Verfolgung und Diskriminierung von Christen im 21. Jahrhundert
Grußwort beim Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU (EAK)
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Merkel,
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Thomas Rachel,
meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
in Deutschland haben wir das Recht auf Religionsfreiheit. Gott sei Dank! Es steht im Grundgesetz fest verankert, ganz vorn. Sie alle kennen den berühmten Artikel 4. Dass wir diese Religionsfreiheit genießen, dass die in Deutschland vertretenen Konfessionen und Religionen friedlich nebeneinander existieren können, erscheint uns heute meist als Selbstverständlichkeit. Der 2. Ökumenische Kirchentag in München hat wieder einmal gezeigt, wie respektvoll und gemeinschaftsorientiert Christen untereinander umgehen und auch mit ihren jüdischen und muslimischen Geschwistern den Austausch pflegen.
Aber das war nicht immer so, und es ist gut, sich daran zu erinnern: Das friedliche Nebeneinander von Menschen unterschiedlichen Glaubens ist nicht von heute auf morgen über unser Land gekommen.
Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, mit der vollkommenen Gleichstellung der Konfessionen im Westfälischen Frieden kamen die jahrzehntelangen, bitteren und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken sehr allmählich zur Ruhe.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die konfessionelle Durchmischung der Bevölkerung vor allem in den Städten deutlich an; das Zeitalter des Kampfes um territoriale Monopole war definitiv zu Ende. Nun aber traten Grundkonflikte zwischen den Konfessionen zutage – ich nenne hier nur die Problematik der konfessionsverbindenden Ehen, die früher etwas despektierlich „Mischehen“ genannt wurden.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden durch die Millionen Vertriebenen, die sich über die ganze Republik verteilten, die klassischen konfessionellen Milieus aufgebrochen. Nein, das war kein Spaziergang, die sich in so vielen Lebensäußerungen offenbarenden konfessionellen Unterschiede zwischen Nachbarn auszuhalten. Bis zuletzt gab es überall in Deutschland zahlreiche Versuche, Hochburgen katholischen oder evangelischen Millieus zu erhalten, um sich bloß nicht auseinandersetzen zu müssen mit anderen Lebens- und Glaubensweisen. Dass dies letzten Endes, wenn auch erst nach Jahrzehnten gelang, war eine Integrationsleistung ersten Ranges, die unser Land erbracht hat. Wie lange dieser Prozess gedauert hat, wird häufig vergessen, wenn es um die Integrationsbereitschaft der Deutschen und der hier lebenden ausländischen Mitbürger geht.
Die Deutschen mussten Toleranz im wahrsten Sinne des Wortes: üben. Religionsfreiheit ist schnell gefordert und postuliert, aber sie innerlich auch in der Nachbarschaft nachzuvollziehen, das ist nicht immer einfach.
Und so wird sie bisweilen schnell infrage gestellt, unsere Religionsfreiheit. Zum Beispiel da, wo deutsche Bürgerinnen und Bürger in ihren täglichen Lebensbezügen plötzlich mit Äußerungen „fremden“ Glaubens konfrontiert werden, wie etwa beim Bau von Moscheen und Minaretten.
Dass selbst in unserer Demokratie die religionsfreiheitlichen Lebensäußerungen Andersgläubiger – und im selben Atemzug bisweilen fremde Kulturen in Gänze – auf Widerstand stoßen, darf uns nicht gleichgültig sein. Solche Reflexe bedeuten nichts weniger als eine Infragestellung der Religionsfreiheit auch in unserer freiheitlichen Demokratie.
Wenn schon in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft die Äußerungen, Bedürfnisse und Zeugnisse eines anderen Glaubens Gefühle der Überfremdung wecken - wie muss es dann um den Alltag unserer christlichen Geschwister bestellt sein, die in islamisch dominierten Regionen der Welt eine sehr kleine Minderheit darstellen? Ich meine christliche Minderheiten, die sich weder auf ein Recht auf Religionsfreiheit berufen können, noch allein durch ihre Zahl gesellschaftliches Gewicht haben.
Leider ist es in vielen dieser Regionen tatsächlich so: Minderheiten werden als „Störfaktoren“ in einem ansonsten scheinbar geschlossenen Gesellschaftsgefüge wahrgenommen. Manchmal sind es externe Faktoren, die den Zorn der gesellschaftlichen Mehrheit gegenüber einer Minderheit aufflammen lassen. Dies wurde beispielsweise beim Karikaturenstreit schmerzlich sichtbar, der die Bedrohung vieler Christen zur Folge hatte.
Aber auch jenseits solcher externer Faktoren ist die Verfolgung und Misshandlung religiöser Minderheiten beklagenswert häufig an der Tagesordnung. Ich muss das nicht weiter ausführen - Sie alle kennen die verstörenden Meldungen, die wir immer wieder den Medien entnehmen müssen. Allein im Irak sind seit 2003 Hunderte Christen ermordet worden; das letzte Todesopfer war Anfang vergangenen Monats zu beklagen, als mehrere Busse bombardiert wurden, in denen christliche Studenten auf dem Weg zur Universität in Mossul saßen. Kirchen brennen und Menschen werden aus Gegenden vertrieben, in denen es schon seit über 1600 Jahren christliches Leben gibt.
Auch in Marokko, einem islamischen Land, in dem viele Jahre eine gewisse religiöse Freiheit in einem freilich engem Rahmen vorherrschte, gab es in den letzten Wochen rund 100 Ausweisungen von Christen, was unsere Dienststelle gegenüber der Botschaft intervenieren ließ. Auch das Auswärtige Amt wurde von uns selbstverständlich in Kenntnis gesetzt.
Wie kann unter diesen Umständen Vertrauen zwischen den Anhängern unterschiedlicher Religionen entstehen? Wie kann ein offener Dialog, der auf eine Zukunft des friedlichen Miteinanders ausgerichtet ist, sich ausbilden, ja überhaupt entstehen?
Dankbar nehmen wir wahr, dass die Verfolgung und Ermordung von Christen inzwischen auch von deutschen Muslimen mehrheitlich abgelehnt wird. So zeigte sich der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) entsetzt über den Anschlag auf Christen nach einer koptischen Weihnachtsmesse in Ägypten im Januar, bei dem acht koptische Christen getötet wurden." Übergriffe wegen Andersgläubigkeit finden in keiner Religion eine Berechtigung", erklärte KRM-Sprecher Bekir Alboga. Solche Anschläge unter Missbrauch der Religion seien inakzeptabel und aufs Schärfste zu verurteilen. Auch wenn diese Worte gut zu hören sind, so hoffen wir darüber hinaus, dass die vielen bei uns lebenden Muslime auch Botschafter der Religionsfreiheit sind, wenn sie in ihre Heimat reisen und sehen, was mit christlichen Minderheiten in ihrem Herkunftsland geschieht. Diese Bereitschaft können wir kirchlicherseits stärken, indem wir nicht nachlassen, auch hierzulande klar gegen Tendenzen der Intoleranz in der Bevölkerung einzutreten.
Doch auch dort, wo keine äußerliche Gewalt herrscht, sind Christen in ihrer Existenz bedroht. Ihre Lebenssituation ist bestenfalls eine des „angehaltenen Atems“: Wie lange werden sie unbehelligt leben können? Welche Einschränkungen müssen sie für die Ausübung ihrer Religion in Kauf nehmen?
Vor wenigen Tagen bin ich mit einer Delegation der CDU/CSU-Fraktion in die Türkei gereist: dies war eine gute Gelegenheit, meine Erfahrungen zu ergänzen, die ich im März vergangenen Jahres bei einer Delegationsreise mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland machen durfte.
