Predigt am 08. Juli 2018 im Berliner Dom

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochene Wort

Text: Apg 8,26-40: Der Kämmerer aus Äthiopien

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. Philippus aber fand sich in Aschdod wieder und zog umher und predigte in allen Städten das Evangelium, bis er nach Cäsarea kam.

 

Liebe Gemeinde,

 

was hat der Philippus dem Kämmerer nur gesagt, dass er sich spontan hat taufen lassen? Wir könnten vielleicht wertvolle Antworten auf die für uns heute so wichtige Frage gewinnen, wie wir die Menschen heute neu für das Evangelium begeistern können. Der Kämmerer aus Äthiopien ist jedenfalls in vieler Hinsicht den Menschen vergleichbar, die heute diese alte Tradition des Christentums eher aus der Distanz sehen, sich vielleicht durchaus für sie interessieren, die ihm zugrundeliegende Schriften als wichtiges Kulturgut sehen, auch eine gewisse Neugier mitbringen, manchmal auch nach Jahren der Distanz wiedergewonnene Neugier, die aber eigentlich in ganz anderen Welten leben.

Der Kämmerer kommt aus einer ganz anderen Kultur als die Kultur, die damals mit der Stadt Jerusalem verbunden war, zu der er sich aufmacht. Er findet Jerusalem und alles, was er davon weiß, offensichtlich so anziehend, dass er eine lange Reise macht, um es näher kennenzulernen. Das damalige Äthiopien war eine Hochkultur. Schon Jahrhunderte vor dem Kämmerer – so berichtet das 1. Könige-Buch - hatte sich eine bedeutsame Persönlichkeit aus der gleichen Region, die Königin von Saba, von dort aus auf den Weg gemacht, um den wegen seiner legendären Weisheit hochangesehenen König Salomo zu besuchen. Eine Königin, die auf Bildungsreise geht. Und Jahrhunderte später macht sich nun ein äthiopischer Minister auf die Reise. Ein Finanzminister, der von Jerusalem und seiner Kultur viel gehört hat und nun aus eigener Anschauung mehr darüber wissen will.

Was er da gesehen hat, scheint ihn so gepackt zu haben, dass er sich in Jerusalem eine wertvolle Schriftrolle kauft.  Jetzt fährt er wieder heim und sitzt auf seinem Wagen und liest in seiner neuen Errungenschaft, der Schriftrolle. Es sind Worte des Propheten Jesaja. Und dank einer Eingebung des Heiligen Geistes, die einer der Nachfolger Jesu, Philippus hat, als er den Weg des Kämmerers kreuzt, kommt es zu einer folgenschweren Begegnung. Philippus läuft hin und hört die vertrauten Worte aus Jesaja, laut gelesen von dem Fremden auf dem Wagen. Und er fragt: Verstehst du auch, was du liest?

Ich finde das eine wunderbare Idee: er fragt den Fremden einfach von sich aus, ob er das versteht, was er liest. Er reagiert nicht erst darauf, dass der sich irgendwie hilfesuchend an ihn wendet, sondern er fragt selber nach. Das ist wahrhaft proaktive Bildungsarbeit!

Der Kämmerer reagiert dankbar: Wie kann ich diese Worte verstehen, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bittet Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Und Philippus legt ihm die Schrift aus. Er tut etwas, was schon Jesus selbst getan hat und was schon bei Jesus den Menschen die Augen geöffnet hat. In der berühmten Geschichte von dem Gang der Jünger nach Emmaus nach Jesu Tod und Auferstehung, geht Jesus mit ihnen, ohne dass sie merken, wer dieser Mann ist. Sie erzählen ihm alles, was sich in Jerusalem zugetragen hat. Und der Mann ruft aus: „O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war“ – so erzählt Lukas (Lk 24,25-27). Und irgendwann verstehen die Jünger. Irgendwann merken sie, wer mit ihnen geht. Irgendwann öffnet sich für sie die Tür zu einem neuen Leben.

So war es beim Kämmerer auch. Die Stelle aber der Schrift, die er las, heißt es bei Lukas, „war diese (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“ Philippus wird ihm erklärt haben, wie die Vorstellung aus der hebräischen Bibel vom Opfer, das zur Sühne der Schuld der Menschen dargebracht wird, uns nun helfen kann, zu verstehen, was der Kreuzestod Jesu Christi bedeutet. Er wird voller Freude davon geredet haben, wie die Auferstehung Jesu Christi nichts Anderes ist als der Sieg des Lebens, eine große Liebeserklärung Gottes an uns Menschen, die sagt: meine Liebe ist größer als alle deine Schuld – nichts kann dich trennen von meiner Liebe!

Und der Kämmerer hat sich anstecken lassen. Er spürt die Begeisterung des Philippus. Er spürt die Liebe, die er ausstrahlt. Und er weiß tief in der Seele: zu diesem Christus möchte ich auch gehören, von dem her diese Freude und diese Liebe kommt.

Und jetzt kommt etwas ganz Erstaunliches: er ist sich seines Glaubens nach dieser kurzen Zeit so sicher, dass er spontan beschließt, sich taufen zu lassen!

„Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?“ Und Philippus tauft ihn tatsächlich. Wir sind da heute etwas strenger. Bei uns geht das nicht so schnell. Wir wollen, wenn wir Erwachsene taufen, schon genauer wissen, ob jemand es mit dem Glauben wirklich ernst meint, bevor wir das Sakrament der Taufe spenden.

Mir gefällt vor allem eines an der Geschichte von dem Kämmerer: er lässt sich einfach auf den Glauben an Christus ein. Er bewegt nicht irgendwelche Zweifel im Herzen und wägt ab und will erst absolute Klarheit haben, sondern er lässt sich einfach darauf ein! Ich glaube, anders geht es auch gar nicht. Ich kann den Glauben als die große Kraft meines Lebens nur wirklich entdecken, wenn ich mich darauf einlasse. Wenn Eltern sagen: mein Kind soll einmal selbst entscheiden, ob es Glauben will, dann ist das nicht ein Grund gegen die Kindertaufe, sondern eher dafür! Denn ein junger Mensch kann ja nur wirklich über den Glauben entscheiden, wenn er auch tatsächlich Erfahrungen damit gemacht hat und sich das nicht nur alles aus der Vogelperspektive angeschaut hat.

Es ist etwas Wunderbares, liebe Gemeinde, in der Taufe einen festen Anker für die tiefe Gewissheit zu haben, zu Gott zu gehören und genau dadurch in der Gemeinschaft aller Getauften zu entdecken, welche feste Basis der Glaube für unser Leben ist.

Der Kämmerer jedenfalls hat eine tiefe Freude im Herzen gespürt, nachdem er die Schrift ausgelegt bekommen hatte und dann getauft worden war. „Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.“

Wie nah diese Freude und abgrundtiefe Angst beieinander liegen, erfahre ich in diesen Tagen besonders von Menschen, die eigentlich als frisch Getaufte, soviel Grund zur Freude hätten.

Es sind Menschen, die aus anderen Ländern als Asylsuchende hierhergekommen sind und nun in Abschiebeflugzeugen in eine unsichere Zukunft gebracht werden.

Einer von ihnen hat mich besonders berührt. Ich nenne ihn Ahrun. Seinen Fall kenne ich aus den Gesprächen mit einem unserer Dekane, der ihn nach gründlicher Unterweisung in vielen Taufkursstunden getauft hat. Und bei einem Gottesdienst in Weiden habe ich ihn sogar einmal selbst kennen gelernt.

Ahrun ist vor einigen Tagen nach 8 Jahren, in denen er Deutsch gelernt und sich voll integriert hat, nach Afghanistan abgeschoben worden. Alle kirchlichen Bemühungen konnten es nicht verhindern. Im Abschiebegefängnis am vergangenen Wochenende hat er versucht, sich etwas anzutun. Bis zur Abschiebung brachte man ihn dann in die Psychiatrie. Der Dekan konnte noch am Dienstagnachmittag mit ihm telefonieren. Aber er konnte kaum sprechen und wirkte sediert.  

