreichung dieses Ziels die zivilen vor den militärischen Fähigkeiten genannt. Die Reihenfolge kann durchaus hierarchisch gelesen werden.

Mit dem zuletzt zitierten Art. 42 sind wir auch schon in dem Teil des Vertrages angelangt, in dem es wirklich konkret wird. Ich möchte aus diesem Abschnitt zwei Punkte aufgreifen, weil sie besonders umstritten sind. Das ist erstens die Bestimmung aus Art. 42 III, die besagt, dass die Mitgliedstaaten sich verpflichten, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Das war einer der Anknüpfungspunkte der Anti-Lissabon-Kampagne in Irland und wird auch in der Friedensbewegung kritisch gesehen. Es ist in der Tat bedauerlich, dass – obwohl diese Kritik schon beim Verfassungsvertrag laut geworden war – diese Formulierung im Reformvertrag nicht präzisiert worden ist. Ebenso bedauerlich ist, dass in der gleichen Ausführlichkeit kein konkretisierender Passus zur Friedenspolitik der EU in den Reformvertrag aufgenommen wurde. Deshalb ist es natürlich angebracht, an dieser Stelle kritisch nachzufragen.

Die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten kann, darauf möchte ich hinweisen, aber auch effektiv Abrüstung bewirken. In einem sind sich nämlich alle Experten einig: Europas Militär ist zu kostenintensiv und dabei auch noch zu schlecht aufgestellt.

Deswegen sind in jüngster Zeit einige Dinge in Bewegung gesetzt worden. Da sind zum einen zwei Richtlinien, die den Verteidigungsgütermarkt stärker vergemeinschaften sollen. Da ist zum anderen, und das ist der zweite Punkt über den ich ausführlicher sprechen möchte, die Europäische Verteidigungsagentur. Ich halte eine Grundsatzkritik an der Agentur für unangemessen. Ihre Aufgabe ist es, Schneisen in den Dschungel nationalstaatlicher Verteidigungsvorbehalte zu schlagen und Wege aufzuzeigen, wie durch Koordination und Kooperation Einsatzfähigkeit verbessert werden kann. Wenn wir es ernst damit meinen, dass Europas Staaten auch militärisch zusammen arbeiten wollen – und dabei ist es ganz gleich, ob in der ersten oder der zweiten Säule – dann braucht es auch gemeinsame Standards.

Gemeinsame Standards, wo möglich gemeinsame Beschaffung, erhöht die Sicherheit der Soldaten und spart Steuergelder in Milliardenhöhe. Dazu gehört auch, dass Rüstungspolitik nicht mehr eine willkommene Möglichkeit sein darf, heimische Industrien zu fördern ohne sich mit Subventionsrecht herumschlagen zu müssen. Schon bisher ließ Art. 196 EGV diese Form von Protektionismus nur dann zu, wenn die nationale Sicherheit auf dem Spiel stand. In Deutschland galt das offenbar für 98% aller Anschaffungen für Polizei, Militär und Geheimdienste. Die beiden neuen Rüstungsmarktrichtlinien sollen diesem Missbrauch der Schutzklausel ein Ende machen und einen wirklichen Wettbewerb herstellen.

Allerdings muss es gleichzeitig ein klares Bekenntnis der Politik geben, dass die eingesparten Gelder nicht einfach im allgemeinen Steuertopf verschwinden, sondern weiter für Konfliktbearbeitung, also Prävention, Beilegung und Nachsorge zur Verfügung gestellt werden. Die bestehenden Instrumente der Konfliktbearbeitung brauchen dringend mehr Geld. Vor allem muss es denen leichter zugänglich gemacht werden, die vor Ort die effektivste Arbeit leisten: den Nichtregierungsorganisationen.