Die Lage der Christen, die in manchen Regionen der Türkei einst eine Mehrheit darstellten, ist zwar nicht grundsätzlich lebensbedrohlich zu nennen, doch sie ist und bleibt ziemlich dramatisch.
Vor dem Ersten Weltkrieg betrug der Anteil christlicher Ethnien innerhalb der Grenzen der heutigen Türkei noch rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung, heute gibt es im gesamten Land nur noch rund 100.000 Christen. Dies sind bei rund 80 Millionen Einwohnern nur noch rund 0,15Prozent. Die Gründe für den Rückgang sind bekannt: Obwohl der Lausanner Vertrag von 1923 die alten christlichen Konfessionen wie etwa die griechisch-orthodoxe als schützenswert festschreibt, hat die Auslegung dieses Vertrages durch die Türkische Regierung niemals dazu geführt, dass diese Minderheiten wirklich Rechte und Schutz erhielten. Der Laizismus türkischer Form kennt zwar einerseits theoretisch eine absolute Trennung von Staat und Religion, doch diese wird nicht auf den Islam angewandt. Im Gegenteil gibt es die staatliche Religionsbehörde Dianet, die den Moscheebau im Land verwaltet und mehrere tausend Imame angestellt hat. Die „Betreuung“ dieser Geistlichen geht bis dahin, dass deren traditionelle Freitagspredigten zum Teil ausformuliert vorgegeben werden.
Anders sieht es bei den christlichen Gemeinden aus, die nach wie vor keinen Rechtsstatus genießen und mit Ihren Liegenschaften de facto als nicht existent gelten, was bei Renovierungen von Kirchen oder Neubauten von Gebetsstätten immer wieder zu Problemen führt. So ist die in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts gegründete evangelische deutsche Gemeinde in Istanbul zwar die älteste ausländische Kultureinrichtung der Türkei, doch auch ihr Status ist ungeklärt. Das im Lausanner Vertrag formulierte Recht, dass christliche Minderheiten ihre eigenen Pfarrer und Priester ausbilden dürfen, hatte bis 1971 seine Gültigkeit, dann verschärfte der türkische Staat die Gangart, und das Priesterseminar auf Halki wurde geschlossen.
Seit 1971 also können die griechisch-orthodoxen Christen keine jungen Menschen zu Priestern ausbilden. Darüber hinaus dürfen nur diejenigen Priester werden, die in der Türkei geboren sind; die Übernahme im Ausland ausgebildeter Geistlicher ist somit auch nicht möglich. Wer aber die Ausbildung von Geistlichen nicht zulässt, nimmt der Kirche die Zukunft.
Auch die Armenische Kirche hat mit Widerständen zu kämpfen. Bei der Wahl eines neuen Patriarchen beispielsweise benötigt sie die Zustimmung der staatlichen Behörden. Das mag zwar bei der Besetzung eines katholischen Bischofs im Land der Bayern nicht anders sein, doch anders als dort erfolgt das „nihil obstat“ in der Türkei nicht unverzüglich. Im Gegenteil wird das Verfahren so sehr in die Länge gezogen, dass die Neubesetzung schlichtweg verunmöglicht wird.
Bei den Gesprächen, die ich mit Vertretern der christlichen Minderheiten in der Türkei geführt habe, musste ich leider immer wieder dieselben Beobachtungen machen: Von politischer Seite wird unseren Geschwistern viel versprochen, ja manchmal meint man sogar, dass die Fortschritte, die in Aussicht gestellten Verbesserungen mit den Händen zu greifen sind. So gab es im August letzten Jahres intensive Gespräche zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan und dem ökumenischen Patriarchat, die darauf hoffen ließen, dass eine Öffnung des Priesterseminars Halkis direkt bevorstehen würde. Doch auch diesmal geschah - trotz des Wortes des Ministerpräsidenten – wieder nichts.
Viele Christen vor Ort sind deshalb der Meinung, dass die türkische Regierung nach dem Motto: „Süße Speisen, süße Gespräche“ eine Hinhalte- und Zeitverzögerungsmethode praktiziert, die letztlich dazu führen wird, dass die christlichen Minderheiten verschwinden.
