Zehn Überzeugungen zu Flucht und Integration

Aus evangelischer Sicht (Neuauflage 2025)

Titelbild Zehn Überzeugungen

Bietet Zuflucht wie ein Schatten, der in der Mittagshitze schützt wie die Nacht. Versteckt die Vertriebenen, verratet die Geflüchteten nicht! (Jesaja 16,3)

Nächstenliebe und Solidarität zeigen sich im Handeln: Menschen die Hand reichen, Brot geben, Zuflucht bieten, aus Lebensgefahr retten, vor Verfolgern verstecken. Viele Engagierte, darunter zahlreiche Christinnen und Christen, helfen weltweit Schutzsuchenden und leben den Glauben, der auffordert, die Schwachen zu schützen. Als 2015, vor zehn Jahren sehr viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurde dieses Engagement besonders sichtbar. Ab 2022 zeigte sich diese gelebte Nächstenliebe erneut, als nach Russlands Überfall auf die Ukraine mehr als eine Million Menschen in Deutschland Schutz und Aufnahme fanden.

Asylpolitisch ist seit 2015 viel geschehen. In Reaktion auf ankommende Flüchtlinge und Migrant*innen haben viele europäische Staaten ihre Asylgesetze verschärft, Grenzzäune hochgezogen, das Recht auf Familienzusammenführung ausgesetzt. Mitten in Europa werden mittlerweile unschuldige Menschen gewaltsam an Grenzen abgewehrt oder hinter Stacheldraht interniert und entrechtet. Die Europäische Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts steht zunehmend auf dem Spiel.

Deutlich geworden ist in den letzten Jahren auch: Vielerorts sind die kommunalen Möglichkeiten – oder die Bereitschaft – zur Flüchtlingsaufnahme an Grenzen gekommen. Die Hürden für die Arbeitsmarktintegration sind weiterhin zu hoch. Und furchtbare Anschläge, auch verübt von Menschen mit Fluchthintergrund, haben Menschenleben gekostet und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung tief erschüttert.

Viele Menschen fragen sich, welche Auswirkungen Migration und Integration auf unsere Gesellschaft und unser Miteinander haben. Oder sorgen sich, wie sich die aktuellen Entwicklungen auf die Menschenrechte in Europa auswirken. Die Diskussion über das Thema polarisiert. Manche Menschen sind zuversichtlich und sehen in Flüchtlingen nach wie vor Menschen. Andere sehen in Migranten eine Bedrohung oder befürchten eine gesellschaftliche Überforderung. Und immer mehr Menschen in unserem Land verstehen, dass es angesichts des demographisch bedingten Arbeitskräfte­mangels dringend mehr Zuwanderung braucht. Die Aufgaben sind zweifellos groß, die Mittel und Möglichkeiten begrenzt.

Folgende Überzeugungen, die sich aus dem christlichen Glauben ergeben, wollen in dieser Situation Orientierung geben.

Menschenwürde ist unantastbar

Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn. (1. Mose 1,27)

Alle Menschen sind als Gottes Ebenbild geschaffen und haben eine unantastbare Würde. In ihrer Verschiedenheit sind alle Menschen gleich wertvoll. Herkunft, Religion, Aussehen, sexuelle Identität oder aufenthaltsrechtlicher Status ändern daran nichts. Diese Überzeugung gehört zum Fundament des christlichen Glaubens. In den Menschenrechten hat sie eine säkulare, rechtliche Form.

Krieg, Not und Verfolgung zwingen Menschen, ihr Zuhause zu verlassen – weltweit sind derzeit mehr als 120 Millionen Menschen auf der Flucht: Sie sind unterwegs als Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Asylsuchende. Auch die Klimakatastrophe ist zunehmend ein Fluchtgrund, weil sie Lebensgrundlagen zerstört.

Weil die Würde von Menschen unverhandelbar ist, muss das individuelle Recht auf internationalen Schutz garantiert sein und der Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Dabei darf es keine Ungleichbehandlung von Geflüchteten geben und individuelle Not nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Mit Christus, der selbst heimatlos war, stehen wir an der Seite derjenigen, die Schutz und Zuflucht suchen, deren Leben, Sicherheit und Würde bedroht oder verletzt werden. Solidarität mit Schutzsuchenden bedeutet auch, Rassismus keinen Raum zu lassen.

