Andacht im Deutschen Bundestag
Mt 16, 13-16
Liebe Gemeinde,
als biblische Erzählung habe ich für diese Andacht einige Verse aus dem 16. Kapitel des Matthäus-Evangeliums ausgesucht:
13Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? 14Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer; andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. 15Wer sagt denn ihr, dass ich sei? 16Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
„Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ Jesus ist eine Person des öffentlichen Lebens. Er ist inzwischen überall bekannt. Kein Wunder, denn er erregt durch seine Worte und seine Taten zwangsläufig Aufmerksamkeit. Er hat eine bunte Schar von Frauen und Männern um sich geschart, die mit ihm durchs Land ziehen, er heilt Kranke, die schon nicht mehr auf Heilung gehofft haben, er stillt den Sturm und ist damit offensichtlich Herr über die Naturgewalten, er hält Tischgemeinschaft mit den verhassten Zöllnern und missachtet die Sabbatruhe – und es ist die Frage, was davon der größere Skandal ist – außerdem spricht er mit einem Ernst und einer Intensität von Gott, die ihresgleichen suchen und den Menschen nahegehen.
Die Leute reden über Jesus, den Wanderprediger aus Nazareth. Das ist klar. Doch was sagen sie? Finden sie gut, was er macht? Verachten sie ihn? Halten sie ihn für einen Engel oder einen Scharlatan? Jesus will es wissen. Jetzt, nach der ersten Zeit seines Wirkens, als für ihn deutlich ist, dass sein Weg auf das Kreuz zuläuft, schart er seine Jünger um sich und fordert von ihnen ein Feedback: „Wer sagen die Leute, dass ich sei?“
Diese Frage ist uns wahrscheinlich nur zu vertraut. Auch wir stellen sie uns wohl immer wieder. Es würde mich zumindest wundern, wenn irgendjemandem diese Gedanken fremd sind: „Was denken die anderen von mir? Was reden meine Freunde über mich, was die, die mich nicht mögen? Was hält meine Chefin von mir? Denkt sie, dass ich gut arbeite? Wofür halten mich meine Kollegen? Für einen hilfsbereiten, freundlichen und engagierten Mitarbeiter oder für einen Schleimer?“
Nicht nur als Personen stellen wir uns solche Fragen, reflektieren, wie wir bei unseren Gesprächspartnern ankommen. Auch und gerade in Institutionen gibt es immer wieder Feedbackrunden. Wir an der Dienststelle des Bevollmächtigten nutzten einen Tag der vergangenen Woche als Klausurtag, und auch in den Parteien gab es jetzt vor der neuen Arbeitsphase des Parlaments Klausurtagungen. Eine wichtige Frage ist gerade dort natürlich: „Wie nehmen die Leute uns wahr? Können wir unsere Themen setzen? Können die Menschen sagen, wofür wir stehen? Was unsere Partei vertritt und welche Ziele sie verfolgt?“
Die Meinung der Leute, die die Jünger Jesus weitererzählen, ist durchweg positiv. Die Menschen haben erkannt, dass sie es in Jesus mit einer ganz besonderen Person zu tun haben. Für einen Propheten halten sie ihn oder für Johannes den Täufer; manche raunen sogar, er sei der wiedergekommene Elia. Jesus könnte eigentlich zufrieden sein mit dem Echo, das er auslöst. Es sind ja keine Geringen, für die er da gehalten wird. Doch treffen die Menschen mit ihren Vermutungen nicht den Kern. Deswegen fragt Jesus nun die Jünger selbst, was sie eigentlich von ihm denken. Kennen ihn die Menschen, die ihm besonders nahe stehen, besser? Haben sie erkannt, wer er ist? „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Petrus ist es, der diese Erkenntnis ausspricht und sie zugleich zu einem Bekenntnis werden lässt: „Du, Jesus, du kommst von Gott. Du bist Christus, auf den wir solange gewartet haben!“ Damit rettet Petrus die Ehre der Jünger. Denn er spricht aus, wer Jesus ist, auch wenn es ihm immer wieder schwerfallen wird, zu begreifen, was das eigentlich bedeutet.
Wenn über uns die Leute reden, dann werden sie uns wohl kaum mit einem Propheten, dem Täufer oder gar Elia identifizieren. Und das ist auch ganz gut so, denn wer könnte dem Vergleich mit so herausragenden Personen schon gerecht werden? Wir können zufrieden sein, wenn andere Menschen verstehen, wofür wir einstehen. Was unsere Motive sind, warum wir uns für eine Institution wie die Kirchen oder die Parteien engagieren. Im politischen Bereich ist es das Ziel, dass Mitglieder einer Partei auch als deren Vertreter erkennbar werden.
Doch wir werden nicht nur über unser Amt wahrgenommen, sondern auch als Privatpersonen. Wobei uns da die Menschen natürlicherweise besser einschätzen können, die uns näher stehen. Wenn wir unsere Familienmitglieder und Freunde fragten: „Was glaubt ihr, wer ich bin?“, dann können wir hoffen, dass sie ein einigermaßen richtiges Bild von uns haben, denn sie sollten unsere Stärken und Schwächen, unsere Lebensweise und unsere Wünsche kennen.
Wir stehen für unser Amt und werden darin erkennbar, wir werden als Privatperson sichtbar, als Christen stehen wir aber auch noch für etwas Anderes. Nämlich für den Glauben an den dreieinigen Gott. Auch das soll in unserem Leben erkennbar sein. Eigentlich sollten die Menschen in uns ein bisschen etwas von Petrus sehen: Jemanden nämlich, der aus seinem Herzen bekennen kann: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“
Wie wird das erkennbar? Da gibt es sicher keinen allgemeingültigen Weg. Aber es gibt ein Geländer, das den Weg zeigt und begrenzt. Da sind zunächst die Zehn Gebote, an denen wir unser Leben ausrichten sollen. Da ist freilich auch das Doppelgebot der Liebe, das für Andere spürbar werden lässt, durch wen wir uns leiten lassen. Vielleicht wird unser Glaube auch deutlich durch ein Stück Gelassenheit, das wir ausstrahlen, weil wir unser Leben in Gottes Hand wissen, oder durch die Dankbarkeit für unser Leben, die wir empfinden. Es kann auch sein, dass durch ein Wort des Trostes oder der Hoffnung, das wir verschenken, andere Menschen bemerken, was uns trägt. Manchmal freilich kommen wir in eine Situation, wo wir direkt gefragt werden, was wir glauben oder was wir denken, wer dieser Jesus ist. Dann ist der Bekennermut angebracht, den Petrus hatte.
Die Aufzählung, woran Menschen unseren Glauben merken, kann nur unvollständig bleiben. Und sie darf auf keinen Fall ein bloßer Moralkodex sein, wie man sich als ordentlicher Christ zu verhalten habe. Vielmehr bin ich überzeugt davon, dass der Glaube sich von allein ausdrückt, wenn er unser Leben prägt und trägt. Und dann erkennen die Menschen in unserem Umfeld diese Seite auch an uns und merken: Das ist Jemand, in dem das Wort regiert: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“ Amen.