Sie haben das Vertrauen vor Ort, erreichen dadurch die Beteiligung lokaler Akteure, sie bringen Know-How mit und können Projektbetreuung über längere Zeiträume gewährleisten. Sie brauchen aber Ressourcen, sie brauchen Schutz und oft genug brauchen sie vor allem Freiräume und Vertrauen. Das Zivile ist in Krisenregionen nicht so gut zu organisieren wie das Militärische. Das ernstgemeinte Bekenntnis zu seinem Vorrang muss daher von einem Vertrauensvorschuss begleitet sein. Die Kirchen dürfen deshalb in ihren Forderungen nicht nachlassen, dass der zivile Aspekt ebenso stetig verbessert wird wie der militärische.

Zusätzlich braucht es die kompetente institutionelle Betreuung. Ein Beispiel dafür ist die „Peace Buildung Partnership“ der EU – Teil des Stabilitätsinstruments und angesiedelt in der DG RELEX. Die Peace Building Partnership dient dem Aufbau von Kapazitäten zur Lösung int. Konflikte, z.B. durch Trainingsangebote, aber insbesondere durch die Bereitstellung von EU-Geldern. Mir ist natürlich bekannt, dass sich gerade die rheinische Landeskirche immer wieder für eine „Friendensagentur“ ausgesprochen hat, die einen ähnlich hervorgehobenen Platz erhält, wie die Verteidigungsagentur. Eine solche „institutionelle“ Lösung ist aber schwierig. Agenturen sind zwar in Brüssel derzeit beliebt, aber nicht immer die effektivste Lösung. Das Europäische Parlament, auch auch der Deutsche Bundestag, sehen den Trend zur „Auslagerung“ von EU-Aufgaben in Agenturen kritisch. Es bestehe die Gefahr der Unübersichtlichkeit und schließlich auch der Unkontrollierbarkeit etwa hinsichtlich des Kostenmanagements und der Stellenbesetzung. Zudem wäre eine zentrale Agentur im Zweifelsfall fernab vom eigentlichen Geschehen und den eigentlichen Entscheidungsprozessen. Sie liefe Gefahr, Alibi-Papiere zu produzieren, die aber ohne Wirkung blieben. Wichtiger ist es meines Erachtens, Experten in ziviler Konfliktbearbeitung in den eigentlichen Entscheidungsgremien zu haben und zu verlangen, dass jede Maßnahme und erst Recht jede Mission der GASP und der ESVP dieses Element explizit enthalten müssen. Daher ist es ein wichtiger Schritt, dass – übrigens schon 2005 – beim EU-Militärstab (der Teil des Generalsekretariats des Hohen Vertreters ist und zuständig für die Frühwarnung, Lagebeurteilung und strategische Planung) eine zivil-militärische Planungszelle eingerichtet wurde, die Sachkompetenz aus beiden Bereichen bündeln soll. Die Rolle dieser Einheit im Zentrum der Entscheidungen muss ausgebaut werden. „Embedded peace building experts“ müssen gerade in den Einsatzzentralen und Militärstäben die Regel sein.

Wichtig ist auch ein kohärenten Ansatz der Sicherheitspolitik: Es bedarf einer besseren Kooperation der internationalen Organisationen. Natürlich muss die EU und natürlich muss die NATO eine Sicherheitsstrategie haben. Aber keine der beiden Organisationen kann ernsthaft glauben, dass ihre jeweilige Strategie aufgeht, wenn sie mit der anderen nicht abgestimmt ist. Dazu reicht nicht der Verweis auf die anderen Partner, dazu gehört auch eine zwischen ihnen vereinbarte Aufteilung der Zuständigkeiten und die Vereinbarung konkreter Kooperationen. Derzeit gibt es viele Dopplungen, die auch hier wieder Einbußen an Effektivität und unnötige Mehrkosten verursachen. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf. Die Rückkehr Frankreichs in die aktive NATO-Politik, die sich auf dem NATO-Gipfel Anfang April vollziehen wird, ist sicher ein Schritt, der die Zusammenarbeit in Zukunft erleichtern kann.

Damit will ich den sicherheitspolitischen Teil abschließen und komme vom Frieden zur Gerechtigkeit, denn Frieden ist immer abhängig vom sozialen Frieden.

Frieden und soziale Gerechtigkeit: beides ist aus kirchlicher Sicht nicht trennbar. Es gibt kein Wohlergehen ohne Werte. Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt jedoch sehr deutlich, dass gerade Wohlstand auf Grundwerten aufbauen muss. Und dabei kann man „Werte“ durchaus im doppelten Sinn verstehen: Wir dürfen nicht auf Luftblasen und leere Versprechungen bauen, sondern müssen wirkliche Fundamente zugrundelegen– das, was nun allgemein unter „Realwirtschaft“ verhandelt wird. Aber dafür braucht es eben auch Werte im Sinne von Überzeugungen, Leitgedanken, Menschenbildern, ohne die ein Wirtschaftssystem nicht funktionieren kann. Der Markt regelt nicht alles. In der sich globalisierenden Welt kann auch der Diskurs über, das was von Belang ist, nicht mehr nur national geführt werden. Europa ist eine Wertegemeinschaft, oder Europa hat keine Zukunft. Das soziale Europa und damit auch die Finanz- und Wirtschaftskrise werden in Deutschland und in den anderen MS im Mittelpunkt des Europawahlkampfs, stehen und es gibt viele, die sich hier von ihrer Kirche noch viel prägnanter, noch viel vernehmlicher eine Einmischung, eine Stellungnahme erwarten. Eine Stimme, die gegen Lohndumping, gegen Abbau von Arbeitsplätzen, gegen Diskriminierung und Ausbeutung aufbegehrt, eine Stimme, die sich gegen ungezügeltes Gewinnstreben, Turbokapitalismus und Deregulierungswut wendet. Eine Stimme, die Solidarität anmahnt, das Zusammenspiel jener persönlichen und politischen Werte, das auf der Achtung von Menschenwürde und Freiheit gründet. Nur eine neue Solidarität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, arm und reich, jung und alt, gesund und krank, zwischen ost- und westeuropäischen Ländern kann die Antwort auf die Krise, auf Hybris und Geldgier sein.

Wir in Brüssel arbeiten in vielen Bereichen eng mit den deutschen Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen zusammen und versuchen das soziale Europa sei es im Bereich Mutterschutz, bei der Ausrichtung der künftigen EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung oder im Arbeitsrecht nach Kräften zu fördern. Zuletzt hat der Schutz des Sonntags in Brüssel zu einem fraktions- und kirchenübergreifenden Bündnis geführt. Zusammen mit den ökumenischen Partnern haben wir uns dafür eingesetzt, über die Revision der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) den besonderen Schutz des Sonntags im Gemeinschaftsrecht zu verankern. Eine entsprechende Aufforderung kam von der EKD-Synode.
In der ursprünglichen Richtlinie von 1993 war festlegt, dass die wöchentliche Mindestruhezeit grundsätzlich den Sonntag einschließt. Diese Bestimmung wurde aufgrund einer Klage des Vereinigten Königreichs vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für nichtig erklärt. Zur Begründung hieß es von Seiten des Gerichtshofs, dass der Rat als Gesetzgeber nicht deutlich gemacht habe, warum der Sonntag als wöchentlicher Ruhetag mehr als jeder andere Tag zur Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer beitrage.

Dementsprechend haben die europäischen Kirchen die Debatte um die Revision der Richtlinie dazu genutzt, die Bedeutung des Sonntags in diesem Sinne darzulegen. Er ist der Tag der Familie, der Freizeit und der Pflege des spirituellen Lebens.

Trotz großer Zustimmung im Europäischen Parlament von links und rechts wurde der Änderungsantrag zum Sonntagsschutz im Dezember unter Verweis auf die Geschäftsordnung des EP leider nicht zur Abstimmung zugelassen. Dennoch ist es durch das abgestimmte Vorgehen der Kirchen in Europa gelungen, das Thema „Sonntagsschutz“ auf EU-Ebene fraktionsübergreifend zu besetzen und eine Diskussion zu initiieren ... und das ist schon ein schöner Erfolg.

In der Zwischenzeit hat zudem eine Gruppe von Europaparlamentariern einen Antrag für eine schriftliche Erklärung des EP zum Sonntag eingebracht. Diese Erklärung hat keine Rechtkraft, wäre aber ein wichtiges politisches Signal dahingehend, dass wir nicht alles, was uns heilig ist, Konsum und Kommerz opfern.

Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Ausführungen in aller Kürze auf das vielleicht globalste aller Themen zu sprechen kommen: Die Herausforderungen des Klimawandels. Denn nur dieser Dreiklang: Wirtschaft, Soziales, Umwelt kann den Weg in die Zukunft weisen. Die größte Herausforderung scheint zu sein, dass wir uns endlich als eine Menschheit begreifen müssen, die eine gemeinsame Verantwortung für diesen Planeten trägt. Wenn Sie sehen, wie die verschiedenen Staaten innerhalb der EU um Emissionsreduktionen feilschen – ganz abgesehen von den kaum merklichen Fortschritten auf dem Weg zu einem Kyoto-Folgeabkommen mit den anderen Akteuren – dann wird deutlich, wie schwierig das ist.

Uns Kirchen mag in mancher Hinsicht die Expertise fehlen, uns detailliert an den wissenschaftlichen Diskussionen um einzelne Faktoren und ihre Auswirkungen auf den Temperaturanstieg zu beteiligen. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Aber wir können an der öffentlichen und politischen Bewusstseinsbildung teilhaben und damit unserem Öffentlichkeitsauftrag nachkommen. Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt, dass Kirchen nicht Politik machen, sondern Politik möglich machen sollen. Die klimapolitischen Weichenstellungen, die jetzt anstehen, sind dafür ein gutes Beispiel.

Vor allem sind die Kirchen hier gefragt, Vorreiter zu sein. Und damit meine ich nicht nur die vielen Projekte zu Energieeinsparung und Energieeffizienz, oder die Solarzellen auf den Kirchendächern. Das Christentum ist global. Wie keine anderen Organisation können die Kirchen darum die Stimmen der Armen zu den Reichen tragen und mehr Menschen als nur den Europäern eine Stimme in der Debatte verleihen.

Eine Vorbedingung dafür ist die ökumenische Kooperation. Ich bin froh, dass die gerade in diesem Bereich in Brüssel gut funktioniert: sowohl innerhalb der Konferenz Europäischer Kirchen, als auch unter einzelnen ihrer Mitglieder, als auch im Zusammenklang mit der Katholischen Schwesterkirche. Als ein Beispiel kann ich die Briefe nennen, die der EKD-Ratsvorsitzende, der Erzbischof von Canterbury und der Erzbischof von Uppsala an die Präsidenten der europäischen Institutionen geschrieben haben. Im letzten Brief riefen sie dazu auf, die Finanzkrise nicht zum Anlass zu nehmen, die klimapolitischen Verpflichtungen zurück zu fahren, sondern vielmehr als Chance zu sehen, nun erst recht in innovative, grüne Technologien und Infrastrukturen zu investieren – hier und in den Entwicklungsländern.

Abstriche an den EU-Klimazielen gab es trotzdem. Aber ohne den öffentlichen Druck, darunter eben auch das Engagement der Kirchen, wären diese womöglich noch gravierender ausgefallen. Manchmal ist in unserer Arbeit schon das ein Erfolg, was eine Verschlechterung verhindert. Manchmal müssen wir auch Misserfolge einstecken. Die Herausforderung an uns besteht darin, uns nicht durch die Politik der kleinen Schritte entmutigen zu lassen. Politik ist eben kein Wunschkonzert – so gut diese Wünsche auch sein mögen. Alles hat seine Zeit. Viele positive Reformen haben lange gedauert, bis sie endlich zum Erfolg geführt haben. Vielleicht hat die Kirche anderen Organisationen in diesem Geschäft auch eines voraus: den langen Atem der Hoffnung.

Aus diesem Atem war auch Ihr langjähriges Wirken und unermüdliches Engagement gespeist, verehrter Herr Hergenhan. Dafür gebührt Ihnen unser aufrichtiger Dank verbunden mit allen Guten Wünschen und Gottes Segen für Ihren Ruhestand.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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