"Wir können es ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20)

Rede vor dem Stephanuskreis der CDU/CSU-Fraktion

1. Act 4,1-22: Ein Kabinettstück über die Bedrohung der Religionsfreiheit

Die beiden Jünger stehen nämlich laut dem Evangelisten Lukas vor dem Hohen Rat in Jerusalem, der auch als Synhedrium bezeichnet wird. Das Synhedrium war zur Zeit Jesu und der Apostel für die Verwaltung, für die Rechtsprechung sowie für die religiösen Angelegenheiten in Jerusalem und ganz Judäa zuständig. Vor diesem höchsten Gremium der Stadt also stehen Petrus und Johannes und müssen sich dafür verantworten, dass sie den Menschen von Jesus erzählen und ihnen die Auferstehung Jesu von den Toten predigen. Konkreter Anlass der Vorladung der Apostel vor das Synhedrium ist ein Wunder. Petrus und Johannes haben einen von Geburt an lahmen Mann geheilt, der täglich im Tempelhof gesessen und um Almosen gebettelt hatte. Diese Tat hat das Synhedrium veranlasst, die beiden zu arretieren. Nach einer Nacht im Gefängnis wollen die Mitglieder des Hohen Rates nun wissen: „Aus welcher Kraft oder in welchem Namen habt ihr das getan?“ Und Petrus – voll des Heiligen Geistes, wie Lukas betont – nutzt die Gelegenheit, auch vor seinen Anklägern seinen Glauben zu bekennen. Mutig antwortet er ihnen: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat; durch ihn steht dieser hier gesund vor euch. In keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“ Nach dieser Rede des Petrus berät das Synhedrium hinter verschlossenen Türen. Die Mitglieder erkennen die Frömmigkeit der Apostel, auch können sie das Wunder nicht leugnen. Aber sie können den Aposteln verbieten, weiter im Namen Jesu zu sprechen. So hofft der Hohe Rat, die Bewegung der Christen eindämmen zu können. Petrus und Johannes wird also folgende Verwarnung mit auf den Weg gegeben: Sie dürfen keinesfalls mehr im Namen Jesu reden oder lehren oder Wunder wirken. Die beiden Apostel aber lassen sich nicht einschüchtern. Es wäre unrecht, dem Gremium mehr zu gehorchen als Gott, das stellen sie als erstes klar. Außerdem bewege Gott sie dazu, ihren Glauben weiterzusagen, denn: „Wir können`s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“  Widerwillig lässt das Synhedrium daraufhin die beiden Apostel frei. Es gibt keine rechtliche Handhabe für eine Verurteilung der beiden. Mit der Verwarnung sind sie davongekommen.

Mit dieser Geschichte gibt uns der Evangelist Lukas im 4. Kapitel der Apostelgeschichte ein kleines Beispiel für die Bedrohung der Religionsfreiheit. Das Synhedrium versucht, eine religiöse Bewegung zu unterdrücken, denn den Mitgliedern passt nicht, dass die Apostel ihren Glauben an Jesus von Nazareth öffentlich kundtun und leben. Erstens untergräbt das die Autorität der Lokalherrscher, die diesen Jesus ja selbst dem Römer Pilatus zur Verurteilung übergeben haben. Zweitens bringt die Predigt der Apostel Unruhe ins Volk. Zahlreiche Menschen lassen sich beeindrucken von der Botschaft der Jünger Jesu und „konvertieren“, wenn ich dieses Wort einmal so unhistorisch gebrauchen darf. Noch hat sich das Christentum ja nicht als eigenständige Religion etabliert.

