Berliner Universitätsgottesdienst in der Marienkirche zu Berlin

Prälat Dr. Bernhard Felmberg


Du hast die Wahl!
Reden über Politik und Religion
Universitätsgottesdienst

am Sonntag Rogate
17. 5. 2009
„Für die Regierenden beten“

Berliner Universitätsgottesdienst
in der Marienkirche zu Berlin

Predigttext 1Tim 2,1-6

Liebe Gemeinde,

direkt gegenüber der Französischen Friedrichstadtkirche befindet sich mein Büro im Haus der EKD am Gendarmenmarkt. Im Giebelfeld über dem Portal der Kirche steht folgende Inschrift: „Gott zur Ehre, der Gemeinde zum Segen, unter dem Schutz der Hohenzollern erbaut“.

Täglich schaue ich auf diese Inschrift. Sie erinnert an eine glanzvolle Epoche in der Geschichte von Brandenburg-Preußen, nämlich an das 1685 vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm erlassene Edikt von Potsdam. Das Edikt von Potsdam war ein Toleranzedikt. Es eröffnete den in Frankreich verfolgten Hugenotten die freie und sichere Niederlassung sowie die ungestörte Ausübung des reformierten Gottesdienstes in Berlin und Brandenburg. Als gut ausgebildete Fachkräfte waren die Flüchtlinge hoch willkommen. Umgekehrt legten sie sich aus Dankbarkeit dafür, endlich einen sicheren „Überlebenshafen“ gefunden zu haben, voll ins Zeug. Das Leben wurde in beide Hände genommen. Jetzt, wo die liebe Seele Ruhe hatte, konnte das getan werden, was dem Leben Freude und Sonne gibt. Es wurde gearbeitet, es wurden Familien gegründet und der eigene Glaube in Freiheit gelebt.

Der Anteil der französischen Reformierten am Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht war entsprechend groß. Die französische Gemeinde in Berlin feiert alljährlich am 29. Oktober, an dem Tag, an dem das Edikt von Potsdam erlassen wurde, ihr Réfuge-Fest. Der Gottesdienst ist dann so gut besucht wie sonst nur an Weihnachten.

Nach über 300 Jahren sind die Nachkommen der damals aufgenommenen Glaubensflüchtlinge noch immer dankbar dafür, dass ein europäischer Fürst des 17. Jahrhunderts verfolgten Christen die Möglichkeit gegeben hat, ihr reformiertes Bekenntnis in Ruhe und Unbedrängtheit zu leben.

Die Nachkommen der Hugenotten feiern, dass die Gebete ihrer Vorfahren erhört wurden, die Gebete dafür, dass eine Obrigkeit es ihnen möglich machen möge, ein ruhiges und stilles Leben zu führen in aller Gottesfurcht und Würde.

Die Existenz der französischen Gemeinde in Berlin ist ein Erinnerungszeichen dafür, dass Gott Gebete von Menschen erhört, die Ruhe und Frieden für sich und ihre Gemeinde erbitten. Von einer solchen Ruhe und einem solchen Frieden spricht auch der Predigttext für den heutigen Gottesdienst dieser Predigtreihe. Er steht im Ersten Brief an Timotheus im 2. Kapitel in den Versen 1 - 7.

Er lautet: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Das Gebet für die Obrigkeit, von dem der Erste Brief an Timotheus spricht, ist keine obrigkeitsfromme Adresse, wie wir sie aus Gottes-dienstbüchern des 19. Jahrhunderts kennen. So wie es zum Beispiel in der damaligen Badischen Agende steht: „Beschütze o´ Gott den Großherzog und das ganze herzogliche Haus und lass Gottes Furcht und Friede in ihm wohnen.“

Nein, gemeint ist hier das Gebet dafür, dass Obrigkeiten die Kirche und ihre Gläubigen in Ruhe lassen mögen. Dem Apostel ist dies wichtig. Er ermahnt uns: Wir sollen nicht nachlässig werden mit diesem Gebet.

