Soldaten, Seelsorge und Friedensgebete

Evangelische Friedensarbeit bei der Weltausstellung Reformation in Wittenberg

Schrift: Helfen Gebete und Kerzen für den Frieden?

Drei grüne Fahnen flattern im  Wind: „Verändern wir die Welt oder verändert sie uns“ können Besucher auf dem Fahnentuch lesen. Es ist die Frage, die auch für das Café Friedenswege auf der Weltausstellung Reformation gilt. Verändern Christen mit ihren Friedensanstrengungen die Welt? Auf den Stühlen sitzen unter Sonnenschirmen Menschen, die sich über Gott und die Welt unterhalten.

Ein junger Mann beklagt die mangelnde Unterstützung, die der Staat ihm anbietet. Finanzen für Ausbildung und zum Lebensunterhalt. Ein weiteres Paar ist aus einem kleinen Dorf in der Nähe angereist. Sie blicken auf den Teich, in dem die künstlerischen Schiffsobjekte aus Holz schwimmen, halb schon abgetaucht durch Überladung. Studenten aus Salzburg haben sich die Installation auf dem Wittenberger Schwanenteich ausgedacht. Erst vor wenigen Tagen stellten die Organisatoren ein echtes Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer an den Rand der Wasserfläche. Ein Mahnmal für Unfrieden und Flucht in der Welt.

„Wir haben das Projekt gewagt“

Um „Schlag zwölf Uhr“ finden sich Helferinnen und Helfer im Café zu einem Mittagsgebet zusammen: Unter den vielen Holzbögen stehen sie wie in einem kleinen Dom. Auch eine Kunstinstallation der Österreicher, wie die Schiffe. Horst Scheffler begrüßt vier Amerikaner, die spontan sich in den Kreis der Friedensbeter gestellt haben. Mit dem Lied „Dona nobis pacem“ begleiten die Versammelten  Liedverse und Stille. Der Leitende Militärdekan a. D. spricht die Versöhnungslitanei aus dem englischen Coventry, die dort bis heute gebetet wird, das Vaterunser und den Segen. Geistliche Präsenz inmitten der Weltausstellung Reformation.

Zehn Jahre schon ist Scheffler für die Friedensarbeit der EKD tätig, alles trotz Ruhestand. Zwei Vorsitze hat er inne: In der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) mit 32 Mitgliedsorganisationen und der Verein für Friedensarbeit im Raum der EKD e.V. (VfF). „Wir haben das Projekt gewagt“, sagt der Seelsorger, der heute mit seiner Frau in der Nähe von Mainz lebt. Seine Mitstreiter in der Sache sind der Friedensbeauftragte der EKD Renke Brahms, Militärbischof Dr. Sigurd Rink, EKD-Oberkirchenrat Dr. Roger Mielke und Dr. Christoph Münchow, der Bundesvorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung. „Angespannte Neugierde auf die nächsten Tage“, nennt er das, was kommt. Die Besucherzahlen am Nachmittag geben ihm recht. Er spricht auch Menschen an, die hier vorbeikommen oder die Texttafeln am See lesen.

„Unser Auftrag ist, die Soldaten an alle Orte weltweit zu begleiten“

Im Team arbeitet auch Michael Reis, Militärpfarrer in Hagenow. In den späten Achtzigern war er Totalverweigerer für den Kriegsdienst in der DDR. Damals noch Schlosserlehrling und Lokführer, durfte er seinen Beruf nicht mehr ausüben, aber Gefängnishaft blieb ihm erspart. Nach der Wende studierte er Evangelische Theologie und wurde Pfarrer in der Mecklenburgischen Kirche, seit 2010 schließlich Seelsorger in der Bundeswehr. Reis bewundert das Café: „Wow, was ein schöner Arbeitsplatz, hier ist etwas Wunderbares vorbereitet worden“, sagt der Militärgeistliche.

Die Grenadiere, die er betreue, so Reis, fühlten sich für den Frieden durchaus verantwortlich. Wenn sie sich auf Auslandseinsätze vorbereiten, stehen Familie und Partnerinnen im Vordergrund. Aber wichtig ist mir, die Soldaten in eine achtsame christliche Ethik einzubinden. Sie vertrauen der Politik und dem Bundestag. „Wir dienen Deutschland“, so einfach drückten die jungen Soldaten das aus. Kameradschaft zu erleben sei für viele das Motiv sich wiederholt für Einsätze  zu melden. Dort sei dann auch der Gottesdienst mit dem Pfarrer zentral. Tiefe Erlebnisse verbinden sich für alle damit. Auch Dankbarkeit für eine Bewahrung in gefährlichen Situationen. „Unser Auftrag ist, die Soldaten an alle Orte weltweit zu begleiten. Wir sorgen uns um die Familien und sind einfach da in schweren Zeiten. Als starke Partner haben wir das Psychosoziale Netzwerk (PSN) in der Bundeswehr, in dem wir ein Teil der Hilfe sind“, beschreibt der Pfarrer seine Aufgabe.

Helfen Gebete und Kerzen für den Frieden?

Carolin Holtmann ist pädagogische Mitarbeiterin im Gemeinschaftsprojekt der Evangelischen Friedensarbeit. Sie hält viele Fäden zusammen und weist die Freiwilligen ein, schreibt die Schichtpläne und kümmert sich um Besucher. „Die Gespräche sind so, dass auch viele Wittenberger und Wittenbergerinnen hierher kommen und Fragen stellen. „Oft mit ganz eigene Sorgen, auch das gehört zentral zur Friedensarbeit hinzu.“

Die Standbesatzung hat sich für die laufende Betreuungswoche Café ein Motto ausgedacht, das die Besucher als richtig oder falsch bewerten können: Helfen Gebete und Kerzen für den Frieden? Ein Slogan, der an die Friedensgebete in der DDR erinnert, an einen gewaltlosen und doch so starken Protest. Am Abend ist die Zustimmung weitaus größer. Aber zwei Nein-Stimmen gibt es doch.

Roger Töpelmann (Militärseelsorge)