Predigt im Gottesdienst zum Ehrenamtsfest des Diakonischen Werkes der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Liebe Festgemeinde,
wann sind Sie das erste Mal in Ihrem Leben ehrenamtlich tätig gewesen? Wo sind Sie mit dem Gedanken, mit der Vorstellung und der Überzeugung konfrontiert worden, dass ein Leben, das allein bei sich bleibt, keines ist?
Die Wege zum Ehrenamt sind so zahlreich wie Sie alle, die sich allein heute hier im Palais unter dem Funkturm versammelt haben. In meiner Kindheit haben zwei Dinge erste Impulse für so etwas wie ehrenamtliches Handeln im Kleinen gesetzt.
Erstens: Ich habe in der Grundschule einen sehr berührenden schwarz-weiß Film über die Arbeit mit Behinderten in Bethel und das Wirken von Friedrich von Bodelschwingh gesehen. Zweitens: Mir ist dadurch der große Postkasten im Vorraum der Kirche meiner Heimatgemeinde, der evangelischen Auenkirchengemeinde in Berlin-Wilmersdorf aufgefallen.
In den folgenden Jahren sammelte ich. Kein Brief, den mein Vater erhielt, war vor mir sicher: Sofort nahm ich die Schere zur Hand und dann raus mit der Briefmarke. Bei jedem Gottesdienstbesuch warf ich die Briefmarken dann durch den Schlitz des großen Kastens.
Für all diejenigen, die diese Aktion in ihren Kindertagen nicht kennen gelernt haben: Unter dem Stichwort Briefmarken für Bethel konnten und können von Umschlägen und Postkarten nicht abgelöste Briefmarken nach Bethel geschickt werden. Von den behinderten Beschäftigten werden diese Marken abgelöst, getrocknet und zu neuen Sammlungen zusammengestellt. Der Rest wird an Sammler als „Wundertüte“ und an Briefmarkenhändler verkauft. Der gesamte Erlös wird ausschließlich für soziale Projekte innerhalb der Anstalt verwandt.
Seit fast 125 Jahren gibt es jetzt diese Initiative, die viele Menschen mit diakonischem Handeln verbindet. - Das war mein ehrenamtlicher Anfang. Aber beim Anfang bleibt es ja nicht. Wir alle hier sind stärker eingestiegen. Viele von uns seit Jahren. Und im Inneren unseres Herzens spüren wir, das es gut und notwendig ist. Unser Amt ist mit keinem Geld aufzuwiegen.
Ich hoffe aber, dass Sie auf andere Weise für Ihren ehrenamtlichen Dienst entlohnt werden: Durch den Spaß und die Freude, die er Ihnen selbst macht, sowie durch die Freude, die Sie mit Ihrer Hilfe anderen bereiten.
Außerdem hoffe ich, dass Sie Tage wie den heutigen genießen können. Er soll ja ausdrücklich eine Anerkennung für Sie und den Dienst sein, den Sie unermüdlich leisten. Ich muss jedenfalls sagen, ich bin beeindruckt von der großen Zahl der Menschen, die heute hier zusammengekommen sind. Sie machen sichtbar, wie viele helfende Hände, offene Ohren, tröstende Schultern und einfallsreiche Ideen jeden Tag im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für hilfsbedürftige Menschen da sind.
Bewundernswert finde ich zudem, dass Sie Ihre Hilfe nicht von Ihrer spontanen Lust und Ihrer Tagesform abhängig machen, sondern dass Sie sich für ein regelrechtes Ehrenamt verpflichten lassen. Damit schwimmen Sie gegen den Strom derjenigen, die zunehmend nach dem Lustprinzip handeln. Oder, um es positiv zu formulieren: Damit sind Sie Trendsetter für eine neue Verbindlichkeit.
Weil wir wissen, dass wir „Ja“ zu unserem Leben sagen, sagen wir auch immer wieder „Ja“ zu unserem Ehrenamt.
Die Tätigkeiten und Mühen, die wir damit auf uns nehmen, sind nicht immer leicht zu schultern. Unser regelmäßiges „Ja“ wird auf manche harte Probe gestellt. Das allerschwerste im Bereich des Ehrenamtes, zumal des in der Kirche und ihrer Diakonie, besteht allerdings manchmal in vier Buchstaben. Es ist das Wort „Nein“. Warum eigentlich?
Allein die zusätzlichen zwei Buchstaben können nicht erklären, warum uns das „Ja“ grundsätzlich näher liegt als dieses schwierige Wort „Nein“. Aber liebe Gemeinde, Sie werden mir zustimmen: Nur wer lernt, mit Blick auf die eigenen Ressourcen ab und zu auch einmal eine Bitte abzuschlagen, kann dauerhaft für andere da sein. Denn jedes „Ja“ wird im Laufe der Zeit immer kleiner, immer dünner immer schwächer, immer blasser, wenn nicht auch einmal durch ein herzhaftes aus der Tiefe der Seele formuliertes „Nein“ der eigenen Selbstbegrenzung das „Ja“ für anderes gestärkt wird. Das ist wichtig und gehört zu den Fähigkeiten, die mancher Ehren-Amtsträger vielleicht im Laufe seiner Tätigkeit noch lernen muss.
