Präsidiumsbericht

digitale 2. Tagung der 13. Synode der EKD 2021 in Bremen, 7.-10. November

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

Video: Präsidiumsbericht zur EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich

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Bericht des Präsidiums der EKD zur Synode in Bremen 2021
Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode

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Was ins Laufen kam

Liebe Geschwister,

Als Präsidium möchten wir die Gelegenheit am Beginn dieser Synode nutzen, um nicht nur auf das letzte halbe Jahr zurückzublicken, sondern auch Themen anzusprechen, die uns für die kommende Zeit wichtig sind: und so hoffentlich einen Impuls liefern, der uns Schwung auf dem gemeinsamen Weg gibt:

Seit der konstituierenden Tagung der Synode und der Wahl des Präsidiums sind genau sechs Monate vergangen. Gar nicht so viel Zeit, um sich als Team zusammen zu finden, in das „Daily Business“ einzutauchen, eine Synodaltagung vorzubereiten und dann eine Synodentagung umzuplanen. Wir werden auf dieser Tagung ­­– im geschwisterlichen Bemühen – einen neuen Rat wählen, dem wir das Vertrauen aussprechen, die Evangelische Kirche in Deutschland in den nächsten sechs Jahren mitzugestalten und zu repräsentieren. Es freut mich, dass es Menschen aus Kirche und Gesellschaft gibt, die sich hier heute Abend vorstellen werden und mitgestalten wollen.

Und auch wenn das wahrscheinlich immer zu Beginn einer Legislatur gesagt wird, will auch ich es tun: Die kommenden sechs Jahre werden in vielerlei Hinsicht spannend und herausforderungsvoll. Der Transformationsprozess, den wir alle in unseren Gemeinden und sonstigen Bezügen, in unseren Landeskirchen und hier in der EKD begonnen haben: Er wird verbindlich. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und dürfen uns nicht verzetteln. Wir werden immer häufiger gezwungen sein, uns nicht nur für etwas zu entscheiden, sondern auch gegen anderes, das mit unseren begrenzten Ressourcen eben nicht realisierbar ist.

Ich bin froh, dass wir dies gemeinsam tun. In vielen Sitzungen und Veranstaltungen habe ich in den letzten Monaten viel dazu gelernt und bin besonders dankbar für all die Gespräche am Rande der [oft] gut eingeübten Formate. Für die vielen Hinweise, die kritischen und konstruktiven Rückfragen, den Zuspruch und das breite Angebot an Unterstützung, das vor allem auch von Menschen aus den Reihen der Synode kam und kommt. Ich nehme da bei uns allen Aufbruch und Mut zur Veränderung wahr.

In vielen dieser Gespräche bin ich immer wieder auf den Halbsatz „Raus aus der Bubble“ angesprochen worden, und ich habe ihn in unterschiedlichen Settings versucht, mit Leben zu füllen, ihn zu erklären, ihn weiter zu denken. Denn das Evangelium ruft uns dazu auf, Gesagtes immer wieder verantwortlich zu bedenken. Was ich mit jener – zugestandenermaßen saloppen Formulierung – sagen will:  wir brauchen noch mehr Bereitschaft außerhalb von Kirchenmauern auf die Suche zu gehen, neue Kontakte zu knüpfen und - um es mit den 12 Leitsätzen zu sagen - „Hinaus ins Weite“ zu gehen.

Daher kam meine Motivation, mich im Sommer auf die #Präsestour zu begeben. Eine Reise ohne vorher definiertes festes Ziel, kreuz und quer durch Deutschland. Ich wollte Menschen, Initiativen und Vereine kennen lernen, die nicht viel oder nur am Rande etwas mit Kirche zu tun haben. 31 Tage lang war ich dafür mit einer Freundin mit der Bahn unterwegs und habe viele großartige Menschen kennen gelernt.

Was sich lohnen wird

Drei meiner Beobachtungen zur dieser Tour möchte ich an dieser Stelle gerne mit Ihnen und Euch teilen:

Erstens: Begegnung schafft Vertrauen. Eine beeindruckende Erkenntnis der Tour war, dass wir kein einziges Mal ein Hotel buchen mussten. Wir sind immer irgendwo untergekommen, spontan und meist sehr herzlich empfangen worden. Das ist echt ein gutes und ermutigendes Gefühl, wenn fremde Menschen einem so viel Vertrauen entgegenbringen und uns an ihrem Leben, ihren Erfahrungen, ihrem Alltag teilhaben lassen, uns ihre Couch für eine Nacht zur Verfügung zu stellen. Nicht weil ich Präses bin – die wenigstens wissen ja überhaupt was das ist – sondern weil die Menschen, denen wir begegnet sind, neugierig und offen für neue Erfahrungen waren.