Am Mittwoch hat er sich dann aus Afghanistan gemeldet. Er sucht Wege, wie er wiederkommen kann. Dort hat er keine Familie mehr. Seine Angehörigen sind bei Kämpfen umgekommen. Von Weiden aus hält man den Kontakt und versucht ihm zu helfen.

Der Dekan hat mir, auf die Geschichte vom Kämmerer aus Äthiopien anspielend, geschrieben: „Er zog seine Straße nicht fröhlich. Man hat ihn hier zuletzt wie einen Verbrecher behandelt und trotzdem möchte er zu uns zurückkommen. Das betrachte ich als eine große Ehre für uns. Und ich hoffe, dass ihm Gebet und Glaube in dieser sehr schweren Situation helfen. Wir vermeiden es, seinen Namen in der Öffentlichkeit zu nennen. Wenn in Afghanistan bekannt wird, dass er getauft ist, kann das gefährlich für ihn sein. Deshalb verändern Sie bitte seinen Namen – der Kämmerer hatte auch keinen.“ Und dann schreibt er noch:“ Ein anderer Flüchtling kam heute wieder mit einem negativen Bescheid. Es wird einfach durchgehend unterstellt, dass sich Flüchtlinge nicht ernsthaft taufen lassen. Den Kämmerer hätten sie auch nicht anerkannt. Denn der hat sich ja nach kurzem Weg mit Philippus bei der ersten Gelegenheit taufen lassen.“

In einem Bescheid, den Ahrun von der Zentralen Ausländerbehörde bekam, stand übrigens geschrieben, dass für ihn ein „Heimreiseschein“ vorliege. Ich hoffe und bete, dass er vielleicht wirklich irgendwann einen Heimreiseschein bekommt. Einen Heimreiseschein nach Deutschland.

Für die Weidener Gemeinde jedenfalls ist er ein Bruder in Christus. Einer, der sich wie der Kämmerer aus Äthiopien für das Evangelium hat begeistern lassen. In der Bibel Orientierung für sein Leben gefunden hat. Vielleicht ist die Antwort auf die Frage, warum Philippus den Kämmerer so spontan für das Evangelium begeistern konnte, ja gar nicht so schwer. Er hat ihm die Bibel ausgelegt! So wie es auch an dem Flüchtling hier und heute geschehen ist, bevor er sich hat taufen lassen. Die Bibel ist die Quelle der guten Botschaft. Sie ist die Ur-kunde unseres Glaubens. Und deswegen ist es heute wie damals so wichtig, dass wir sie immer wieder neu entdecken.

Die Geschichte vom Kämmerer ermutigt mich darin, die Liebe zur Bibel, die wir gerade im Reformationsjubiläumsjahr neu entdeckt haben, nun auch danach verstärkt zu pflegen und zu stärken. Damit viele Menschen die wunderbare Botschaft des Evangeliums ausgelegt bekommen. In Nürnberg bauen wir – genau aus diesem Grund - gerade ein neues Bibel-Museum. Dort wird hoffentlich auch einmal die Bibel aus dem Reformationsjubiläumsjahr 2017 ausgestellt werden, in die sich viele Menschen, denen ich in diesem besonderen Jahr begegnet bin, mit ihren Lieblingsversen eingetragen haben. Die Bundeskanzlerin und die Bundespräsidenten Gauck und Steinmeier gehören ebenso dazu wie der Ökumenische Patriarch Bartholomäus, der inzwischen verstorbene Kardinal Lehmann, aber auch TV-Größen wie Johannes B. Kerner und Eckard von Hirschhausen.

Sie alle sind mit uns zusammen Zeugen der Erfahrung, die der Kämmerer aus Äthiopien damals gemacht hat. Dass die Botschaft von der Liebe Gottes, von der die alten Worte erzählen, die beste Grundlage für unser Leben ist die man sich vorstellen kann. Und ich bete, dass auch Ahrun davon getragen wird. Und dass für ihn genauso wie für uns alle durch die dunklen Zeiten hindurch am Ende der Glaube, die Liebe und die Hoffnung bleibt. Und wir, wo immer wir sind, mit der Taufe im Rücken, fröhlich unseres Weges ziehen können.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN