Bundestag beschließt weniger strenge Auflagen für Stammzellforschung

Stichtag auf 1. Mai 2007 verschoben

Enttäuschung bei katholischer Kirche

Berlin (epd). Der Bundestag hat die Auflagen für die umstrittene Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland gelockert. Die Abgeordneten beschlossen am Freitag mit deutlicher Mehrheit eine Gesetzesänderung, die deutschen Wissenschaftlern die Arbeit mit neueren Stammzelllinien erlaubt. Sie dürfen künftig auch Zellen nutzen, die bis zum 1. Mai 2007 im Ausland erzeugt wurden. Bisher war der Stichtag der 1. Januar 2002.

Für die Änderung des Stammzellgesetzes votierten 346 Abgeordnete, 228 lehnten sie ab. Der Fraktionszwang war aufgehoben worden. Der Bundestagsentscheidung war eine monatelange Debatte vorangegangen, in der die Fronten durch die Parteien liefen. Enttäuscht reagierte die katholische Kirche, die die Forschung mit embryonalen Stammzellen ablehnt, da für deren Gewinnung Embryonen getötet werden müssen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, zollte Respekt für die Bundestagsentscheidung.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wertete die Stichtags-Verschiebung für den Import embryonaler Stammzelllinien als wichtiger Schritt für die Wissenschaft und für die deutschen Stammzellforscher. DFG-Präsident Matthias Kleiner nannte es erfreulich, dass sich künftig deutsche Wissenschaftler nicht mehr strafbar machten, wenn sie im Ausland mit embryonalen Stammzellen arbeiten, deren Import nach Deutschland verboten ist. Auch die Leibniz-Gesellschaft, der außeruniversitäre Forschungsinstitute angehören, begrüßte den Kompromiss.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte dem TV-Sender Phoenix, die Entscheidung für die Verschiebung des Stichtages sei ein positives Signal für die Wissenschaft und den Lebensschutz. In der Debatte wies Schavan darauf hin, dass in der Forschung mit ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen neuere embryonale Stammzelllinien zum Vergleich benötigt würden. Der Wissenschaft müsse daher ein "schmaler Korridor" erhalten bleiben, "um dauerhaft zu einer Forschung zu kommen, die ohne Embryonen auskommt", so die Ministerin.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) teilte die Position Schavans. Bei der Änderung des Stammzellgesetzes gehe es nicht um Embryonen, sondern um embryonale Stammzellen. Sie seien keine Träger von Grundrechten. Daher sei auch bei einer Verschiebung des Stichtags der Schutz des menschlichen Lebens gegeben. Zahlreiche Parlamentarier sprachen sich für die Beibehaltung des alten Stichtags aus. Maria Böhmer (CDU) sagte: "Wir müssen standhaft bleiben in unseren ethischen Entscheidungen." Wenn ein zweites und ein drittes Mal der Stichtag verschoben werde, "sind wir auf der schiefen Ebene".

Ulrike Flach (FDP) verwies darauf, dass sich die Embryos, denen Stammzellen entnommen würden, in einem Entwicklungsstadium befänden, in dem auch die "Pille danach" und die Spirale als Verhütungsmittel erlaubt seien. Was für die Verhütung gelte, müsse auch für hochwertige Forschung möglich sein. Sie warb daher für eine Aufhebung des Stichtags.

Volker Beck (Grüne) warnte dagegen vor einer Verzweckung menschlichen Lebens. Leben dürfe nicht gegen Leben abgewägt werden. Da mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle menschliches Leben beginne, könne es aus Forschungsgründen keine Kompromisse geben.

Ziel müsse es nun sein, die Grundlagenforschung mit embryonalen Stammzellen so schnell wie möglich "hinter uns" zu lassen, betonte der EKD-Ratsvorsitzende Huber. "Menschliche Embryonen dürfen nicht zu Forschungszwecken hergestellt und verbraucht werden", sagte der Berliner Bischof. Anders als die katholische Kirche hatten der EKD-Ratsvorsitzende und die EKD-Synode eine einmalige Verschiebung des Stichtages befürwortet.

Die beiden bayerischen Bischöfe Reinhard Marx und Johannes Friedrich bedauerten die Verschiebung. "Das ist kein guter Tag für den Lebensschutz in Deutschland", sagte der Münchner Erzbischof Marx. Der evangelische Landesbischof Friedrich sagte, die Gesetzesänderung sei unnötig, weil die Forschung mit embryonalen Stammzellen auch ohne die Verschiebung des Stichtags sinnvoll möglich gewesen wäre. "Doch die Abgeordneten haben diese Entscheidung vor ihrem Gewissen getroffen, und das müssen wir respektieren", fügte er hinzu.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hatte vor der Bundestagsentscheidung ein völliges Verbot der embryonalen Stammzellforschung verlangt. Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer erklärte, nun müsse dafür gesorgt werden, dass die Stichtagsregelung nicht zur "Wanderdüne" werde.

11. April 2008


Bischof Huber zollt Bundestags-Entscheidung Respekt

Berlin (AP) Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber hat dem Bundestag für die Entscheidung zur Lockerung des Stammzellgesetzes Respekt gezollt. Ziel müsse es sein, die Grundlagenforschung mit embryonalen Stammzellen so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, erklärte Huber am Freitag. Schwerpunkt müsse die Forschung mit adulten Stammzellen sein. Politik und Wissenschaft müssten sich nun klar dafür einsetzen, dass die Stichtagsverschiebung einmalig bleibe, erklärte der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland.

11. April 2008