Zweitens: Der Ort der Begegnung prägt. Es ist etwas ganz Anderes, Menschen in ihren alltäglichen Kontexten zu begegnen, als sie in kirchlichen Räumen oder an neutralen Plätzen anzutreffen. Das Gespräch mit den Sportpiraten [hier Bild] in der Half-Pipe war gerade deshalb so entspannt und vertrauensvoll, weil es ihr „place to be“ ist, und sie sich auch sonst beim BMX fahren darüber austauschen, was sie gerade bewegt. Und beim gemeinsamen Abendessen in der eigenen Wohnung kommt man mit den Gastgeber:innen viel leichter in ein offenes Gespräch als in einem anberaumten Meeting mit fester Tagesordnung. 

Und drittens: Es kommt nicht darauf an, wie „nah oder kirchenfern“ jemand ist, sondern wie neugierig und ansprechbar: Viele, die für uns vermeintlich „kirchen- und glaubensfern“ sind, sind viel offener als wir ihnen zutrauen. Besonders Menschen mit einer großen Distanz zu Kirche sind interessiert an Themen zwischen Himmel und Erde, Gott und der Welt. Auch außerhalb der Bubble ist Glaube interessant. Häufig wusste mein Gegenüber gar nicht, dass ich ein kirchliches Amt habe, das hat sich dann erst in Gesprächen ergeben, bei denen mir eine große Offenheit und ein Interesse der Menschen begegnete, die mich immer wieder überrascht haben. Überraschen wir sie doch auch mit unserer eigenen Offenheit!

Ich habe gelernt: Vertrauen –Offenheit – Ortswechsel – das sind Dinge, die sich unbedingt lohnen. Es lohnt sich, in Gespräche als ein lernendes, hörendes und suchendes Gegenüber zu treten. Es lohnt sich, die Offenheit, die uns als Christ:innen eigentlich auszeichnet, auch denen gegenüber deutlich zu signalisieren, die noch keine Berührungspunkte zur Kirche haben.

Vertrauen, Offenheit und der notwendige Blickwechsel: Das leitet uns auch bei einem besonders sensiblen Thema, mit dem wir uns im Rahmen dieser Synode auseinandersetzen – selbstkritisch, fragend und im direkten Dialog mit Betroffenen: Es ist eine entscheidende Zukunftsaufgabe, dass Menschen vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Wir als Kirche müssen in diesem wichtigen Bereich der Prävention und Intervention alles dafür tun, dass die Räume, die wir öffnen, sichere Orte sind. Dazu gehört auch eine ehrliche und transparente Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – die Aufarbeitung von Unrecht. Ich hoffe sehr darauf, dass wir das gemeinsame Gespräch auf dieser Synode mit dieser Offenheit und auch mit dieser Zielperspektive führen können und ich möchte ausdrücklich allen danken, die morgen im Interesse der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt hier sein werden und sich - trotz aller mit einer solchen öffentlichen Veranstaltung verbundenen Belastungen – zu Wort melden.

Was sich ändern muss

Warum ist es verheißungsvoll und lohnend, wenn wir diese Haltung der tabulosen Offenheit auch als Grundimpuls für unser synodales Handeln verstehen? 

Erstmal ist festzuhalten: Uns muss klar sein, wer wir sind und wo wir hinwollen. Wie alle anderen Dinge auch, sind Institutionen – und Kirche ist eine Institution – einem ständigen Wandlungsprozess unterzogen. Unsere Aufgabe ist, den Wandel zu gestalten. Es kann nicht darum gehen, den Status-Quo um jeden Preis zu bewahren, sondern wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, was sind unsere Zielvorstellungen? Wozu sind wir evangelische Kirche, was ist unsere Mission, im Hier und jetzt? Was an Veränderungen auf uns zukommt, zwingt uns, diese Frage in unserem synodalen und in unserem kirchenleitenden Handeln viel konkreter zu stellen als in der Vergangenheit. Mit „Hinaus ins Weite“ haben wir bereits den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht, es ist eine hoffnungsvolle Haltungsbeschreibung. Aber bei einer hoffnungsvollen Haltungsbeschreibung dürfen wir nicht stehen bleiben, sonst bleibt`s vage. Jetzt stehen konkrete und operationalisierbare Entscheidungen an – für mehr Gemeinsamkeit, für ein glaubwürdiges Auftreten nach innen und außen, für bessere Zugänglichkeit für alle, die zu uns gehören oder sich für Kirche interessieren.

Zweitens gehört dazu, dass wir mit unserer Synode neue Formen, Räume und Methoden der Zusammenarbeit haben werden. Nicht nur das Format der kürzeren verbundeneren Synodentagung und das Arbeiten mit digitalen Tools gab es so vorher noch nicht, sondern auch unsere unterjährige Arbeit, die bisher immer der Vorbereitung der einmaligen Synodentagung dient, hat sich schon verändert und wird sich in Zukunft sicher noch weiter verändern. Denn synodale Arbeit findet nicht nur einmal im Jahr statt, sondern mit neuen Methoden und digitalen Räumen haben wir die Möglichkeit, auch unterjährig miteinander ins Gespräch und in Austausch zu treten. Immer mit dem Ziel natürlich, durch unterjährige Vernetzung zur Vorbereitung der Synode daran mitzuwirken, dass wir hier im Plenum einen gelingenden Diskurs führen können. Ich verstehe die Synode als ein glaubendes und zweifelndes, mutiges, lautes, ein in all diesen Ausprägungen [sehr] diverses Organ, welches als breite Repräsentanz unserer kirchlichen Landschaft dient.

Damit dies gelingt – und das ist der dritte Punkt – ist es wichtig, dass jede und jeder von uns versucht, selbst den Weg „Hinaus ins Weite“ zu gehen, zu lernen, zu suchen, zu hören und mit all dem Eingesammelten zurückkommt und Veränderung mitgestaltet und anstößt. Die Anstöße sind dann selbstverständlich gemeinsam auszuhandeln, umzusetzen und wieder in die Fläche zu tragen – in die Verantwortlichkeiten unserer Landeskirchen und in unsere unterschiedlichsten individuellen Bezüge. Dabei ist es notwendig, dass wir uns alle in Zukunft noch stärker auch als diejenigen verstehen, die Öffentlichkeit für den Aufbruch herstellen. Wir haben doch guten Grund, uns als Kommunikator:innen und Multiplikator:innen des Aufbruchs zu verstehen ­– nach innen und nach außen. Und auch wenn es für einen jeden Einzelnen von uns mehr Anstrengung bedeutet sich immer wieder in diese direkte Kommunikation zu begeben: Es lohnt sich!    

Was anliegt

Ich bin diesen Sommer für 4 Wochen „raus“ gegangen und habe meine Erlebnisse und Eindrücke zurück rein ins Präsidium gebracht, im Besonderen ein Thema, das an fast allen Orten präsent war: Das Thema Klima. Klimagerechtigkeit und Klimaschutz zogen sich von Flensburg bis Freiburg durch und wurden immer wieder zum Schwerpunkt vieler Gespräche.

Die vielen offenen Fragen, die gerade uns als Christ:innen beschäftigen müssen, treiben uns seitdem noch mehr um:

Wie nehmen wir als Kirche als eine Institution in der Mitte der Gesellschaft - unsere Verantwortung für den Klimaschutz wahr?

Was können wir für die weltweit wachsende Zahl an Menschen tun, die in ihrer Heimat wegen des Klimawandels keine Lebensgrundlage mehr haben, sie aufgeben müssen?

Welche Impulse können wir als Kirche aus unser im weltweiten Vergleich bevorzugten Situationen heraus geben, um die Chancen unsere Geschwister in aller Welt auf ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit zu stärken?

Wie sprechen wir von Gott, über seine Schöpfung – im Wissen über die Zerstörung der Umwelt – und trotzdem getragen von einem Glauben, der Hoffnung macht?

Liebe Synodale, gemeinsam werden wir diese Synode prägen und bestimmt noch weitere Themen diskutieren und das soll hier auch seinen Platz haben. Ich habe mit dem Thema Klimawandel bereits einen Stein ins Wasser geworfen und bin zuversichtlich, dass er Kreise zieht. Ich bin auf jeden Fall froh, dass das innerhalb der Kirche bereits lebendig diskutiert wird, in Gemeinden, in Gremien, bei den christians for future und natürlich auch schon unter Synodalen. Ich halte eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Fragen für unausweichlich, wir werden sie auch als Synode in der gebotenen Tiefe und gemeinsam mit anderen Akteur:innen führen müssen. Ich freue mich schon jetzt drauf, wenn wir das Thema in unserer synodalen Arbeit im kommenden Jahr von allen Facetten her beleuchten und uns immer wieder fragen, was kann unser Beitrag als Kirche, was muss unser Beitrag als Christ:innen sein.

Lasst uns bei allen anstehenden Diskussionen und Entscheidungen eins nicht verlieren: einen unverzagten Blick auf die großen Transformationen, die vor uns liegen. Eine Perspektive auf die Welt, die nicht defizitorientiert ist, sondern für die Zukunft Gottes Geleit und seinen Segen erhofft. Die in aller Unsicherheit von Vertrauen getragen ist, in aller Ruhelosigkeit entspannt und in aller scheinbaren Aussichtslosigkeit voll froher Erwartung ist auf das, was kommt – Kurzum: Eine Sicht, die nicht von enger Verzagtheit, sondern von der lebendigen Weite des Evangeliums geleitet ist.