„Der Druck, den ich habe, ist sehr groß“

Ebrahim Rezai studiert mit einem Stipendium von „Brot für die Welt“ in Deutschland

Ebrahim Rezai ist aus Afghanistan geflohen und studiert nun in Osnabrück Elektrotechnik. Wenn er durch eine Prüfung fällt, ist das noch nicht allzu schlimm. Den Abschluss braucht er aber unbedingt. Manchmal fällt ihm das Lernen aber schwer, denn: Er hat seine Familie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und macht sich große Sorgen.

Ebrahim Rezai
Ebrahim Rezai (23) ist 2011 vor den Taliban aus Afghanistan geflohen.

Warum mussten Sie aus Afghanistan fliehen?

Ebrahim Rezai: Ich bin 2011 aus Afghanistan geflüchtet, weil ich von der Taliban bedroht wurde. Ich war Student der Tiermedizin in Herat, hatte eines Tages beim Lernen im Park einen Mann mit einem Sprengstoffgürtel beobachtet und die Polizei informiert. Der Selbstmordanschlag ist kurz danach tatsächlich passiert und viele Menschen sind gestorben. Aus dem Umfeld des Terroristen wurde ich bedroht und zwei Wochen später verfolgten mich die Taliban auf einem Motorrad und haben mich beinahe erschossen. Ich hatte wahnsinnig Angst und bin zur Polizei gegangen, doch die Beamten machten nichts. Auch in Kabul wird täglich jemand auf der Straße erschossen und nichts passiert. Meine Familie und ich  haben dann gemeinsam entschieden, dass ich Afghanistan verlassen muss. Das war für mich mit meinen 16 Jahren ein sehr großes Problem. Ich bin alleine durch den Iran geflüchtet, durch die Türkei, Griechenland, Italien bis nach Deutschland.

Sie studieren jetzt seit Oktober Elektrotechnik in Osnabrück. Wie kam es dazu?

Rezai: Ich war fast fünf Monate in Deutschland und habe Kontakte zu einem Pastor und der evangelischen Studierendengemeinde gewonnen, durch die ich vom Stipendium von „Brot für die Welt“ erfahren habe. Dann wurde ich als Dublin-II-Flüchtling wieder nach Italien abgeschoben, wo ich zwei Jahre Italienisch lernte und Arbeit suchte. Doch mein Ziel war es, in Deutschland zu studieren und nur durch das Flüchtlingsstipendium konnte ich hierher zurück. Die Mitarbeiterinnen von „Brot für die Welt“ helfen mir auch, eine fachgerechte Arbeit zu finden, wenn das Stipendium Ende 2017 ausläuft. Darüber mache ich mir die größten Sorgen, denn ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich bekomme kein Bafög mit meinem ungesicherten Aufenthaltsstatus und habe bereits intensiv nach anderen Stipendien gesucht, doch ohne Erfolg. Das Problem ist, dass ich neben meinem Studium nicht arbeiten kann, weil ich von morgens bis abends Uhr an der Hochschule bin und sehr viel Zeit zum Lernen brauche. Wenn ich nebenbei arbeite, schaffe ich das Studium nicht, und es wird mit jedem Semester schwerer.

Wie groß ist für Sie der Druck an der Uni?

Rezai: Wenn ich einmal durch eine Prüfung falle, ist das nicht das Problem, aber ich muss das Studium schaffen. Das ist der Druck und mir bleibt keine Wahl.  Gleichzeitig bin ich sehr mitgenommen durch alles, was hinter mir liegt. Meine Familie habe ich seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und ich mache mir riesige Sorgen. Und für ein so anspruchsvolles Studium braucht man viel Ruhe. Dazu kommen die Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde. Als ich im Studienkolleg eine Deutschprüfung nicht bestanden hatte, wurde mir gleich gesagt, dass ich Deutschland verlassen muss, wenn ich durch die nächste Prüfung falle. Mit dem Studium ist es dasselbe: meine Aufenthaltserlaubnis wird nicht verlängert, wenn ich das Studium nicht erfolgreich beende. Ich habe keine Wahl. Leider ist die Durchfallquote bei einzelnen Prüfungen wie beispielsweise Mathematik so hoch, dass auch deutsche Studis zweimal nicht bestehen. Der Druck, den ich habe, ist sehr groß und ich lerne den ganzen Tag.

Wie erleben Sie die Behörden im Umgang mit Ihnen?