Vor allem anderen, was tagtäglich zu tun ist, steht das Gebet. Mit ei-ner klaren Ansage setzt unser Predigttext ein. Der griechische Urtext benennt zudem vier verschiedene Gattungen von Gebeten, die man im Deutschen gar nicht so schön ausdifferenzieren kann:

deesis (die Bitte für oder Fürbitte), proseuche (das Gebet), enteuxis (das Bittgebet) und eucharistia (die Danksagung).

Der Apostel weist damit auf die Farbpalette der Möglichkeiten zu Beten hin und hält uns dazu an, diese auch zu nutzen. Das Leben ist so vielseitig und bunt, so dass es Gott gegenüber immer einen Grund zum Danken und zur Bitte gibt. Ja, und es ist immer auch Anlass, nicht nur auf sich selbst zu schauen, sondern den Nächsten vor das Auge und das Ohr Gottes zu stellen.

Und so stellt der Schreiber des Ersten Timotheusbriefes die Fürbitte auch in den Mittelpunkt. Diese gilt allen Menschen, ob nah, ob fern, ob vertraut, ob fremd, ob sympathisch oder unsympathisch – für alle Menschen hat die christliche Gemeinde zu beten, ebenso für die Könige und Obrigkeiten, auf dass wir - die Gemeinde - ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottesfurcht und Würde führen können, also ein Leben ohne Bedrückung und Verfolgung, ein Leben mit freier Religionsausübung und persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Eben ein Leben, wie es Kurfürst Friedrich Wilhelm den Hugenotten in seinem Staat ermöglichte.

Unsere Kirche, die Evangelische Kirche in Deutschland, kann ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottesfurcht und Würde führen. Niemand hindert uns daran, Gottesdienste zu feiern, uns zu Jesus Christus zu bekennen, in aller Öffentlichkeit von unserem Glauben zu sprehen.

20 Jahre nach dem Mauerfall darf und muss dies betont werden. So viele Menschen, mit denen wir heute zusammen eine Kirche bilden, sind als Kinder, wenn sie nicht den Pionieren beigetreten waren und sonntags zum Gottesdienst oder in die Christenlehre gingen, auf Geheiß des Lehrers am Montagmorgen von der Klasse ausgelacht worden. Jegliche Form der Verniedlichung und Abschleifung dessen, was an Unsäglichem gegenüber Christen in der ehemaligen DDR geschehen ist, ist eine Missachtung derjenigen, die unter dem sozialistischen Regime gelitten haben. In dem Buch von Caritas Führer „Die Montagsangst“ wird dies intensiv und beeindruckend, ja bedrückend geschildert.

Heute hört sich das alles an wie Geschichten aus einer fernen Welt, doch für Viele war sie und ist sie dem Empfinden und dem Erleben nach noch immer sehr reell.

Dagegen herrscht heute fast schon gewohnte Ruhe, nimmt man einmal die Auseinandersetzung um die Gestaltung des Religionsunterrichts in Berlin als Ausnahme von der Regel. Der Staat unterstützt die Kirchen und Religionsgemeinschaften aktiv. Er finanziert Lehrstühle, an denen Pfarrerinnen und Pfarrer ausgebildet werden, die Kirchen leben in den Möglichkeiten, die ihnen der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes eröffnet. Die Bundesregierung hat großes Interesse daran, bei bedeutenden Gesetzesvorhaben wie etwa demjenigen zur Patientenverfügung oder zum Schwangerschaftsspätabbruch die Stimme der Kirchen zu hören.

Im Gegenzug begegnet die evangelische Kirche unserem demokratischen Rechtsstaat in kritischer Solidarität. Sie steht Menschen bei, die in der Politik aktiv sind. Wichtig ist das gerade in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise, in der es nicht nur um Arbeitsplätze geht, sondern auch darum, dass Politikerinnen und Politiker „auf Sicht“ Politik machen müssen, also ein hohes Risiko tragen und ohne Beispiel und Vorbild agieren müssen. Alle guten Bemühungen der politischen Ak-teure unterstützt die Kirche. Sie bemüht sich um konstruktive Kritik und steht mitunter den Mächtigen in ihrer Ohnmacht zur Seite. Diese seelsorgerische Seite ist durchaus in den Worten unseres Textes zu entdecken. Es ist das Gespräch mit den Abgeordneten und das Gebet für und mit den Abgeordneten in Andachten im Reichstagsgebäude und zu anderen Gelegenheiten. Es ist dies das Notwendige, zu dem wir als Kirche aufgerufen sind.

