Predigt im Eröffnungsgottesdienst zum 10. Altmärkischen Ökumenischen Kirchentag in Schönhausen

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochene Wort

Text: Mk 4, 26-29: Das Gleichnis vom Wachsen der Saat

Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

 Liebe Gemeinde,

ich bin froh, dass es so viele helfende Hände gegeben hat, die diesen Kirchentag über viele Monate, ja Jahre vorbereitet haben. Ich bin dankbar, dass sie alle geholfen haben, dass die Saat jetzt aufgeht, die mit der ersten Idee zu diesem Kirchentag gesät war. Und jetzt sind wir zusammen. Jetzt dürfen wir zusammen feiern, uns gemeinsam inspirieren lassen, zusammen nachdenken und diskutieren und in alledem Kraft schöpfen und Orientierung gewinnen. Dem Motto dieses Kirchentags nachspüren: Frieden geht!

All das, was notwendig war an Vorbereitung, all das, was – so wage ich zu vermuten – denen, die das alles vorbereitet haben, gerade in den letzten Tagen auch manchmal den Schweiß auf die Stirn getrieben hat, scheint erstmal in Spannung zu stehen zu der Leichtigkeit des Gleichnisses von der selbstwachsenden Saat.

Vielleicht ist das genau der Grund dafür, dass es eine so große Anziehungskraft ausübt. Es atmet einen Geist der Freiheit. Es unterbricht den Alltag mit all seiner Mühe, seiner Sorge, seiner Gehetztheit und schafft Raum für Ruhe, für Luftholen, für Aufatmen. Dass dein Leben Frucht bringt, sagt das Gleichnis, das hängt nicht allein an dir. Da ist eine andere Kraft am Wirken. Schau auf die Natur. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre...Schau auf die Natur und du lernst etwas über dein eigenes Leben. Ja, man spürt es diesem Gleichnis an, dass es ein Gleichnis vom Reich Gottes ist, ein Gleichnis davon, was Gott tun kann, ein Gleichnis davon, welche Last von uns abfällt, wo das Reich Gottes sich Bahn bricht und den Horizont öffnet, in ein neues Leben, in eine neue Zeit.

Aber wie ist es mit den Mühen, die es ja nun gibt, die wir alle in unserem Leben kennen, die auch nötig waren, damit dieser Kirchentag stattfinden kann?! Ich weiß nicht, ob heute Landwirte unter uns sind. Die müssen vielleicht erstmal schlucken, wenn sie das Gleichnis hören. Denn es klingt ja fast so, als ob sich Landwirte im Grunde auf die faule Haut legen könnten. Es ist so, „wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft“ – heißt es da – „und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.“ Von selbst bringt die Erde Frucht..“.

Die Realität in der Landwirtschaft sieht anders aus. Jeder, der Landwirtschaft betreibt, weiß, wieviel harte Arbeit nötig ist, bis das Korn geerntet werden kann. Da muss schon vor dem Säen der Boden vorbereitet werden, und nach der Saat muss vor allem zu den richtigen Zeiten gedüngt oder gespritzt werden, und wenn man es so biologisch wie möglich machen möchte, erfordert das umso mehr Aufwand. Also: es ist in der Landwirtschaft schon viel Arbeit und Mühe im Spiel, bevor geerntet werden kann.

Und das ist nicht nur in der Landwirtschaft so, die dem Gleichnis zur Illustration dient. Das ist auch in anderen Bereichen so. Wer etwa Kinder aufzieht oder aufgezogen hat, der weiß, wie oft sich einfach Erschöpfung einstellt. Der weiß, wie oft es keine Ruhepause gibt, der weiß, dass manchmal schon das, was das Gleichnis über das Schlafen und Aufstehen sagt, ein schöner Wunschtraum ist, weil der Schlaf immer wieder durch irgendein waches Kind unterbrochen wird. Das Heranwachsen der Kinder, das ist ganz bestimmt von viel elterlicher Sorge, von viel Mühe und von viel Arbeit begleitet.

Aber, liebe Gemeinde, vielleicht ist es genau die tägliche Erfahrung von Angespanntsein und Sich-Sorgen, die das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat so befreiend macht. Vielleicht ist das Gleichnis genau deswegen so befreiend, weil es das Starren auf Mühe und Stress unterbricht und den Blick auf etwas anderes lenkt. Weil es den Blick lenkt auf all das, was geschieht, ohne dass es auf unser eigenes Handeln und Wirken zurückzuführen ist. Ich könnte mir kaum ein Thema vorstellen, wo das so deutlich ist wie beim Thema Kindererziehung. Mit einem Kind ist es wirklich genau wie mit der selbstwachsenden Saat. Es muss viel Zeit und Mühe investiert werden. Aber dass es wächst und gedeiht, bleibt ein Wunder. Vielleicht das größte Wunder, das es gibt. Und es geschieht jeden Tag, und manchmal merken wir es gar nicht.

Und wer schon einmal versucht hat, einem Kind beizubringen, dass es angesichts des bevorstehenden Eintritts in den Kindergarten nun doch eigentlich genauso gut ohne Windeln leben könnte, der verliert schnell jede Illusionen über die Planbarkeit des Lebens. Man probiert dann alles Mögliche, um deutlich zu machen, dass es nichts Schöneres gibt als selbst auf die Toilette zu gehen. Wenn das nichts hilft, dann verspricht man eine neue Playmobilfigur nach der ersten erfolgreichen Woche ohne Windel. Und irgendwann fügt man sich in sein Schicksal und hört auf, jeden Tag auf den Erfolg zu warten. Und dann plötzlich klappt es. Und keiner weiß, warum ausgerechnet jetzt. Denn der Same geht auf und wächst – sagt unser Predigttext – und keiner weiß wie. Diese Erfahrung, dass wir schnell an unsere Grenzen kommen, wenn wir versuchen, das Leben zu planen und zu lenken, diese Erfahrung kann man an ganz kleinen profanen Dingen jeden Tag machen – und vielleicht nirgendwo so deutlich wie bei der Aufgabe, Kinder zu erziehen.