Rezai: Die Behörden sitzen in Steinfurt und das ist über 70 Kilometer weit weg. Sie gaben mir für ein bis zwei Monate eine Aufenthaltserlaubnis und dann musste ich wieder dorthin. Das war ein echtes Problem, denn es fahren kaum Busse morgens. Und bei jeder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis muss ich fast hundert Euro zahlen. Dann werde ich zu allem befragt: was ich mache, wie meine Noten sind. Der Druck wird immer größer. Die Behörden sagen, dass alles in meiner Hand liegt, ob ich hier bleiben kann oder nicht. Auch finanziell ist es sehr knapp, weil ich von den 720 Euro Stipendiengeld alle Kosten bezahle: mein Zimmer, die Arztkosten, die Rundfunkgebühren, die Verlängerung meiner Aufenthaltserlaubnis – alles.

Sind Ihre Abschlüsse anerkannt worden?

Rezai: Mein Abitur ist zwar anerkannt worden, aber ich musste zwei Semester ein Studienkolleg besuchen mit Physik, Mathematik, Chemie und Deutsch. Damit kann ich Ingenieurwissenschaften studieren. Ich habe viel Neues gelernt, denn hier sind Abitur und Studium im Vergleich zu Afghanistan sehr schwer. Im Studienkolleg sind auch viele Studenten aus dem Ausland, aber es sind eher gut gestellte und abgesicherte junge Leute aus der ganzen Welt. Ich war der Einzige, der keine Unterstützung und einen Fluchthintergrund hatte.

Wie willkommen fühlen Sie sich an der Universität?

Rezai: In Osnabrück ist das schon sehr gut. Es gibt Tutorien und Mentoren-Programme, durch die ich unterstützt werde. Nur in den studentischen AGs  wollen die anderen nicht so gerne mit mir lernen, weil meine Deutschkenntnisse einfach schlechter sind. Das ist aber normal, denn alle suchen einen besseren Mitstudenten, um zu profitieren. Sie sind auch nicht besonders freundlich, aber ich denke, dass sich das verändert, wenn wir uns besser kennenlernen.

Wenn der Aufenthalt nicht gesichert ist, was passiert dann?

Rezai: Ich weiß nicht genau, was passiert, wenn ich das Studium nicht schaffe. Ich habe nicht gefragt, aber wahrscheinlich werde ich wieder nach Italien abgeschoben. Kompliziert ist, dass meine Aufenthaltserlaubnis dort auch abgelaufen ist und ich weder Asyl noch einen subsidiären Schutz bekommen habe. Ich befürchte, dass die italienischen Behörden mir keine neue Aufenthaltserlaubnis geben werden.

Wie schätzen Sie das Abkommen von Deutschland ein, Flüchtlinge nach Afghanistan zurück zu schicken?

Rezai: In Afghanistan herrscht jetzt überall Krieg. Ich verfolge immer die Nachrichten und sehe, dass Afghanistan wie ein zweites Syrien wird. Die Probleme werden täglich größer. Und dieser Vertrag mit der deutschen Politik, dass die afghanische Regierung Milliarden Euro bekommt und dafür Flüchtlinge zurücknimmt, das ist für mich unglaublich: In Afghanistan herrscht Krieg, Terror, Korruption, es gibt keinerlei Sicherheit und Jobs zum Leben in diesem Land.

Das Interview führte Eva Wagner (Brot für die Welt)


Informationen zum Stipendienprogramm

Mit dem Stipendienprogramm möchte „Brot für die Welt“ jungen Menschen, die aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen in ihrem Heimatland verfolgt oder bedroht wurden und deshalb nach Deutschland geflüchtet sind, die Möglichkeit geben, ihr Studium hier aufzunehmen oder fortzuführen.

Geflüchtete Studierende und Studieninteressierte können u.a. von einer Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) für ein Stipendium vorgeschlagen werden. Von den Stipendiatinnen und Stipendiaten wird erwartet, sich entwicklungspolitisch, sozial oder ökumenisch bei der lokalen Evangelische Studierendengemeinde oder dem regionalen Studienbegleitprogramm (STUBE) zu engagieren und an einzelnen Stipendienbegleitmaßnahmen (STIPE)  teilzunehmen. Alle Studiengänge (mit Ausnahme der Humanmedizin und Theologie) an einer staatlich anerkannten Hochschule in Deutschland werden gefördert. In Absprache mit dem Stipendienreferat können auch studienvorbereitende Deutschkurse finanziert werden.

Die Förderung geschieht in der Erwartung, dass die Studierenden nach Abschluss ihres Studiums in einem Entwicklungsland leben und arbeiten und/oder einen persönlichen Beitrag zur einer sozial gerechten und ökologisch tragfähigen Entwicklung leisten. Sollten die Geförderten in Ausnahmefällen in Deutschland oder einem westlichen Industrieland bleiben, wird erwartet, dass sie sich möglichst im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit oder entsprechender Bildungsarbeit engagieren.