Denn ein Ehrenamt ist eben tatsächlich ein Amt. Die moderneren Begriffe der Freiwilligentätigkeit oder des bürgerschaftlichen Engagements, die inzwischen häufig statt des Wortes „Ehrenamt“ verwendet werden, können diese Dimension niemals so gut zum Ausdruck bringen, wie der auf den ersten Blick etwas antiquiertere Begriff des Ehrenamtes. Natürlich sind die neueren Begriffe nicht falsch. Sie betonen andere Aspekte Ihres Dienstes: Der Begriff der „Freiwilligentätigkeit“, macht deutlich, dass niemand Sie zwingt, sich in Ihrer Freizeit unentgeltlich für Andere einzusetzen, und im Ausdruck „bürgerschaftliches Engagement“ wird deutlich, dass Sie Ihren Dienst versehen für unsere Gesellschaft, als deren Teil Sie sich verstehen.
Doch im Wort Ehrenamt steckt etwas, das für Ihren Dienst meiner Meinung nach noch wichtiger ist, nämlich: Ihre Aufgabe ist für Sie nicht nur eine Laune, es ist auch eine Verpflichtung. Die Ihnen anvertrauten Menschen können sich darauf verlassen, dass Sie tun, was Sie zugesagt haben. Sie stellen Ihre Tätigkeit nicht einfach sang- und klanglos ein. Denn Ihr Dienst hängt eben nicht nur an Ihrem Engagement, sondern Sie füllen tatsächlich ein Amt aus, das meist in feste Strukturen eingebunden ist, und das diese Verlässlichkeit schlichtweg braucht.
Kinder, die in seelischer Not sind, müssen sich darauf verlassen können, dass am anderen Ende des Kinder- und Jugendtelefons nicht das Freizeichen ertönt, sondern dass da wirklich ein Ansprechpartner sitzt, der ein offenes Ohr für ihre Sorgen hat. Alleinerziehende Mütter oder Väter sind darauf angewiesen, dass die Leihgroßmutter von Kikon zur verabredeten Zeit kommt, um auf den Nachwuchs aufzupassen, damit sie pünktlich zum Elternabend gehen können.
Liebe Gemeinde, „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand predigt, dass er`s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er`s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
(1. Petr 4,10-11)
Liebe Gemeinde, „dient einander“ – Sie haben sich entschieden, dass Sie dieser Aufforderung nachkommen wollen. Sie dienen anderen durch Ihr Ehrenamt. Dabei ist der Wirkungsbereich, in den Ihr Dienst ausstrahlt, groß.
Sie kommen aus der ehrenamtlichen Arbeit in verschiedenen Kirchengemeinden Berlins, Brandenburgs und der schlesischen Oberlausitz. Ihr Wirken hält unsere Kirchengemeinden am Laufen. Aufgrund Ihres ehrenamtlichen Einsatzes werden die Gemeinden durch das Presbyterium geleitet, singt im Gottesdienst ein Chor, finden Seniorennachmittage und Kinderbibelwochen statt, wird das Gemeindeblatt ausgetragen und der Kirchgarten gepflegt.
Doch nicht nur die Kirchengemeinden profitieren von Ihrem Dienst. Ihre ehrenamtliche Tätigkeit ist vielmehr tatsächlich ein Dienst für die Gemeinschaft, das heißt, für unsere Gesellschaft.
Die Lesepaten in den Evangelischen Schulen engagieren sich für die Bildung, dafür, dass Kinder Lust aufs Lesen bekommen, dass sie ihre Phantasie entwickeln, Gefallen an der Sprache finden und sich so selbst besser ausdrücken können.
In den zahlreichen Krankenhäusern von Kirche und Diakonie helfen Sie auch mit Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit dazu, dass Menschen wieder gesund werden, dass sie nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu Kräften kommen und neuen Lebensmut schöpfen. Die zahlreichen unterschiedlichen Einrichtungen der Familienfürsorge mit ihren Ehrenamtlichen sind unverzichtbare Hilfen für Familien, die vor großen Herausforderungen in ihrem Familienleben stehen.
Das eben zeichnet die guten Haushalter der vielerlei Gaben Gottes aus. Wir haben alle viele Gaben empfangen. Wir können Vieles sehr gut, haben ganz unterschiedliche Talente und Begabungen. Keiner von uns ist unbegabt. Gott hat uns begabt und in diese Welt geschickt, ja auf unseren Nächsten losgelassen, dass wir an ihm und mit ihm und durch ihn unser Menschsein leben.
Gott hat uns Zeit geschenkt, unsere Lebenszeit. Lassen Sie uns diese auch weiter teilen. Allein der Fernsehapparat am Abend ist kein guter Partner, um das Leben und die Menschen kennenzulernen. Wir sind dankbar dafür, dass es uns so gibt wie wir sind und setzen uns daher gerne für andere ein, die es nicht so einfach haben.
„Dient einander!“ Wir merken, dass unser Dienst nicht nur dem anderen dient. Selbst derjenige, der auf den ersten Blick für uns scheinbar nichts tun kann, weil er auf unsere Hilfe angewiesen ist, dient auch mir. Er dient mir, weil er mir Dimensionen der Welt, des Leidens, der Fröhlichkeit im Leid, der Hoffnung, ja auch der Hoffnungslosigkeit vermittelt, die mich in meinem Leben, in meiner Einstellung zum Leben, in meiner Haltung im Leben verändern.
Ich gehe durch die Straßen meiner Stadt, meines Dorfes mit anderen Augen. Ich sehe Dinge, die andere übersehen oder sich abtrainiert haben sehen zu wollen. Mein Amt, mein Dienst dient mir, weil ich mich selber spüre, wenn ich für den Nächsten da bin. Und im Dasein für den Nächsten ist Gott mir ganz nahe. Ich betrete durch meinen Dienst den Raum des Heiligen, so unheilig dieser auch scheinen mag. Durch unser Ehrenamt folgen wir Jesus nach.
Und woher nehmen wir die Kraft, fragen wir uns manchmal. Warum machen wir weiter, auch wenn wir das Gefühl haben, dass es immer mehr wird, was wir leisten sollen. Woher empfangen wir immer wieder Motivation, wenn uns Missverständnisse, Auseinandersetzungen oder sogar Streit bisweilen innerlich kündigen lassen und wir die Brocken, den Telefonhörer, die Krücken, das Buch oder die Haustüre einfach einmal schmeißen wollen?
Wir tun es, weil uns durch Gott mehr Kraft gegeben wird als wir am Anfang des Weges je geglaubt hätten. Er gewährt uns diese Kraft - und siehe, wie oft sie uns immer wieder aufs Neue bewegt. Es stimmt: Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft. Die Wahrheit dieser althergebrachten Redewendung mögen vor allem diejenigen immer wieder spüren, die in Bereichen ihr Amt ausüben, die Kraft zehrend sind und an die Seele gehen.
Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand predigt, dass er`s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er`s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Aber noch etwas wird durch das Ehrenamt bewirkt. Es kanalisiert unsere Gaben. Sie werden sinnvoll eingeteilt und nicht verschwendet. Wer sich einbringt, ist ein guter Haushalter. Weiß Gott, eine Eigenschaft, die in unserem Land und in der Europäischen Union nicht immer überrepräsentiert ist. Die Währung des Ehrenamtes ist stabil. Sie als diejenigen, die sich einbringen, Sie alle sind der Rettungsschirm für viele andere. Ein Rettungsschirm, übrigens, der hält und der genau das hält, was er verspricht.
Liebe Gemeinde, als Christen geben wir in unserer tätigen Nächstenliebe nicht nur anderen Menschen die Ehre, die unsere Hilfe brauchen, und erwerben auch nicht nur uns selbst Ehre, wenn wir so handeln, sondern wir ehren mit unserem Dienst immer auch Gott.
Durch unser Handeln wird Gott gepriesen durch Jesus Christus. Denn Dienst am Nächsten ist immer Gottesdienst.
Als Sie Ihr Ehrenamt im Diakonischen Werk aufgenommen haben, war es vielleicht nicht ihre primäre Motivation, den Dienst am Nächsten als Gottesdienst zu leisten. Wahrscheinlich stand der Wille im Vordergrund, anderen Menschen helfen zu können, möglicherweise war auch die Dankbarkeit für die eigene Lebenssituation eine Motivation für die Initiative, vielleicht auch die Hoffnung, dass Sie Ihre Fähigkeiten entwickeln können und neue verantwortliche Aufgaben erlernen.
Ich gehe aber davon aus, dass Sie immer wieder einmal gefragt werden, warum sie denn sich ausgerechnet in Kirche und Diakonie engagieren und nicht bei einem anderen Träger der Freien Wohlfahrtspflege oder darüber hinaus.
Ich möchte Sie dazu ermuntern, dass Sie Ihren Gesprächspartnern sagen, warum es uns aus unserem christlichen Glauben heraus so wichtig ist, anderen Menschen zu dienen.
Gott hat uns begabt, damit wir nicht bei uns bleiben, sondern den Nächsten suchen. Gott hat uns begabt, dass wir den Menschen dienen und ihn ehren. Was gibt es Schöneres, was Erfüllenderes. Gott segne Sie und Ihr Tun.
Amen.