Aus diesem Grund ist die Frustration unserer Geschwister in der Türkei über die alltäglich erlittene verdeckte und offene Diskriminierung erheblich. Diese resignative Haltung begegnet einem in Istanbul genauso wie in Südostanatolien, in Kurdistan oder in Mesopotamien. Wer sich in der Türkei an die Grenze zu Syrien begibt, der kann einen Blick in die „Wiege unseres Glaubens“ werfen. Hier sind einst die Worte und Hymnen formuliert worden, die ihren Weg nach Europa gefunden haben, um uns mit den Gedanken des Christlichen zu beschenken. Dafür steht heute noch symbolisch das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel, ein „christlicher Leuchtturm“, ein Fixstern christlicher Kultur seit dem Jahr 397 nach Christus. Es ist in Deutschland durch die auch in den Medien transportierten Rechtsstreitigkeiten um seinen Landbesitz fast berühmt geworden. Es ist wahr, dass das Kloster um sein Recht kämpfen muss, denn es besitzt viel Land. Solcher Besitz ist angesichts der Größe dieses Klosters nichts Außergewöhnliches, und das Land ist deutlich als Land des Klosters gekennzeichnet. Zisternen sind zu sehen, Mauern, Türme – allesamt Anzeichen dafür, dass die Klosterbrüder vor langer Zeit das Ihre vor Angriffen geschützt haben. Nun sind aber im Laufe der Jahre diesseits und jenseits der Mauer auf dem Klosterland Büsche und Bäumchen gewachsen. Der Türkische Staat nennt dies einen Wald. Und ein Wald ist nach türkischem Recht Eigentum des Staates. Es klingt absurd, doch es ist tatsächlich so: Der Streit geht darum, ob durch das Wachsen von Büschen und Bäumen das Land quasi im Stillen den Besitzer gewechselt hat. Dazu gibt es nun ein Gerichtsverfahren; gleichzeitig erhält die Leitung des Klosters unter der Hand Angebote, das Land zu pachten. Hier stellt sich den Christen in der Türkei zurecht die Frage: „Muss man über sein Eigentum verhandeln?“ Der Erzbischof ist jedenfalls entschlossen, für sein eigenes Grundstück nicht zu bezahlen. Diese Entscheidung ist – ich nehme an, Sie sind da ähnlicher Ansicht – nachvollziehbar.
Es sind Fragen wie diese, die die in der Türkei lebenden Christen mürbe machen. Und natürlich geht es nicht immer um Besitzverhältnisse. Bekomme ich einen Beruf als Christ? Schicke ich mein Kind in eine Schule, in der es nur Moslems gibt? Kommt der Schulbus noch in mein kleines christliches Dorf, oder wird er plötzlich wegfallen? Die täglich empfundene Diskriminierung ist mit ursächlich dafür, dass Christen - gerade in einer sowieso politisch sehr instabilen Region wie Kurdistan - ihre Heimat verlassen. Inzwischen leben in Deutschland rund 70.000 syrisch-orthodoxe Christen. Es ist an uns, uns dafür einzusetzen, dass den verbliebenen Familien in Midiat und der Region Mardin eine Zukunft in ihrer Heimat ermöglicht wird. Die „Wiege unseres Glaubens“ muss leben, auch, damit wir in sie hineinsehen können, um uns selbst zu erkennen.
Ich freue mich sehr darüber, dass die Unionsfraktion den Einsatz für verfolgte Christen in aller Welt zu einem Thema macht. Denn für uns alle gilt: Wir dürfen nicht nachlassen, für den Schutz und die Sicherheit von Christen in der Welt einzutreten. Immer wieder müssen wir das Unrecht, das Christen und anderen religiösen Minderheiten widerfährt, anklagen und bekämpfen – im Großen wie im Kleinen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit