Russisch-orthdodoxe Kirche erhält neues Oberhaupt

Moskau (epd). Die Russische Orthodoxe Kirche erhält in der kommenden Woche ein neues Oberhaupt. Am Dienstag wählt ein Landeskonzil einen Nachfolger für Patriarch Alexij II., der am 5. Dezember gestorben war. Im Moskauer Danilow-Kloster trat am Freitag der Heilige Synod, der engste Führungskreis der Kirche, zusammen, um die letzten Vorbereitungen für die Patriarchenwahl zu treffen. Am Wochenende versammeln sich die rund 200 Bischöfe, um drei Kandidaten zu bestimmen. Das Landeskonzil mit mehr als 700 Mitgliedern, das den neuen Patriarchen wählt, beginnt am Dienstag.

Als aussichtsreichste Anwärter gelten Metropolit Kyrill, der seit dem Tod von Alexij als Statthalter an der Spitze der Kirche steht, und Metropolit Kliment, der Verwaltungsleiter des Moskauer Patriarchats. Der 62-jährige Kyrill, Metropolit von Smolensk und Kaliningrad und Leiter der Abteilung für Außenbeziehungen im Patriarchat, ist gegenwärtig der wohl bekannteste und beliebteste Kirchenmann in Russland. Der glänzenden Rhetoriker und Prediger ist Vertreter eines pragmatisch-konservativen Kurses. Bei einer Internet-Abstimmung zur Patriarchenkür, an der sich mehr als eine halbe Million Menschen beteiligten, lag er mit weitem Abstand in Führung.

Metropolit Kliment ist dagegen in der Öffentlichkeit wenig bekannt, hat aber starken Rückhalt im Klerus. Über seine kirchenpolitische Orientierung ist wenig bekannt. Einen Verzicht auf eine Kandidatur hatte in den vergangenen Tagen Metropolit Wolodymyr von Kiew und der ganzen Ukraine erklärt.

Dem landesweiten Konzil gehören mehr als 700 Delegierte an, von denen fast die Hälfte nicht aus Russland selbst stammt. Etwa ein Viertel der Abgesandten kommt aus der Ukraine, vertreten sind zudem alle GUS-Staaten, Europa, Amerika und Japan. Auch Delegierte der russisch-orthodoxen Auslandskirche, die sich im vergangenen Jahr wieder dem Moskauer Patriarchat angeschlossen hatte, nehmen am Landeskonzil teil.

Nur etwa 200 Konzilsteilnehmer sind hohe kirchliche Würdenträger: Metropoliten und Bischöfe sowie die Rektoren der geistlichen Akademien und Seminare. Aus jedem Bistum werden ferner jeweils ein Geistlicher, ein Mönch und ein weltlicher Vertreter der Kirchengemeinden entsandt. Auch sie haben volles Stimmrecht. Die orthodoxe Kirche hat eigenen Angaben zufolge in Russland rund 100 Millionen Mitglieder.

Das Kirchenkonzil, das sich in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau versammelt, ist formell das höchste Entscheidungsorgan der russisch-orthodoxen Kirche, trat aber seit der Wahl des von Patriarch Alexij II. 1990 nicht mehr zusammen. In der Kirchenverfassung war zunächst vorgesehen, dass es mindestens alle fünf Jahre stattfinden muss. Das "Kirchenparlament" muss spätestens sechs Monate nach dem Tode des Patriarchen einen Nachfolger bestimmen.

Das neue Kirchenoberhaupt wird auf Lebenszeit gewählt. Der neue Patriarch soll am Dienstagnachmittag feststehen und am 1. Februar mit einem Gottesdienst feierlich in sein Amt eingeführt werden.

23. Januar 2009


Orthodoxie-Kenner: Kirche in Russland genießt hohes Vertrauen

"Verfechterin traditioneller Werte"

Frankfurt a.M. (epd). Der Orthodoxie-Kenner Joachim Willems hat dem vor allem im Westen verbreiteten Eindruck widersprochen, in Russland gebe es eine Staatskirche. Zutreffend sei, dass die Russische Orthodoxe Kirche eine angesehene Institution sei, der viel Vertrauen entgegengebracht werde, sagte der evangelische Theologe in einem epd-Gespräch. Das Verhältnis von Staat und Kirche werde von der Einsicht bestimmt, dass beide vom Glanz des anderen profitierten. In einem Landeskonzil wird am Dienstag (27. Januar) der neue Moskauer Patriarch gewählt.

Die russisch-orthodoxe Kirche sehe sich als Verfechterin der traditionellen Werte und Stütze der Moral und Spiritualität, sagte Willems. Gegenüber fundamentalistischen Strömungen in Russland verfolge die Kirchenleitung eine "mittlere Linie". Kirchliche Stellungnahmen hätten auf die russische Politik kaum Einfluss, erläuterte Willems und nannte als Beispiel den Georgien-Konflikt im vergangenen Jahr. Friedensaufrufe und -gottesdienste seien ohne Auswirkung auf die Staatsführung geblieben. Schon während des Tschetschenienkrieges seien kirchliche Mahnungen von der Moskauer Führung völlig ignoriert worden.

Auch im Bildungssektor könne die Kirche nicht auf den Staat zählen, erläutert der an der Humboldt-Universität tätige Wissenschaftler. So gelte etwa ein habilitierter Professor an einer Geistlichen Akademie für die staatlichen Stellen lediglich als Person mit einem Mittelschulabschluss, da seine theologischen Hochschulabschlüsse nicht anerkannt würden. Religionsunterricht werde vom Bildungsministerium im Prinzip abgelehnt, auch wenn in einigen Regionen Russlands ein solcher Unterricht zugelassen werde. Überdies gehöre der Grund und Boden, auf dem Kirchen und kirchliche Gebäude stehen, in vielen Fällen dem Staat und sei der Kirche lediglich zur Nutzung überlassen.

Das Verhältnis der Russischen Orthodoxen Kirche zu anderen christlichen Kirchen gestaltet sich aus Sicht von Willems in den letzten Jahren oft schwierig. Gegen eine breite antiökumenische Stimmung halte die Moskauer Kirchenleitung die Mitgliedschaft der Russischen Orthodoxen Kirche im Weltkirchenrat aufrecht. Konflikte mit evangelischen und katholischen Kirchen gebe es, wenn deren Linie als zu liberal erscheine oder Mission unter der orthodoxen Bevölkerung Russlands befürchtet werde.

23. Januar 2009