Predigt anlässlich der 13. Bundesversammlung in der Kathedrale St. Hedwig zu Berlin

Prälat Dr. Bernhard Felmberg

Liebe Gemeinde!

Zwei Ochsen ziehen einen Wagen. Ein Joch liegt auf ihren Schultern. Die Ochsen müssen gemeinsam laufen und eine Last ziehen, ob es ihnen passt oder nicht. Ob sie einander mögen oder nicht.
Ohne Joch könnten sie laufen, wohin sie wollen.

Willst du nach links, dann gehe ich nach rechts! Unter dasselbe Joch gestellt, funktioniert das nicht. Das Joch nimmt gefangen, hält zusammen, bündelt die Kräfte.

Der Wagen, den die beiden ziehen, ist voll bepackt und schwer.
Ohne das Joch könnten die Tiere ihn nicht ziehen.
Sie ackern, deutlich spüren sie das Joch, fühlen sich unterjocht.
Man hat ihnen eine schwere Last aufgebürdet.

Die Aufgaben und Pflichten, Verantwortungen und Sorgenlasten, die uns auferlegt sind, gleichen oft genug so einem Joch.

Einzeljoche sind Sorgen, die uns allein betreffen: Krankheiten vielleicht, die unserem Körper und unserer Seele zusetzen, die Trauer um einen lieben Menschen, die beharrlich bleibt, obwohl andere sagen: „Das Leben geht weiter!“

Einzeljoche sind auch die beruflichen Aufgaben in schwieriger Zeit, die einen wissen lassen, dass nur mühsam eine schwere Last voranbringt.

Doppeljoche sind Situationen, in denen wir mit anderen Menschen auf kurz oder lang zusammengebunden sind, ob wir wollen oder nicht. Doppeljoche bringen manchmal Menschen zusammen, die es eigentlich in verschiedene Richtungen zieht und die dennoch ein Stück ihres Weges gemeinsam gehen müssen.

Doppeljoche sind uns als Demokraten auferlegt, um den Wagen der Demokratie nicht zuletzt durch Wahlentscheidungen voranzubringen. In der Politik gehört dies zum alltäglichen Geschäft. Nichtsdestotrotz bleibt es eine Anstrengung, oft genug eine Anfechtung: „Muss ich mir das antun?“

Menschen, die für ein politisches Amt kandidieren, sei es von bundespolitischer Bedeutung oder im kommunalen Rahmen, sind im Wettstreit um dieses Amt mit ihren Mitbewerberinnen und Mitbewerbern dafür verantwortlich, in dieser Situation fair miteinander umzugehen und den Regeln des demokratischen Wahlkampfs zu entsprechen. Nur gemeinsam können sie den Wagen der parlamentarischen Demokratie ziehen. Ansonsten bliebe er im Morast stecken, er führe in garstige Gräben und würde die nächste Anhöhe kaum erreichen.

Gemeinsam mit den anderen, mit ihnen verbunden, dienen wir der Demokratie, tragen wir die Verantwortung für sie. Damit sie nicht auf der Strecke bleibt und in Gefahr gerät.

Zusammengespannt mit anders Denkenden den Karren der Demokratie zu ziehen, ist spannungsreich und belastend. Zuweilen möchte man ausscheren, sich von Mitbewerbern oder Oppositionen frei machen, die ganze Last einfach abschütteln. Dann stockt die Fahrt, der Wagen bleibt stehen; es geht nicht mehr voran.

Die Verantwortung (und in gewisser Hinsicht auch ein Glaube an die Demokratie), hält einen unter dem Holz. Sie, die parlamentarische Demokratie, ist immer noch die beste Staatsform, die wir jemals in Deutschland hatten.

Der Wahlkampf ist nicht das Einzige, was auf unseren Schultern lastet, vieles andere kommt hinzu. Schwer sind die Joche, die wir tragen, weil gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise, die auch eine gesellschaftliche Krise ist, politische Entscheidungen besonders ins Gewicht fallen.

Uns Jochträgern ruft Jesus im Matthäusevangelium zu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,28-30)

„Auf! Zu mir!“  „Kommt her.“ „Macht nicht lange rum, verzettelt euch nicht! Schaut in euer Herz, erkennt eure Situation. Gebt eure Mühsal zu, lächelt sie nicht weg. Gesteht euch ein, dass ihr belastet seid. Und wenn ihr euch dessen bewusst seid, dann sucht nicht irgendwo nach Hilfe, sondern kommt schnurstracks zu mir, „denn ich werde euch erquicken.“

Keine Bedingungen werden formuliert, kein „vielleicht“ intoniert. Jesus sagt „Erquickung“ zu. Das klingt lebendiger als alles, was uns sonst auf dem Wellness-Markt angeboten wird. Hier erfährt der Müde umfassende,  die ganze Person umgreifende Erfrischung, bei Jesus geht es um seelisches und um physisches Durchatmen.

Und weiter sagt er: „Eure ausgedienten Joche nehme ich von euren Schultern. Ich gebe euch ein neues, ich gebe euch mein Joch! Und das ist sanft, und an ihm hängt eine leichte Last.“

Schauen wir uns sein Angebot genau an: Zunächst fordert uns Jesus auf, zu ihm zu kommen und ihm zu geben, was uns belastet und bedrückt. Restlos alles: unsere Sorgen, Nöte, Bedrückungen, Traurigkeiten. Alles sollen wir ihm zu Füßen legen.

Im Gegenzug erquickt uns Jesus mit seinem Trost.
Der vom Zerren des Joches durstigen Seele gibt er zu trinken.
Die hart gezogenen Schultern massiert er weich.
Das vor Anstrengung pochende Herz
und die keuchenden Lungen beruhigt er.
Unsere wackeligen Knie macht er fest.

Anschließend zeigt er uns, wie wir miteinander und je für sich gut leben können: Nämlich in Sanftmut und in Demut.

Sanftmütig und demütig  dürfen wir alles annehmen, was uns gelingt, als Gabe und Aufgabe Gottes und uns daran freuen und Gott dafür danken;
sanftmütig und demütig legen wir einen arbeitsreichen Tag am Ende wieder in Gottes Hand zurück, schütteln des Tages Lasten ab und genießen die Ruhe der Nacht; sanftmütig und demütig können und dürfen wir auch unsere Niederlagen ertragen. Aufrechte und gerade, würdevolle und mutige Menschen bleiben wir, weil wir uns durch Gott gehalten, von ihm getragen, geliebt und anerkannt wissen.

Aber das ist noch nicht alles: Schließlich gibt uns Jesus sein Joch. Um ein Doppeljoch handelt es sich dabei. Ein Joch also, das uns mit Jesus verbindet. Ein Joch, das er mit uns zusammen zieht.

Mit ihm ziehen wir fortan durchs Leben. Er hilft uns beim Tragen unserer Lasten. Schritt für Schritt geht er mit. Geduldig. Sanftmütig. Notfalls korrigierend, die Lasten ausbalancierend. Und so wird alles, was wir zu tragen haben, ein wenig leichter, selbstverständlicher, klarer.

Jesus ruft uns zu sich ins sanfte Joch. Er spricht nicht davon, dass wir fortan aller Lasten ledig sind. Christsein bedeutet eben nicht, in Schwerelosigkeit durch den Alltag zu fliegen. Christsein findet mitten in dieser Welt, mitten im täglichen Leben statt. Wer Christ ist, zieht sich nicht aus der Welt zurück. Er stellt sich unter Jesu Joch, stellt sich seinen Pflichten und seiner Verantwortung und gestaltet sie. Er engagiert sich politisch und dient privat und öffentlich dem nahen und dem fernen Nächsten. Nicht lustlos und verzagt, sondern zuversichtlich und mit Gottvertrauen, denn er weiß: Jesus hilft mir beim Tragen der Lasten.

Wer Jesus zum Gefährten hat, kann ohne Angst das Kommende ange-hen. Gerade wenn das Kommende schwer wird: Wer mit Jesus seinen Lebenswagen zieht, hat eine Hilfe, die ihn stark macht. Stark macht, um umsichtig zu handeln. Selbstlos ohne Selbstaufgabe. Zum Nutzen der anderen, ohne Schaden an der eigenen Seele zu nehmen. Im Joch Jesu werden wir befähigt, das Scheitern unserer Bemühungen auszuhalten – und, was fast noch wichtiger ist: In Jesu Joch werden wir befähigt, unsere Erfolge auszuhalten, ohne abzuheben, überheblich zu werden, Allmachtsphantasien zu leben. Wir wissen nun: Jesus weicht nicht von uns, nicht im lichten und erst Recht nicht im finsteren Tal!

Dieser Jochwechsel ist eine Gnade und eine Gabe Gottes. Wir können Bedrücktheit und Sorgen gegen Trost und Zuversicht eintauschen.

Wir können mit Freude und Lust leben, schon jetzt und dann in Ewigkeit. Schön, wenn man uns dieses Erlöstsein auch ansieht, damit die Welt erkennt, dass der Wechsel in das sanfte und leichte Joch Jesu ein fröhlicher Wechsel ist. Nur so findet unsere Seele Ruhe. Liebe Gemeinde, Ihnen allen, die Sie heute wählen oder zur Wahl stehen, wünsche ich, dass Sie in dieser Ruhe leben. Amen!