2. Religionsfreiheit als Menschenrecht

Nun geht es Lukas nicht um ein allgemeines Plädoyer für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit. Der Evangelist schildert vielmehr beispielhaft an einem Konflikt mit dem Synhedrium, wie die ersten Christen sich in ihrer Umwelt behaupten und gegen welche Widerstände sie sich wehren mussten. Damit ist ihm, wie ich finde, aber doch ein kleines Kabinettstück über die versuchte Beschränkung der Religionsfreiheit gelungen, wie sie auch heute noch Menschen erleben, denen verboten wird, ihren Glauben öffentlich zu leben. Denn das Recht auf öffentliche Ausübung der Religion ist ja wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Religionsfreiheit. Dieses lautet in der Formulierung des Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“  Fast wortgleich lautet Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Etwas verändert ist dagegen Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der UN vom 19. Dezember 1966, der anders als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte rechtliche Verbindlichkeit besitzt und bisher von 167 Staaten vertraglich anerkannt wird. In diesem Artikel zur Religionsfreiheit fehlt das Recht, die eigene Religion zu wechseln. Dort heißt es lediglich: Jeder Mensch hat das Recht, eine Religion zu haben oder anzunehmen.  Diese Veränderung kam auf Verlangen einiger muslimisch geprägter Staaten zustande, da der Islam den Wechsel zu einer fremden Religion verbietet.

III. Mission und Proselytismus

Damit ist ein Konflikt angesprochen, der bis heute zentral ist in den Auseinandersetzungen um die Religionsfreiheit, nämlich die Frage von Mission und Proselytismus, also Anhängerschaft an eine fremde, nicht die ursprünglich eigene Religion. Die öffentliche Lehre und Tätigkeit im Namen Jesu ist ja schon das Problem, das das Synhedrium mit Johannes und Petrus hat. Die Erfahrung der beiden Jünger mit Jesus, ihr Glaube daran, dass er der Messias Gottes ist, drängen nach außen. Sie wollen anderen Menschen davon erzählen: „Wir können`s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ Der Drang, vom eigenen Glauben öffentlich Zeugnis abzulegen und für ihn zu werben, gehört zum Wesen des Christentums. Der sog. „Missionsbefehl“ Jesu bringt dies zum Ausdruck. Im 28. Kapitel des Matthäus-Evangeliums heißt es bekanntlich: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten, alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (V.18-20)

Doch nicht nur das Christentum betreibt Mission. Mission ist vielmehr ein wesentliches Kennzeichen der Weltreligionen sowie neuerer religiöser Bewegungen.  Am längsten missionarisch tätig sind dabei Anhänger des Buddhismus. Schon im 3. Jahrhundert v.Chr. entsandte der Kaiser des auf heutigem indischen Boden liegenden Maurya-Reiches einen Missionar auf die Insel Ceylon. Gut zwei Jahrtausende später entstand dann zwischen den beiden Weltkriegen das erste Buddhistenkloster auf europäischem Boden, übrigens hier in Berlin-Frohnau. Erst vor wenigen Jahren wurde schließlich das Europazentrum der Buddhismus Stiftung Diamantweg in Immenstadt gegründet, mitten in den Alpen des bayerisch-schwäbischen Allgäus.

Auch für den Islam ist Mission selbstverständlich. Im Augenblick expandiert er nicht nur in Afrika südlich der Sahara. Diese Entwicklung ist Ihnen bekannt.
Für den Hinduismus dagegen ist Mission eine neue Erscheinung. Ursprünglich drängte er als Volksreligion nicht über die Grenzen Indiens hinaus. Seit Ende des 19. Jahrhunderts treten jedoch hinduistische Missionare in Europa und Amerika auf.

Für das Judentum kennen wir die sogenannten „Gottesfürchtigen"schon aus dem Neuen Testament. Die Gottesfürchtigen waren hellenistische Heiden, die sich an die Synagogengemeinden hielten, aber nicht beschnitten waren. Paulus hat gerade auch unter dieser Gruppe von Menschen viele Anhänger für die christliche Lehre gewonnen. Auch wenn immer wieder Menschen, sogar geschlossen kleine Königreiche  zum Judentum konvertierten und heute noch konvertieren, entwickelte das Judentum nie eine planmäßige Mission wie das Christentum. „Seine Werbung geschah vielmehr im Stillen, wurde von Vorsichtsmaßnahmen gesteuert und war ein In-Empfang-nehmen von Menschen, die bereits unterwegs zum Judentum waren.“

