Andacht im Deutschen Bundestag

Liebe Gemeinde,

das erste Laub auf den Straßen zeigt: Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Nun gilt es die zweite Jahreshälfte zu gestalten: Ziele sind zu erreichen, Projekte umzusetzen, Termine abzuarbeiten. Nach der Sommerpause – da geht es Ihnen vermutlich ähnlich wie mir – will man es noch einmal richtig wissen.

Entsprechend voller Tatendrang war ich, als ich vor einigen Wochen aus meinem Urlaub aus Südfrankreich zurückkam. Die freien Tage, Sommer, Strand und Sonne, hatte ich so richtig genossen. Am letzten Tag hieß es dann Koffer packen, die ersten E-Mails wurden wieder gecheckt, die ersten Anfragen aus den Ministerien gingen ein, gedanklich war ich schon fast wieder in Berlin. 

Ein letzter Blick aufs Meer und rein ins Auto. Ich stelle das Navi ein. Zurück nach Hause: „Die Route wird berechnet.“ Ganz in Gedanken muss ich nach einem guten Drittel der Strecke, kurz vor der Grenze, eine Abfahrt verpasst haben.

„Wenn möglich, bitte wenden“ – hieß es.

„Wenn möglich, bitte wenden“, insistierte die Frauenstimme aus dem Navigationsgerät noch einmal.

Eigentlich gar keine schlechte Idee, dachte ich amüsiert.

Denn seit ungefähr einer halben Stunde war ich im Nieselregen unterwegs. Wenden –und ab zurück in die Sonne nach Südfrankreich.

Ob die Stimme aus dem Navigationsgerät tiefenpsychologische Fähigkeiten hat und mir noch einmal ein paar schöne Tage gönnen wollte?

Umkehr auf die Sonnenseite des Lebens. Das ersehnen wir uns in manch enger, ja bedrängter Situation, sei sie im politischen Alltag oder sonst in unserem Leben. Aber eine Flucht ins „dolce far niente“ ist nicht der Ausweg. Eine andere Umkehr ist nötig, die erfülltes Leben ermöglicht. Wie heißt es im Markusevangelium: 

„Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ Luther übersetzt das griechische Wort „metanoia“ mit „Buße“. Wörtlich heißt es „Umkehr“. Es handelt sich also um eine Sinnesänderung der gesamten Existenz.

Der Begriff der Buße ist in unseren Ohren ja ein ziemlich altertümlicher. Er wirkt leicht angestaubt. Vielleicht haben wir ihn auch einstauben lassen, weil es uns im Inneren zutiefst widerstrebt, Buße zu tun, oder auch nur an Umkehr in unserem Leben zu denken. Auf der Autobahn unseres Lebens, auf der wir hochpoliert dahinrasen, muss, darf es nur vorwärts und geradeaus gehen.

Aber es lohnt sich, diesen Begriff abzustauben. Denn unter dem Staub verbirgt sich Glanz. In dem Ausdruck Buße liegt die Bedeutung „Besserung“. Und Besserung, das ist nun etwas, was wir wiederum wollen:

Mit der Politik wollen wir bessere Verhältnisse schaffen. Manch einer will ein besserer Partner werden, ein besserer Vater oder eine bessere Mutter. Mancher will besser die vielen privaten und beruflichen Verpflichtungen unter einen Hut bringen. Was auch immer dieses „besser“ in jedem einzelnen Fall heißen mag. „Besser“ für mich, besser für meine Kinder, Eltern, Freunde oder Mitmenschen. Und das dieses „besser“ sich von dem „Sehr gut“ Gottes unterscheidet, wissen und fühlen wir ja auch.

Besserung, Buße, so erfahren wir aus dem Evangelium, gelingt nur, wenn wir Gott in unser Leben lassen und aus dem Licht des Evangeliums unser Leben führen. Gott gibt uns die Kraft, dass wir uns zutrauen, die Dinge anders zu betrachten als wir dies bisher getan haben.

Er traut uns zu, dass wir uns verändern können, dass wir uns auf ihn zubewegen und so neue Lebensmöglichkeiten für uns eröffnen.

„Wenn möglich bitte wenden!“ - schon in der ersten Arbeitswoche kam mir die „Navistimme“ wieder in den Sinn.

Vor drei Wochen war ich nämlich mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel, meinem katholischen Kollegen Prälat Jüsten und Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf einer Reise in Kenia. Zusammen haben wir verschiedene Entwicklungsprojekte unserer langjährigen Partner vor Ort besucht.

Seit 50 Jahren arbeiten Kirchen und Politik in der Entwicklungspolitik engagiert zusammen. Während der fünf Jahrzehnte ist deutlich geworden: Auch in unserer Konzeption von Entwicklungshilfe mussten wir eine Kehrtwende machen.

In den ersten Jahren sahen wir, die reichen Kirchen in Deutschland, eine Verpflichtung darin, den armen Menschen in Afrika in Barmherzigkeit zu helfen. Oft hatte das etwas von Almosengeben und nicht selten auch etwas von moralischer Überheblichkeit. Inzwischen sind wir dazu übergegangen, die Handlungsfähigkeit der Menschen vor Ort wahrzunehmen.

Durch den Dialog mit den Betroffenen wurde immer deutlicher: Entwicklungshilfe ist keine Lösung von Dauer, vielmehr kommt es darauf an, die eigenen Kräfte und Fähigkeiten der Menschen so anzusprechen, dass diese sich selbst entfalten können.

Das ist natürlich ein mühsamer Prozess, aber er ist erleuchtet vom Geist Gottes, der uns doch von Anfang an deutlich gemacht hat, dass wir alle mit Gaben beschenkt worden sind, die es zu entfalten gilt.

Hierzu aber muss man kreativ sein und sich in völlig unterschiedliche Lebensweisen hineindenken. Aber die Kehrtwende in der Entwicklungszusammenarbeit hat sich gelohnt: Viele unserer Projekte laufen jetzt besser, weil Menschen selbst Verantwortung für ihr Leben und ihre Zukunft übernehmen. Kehrt um, tut Buße! Und das heißt auch in der Entwicklungszusammenarbeit: Seid empathischer! Schaut genauer hin! Nehmt den Nächsten wirklich in den Blick und nicht nur euch selbst, euren eigenen entwicklungspolitischen Weg, euer Ziel und euer Image. Ja, dazu haben wir allen Grund und es ist gut, dass Gott uns hierzu aufruft.

Kehrt um und glaubt an das Evangelium. Dieser Satz gilt aber nicht nur in Afrika, sondern eben auch bei uns. Hier in Deutschland, hier im Bundestag. Wer meint, dass der christliche Glaube etwas Antiquiertes, Irrationales, ja Überflüssiges sei, der nur schwächlichen Seelen Halt im Leben bieten könne, der mag angesichts dieses Rufes Gottes zur Umkehr erahnen, welche Kraft zur Veränderung in unserem Glauben liegt.

Ich verstehe ja, wenn manche Menschen meinen, die Kirchen sollten sich vor allem um die Theologie kümmern. Aber was heißt denn dies? Heißt es, dass wir nur über das Dermaleinst sprechen sollen. Nein, das heißt es nicht, denn das Wort, das uns zur Buße und zur Umkehr ruft, bezieht sich direkt auf unser heutiges Leben, unser Tun und unser Lassen.

Und dies, liebe Gemeinde, hat auch seine Bedeutung für den Alltag. Und deswegen bin ich heilfroh, dass wir so viele engagierte Politiker hier in diesem Hause haben, die nicht gottlos – also losgelöst von Gott - Politik machen, sondern die von der Kraft des Evangeliums wissen und davon überzeugt sind.

Und selbst wenn die Konsequenzen hieraus nicht immer dieselben sind, so geschieht das Denken und Handeln doch in dem Bewusstsein, dass man sich vor Gott für sein Leben und seine Entscheidungen verantwortlich fühlt und deshalb sein Gewissen nicht ausschalten kann.

Als Kirche begleiten wir Sie hierin sehr gern, nicht nur in der Seelsorge, sondern auch mit Rat und Tat. Das betrifft die schwierigen und hochdifferenzierten Fragestellungen vom Anfang und Ende des Lebens aber eben auch all das, was mitten im Leben für das Leben eine Rolle spielt.

„Wenn möglich, bitte wenden“!

Wer sich in seinem Leben einmal verfahren hat, der weiß, wie dankbar man für eine Stimme ist, die einen wieder auf den richtigen Weg führt. Die Bibel, das Wort Gottes, ist das Navigationssystem für unser Leben.

In ihr finde ich die guten Sätze Gottes, die mich immer wieder anrühren und mich stärken. Sie gibt mir die Kraft Irrfahrten zu beenden und auf den Weg zurückzukehren, der mich wirklich ans Ziel führt.

Das kleine Gerät in meinem Auto hat mich zu einer Predigt animiert und zum Nachdenken: Bist du noch auf der richtigen Spur? Oder ist es Zeit, umzukehren, Buße zu tun und das Leben um Gottes und der Menschen willen neu zu justieren?

Vor Gottes Wort, liebe Gemeinde, ist man nirgends sichern, nicht einmal beim Bedienen seines Navigationsgerätes.

Amen