Die Kirche bejaht den demokratischen Rechtsstaat. Sie dient ihm inso-fern, als sie die Wichtigkeit und Bedeutung des politischen Engagements hervorhebt. Auch, indem sie Menschen zum politischen Engagement ermutigt. Denn politisches Engagement im demokratischen Rechtsstaat ist nichts weniger als ein Akt der Nächstenliebe.

Sehr schön hat diesen Zusammenhang Jürgen Schmude auf den Punkt gebracht. Schmude – lange Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesminister in verschiedenen Ressorts und langjähriger Präses der EKD-Synode – erhielt auf der Würzburger Tagung der EKD-Synode Anfang Mai den Karl-Barth-Preis der Union Evangelischer Kirchen.

In seiner Dankesrede führt er über das politische Engagement folgendes aus: „Ja, es winken nicht die reine Freude, nicht die befriedigende Ausübung der Macht und der Genuss allgemeiner Ehrerbietung in der politischen Arbeit. Mühevolle Auseinandersetzungen mit kaum über-schaubar vielen Menschen und ihren unterschiedlichen Interessen sind der Alltag. Manchmal gibt es erfreuliche Erfolge, häufig aber Erschöpfung, Verdruss, Stress und auch Niederlagen. „Muss ich mir das antun“, werde ich immer wieder gefragt“, wenn ich einen zum politischen Engagement auffordere. Wenn du es irgend kannst, solltest du es tun, lautet die Antwort. Das auf sich zu nehmen, ist eine heute be-sonders nötig gebrauchte Form von Nächstenliebe. Dem Nächsten kommt es zugute, wenn wir bei der Sicherung von Recht und Frieden durch die Politik helfen.“

Für Politiker vom Schlage Jürgen Schmudes, aber auch für alle anderen, die sich auf ihre Weise bemühen um unseren demokratischen Rechtsstaat – für solche Politiker Fürbitte zu halten, erfordert keine große Überwindung.

Doch unsere Fürbitte soll allen Menschen und allen Obrigkeiten gelten, also auch solchen Politikern, die menschenverachtend agieren, die tyrannisch herrschen, die sich nicht um Menschenrechte scheren, die die christliche Gemeinde verfolgen und ihr kein Leben in Ruhe gönnen. Obrigkeiten, die Christen nicht in Ruhe lassen, gibt es viele.

Wenn man sich anschaut, wo überall auf der Welt Christen und andere religiöse Minderheiten verfolgt und bedrängt werden, kann einem schon der Atem stocken. Christenverfolgungen sind ja keineswegs nur ein Phänomen der frühen Kirche vor Kaiser Konstantin, wie man das standardmäßig fürs erste Theologische Examen lernt. Nein Christenverfolgungen sind heute zahlreicher als jemals zuvor. Und da muss man nicht nur an Despotien wie Saudi-Arabien oder den Sudan denken. Eine massive Bedrängung der christlichen Kirche findet auch ganz in unserer Nähe statt, nämlich in der Türkei. Man stelle sich vor: In einem Land ante portas der Europäischen Union müssen Christin-nen und Christen haarsträubende Benachteiligungen in Kauf nehmen.

Vor zwei Monaten hatte ich die Gelegenheit, mit einer Delegation des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die Türkei zu besuchen. In Istanbul, dem alten Konstantinopel, empfing uns der ökumenische Patriarch der orthodoxen Kirche. Während er noch die Fröhlichkeit eines Christenmenschen ausstrahlte, fanden die Gespräche mit den Patriarchen der anderen Kirchen in einer sehr beklemmenden Atmosphäre statt.

Unsere Gesprächspartner sprachen so, wie man es von Menschen kennt, die in Staaten leben, die das Leben von Minderheiten unterdrücken. Sie lobten pflichtschuldig die Regierung für fließend Wasser und kostenlosen Strom und äußerten immer wieder, dass es ihnen gut ginge. Später erfuhren wir den Grund dieser formelhaften Sätze: Die Amtssitze der Patriarchen werden vermutlich abgehört.

Was mich als ehemaligen Ausbildungsdezernenten unserer Landeskirche besonders belastet: Das orthodoxe Predigerseminar auf der Insel Chalci ist seit 1971 bis auf weiteres geschlossen. Die iuridischen Bestimmungen des türkischen Staates im Blick auf kirchlichen Grundbesitz und die Arbeitsmöglichkeiten christlicher Pfarrer: reine Repression. Die Reste des einstmals blühenden Christentums in Kleinasien sollen hier offensichtlich nachhaltig zum Verschwinden gebracht werden.

Für diese Christen in der Türkei und für ihre Obrigkeit haben wir zu beten. Wie sieht so ein Gebet aus? Wir bitten Gott, unseren Heiland, dass er die Herzen der in der Türkei Regierenden verändere. Dass er sie dahin bringe, dem Volk Gottes ein ruhiges und stilles Leben zu ermöglichen in aller Gottesfurcht und Würde. Wir beten also zu unserem Heiland für die Regierenden, die sich als Feinde der Kirche gerieren, auf dass sie anderen Sinnes werden. Wer, wenn nicht Gott, kann den Sinn von Menschen verändern? Wer kann Menschen zur Umkehr, zur Abkehr vom gottlosen Tun bewegen? Allein Christus.

Und unsere Gebete werden erhört. Jesus hat uns gerade in der Lesung aus dem Johannesevangelium zugesagt (Joh 16,23): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater etwas bitten werdet, so wird er´s euch geben in meinem Namen.“ Dass das wirklich so ist, dass Gott die Gebete seiner Kirche tatsächlich hört, dass er ihr Gebet um ein Ende der Verfolgung erhört, daran erinnert uns – wie gesagt – die französische Gemeinde in dieser Stadt.

Davon am Sonntag Rogate zu sprechen ist wichtig.

Die Frage der Erhörung von Gebeten durch Gott ist eine schwierige, ja, eine anfechtungsreiche. Zu sagen: Wofür ich bete, das wird zeitnah eintreffen, liegt nicht in unserer Hand. Wer so redet, möchte Gott dazu zwingen, den Willen des Beters zu erfüllen. Gott aber ist keine Gebetsmaschine, die unten auswirft, was oben eingegeben wurde. Selbst wenn wir Notwendendes erbitten, wie etwa das Ende von Verfolgung und Unterdrückung: Gott bleibt die Freiheit die Dinge so zu tun, wie er es will.

Ja, das Gebet, ist keine einfache Angelegenheit. Unsere Aufgabe ist es, Gott zu bitten, ihm – wie Luther es einmal schön gesagt hat – in den Ohren zu liegen. Im Fall der Ankunft der Hugenotten in Berlin etwa kann man davon sprechen, dass Gott ihre Gebete erhört hat. Und mit Blick auf den Fall der Mauer kann man sagen, dass die friedliche Revolution vor 20 Jahren nie so verlaufen wäre, wenn sie nicht ihren Anfang mit Kerzen und Gebeten genommen hätten. Von staatlicher Seite wurde in diesem Zusammenhang einmal gesagt: „Auf alles waren wir vorbereitet, aber nicht auf Kerzen und Gebete.“ Unser eigenes Leben sagt uns und lässt uns darauf vertrauen, dass Gott unsere Gebete erhört.

Die Frage, ob Christus tatsächlich in der Welt herrscht, wird beim Beten mit einem klaren Ja beantwortet. Zweifel an der Majestät und Machtfülle Jesu Christi spielen beim Beten keine Rolle. Und genau deswegen werden wir vom Schreiber des Ersten Timotheusbriefes ermahnt, vor allen anderen Dingen zu beten. Beim Beten nämlich bestä-tigen und bekräftigen wir die biblische Botschaft im Tun. Wider die Einwände unserer verzagten, kleingläubigen und ängstlichen Vernunft. Wie gut, dass wir in unseren Gottesdiensten beten und Fürbitte halten und dabei Dinge tun, die höher sind als alle Vernunft.

Amen