Die Frage nach der Religionsfreiheit stellt sich also mit der Koexistenz verschiedener Religionen in einer Gruppe von Menschen oder in einer Nation, wobei die Religionen die Möglichkeit bieten, Mitglieder aufzunehmen, und daher auch für den eigenen Glauben werben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dieser Frage schon einige wegweisende Urteile gefällt.  Er unterscheidet zwischen angemessenem und unangemessenem Proselytismus. Angemessen ist demnach die Werbung für den eigenen Glauben durch Gespräche und Überzeugungskraft. Dieser Weg der Mission darf daher nicht unterbunden werden. Unangemessen und von Staaten legitim untersagbar ist es dagegen, wenn Druck ausgeübt wird oder eine soziale Vorrangstellung genutzt wird, um jemanden zur Konversion zu bringen. Denken Sie beispielsweise an einen militärischen Vorgesetzten, der seinen Untergebenen zum Wechsel der Religion zwingen will.

In einer multireligiösen Gesellschaft wird die Freiheit der Religion also dann bedroht, wenn Anhänger einer Religion diese nicht ungestört privat oder öffentlich leben dürfen, oder es nicht möglich ist, von einer Religion in die andere zu wechseln. Doch „Wenn Menschen ihre Religion nicht frei ausüben können, sind sie in ihrer innersten Freiheit betroffen, nämlich der Freiheit, den Sinn ihres Lebens selbst zu erkennen und das Leben als Ganzes danach zu gestalten. Eine Gesellschaft, in der Würde und Wert des einzelnen Menschen gewahrt sind, ist ohne Religionsfreiheit nicht denkbar.“

IV. Engagement der EKD für bedrängte und verfolgte Christen

„Wir können`s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ Was schon Petrus und Johannes öffentlich vertraten, leben auch wir Christen heute. Manche unserer Glaubensgeschwister werden in ihrer Glaubenspraxis jedoch eingeschränkt oder aufgrund ihres Glaubens bedroht oder gar verfolgt. Es ist ein Verdienst des Stephanuskreises der CDU / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, dass er sich für die bedrängten und verfolgten Christen weltweit einsetzt. Damit folgen Sie, liebe Mitglieder, einer Ermunterung des Apostels Paulus im Brief an die Galater: „Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ (Gal 6,10).

Aus Ihren Protokollen habe ich entnommen, dass sie sich bei den vergangenen Treffen vor allem der Situation der Christen in der Türkei und in Indien, im Irak, in Israel/Palästina und in Ägypten angenommen haben.

Die Lage der Christen in Ägypten, die nach Weihnachten durch den furchtbaren Anschlag in Alexandria ins Licht der Öffentlichkeit kam, ist im Moment natürlich angesichts der politischen Veränderungen dort und im Maghreb überhaupt aus dem öffentlichen Fokus wieder verschwunden. Es bleibt abzuwarten, wie eine neue Regierung mit vielleicht einer neuen Verfassung mit der Frage der Religionsfreiheit in Ägypten umgehen wird.

Die heutige Türkei ist mit ihren Paulusstätten im ehemaligen Kleinasien eine Wiege des Christentums. Zur Zeit der oströmischen Kirche war Konstantinopel, das heutige Istanbul, neben Rom das große Zentrum des Christentums, es trug den Titel des Ehrenpatriarchats. Diese Zeiten sind schon lange Geschichte. Bemerkenswert jedoch ist der starke Rückgang der Zahl christlicher Bürger in der Türkei in den vergangenen 100 Jahren: von 25% auf 0,2%. Sie kennen die Entwicklung.

Wie Sie hier im Stephanuskreis beschäftigt die EKD dabei aktuell das Urteil des Kassationsgerichtshofes in Ankara von Anfang Februar zu den Besitzungen des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel. Das Gericht hat große Teile des Eigentums des Klosters dem Staat übertragen. Es steht zu befürchten, dass dieser Besitzverlust die Arbeit und das Leben des Klosters empfindlich einschränken wird. Dabei ist das Kloster mit seiner Klosterschule von großer Bedeutung für die syrische Sprache und Kultur. Etwa zwei Drittel aller weltweit tätigen Geistlichen und Religionslehrer der syrisch-orthodoxen Kirche erhielten in Mor Gabriel ihre Ausbildung. Mor Gabriel soll nicht eine verwaiste Ausbildungsstätte wie das seit 1971 geschlossene Priesterseminar auf Chalki werden. Denn wenn Kirchen keine Möglichkeit mehr haben, ihren Nachwuchs auszubilden, haben sie auch keine Zukunft.

Doch nicht nur das Kloster ist in Gefahr. Aufgrund des Gerichtsurteils steht zu befürchten, dass nun mit dem Vorwurf der Aneignung türkischen Staatseigentums strafrechtlich vorgegangen wird gegen das Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche, Erzbischof Mor Timotheus Samuel Aktas sowie gegen den Vorsitzenden der Klosterstiftung, Kuryakos Ergün.

Die EKD befürwortet daher zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz, dass das Kloster gerichtlich gegen das Urteil vorgehen will. Beide Kirchen haben außerdem die Bundesregierung gebeten, bei der türkischen Regierung weiter daraufhin zu wirken, dass Religionsfreiheit in der Türkei auch Christen gewährt wird und ihre Existenzgrundlagen nicht weiter vom türkischen Staat zerstört werden.

Auch unsere eigene deutsche evangelische Auslandsgemeinde in der Türkei, die ihren Sitz in Istanbul hat, ist von der Einschränkung der Religionsfreiheit betroffen, die in der Türkei noch immer besteht. Auch wenn die Gemeinde seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in Istanbul eine Kirche hat und die Gemeinde die älteste ausländische Kultureinrichtung in der Türkei ist, hat sie Schwierigkeiten, ihr Eigentum rechtlich abzusichern. Die Gemeinde darf ihre Gottesdienste und ihre Seelsorge einzig für die deutschsprachigen Ex-Patriots anbieten. Auch musste unsere Pfarrerin vor Ort, die ihren Dienst gerade eben im Januar angetreten hat, wie ihre Vorgänger mit einem Dienstpass der Bundesrepublik Deutschland einreisen, um ihren Auftrag in der Gemeinde ordnungsgemäß ausführen zu können. Deutschsprachige Pfarrer und Pfarrerinnen erhielten in der Vergangenheit entweder gar keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis oder wie in jüngster Zeit nur unter erheblichen und aufwendigen Anstrengungen.

Nicht nur in der Türkei, sondern in vielen Ländern engagiert sich die EKD für unsere christlichen Glaubensgenossen. Wir tun dies auf den bekannten öffentlichen Wegen wie Kampagnen und direkten Interventionen bei Botschaftern und Regierungen. Wir tun dies aber genauso auch in Hintergrundgesprächen mit Verantwortungsträgern oder durch Prozessbeobachtung.

Über das politische Engagement hinaus aber wollen wir unsere Glaubensgeschwister auch geistlich unterstützen. Deswegen hat die Synode der EKD beschlossen, eine Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christen im Kirchenjahr fest zu verankern. Als Tag dieser Fürbitte wur-de der Sonntag Reminiszere ausgewählt. Dieser Sonntag ist der zweite in der Passionszeit, die zur Einkehr einlädt und in der wir Christen besonders über unsere Hoffnung nachdenken, dass das Leiden und der Tod nicht das letzte Wort haben werden. Der zweite Sonntag der Passionszeit ist dabei benannt nach dem Beginn des 6. Verses von Psalm 25: „Reminiszere!“ „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“ Mit unserer Fürbitte bringen wir die Lage unserer Glaubensgeschwister vor Gott, vertrauen sie der Barmherzigkeit Gottes an, drücken im Gebet unsere Hoffnung aus, dass nicht der Hass, sondern gegenseitiges Verständnis das Zusammenleben der Menschen prägen möge und bitten Gott um seinen Beistand und seinen Trost für die Christen.

In diesem Jahr, also am 20. März, gilt unsere Fürbitte den Christen im indischen Orissa. Die schwere Lage der Christen dort ist Ihnen allen ja durch den Reisebericht von Frau Abgeordneter Granold gut bekannt. Mit unserer Fürbitte wollen wir unsere Verbundenheit mit den Christen in Orissa zum Ausdruck bringen und ihnen mit Psalm 16 zusprechen, was unser gemeinsamer Glaube ist: „Du wirst mich nicht dem Tode überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe. Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.“