Predigt zur Eröffnung des Bachfestes in Rostock

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Psalm 150

Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Gemeinde,

Mehr Halleluja, mehr Gotteslob geht nicht als wir es in diesen Worten des 150. Psalms gehört haben. Und das ist gut so! Denn alles hat seine Zeit: Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit (Prediger 3,4). Klagen hat seine Zeit und Loben hat seine Zeit. Und heute ist in einer Welt, in der es doch auch so viel Anlass zur Klage gibt, heute ist die Zeit des Lobens.

Wir sind in der Rostocker Marienkirche zusammengekommen, um das 94. Bachfest zu eröffnen. Wir sind zusammengekommen, um Gott zu danken, dass er uns die Musik schenkt. Dass er in so vielen unterschiedlichen Gestalten und Besetzungen, mit so vielen unterschiedlichen Tönen und Akkorden etwas schenkt, was uns im Innersten berührt.

Es ist so vieles in der Musik, das Resonanz in unseren Lebenswelten findet. Die Atonalität, die schrillen Akkorde, die all dem, was in der Welt nicht zusammenpasst, Ausdruck verleihen. Die Moll-Akkorde, die unsere eigene Traurigkeit in etwas Größeres, Tief Gefühltes einordnen, ihr einen Rahmen geben und uns allein schon damit erleichtern und trösten. Und dann das Dur, in das sich das Moll dann immer wieder auflöst und das uns durch seine Strahlkraft mitten hineinführt in dieses große Halleluja, mit dem das Buch der Psalmen endet und das uns heute den Ton setzt für diesen Eröffnungsgottesdienst.

Martin Luther hat die Kraft der Musik mit guten Gründen mit dem Glauben verbunden: „Ich liebe die Musik. Denn sie ist ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen, sie macht das Gemüt froh, sie verjagt den Teufel, sie bereitet unschuldige Freude.“

Weil die Menschen das spüren, sind die Kirchen voll, wenn wieder eines dieser großen Werke aufgeführt wird, in denen die geistlichen Worte, die Worte der Bibel in die Herzen der Menschen gespielt und gesungen werden. Und wenn es nicht Bach ist, dann ist es Gospel oder andere neuere Musik, die die Menschen in großer Zahl in die Kirchen bringt. Wenn wir als Kirche darüber nachdenken, wie Menschen heute in einem zunehmend schwierigen und säkularer werdenden Umfeld die wunderbare Botschaft des Evangeliums so hören und erfahren können, dass sie davon tief in der Seele berührt werden, dann wird die Musik ganz bestimmt einen zentralen Stellenwert einnehmen müssen.

Die Musik, auch wenn sie sich ausdrücklich geistlich versteht, reicht in ihrer Wirkung über die Grenzen einer bestimmten Bekenntnisgemeinschaft hinaus. Das war schon zu den Zeiten so, als der Psalm 150 entstanden ist.

„Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!“

Es ist eine überschwängliche Aufforderung zum Lob, die wir hier hören und die, wie ein Stein, der ins Wasser fällt, immer weitere Kreise zieht: vom Heiligtum – für die ersten Beter des Psalms ist das der Jerusalemer Tempel – bis in alle Welt. Man kann diese Bewegung von Halbvers zu Halbvers fast buchstäblich mitvollziehen. Der Lobpreis beginnt im Tempel – im Tempel, den man sich in der frühen Zeit des Alten Testaments als Fundament des Thrones Gottes vorgestellt hat, später als ein Abbild des himmlischen Heiligtums. Der erste Vers verbindet gleichsam diese beiden Heiligtümer. Sie sind die Mitte der Welt. Dadurch, dass dort das Lob Gottes erklingt, bleibt die Welt stabil.

Auch der zweite Vers fordert zum Lob auf – um alles dessen willen, was Gott getan hat. Als der, der der Welt geschaffen hat und sie erhält. Und wegen „seiner großen Herrlichkeit“. Hebräisch wörtlich steht da „wegen der Fülle seiner Größe“. Das ist räumlich und zeitlich gemeint: Gott ist überall. Und er ist unerschöpflich. Und dem soll unser Lob entsprechen. Es soll die ganze Welt erreichen. Und es soll ewig sein.

Nein, das Lob Gottes ist nichts, was nur in den Binnenraum irgendeiner Kirche gehört. Das Lob Gottes drängt in die Welt hinein.

Was wäre dazu besser in der Lage als die Musik!? Die Musik mit allen ihren Instrumenten, die der Psalm so eindrucksvoll zur Sprache bringt! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln!

Aber ist es wirklich Gott, mit dem wir in Kontakt sind, wenn wir tief berührende Musikerlebnisse haben? Wie war das damals, als die Nazis sich am Abend bei einem guten Glas Rotwein an der religiös-majestätischen Wucht der Musik Richard Wagners berauscht haben und dann am nächsten Tag die nächsten Schritte zur Auslöschung des Judentums in Europa beraten haben? Wie ist es heute, wenn Menschen musikalische Hochkultur pflegen und genießen, um dann im Alltag Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit zu verbreiten? Wo bleibt da das Göttliche?

„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen." – so hat Dietrich Bonhoeffer darum einmal in der Zeit des Dritten Reiches gesagt. Und er hat damit klargemacht: Gott kann man nur loben, wenn man ihn auch im Antlitz des Nächsten wahrnimmt. Fromme Lobgesänge auf Gott werden schal, wenn sie aus einem kaltem Herzen gegenüber den Mitmenschen und ihrem Leid kommen.

Man muss nun nicht auch noch die Musik moralisieren. Musik kann genial sein, egal von wem sie komponiert oder gespielt oder gehört wird. Aber das Lob des Gottes, von dem der Psalm 150 singt, das gibt es nicht ohne ein waches Herz für die Not des Nächsten und eine Leidenschaft für Gerechtigkeit.

In dieser Hinsicht haben sich die biblischen Propheten klar ausgedrückt: „Ich hasse und verachte Eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen… Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5, 21-24).               

Die Vertonung des 150. Psalms, die die Kurrende nachher singen wird, ist kein weltabgewandter Feiertagsjubel. Sie kennt Hass, Nationalismus, Gewalt ganz genau. Johannes Weyrauch hat sie geschrieben. 1947. Da lag das Ende des letzten Krieges in unserem Land gerade einmal zwei Jahre zurück. Für Weyrauch war es der zweite Krieg, den er miterlebte. Nach dem Abitur wollte er Musik studieren; stattdessen wurde er zum Maschinengewehr-Schützen ausgebildet und an die Westfront beordert. Erst nach dem Ende des 1. Weltkriegs konnte er sein Studium beginnen. Später wollte er gerade aus der Tätigkeit in einem Musikverlag in die Kirchenmusik wechseln, da wurde er zum zweiten Mal in einen Krieg einberufen. In die Reserve entlassen, musste er fast gegen Ende des 2. Weltkrieges noch an die Ostfront und verbrachte einige Monate in Gefangenschaft. Dann kehrte er zurück nach Leipzig, als Dozent an der Musikhochschule. Dort entstand seine Vertonung des 150. Psalms.

Ist sein Halleluja deswegen verhaltener als die Musik, die der Psalm selbst instrumentiert? Das müssen wir gleich beim Hören jede und jeder für uns selbst herausfinden.

Psalm 150 jedenfalls ist eine einzige, große Aufforderung zum Lob. Er beginnt und endet mit dem Halleluja. Dazwischen zehn Mal „lobet!“. Imperativ. Es gibt Momente, in denen ich mich dem Sog dieser Euphorie nicht entziehen kann. Dann jubele ich aus vollem Herzen mit, es jubelt nur so aus mir heraus. Und dann gibt es Momente, in denen geht das nicht. Da fällt die Aufforderung wie ein Stein ins Wasser, und seine Kreise erreichen mich nicht.

Aber: Vielleicht ist das das Besondere an diesem 150 Psalm. Seine überschwängliche Aufforderung ist kein Schönsingen, das alles Negative und Dunkle, alles Böse und Bedrohliche, alle Einsamkeit und alles Scheitern einfach wegblendet, verdrängt und leugnet.

Denn der Psalm 150 ist der letzte von einhundertfünfzig Texten im biblischen Buch der Psalmen, in denen so ziemlich jede Lebenslage und jede Gefühlsmischung ihren Platz hat. Loben und Klagen. Jubeln und Weinen. Tausend Zungen und die zugeschnürte Kehle, der Kloß im Hals. Krankheit und Genesung. Leben und Sterben.

All diese Psalmen geben uns Sprache für unsere Seele, wenn wir keine Worte mehr finden. Sie sind eine Sprachschatzkiste des Redens mit Gott. In ihr findet sich die Klage über menschliche Abgründe, Verzweiflung und Ohnmacht genauso wie laut herausgerufener Dank, der leise Ausdruck von Erfahrung des Trostes und der Vergebung und der begeisterte Jubel über Gottes Größe und Güte. Das Buch der Psalmen ist ein so wunderbares Buch, weil es prallvoll gefüllt ist mit Lebenserfahrung.

Und es mündet in diesen 150. Psalm:

„Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!“

Solange wir Gott loben, bleibt die Welt stabil. Nach Ostern erst recht. Denn unser Lob hält – wie die Psalmen – die Hoffnung lebendig, dass Gottes Herrschaft unaufhaltsam ist. Gott kommt. Der Schofár tönt schon. Darum höre jeder, der noch einen Hauch Atem in sich hat, nicht auf, ihn zu loben. Ein dreifaches, vierfaches, zehnfaches, zwölffaches Halleluja.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN