Woodstock in Wittenberg

Taizégebet und Festival-Atmosphäre und der große Festgottesdienst locken junge Menschen nach Wittenberg.

Übernachtung zwischen Bühne, Gerüsten und dem Wittenberger Stadtpanorama: Zur  „Nacht der Lichter“ schlafen Hunderte unter freiem Himmel auf den Wittenberger Elbwiesen. Zehntausende reisen zum Ende des Kirchentags für den großen Festgottesdienst von Berlin in die Lutherstadt.

Nacht der Lichter auf den Wittenberger Elbwiesen
Jugendliche feiern die "Nacht der Lichter" auf den Wittenberger Elbwiesen.

Wittenberg/Berlin (epd). Zwischen das Schnarchen und das Quaken der Frösche mischen sich langsam die Klänge von Trommeln und einer Posaune. Leise, jazzige Melodien breiten sich aus und wecken die unter freiem Himmel an der Elbe schlafenden Menschen. Die Sonne steigt langsam zwischen der Bühne und Gerüsten auf und taucht das Stadtpanorama von Wittenberg auf der anderen Seite der Elbe in rosafarbenes Licht.

Unter den schätzungsweise 1.000 in ihren bunten Schlafsäcken zusammengerollten Besuchern, die die Nacht vor dem Abschlussgottesdienst des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags hier verbracht haben, sind vor allem junge Menschen. Die „Nacht der Lichter“ am Vorabend war für viele der Grund, nach den Kirchentagsveranstaltungen in Berlin den Weg hierher, zum Festgottesdienst, anzutreten.

Geist Taizés auf der Elbwiese spürbar

Viele der jungen Erwachsenen und Teenager hier kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit im französischen Taizé. Der ökumenische Orden der Communauté de Taizé hat das Lichtergebet in der Nacht initiiert. Die Gemeinschaft gilt als Symbol ökumenischer und multikultureller Verständigung und hält regelmäßig treffen für junge Menschen aus aller Welt ab. Dieser Geist ist auch auf der Elbwiese spürbar. 10.000 Menschen haben am Abend gemeinsam Kerzen entzündet, gebetet und gesungen. Die Stimmung ist freudig andächtig. Auch jetzt am frühen Morgen, stimmen einige die einfachen, melodischen Gesänge der Communauté an.

Auch Barbara und Johanna haben sich in Taizé kennengelernt. Jetzt sitzen die 25-jährige Studentin und die 29-jährige Biologin gemeinsam auf ihren dicken Schlafsäcken und schmieren Käsebrote für das Frühstück. „Die Nacht war kalt und feucht, aber wir sind unter dem großen Wagen eingeschlafen und konnten nach dem trubeligen Kirchentag in Berlin mal ein bisschen zur Ruhe kommen“, erzählt Barbara.

„Das gibt bestimmt ein großes Spektakel“

Den großen Aufwand für den Festgottesdienst in Wittenberg - Brückenbau, Sonderzüge, 2.000 Toilettenhäuschen, eine 30 Meter große Bühne - finden die beiden angemessen für die große Feier im Zeichen des 500. Reformationsjubiläums. „Da sieht man, dass es möglich ist, verrückte Ideen umzusetzen“, sagt Barbara. Mit all den Scheinwerfern, Gerüsten und bunten Schlafsäcken erinnert die Szenerie auf dem 40 Hektar großen Gelände ein bisschen an Woodstock. Das Wetter ist allerdings gnädiger als 1969, als die Menge im Match versank: Für Wittenberg sind an diesem Tag 30 Grad vorhergesagt.

Während die Menschen auf der Festwiese langsam wachwerden und sich aus ihren Schlafsäcken schälen, machen sich in Berlin weitere Kirchentagsbesucher auf den Weg in die Lutherstadt. Der Sonderzug nach Wittenberg fährt pünktlich ab: 5.41 zeigt die Uhr am Berliner Südkreuz. Noch sind wenige Kirchtagsteilnehmer unterwegs, darunter der 27-jährige Friedl aus Kiel. Er spielt zusammen mit seinen Pfadfinder-Kollegen ein Kartenspiel. Ihm nicht ganz klar, warum der Schlussgottesdienst so weit abseits stattfindet. „Aber das gibt bestimmt ein großes Spektakel“, sagt Friedl. Den ganzen Tag fahren die Shuttles zwischen Wittenberg und Berlin hin und her. Auch von Leipzig, Jena oder Magdeburg gibt es Sonderzüge.

„Wo würde man den Geist der Reformation besser spüren?“

Auch ein Rentnerpaar aus dem Bergischen freut sich auf den Tag in der Lutherstadt. Sie hätten sich bewusst für einen frühen Zug entschieden, um nicht „in diesen Rummel zu kommen“, erklärt der 77-Jährige Rentner. Vor dem knapp 50-minütigen Fußmarsch zur Festwiese haben die beiden keine Angst: „Wir sind Bergwanderer, sonst könnten wir das nicht mehr“, lachen sie.

Andere Familien und ältere Menschen hatten am Samstagabend mit dem langen Weg zu kämpfen. Einer älteren Dame mit perfekt frisiertem Haar wird in der Hitze kurz schwindelig. Sie wird aber sofort von den überall präsenten Sanitätern versorgt. Als sie dann aber endlich auf der Elbwiese ankommt, ist aber auch sie begeistert von den Lichtern und dem Sonnenuntergang vor der Silhouette der Lutherstadt. „Genau der richtige Ort“, sagt sie. „So viele junge Menschen, so viel Aufbruchsstimmung. Wo sonst würde man den Geist der Reformation besser spüren?“

Nora Frerichmann (epd)