Nächstenliebe verpflichtet

Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst. (Lukas 10,27)

Nächstenliebe unterscheidet nicht. Sie ist die Verpflichtung, für die Würde aller Menschen einzutreten. Das macht die Bibel unmissverständlich mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter deutlich. Kirchen und ihre Werke helfen deshalb allen Menschen in Not gleichermaßen. Viele engagierte Ehrenamtliche machen diese Arbeit erst möglich.

Diese unbedingte Überzeugung lässt sich nicht direkt in Politik übertragen. Aber Nächstenliebe ist aus christlicher Sicht der zentrale Maßstab für das eigene Handeln – auch wenn dies zu Konflikten mit dem Staat führen kann. Menschen im Kirchenasyl aufzunehmen oder die zivile Seenotrettung sind Antworten auf die Frage von Jesus, wem gegenüber wir uns als Mitmenschen erweisen. Nächstenliebe zeigt sich, wo wir Menschen in Not und denen, die – auch im übertragenen Sinn – „unter die Räuber gefallen sind“, beistehen. (Lukas 10,36)

Daher setzt sich die evangelische Kirche dafür ein, dass unser Land schutzsuchenden Menschen hilft – auch über die Grenzen von Deutschland und der Europäischen Union hinaus.

Für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten

Wir wollen uns für das einsetzen, was dem Frieden und dem Aufbau unserer Gemeinschaft dient. (Römer 14,19)

An vielen Orten der Welt sind Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicherheit keine Selbstverständlichkeit. Wo es keine staatliche Autorität gibt, die die Bevölkerung schützt, müssen Menschen andernorts Zuflucht vor Gewalt und Rechtlosigkeit suchen. Aber auch Demokratien und ihre Institutionen brauchen die Unterstützung und Wertschätzung der Bürger*innen. Nur so kann Demokratie das Fundament einer gerechten Gesellschaft sein.

Faire, öffentliche Meinungsbildung und demokratische Teilhabe gehören genauso dazu wie gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Chancengerechtigkeit. All dies braucht es für ein gutes Miteinander – in Deutschland und anderswo. Als Christen sind wir Mitstreiter*innen für das Gemeinwohl und für eine Gesellschaft, die die Rechte von Ausgegrenzten und Minderheiten schützt. So wird auch Kirche zu einem Raum für ein gesegnetes Miteinander und das Leben von morgen.

Für den Flüchtlingsschutz einstehen

Sorgt für Recht und Gerechtigkeit und rettet den Bedrückten vor seinem Peiniger! Unterdrückt nicht die Fremden, Waisen und Witwen und tut niemandem Gewalt an! (Jeremia 22,3)

In der jüdisch-christlichen Tradition sind Fluchterfahrungen allgegenwärtig: Das Volk Israel flieht vor der Sklaverei aus Ägypten. Die Erinnerung an die eigene Flucht und die daraus folgende Verpflichtung, Geflüchtete aufzunehmen und gerecht zu behandeln, geht deshalb in die Rechtssatzungen Israels ein. Maria und Josef müssen ihr Kind vor Herodes in Sicherheit bringen – so wird die Identifizierung mit Menschen auf dem Weg durch Jesu Lebens- und Leidensweg und in seinen Verheißungen zentral.

Heute hat das Recht auf Asyl im Flüchtlingsrecht seinen Platz, vor allem in der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention. In Deutschland ist die Aufnahme von politisch Verfolgten im Grundgesetz verbrieft. Kirche und Diakonie verteidigen die Rechte von Menschen auf dem Weg – und setzen sich dafür ein, dass die Bedürfnisse von denen, die kommen, und die Interessen von denen, die aufnehmen, zusammengebracht werden.

cxvc

Dem Herrn gehört die Erde mit allem, was sie erfüllt. (Psalm 24,1)

Die Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden gilt für das Zusammenleben der Menschen und für die Bewahrung der Schöpfung weltweit.

Viele Menschen leben auf Kosten anderer und auf Kosten der Umwelt, weil sie von ungerechten Strukturen profitieren. Zugleich haben Millionen Menschen nicht einmal das Nötigste zum Leben und ihre Grundrechte werden verletzt. Während einige wenige – selbst in Krisenzeiten – extreme Gewinne machen, wächst die extreme Armut unzähliger anderer. Die Klimakatastrophe trifft wirtschaftlich arme Länder am härtesten, obwohl sie kaum zu den Ursachen für Erderwärmung beitragen. Immer mehr Menschen sind gezwungen, wegen Dürren oder Flutkatastrophen ihre Heimat zu verlassen. Der Kampf um lebenswichtige Ressourcen wie Wasser und fruchtbares Land führt zunehmend zu Konflikten und Gewalt.

Mit Partnern weltweit arbeiten Kirchen und Werke für globale Gerechtigkeit: durch fairen Handel und nachhaltige Entwicklung, im politischen Einsatz für Klimagerechtigkeit und indem sie Anpassungsmaßnahmen an Klimaveränderungen finanzieren. Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen setzen sie sich für die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen ein. Überleben geht nur gemeinsam, gerechte Gemeinschaft geht nur global.

Leben retten an den Grenzen

Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind –, das habt ihr für mich getan. (Matthäus 25,40)

An keiner Grenze auf der Welt sterben so viele Menschen wie an der europäischen Außengrenze. Immer mehr Regierungen setzen auf Abschreckung und Abschottung statt auf Humanität und Hilfe. Auf dem Mittelmeer zeigt sich dies besonders drastisch: Flüchtlinge werden abgewehrt oder im Meer ausgesetzt. Anstatt Bootsflüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten, behindern Behörden die zivilen Rettungsschiffe. Die Kriminalisierung von Hilfsorganisationen, behördliche Willkür, unterlassene Hilfeleistung, Straffreiheit für die Verantwortlichen, Sperrzonen für Journalist*innen auf dem Mittelmeer und entlang der EU-Außengrenze – all das zeigt: der Rechtsraum der Europäischen Union steht auf dem Spiel.

Die Bibel berichtet, wie Jesus und seine Jünger selbst in Seenot geraten und wie Jesus sie rettet. Seenotrettung ist christliche und humanitäre Pflicht. Sie gilt überall und ausnahmslos. Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt. Daher gedenken wir nicht nur der Toten, sondern setzen uns für eine Politik ein, die Leben rettet und die Menschenrechte schützt.

Geflüchtete in unserer Mitte aufnehmen

Wenn ihr in eurem Land seid und ein Fremder bei euch lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Wie einen Einheimischen sollt ihr den Fremden ansehen, der bei euch lebt. Du sollst ihn lieben wie dich selbst. (3. Mose 19,33-34)

Schutzsuchende aus Kriegs- und Krisengebieten nehmen oft lange und lebensgefährliche Fluchtwege auf sich. Sie sind traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt.

Alleinreisende Frauen mit Kindern und Geflüchtete mit Krankheiten oder Behinderungen brauchen zusätzlich Schutz und Hilfe. Menschen dürfen dabei nicht in Massenlagern isoliert und inhaftiert werden – weder in Deutschland noch in Europa. Die Bibel erinnert uns mit vielen Geschichten daran, die Würde und die Rechte von Geflüchteten zu wahren. Mehr noch: Wir sollen sie als unsere Mitmenschen lieben wie uns selbst.

Die meisten, die heute bei uns Zuflucht suchen, haben Anspruch auf Schutz und werden dauerhaft bleiben. Deshalb braucht es Teilhabe statt Ausgrenzung. Es braucht die Förderung von Fähigkeiten und Potenzialen. Und einen Städtebau, von dem alle profitieren: Schulen, Krankenhäuser, Arbeitsmöglichkeiten. Menschen brauchen mehr als Wohnraum.

Wie eine menschenwürdige Aufnahme aussehen kann, sehen wir am Beispiel der ukrainischen Geflüchteten. Allein Deutschland hat mehr als eine Million Menschen aufgenommen. Die Arbeit von kirchlichen und diakonischen Einrichtungen und das beeindruckende Engagement tausender Freiwilliger haben das möglich gemacht.