Was wir sehr konkret im Alltag erleben, erleben wir auch in der großen Politik. „Frieden geht“ – das ist in einer Zeit, in der die Kräfte der Spaltung, der gegenseitigen Beschuldigung und Abwertung, der nationalen Selbstüberhebung auf dem Vormarsch zu sein scheinen, ein fast schon beschwörendes Wort. „Frieden geht“ – das ist ganz bestimmt nicht einfach so naiv dahingesagt. Es weiß von den kriegerischen Auseinandersetzungen, allen voran in Syrien, die so viel Leid verursachen. Es weiß von den Tausenden von Milliarden Dollar, – absolut irren Beträgen! – die weltweit für Waffen ausgegeben werden. Es weiß von den knapp 15 000 Atomsprengköpfen, die weltweit lagern, allein rund 14 000 zu je gleichen Teilen durch Russland und die USA. Es weiß davon, dass diese Massenvernichtungswaffen auch auf deutschem Boden lagern und jetzt für Milliardenbeträge modernisiert werden.

Und dennoch gilt: „Frieden geht“ – dieses Motto ist nicht naiv. Denn Gott hat eine Saat gesät, die auch die härtesten Kampfstiefel nicht mehr austreten können! Gott hat die Saat der radikalen Liebe gesät. Gottes Liebe ist in einem Menschen auf Erden sichtbar und wirksam geworden, der die Welt verändert hat. Der mit seiner unvergleichlichen Ausstrahlung die Menschen vor 2000 Jahren fasziniert und inspiriert hat. Der allen, die sich heute für den Frieden einsetzen, Kraft gegeben hat, indem er die Friedensstifter seliggepriesen hat. Der selbst in der äußersten Gefahr nicht Heere zu Hilfe gerufen, sondern seinen Vater im Himmel angerufen hat, der die Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet hat, sondern sich mit seinem Leben hingegeben hat, damit nicht Gewalt, sondern Gottes Liebe sich Bahn breche. Und der dann tatsächlich für alle Zeiten zur großen Hoffnung, zum Heiland der Welt geworden ist, indem Gott ihn vom Tod ins Leben auferweckt hat. So dass wir alle jetzt mit dem Apostel Paulus sagen können: „Hoffnung lässt nicht zuschanden werden. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5).

Frieden geht. Ja, das stimmt, liebe Gemeinde! Es gibt so viele Beispiele, wie Menschen aus diesem Geist heraus die Welt verändert haben. Wahrscheinlich hätte es nie einen schwarzen Präsidenten der USA gegeben, wenn nicht ein Pfarrer aus dem Süden der USA unermüdlich von der Liebe gesprochen hätte. In diesem Jahr ist es 50 Jahre her, dass er ermordet wurde. In einer Rede 1963 hat der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King leidenschaftlich den Realismus der Liebe unterstrichen: „Finsternis kann keine Finsternis vertreiben. Das gelingt nur dem Licht. Hass kann den Hass nicht austreiben. Das gelingt nur der Liebe.“

Und ich stünde heute nicht hier, wenn sich die Wahrheit dieser Sätze nicht auch hier erwiesen hätte. Denn auch hier ist die Saat der Liebe aufgegangen. Es waren Friedensgebete, die zur Keimzelle einer friedlichen Revolution in der damaligen DDR geworden sind. Es waren Menschen, die von der Liebe inspiriert waren, die verhindert haben, dass der Widerstand gegen die Diktatur in Blutvergießen mündete. Und es war die Frucht des langen Wachsens einer Saat, bis ein Funktionär des Regimes vor laufenden Kameras stammelnd jenen Satz sagte, der Weltgeschichte geschrieben hat: „Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich“. Die Dynamik der friedlichen Befreiung, die dieser Satz in Gang setzte, konnte niemand mehr stoppen.

Ja, liebe Schwestern und Brüder: Frieden geht!

Das Vertrauen, dass die Saat wirklich wächst und irgendwann aufgeht, gründet für mich in der Person dessen, der Gleichnis über die selbstwachsende Saat erzählt. Es ist in allem Zweifel über die Zukunft der Welt, in aller Anfechtung angesichts des manchmal nicht mehr erträglichen Leids, das wir in der Welt sehen oder auch persönlich erfahren, so tröstlich, zu wissen, dass es Jesus ist, der das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat erzählt. Denn dieser Name „Jesus“ – dieser Name, das ist der Name für den Sieg des Lebens über den Tod. Dass die Saat wächst, ohne dass wir etwas dazutun, das gilt gerade dann, wenn wir gar nichts mehr tun können. Die Botschaft des Gleichnisses ist: Gott kann etwas tun. Gott kann auch dann säen, wachsen lassen und ernten, wenn unsere Möglichkeiten am Ende sind.

Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch – sagt Jesus. Und er meint damit sich selbst. Er meint damit die Geschichten und Gleichnisse, die von ihm zeugen. Er meint damit die Gemeinschaft derer, die in seinem Namen zusammen sind. Und so wird dieser Satz Jesu vom Reich Gottes, das mitten unter uns ist, heute morgen hier in Schönhausen für dich und mich wahr. Gott lässt seine Saat wachsen in dir und mir. Und die Ernte, liebe Gemeinde, die Ernte wird reich sein.

 AMEN