Lesung/Predigt in der Mittagspredigt am Sonntag, 26. Juni 2022, in St. Johannis in Nürnberg

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

Anna-Nicole Heinrich

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

Es gilt das gesprochene Wort

LESUNG

Markus 1,14-15

14Nachdem aber Johannes überantwortet war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes 15und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!

Römer 8

24Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. 26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf.

Micha 6

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

PREDIGT

1.   Kirchentag und Geduld

Liebe Gemeinde 

„Jetzt ist die Zeit“ - wir haben gerade den Vers aus dem Markusevangelium gehört, der so beginnt. „Jetzt ist die Zeit“ ist die Losung, also die Headline des Kirchentags 2023, hier in Nürnberg in knapp einem Jahr. Straßen, Kirchen, Hallen und Plätze hier in Nürnberg werden voller Menschen sein; in Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen wird es eng; Schulen werden zu Unterkünften und Wohnzimmersofas zu Gästebetten. Friedlich wird es sein, hoffnungsvoll, kontrovers, divers und bunt.

So kenne ich es aus Dortmund (2019), aus (2017), aus Stuttgart (2015), aus Hamburg (2013)… , und auch vom Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Darauf freue ich mich – ich werde dabei sein!

Von der Bibelarbeit weiter zum großen Podium, gerade noch so in die U-Bahn gekommen, dann anstehen, gemeinsam warten. Vor uns drei gut gelaunte Helfer:innen mit dem Schild „Halle überfüllt“. Wir warten draußen gespannt, ob wir noch reingelassen werden, die Stimmung ist gut, die Sonne scheint. Während wir geduldig anstehen, baut gegenüber eine kleine Band auf, spielt zwei Lieder und zieht weiter. Die Halle bleibt überfüllt, draußen wird ein Lautsprecher aufgebaut und der Ton übertragen. Nicht schlimm, wir ziehen weiter zu einer Wiese, nicht weit weg: Zelt an Zelt präsentieren sich Ideen, Vereine und Gemeinden mit coolen Mitmachaktionen. Wir kommen einfach später wieder.

Im Alltag läuft es bei mir oft anders. „so warten wir darauf in Geduld“, etwas, das mir normalerweise echt schwerfällt:

Da muss es schnell gehen. Ich habe kaum Zeit, muss gleich weiter. Mit dem ICE von Berlin über Hannover nach Regensburg. Es geht schnell. YouTube Videos, Podcasts und seit den digitalen Semestern auch Vorlesungen werden bei mir in 1,7-facher Geschwindigkeit abgespielt während Landschaft an meinem Fenster vorbeirauscht. Der Zug beschleunigt, fährt, bremst. Ich muss Umsteigen, mein Anschluss hat Verspätung. Niemand kann etwas dafür, trotzdem ärgert es mich. Gern wär ich geduldiger.

Geduld und Warten. Zwei Sachen in denen ich nicht besonders gut bin. Lieber Anpacken und gestalten. Warten: für mich meistens nur das Zeichen, dass Vorgänge nicht aufeinander abgestimmt sind, dass Prozesse optimiert werden müssten. Warten, das heißt auf andere angewiesen sein, etwas nicht selbst in der Hand haben. Das Wartezimmer ist das beste Beispiel dafür.

2.   „Jetzt ist die Zeit“ – Mk 1

„wir warten in Geduld“ und „Jetzt ist die Zeit“, beides kam gerade vor. Ich bin ganz froh, dass „Jetzt ist die Zeit“ in knapp einem Jahr hier auf den Fahnen und auf den Kirchentag-Schals stehen wird: Jetzt geht´s los, wir fangen an, wir packen‘s an. Genau mein Ding.

Den Kontext des Mottos haben wir in der Lesung auf fränkisch gehört. Jesus ist gerade von Johannis getauft worden, zieht sich zurück in die Wüste, kommt wieder und legt los: Er predigt das Evangelium.

Diese Woche erst war Johannistag. Johannis – der kündigt an, weist hin und geht voraus. „Nach mir kommt der, der mächtiger ist als ich“. Und dann geht es los: Jesus kommt nach Galiläa, er predigt das Evangelium. „Jetzt ist die Zeit und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“. Gott selbst ist hier auf der Erde, predigt und tut Wunder. Also fangen auch wir an das zu verändern was falsch läuft. „Übernehmt Verantwortung, tut Buße“, ruft Jesus. „Tut das im Glauben an die frohe Botschaft Gottes: Tut es in Liebe, in Unverzagtheit und voller Hoffnung.“

Diese Message ist gerade genau richtig. Die brauche ich in meinem Leben, die brauchen wir als Gemeinde, die brauchts in unserer Gesellschaft. „Jetzt ist die Zeit“ in der wir handeln. Es geht um meinen Nächsten hier und jetzt. Es geht darum, Kirche jetzt zu gestalten. Wir müssen in der Gesellschaft jetzt handeln. In diesem Satz steckt so viel Hoffnung drin, eine Hoffnung, die aktiviert, die mitreißt und andere anstecken kann.

3.   „so warten wir darauf in Geduld“ – Röm 8

„Wir müssen jetzt...“ Das hört man aktuell sehr häufig. Das baut aber schon auch Druck auf. Vor allem, wenn man das Gefühl bekommt, dass sich alles auf einmal verändern soll und viele liebgewonnenen Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden. Dann kann eine solche Zeitansage auch verunsichern, überfordern, verärgern. Damals, als Jesus seine Botschaft zu den Menschen sprach und heute in einer Zeit, die von vielen als Zeitenwende erlebt wird. Buße und Umkehr – Abbrüche und Neuanfang – Scheitern und Anpassung. Radikale Veränderungen.

„…so warten wir darauf in Geduld“, heißt es im zweiten Text, den wir gehört haben aus dem Römerbrief. Eine ganz andere Tonlage. Eine andere Perspektive. Scheinbar entspannend. „Wir hoffen geduldig auf Rettung“ - klingt fast ein bisschen nach Liegestuhl. Hoffen im Chill-Out Modus? Das kanns ja aber nicht sein. Wird das meinen Hoffnungen gerecht?

  • Ich hoff, dass ich den Zug erwisch, die Klausur schaffe, meine Masterarbeit angenommen wird.
  • Dass Freunde bald gesund werden, dass ich Beruf, Beziehung und Ehrenamt gerecht werden kann.
  • Ich hoff, dass der Krieg in der Ukraine endet, dass echter Frieden einkehre, auch wenn das gerade unwahrscheinlich erscheint.
  • Ich hoff, dass wir es hinkriegen auf dieser Welt mit dieser Welt zu leben und nicht weiter auf Kosten der Schöpfung und des Klimas wirtschaften.
  • Ich hoffe auf Gott. Auf Halt, auf Begleitung, auf Gottes da-sein und mit-uns-gehen.

Für all das muss ich doch was tun. Krieg, Klimakrise, Transformation, Kirche im Wandel, Gott suchen und finden. Ich habe keine Zeit zu warten. Ich muss doch…! Muss ich?

„so warten Wir darauf in Geduld“ Geduldig warten. Da steckt auch die Gewissheit drin, nicht ich bin alleine zuständig für alles, nicht auf mir liegt alle Last. Hoffen ist immer auch ein Hoffen auf Gott. Das ist erleichternd und das erdet auf der einen Seite. Und führt uns doch auch immer wieder vor Augen, dass unsere Hoffnung freilich immer ein Stück weit unverfügbar bleibt. Beides glaub ich ist ganz gut und lenkt den Blick wenn man sich ein bisschen ins „Warten auf Geduld“ rein denkt doch wieder auf das machen.

Es scheint fast, als hätte sie sich so aufgelöst, die Ambivalenz vom Hoffen und Machen, vom noch-nicht und schon-jetzt. Diese Ambivalenz, die uns die biblische Botschaft immer wieder zumutet, wenn vom Reich Gottes die Rede ist. Gott ist bereits auf diese Erde gekommen, ist präsent hier – und auf der anderen Seite Warten wir auf das Reich Gottes, die Wiederkunft Christi… Ehrlich: eine der für mich struggelichsten Sachen und zugleich eine der spannendsten. Dafür lieb ich ja die Bibel, sie lässt Widersprüche bewusst nebeneinander stehen, bringt sie in Dialog miteinander, gibt uns die Möglichkeit darüber in Dialog zu kommen.

„Wir warten darauf in Geduld“ – “Jetzt ist die Zeit“: hier verbindet sich die Hoffnung auf das Kommen des Reich Gottes, und die Hoffnung auf ganz konkrete Veränderung der Wirklichkeit. Hoffen hält für möglich, dass es besser werden kann! Es ist das Wissen darum, dass die jetzigen Verhältnisse nicht absolut sind, dass Veränderung möglich ist; dass es mehr gibt als ich sehen kann und ich eine Ahnung davon hab, was richtig und falsch, was gut und schlecht ist. In der Hoffnung steckt Zuversicht.

Das motiviert mich. Motiviert mich anzupacken, nachzudenken – wie kommen wir weiter. Was kann ich tun, um zu helfen. Und wenn Paulus mit Geduld auch diese Beharrlichkeit meint, dann bin ich vielleicht gar nicht so schlecht darin.

 “Jetzt ist die Zeit“, es geht jetzt los mit der Veränderung der Wirklichkeit und ich kann dabei sein – jeden Tag neu.

4.   Aus „hoffen“ wird „machen“

Vor über 40 Jahren war der Deutsche Evangelische Kirchentag zum ersten Mal hier in Nürnberg: 1979 mit dem Motto „Zur Hoffnung berufen“. Zum Motto für nächstes Jahr „Jetzt ist die Zeit“ aus dem Markusevangelium, ist handschriftlich etwas hinzugefügt: „Hoffen. Machen.“ Hier steckt es drin: Hoffen – fast als eine Art Voraussetzung fürs Machen. Hoffnung als das, was zur Handlungsfähigkeit führt. Kristin Jahn, Generalsekretärin des Kirchentages verglich Hoffen und Machen mit den Pedalen eines Fahrrades – das eine gibt dem anderen Kraft. (Hoffen-Machen-Hände) Mir gefällt dieses Bild.

Hoffnung –auf das, was man nicht sieht – ist eine Kraft, die selbst durchaus sichtbar wird. Hoffnung verändert die Welt.

Der Friede Gottes, welcher höher als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus

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