In Vielfalt zusammenleben

Ihr seid nicht mehr Fremde und ohne Rechte. Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft. (Epheser 2,19)

Die Kirchen sind von Migration geprägt und durch Migration entstanden. Jesu Leben, sein Unterwegssein mit den Jünger*innen und seine Botschaft gehen von Anfang über Ländergrenzen hinaus. Gemeinden finden sich seit biblischer Zeit in vielen verschiedenen Kontexten und Orten. Ihre Verheißung ist, Gemeinschaft in Vielfalt zu sein.

Wo Menschen angegriffen und verleumdet werden, ist es Aufgabe aller, sich schützend vor die Betroffenen zu stellen und gegen Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus aufzustehen. Kirchen sollen Orte sein, wo Menschen sich angstfrei begegnen und voneinander lernen können.

Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Jedoch bildet sich diese Diversität in gesellschaftlichen Strukturen und öffentlicher Verwaltung noch längst nicht ab. Die Kirchen unterstützen deshalb Partizipationsgesetze, die gleichberechtigte Teilhabe aller zum Ziel haben. Dazu gehören die erleichterte Einbürgerung sowie für Geflüchtete ein „Spurwechsel“ von Asylverfahren hin zu Ausbildung und Arbeit.

Familien gehören zusammen

Deshalb fürchtet euch nicht! Ich werde für euch und für eure Kinder sorgen. (1. Mose 50,21)

Viele Familien werden durch Krieg oder gewaltsame Konflikte auseinandergerissen. Manche fliehen, andere bleiben. Oft reichen Kraft und Mittel nur für die Flucht einzelner Familienmitglieder. Und manchmal werden Familien auf dem Weg voneinander getrennt.

Die Familie steht in Deutschland unter dem besonderen Schutz des Staates. Deshalb haben Schutzberechtigte das Recht auf Familiennachzug von Partner*in und minderjährigen Kindern. Zur Wirklichkeit gehört aber, dass das Recht auf Familienleben längst nicht für alle gilt und die Durchsetzung des Anspruchs durch viele und sehr hohe Hürden verhindert wird. Menschen können aber nur schwer ankommen, wenn sie ständig in Angst und Sorge um ihre Familienangehörigen sind. Dabei geht die Vielfalt der schützenswerten Beziehungen über das hinaus, was gesetzlich als Familie gilt. Auch ein volljähriges Kind bleibt ein Familienmitglied. Und eine Ehe ohne amtliche Urkunde ist ebenso wertvoll.

Wir sind überzeugt: Familien gehören zusammen.

Bei der Wahrheit bleiben

Wenn ihr an meinem Wort festhaltet, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen. (Johannes 8,32)

Migration hat es immer gegeben und wird es immer geben – sie gehört von Anbeginn zur Menschheitsgeschichte, ob freiwillig oder erzwungen. Die Tatsache, dass so viele Menschen weltweit aktuell fliehen müssen, kann Angst machen, weil dadurch die Unordnung der Welt sichtbar wird. Das Schicksal Flucht kann jeden Menschen treffen. Es ist anstrengend und überfordert mitunter, anderen zu helfen. Trotzdem und gerade deshalb ermutigt Christus dazu, die Wirklichkeit auszuhalten. Er gibt uns die Kraft und Zuversicht für das, was Not tut und Recht ist. Christus erwartet von uns, bei der Wahrheit zu bleiben.

Falsche Behauptungen wider besseres Wissen zerstören den Zusammenhalt: Keineswegs fliehen alle Menschen nach Europa. Abschiebungen senken keine Flüchtlingszahlen. Menschen, die Flüchtlingen helfen, sind keine kriminellen Schlepper. Integration kann nicht zu viel kosten.

Zur Wahrheit gehört vielmehr: Die allermeisten Menschen sind im eigenen Land vertrieben oder fliehen in Nachbarländer. Abschiebungen sind teuer, ineffektiv und verletzen oft die Menschenwürde. Diejenigen, die helfen, verteidigen die Menschenrechte und den Rechtsstaat. Und unser Land ist auf jede Arbeitskraft angewiesen, wenn unser Alltagsleben funktionieren und die Wirtschaft zukunfts- und wettbewerbsfähig bleiben soll.

Grafik Zahlen und Fakten

Migration und Flucht als Begriffe

Zwischen den Begriffen Flucht und Migration ist oft nicht eindeutig zu unterscheiden. Denn die Lebenssituation von Menschen ist meist komplexer als rechtliche Kategorien. Oft kommen viele Faktoren zusammen, bevor Menschen ihre Heimat verlassen: Armut, politische Unruhen, Bedrohung, Gewalt, bis hin zu Krieg oder dem Verlust der Lebensgrundlage, z.B. durch Umweltkatastrophen oder Landraub. Der rechtliche Status ändert sich außerdem für viele mehrfach im Laufe ihres Lebens: Flüchtlinge können zu erfolgreichen Arbeitsmigranten werden; Migrantinnen werden – zum Beispiel durch ausbrechenden Bürgerkrieg – zu Flüchtlingen.

Migration ist globaler Alltag

Mehr als 280 Millionen Menschen leben weltweit als Migrantinnen und Migranten außerhalb ihrer Heimatländer. Dies entspricht etwa 3,6 Prozent der Weltbevölkerung – ein seit Jahrzehnten nahezu konstanter Wert, auch wenn die absoluten Zahlen steigen. Migration ist globaler Alltag – für Saisonarbeiter, Fachkräfte oder Menschen, die aus familiären Gründen umziehen, sowie für Studierende, die ins Ausland gehen. 90 Prozent der Migrant*innen weltweit sind nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO erwerbstätig bzw. haben ein arbeitendes Familienmitglied, das sie mitversorgt. Quelle: brot-fuer-die-welt.de/themen/hintergruende-zur-flucht/migration/

Wie viele müssen fliehen?

Etwa 123 Millionen Menschen befinden sich derzeit weltweit auf der Flucht. Das sind so viele wie noch nie. 72,1 Millionen dieser Menschen sind innerhalb des eigenen Landes geflohen, sind also Binnenvertriebene. 43,7 Millionen Menschen mussten ihr Land verlassen. Acht Millionen sind Menschen, die sich in einem Asylverfahren befinden. Nur wer im Asylverfahren als Flüchtling anerkannt wird, hat Anrecht auf Schutz unter der Genfer Flüchtlingskonvention. Binnenvertriebene haben diese Möglichkeit nicht. Gerade in Konfliktgebieten bleiben sie oft besonders schutzlos und für humanitäre Hilfen schwer erreichbar. Quelle: uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen

Kinder auf der Flucht

Über 40 Prozent der Menschen, die weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen müssen, sind Kinder und Jugendliche. Kinder auf der Flucht sind besonders gefährdet und verletzlich, umso mehr, wenn sie allein unterwegs sind. Sie sind Zwangsarbeit, Missbrauch und Gewalt ausgeliefert oder werden zum Kämpfen und Töten gezwungen.

Ungefähr eine Million Kinder wurden in den letzten drei Jahren als Flüchtlinge geboren. Ist die Registrierung ihrer Geburt nicht möglich, haben sie keinen Nachweis ihrer rechtlichen Identität. Für sie und ihre Familien ist es noch schwerer, ihre Rechte einzufordern und Anspruch auf Zugang zu Bildung und zu medizinischer Versorgung zu erlangen. Quelle: uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/fluechtlingsschutz/fluechtlingskinder

Die Toten der Außengrenzen

Mehr als 31.000 Menschen haben seit dem Jahr 2014 auf der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa ihr Leben verloren. Fast 8.000 Tote waren es allein in den letzten drei Jahren von 2022 bis 2024. Auch an den anderen Grenzen der Europäischen Union sterben Menschen, wie an der Grenze zwischen Polen und Belarus, auf der Balkanroute oder im Ärmelkanal. Damit sind die EU-Außengrenzen die tödlichste Grenze der Welt. Die staatliche Seenotrettung auf dem Mittelmeer wurde 2019 eingestellt.

An Staatsgrenzen in anderen Weltregionen – wie zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten von Amerika – sterben ebenfalls viele Menschen oder werden vermisst. Quelle: missingmigrants.iom.int

Deutschland ist vielfältig

Rund 24,9 Millionen Menschen in Deutschland hatten laut Mikrozensus 2023 eine Einwanderungsgeschichte. Das bedeutet, 29,7 Prozent der Bevölkerung sind selbst eingewandert oder haben mindestens ein Elternteil, das eingewandert ist. Diese Vielfalt ist zunehmende Normalität: Insgesamt hatten in Deutschland 2023 rund 42 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren eine Einwanderungsgeschichte. Quelle: svr-migration.de/wp-content/uploads/2024/12/SVR-Kurzbuendig_Einwanderung_2024.pdf

Geflüchtete in Arbeit

Kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland dürfen die wenigsten Geflüchteten arbeiten, auch fehlen meist noch Sprachkenntnisse. Der Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt ist gestuft und wird nach Status differenziert. Im ersten Jahr haben daher nur sieben Prozent von ihnen eine Stelle. Nach sechs Jahren sind es 54 Prozent, nach sieben Jahren 62 Prozent. Nach acht und mehr Jahren Aufenthalt haben geflüchtete Männer sogar eine höhere Erwerbstätigenquote (86 Prozent) als die durchschnittliche männliche Bevölkerung in Deutschland (81 Prozent). Bei geflüchteten Frauen liegt die Quote bislang deutlich niedriger (33 Prozent). Quelle: mediendienst-integration.de/en/migration/flucht-asyl/arbeit-und-bildung.html

Kein Anstieg der Kriminalität

Migration und Flucht führen nicht zu mehr Kriminalität. Wie eine datenbasierte Studie des ifo-Instituts belegt, gibt es keinen statistischen Zusammenhang zwischen dem Ausländeranteil und der Kriminalitätsrate einer Region. Was stimmt: Ausländer sind in der Kriminalstatistik überrepräsentiert. Das liegt jedoch nicht am Faktor Herkunft, sondern daran, dass sie im Vergleich zur deutschen Bevölkerung jünger und der Anteil an Männern größer ist. Außerdem leben sie häufiger in Großstädten, in denen es generell zu mehr Straftaten kommt. Vorbeugen lässt sich von Migranten verübte Kriminalität vor allem durch schnelle Integration in den Arbeitsmarkt. Quelle: ifo.de/pressemitteilung/2025-02-18/mehr-auslaender-erhoehen-die-kriminalitaetsrate-nicht

Hilfe – chronisch unterfinanziert

Jahrelang anhaltende Kriege und Katastrophen machen internationale Hilfe immer häufiger notwendig. Dennoch sind das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR, das Welternährungsprogramm WFP und die Kinderschutzorganisation Unicef laufend unterfinanziert. Staaten sagen oft mehr Hilfe zu, als sie tatsächlich leisten. Die hohe Aufmerksamkeit für die Kriegssituation der Ukraine hat die Lage für Vertriebene in anderen Ländern zusätzlich erschwert: Sie sind in einem Kreislauf aus internationaler politischer Vernachlässigung, begrenzter Medienberichterstattung, Gebermüdigkeit und weiter wachsendem humanitären Bedarf gefangen. Quelle: uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/aktuelles/unterfinanzierung-gefaehrdet-fluechtlingshilfe

Deutschland ist hilfsbereit

In Untersuchungen zur Unterstützung von ukrainischen Geflüchteten bestätigt sich, was bereits 2015/16 deutlich wurde: Viele Menschen in Deutschland können sich einen persönlichen Beitrag zur Flüchtlingshilfe vorstellen. Jede und jeder Zweite ist offen für ehrenamtliches Engagement, mehr als die Hälfte kann sich vorstellen, für Geflüchtete zu spenden. Fast jede und jeder Fünfte wäre bereit, Geflüchtete zuhause aufzunehmen. Vier von fünf Befragten, die Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht haben, schätzen ihre Erfahrungen im Zusammenleben positiv ein und würden in der großen Mehrheit erneut Geflüchtete aufnehmen. Quelle: bmfsfj.de/resource/blob/221910/3c3034b77e66d26f7aeded92d553c3ef/dezim-studie-ukraine-data.pdf

Publikations-Teaser: Zehn Überzeugungen

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